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ZEITGESCHICHTE / HITLER-GESPRÄCHE An sich vernichtet

aus DER SPIEGEL 13/1967

Der schönste Tag im Leben des Roberto Farinacci war der 1. Oktober 1940. Da stand der italienische Staatsminister und Faschistenführer zum erstenmal dem deutschen Führer und Reichskanzler gegenüber.

Farinacci sprach, er könne jetzt ruhig sterben; denn er habe den Führer gesehen. Hitlers Antwort: Es sei besser, für die Völker und für die großen Aufgaben zu leben.

Szenen und Führerworte wie diese schlugen sich in den Protokollen nieder, die der Chefdolmetscher des Auswärtigen Amtes, Dr. Paul Schmidt, und Legationsrat Walter Hewel, Verbindungsmann des AA zur Reichskanzlei, von den Begegnungen Hitlers mit ausländischen Politikern anfertigten. Sie wurden jetzt von dem Marburger Historiker Andreas Hillgruber in dem Dokumentenband: »Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler« veröffentlicht*.

Die Protokolle wurden zumeist nach stenographischen Notizen Schmidts geschrieben. Obwohl der AA-Dolmetscher Schmidt und der AA-Kontakter Hewel die Gespräche nur in indirekter Rede widergaben, lehnten sie sich -- wie Hillgruber hervorhebt -- »sehr eng an den mutmaßlichen Wortlaut« der Unterredungen an. Aufzeichnungen wichtiger Gespräche wurden oft sogar Hitler vorgelegt und von ihm autorisiert, bevor sie den ausländischen Politikern und Diplomaten übersandt wurden.

Die »vertraulichen Aufzeichnungen« -insgesamt 99 -- stammen aus der

* »Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler«. Vertrauliche Aufzeichnungen über Unterredungen mit Vertretern des Auslandes 19391941. Herausgegeben und erläutert von Andreas Hillgruber; Bernard & Graefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt; 700 Seiten; 511 Mark.

Zeit vom siegreichen Polenfeldzug im September 1939 bis zum Kältedesaster vor Moskau im Dezember 1941. Einige von ihnen wurden jetzt zum erstenmal veröffentlicht. Die Dokumente konterfeien Hitler, wie man ihn kennt -- aber auch, wie man ihn noch nicht kennt.

Hitler sprach mit dem schwedischen Industriellen Dahlerus und dem Großmufti Sayid Amil al Husseini von Jerusalem, dem amerikanischen General-Motors-Mann Mooney und der italienischen Kronprinzessin Marie-José, dem belgischen König Leopold III. und dem norwegischen Nationalisten-Führer Quisling.

Jedesmal gab er sich anders: mal als Staatsmann, mal als Kumpan. Er war realistisch oder Verlogen, pathetisch oder platt, zielstrebig oder gelangweilt. Mal ging er dem Gast mit ausgebreiteten Armen entgegen, mal blieb er wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen.

Wenn präzise Frager ihn festzulegen Versuchten, wich Hitler oft aus. Als der belgische König Leopold III. wissen wollte, ob sein Land nach dem Kriege ein unabhängiger Staat bleiben werde, beschied ihn Hitler: »Es solle auf jeden Fall nicht alles nur Mögliche reglementiert werden.«

Doch manchmal verriet er Staatsgeheimnisse. Dem bulgarischen Gesandten in Berlin, Parwan Draganoff, offenbarte er am 27. März 1941, daß Deutschland in Kürze Jugoslawien angreifen werde. Über diesen Vertrauensbeweis war der Diplomat so erstaunt, daß er Hitler am Schluß der Audienz fragte, »ob diese Mitteilung geheim sei oder ob er sie nach Sofia (an seine Regierung) mitteilen könne«. Hitler stellte anheim.

Dem kroatischen Verteidigungsminister, Marschall Slavko Kvaternik, gewährte er -- am 21. Juli 1941 -- Einblick in seine Ausrottungspläne, als er sie sogar noch vor engen deutschen Mitarbeitern geheimhielt: »Schmarotzer an der gesunden Gesellschaft« müsse man »beseitigen oder -- wenn sie nicht gemeingefährlich seien -- in Konzentrationslager sperren, aus denen man sie nie mehr herauslassen dürfte«.

Wenn es ihm geboten schien, sprach Hitler mit verhaltenem Respekt über ausländische Staatsmänner. Dem Franco Spaniens attestierte er ein »mutiges Herz«, Stalin nannte er einen »nationalen Russen«.

Doch glaubte er sich im vertrauten Kreise, schimpfte er wie ein Landser: Den Briten-Premier Winston Churchill nannte er einen »Strohkopf«, den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt einen »Lümmel«. Die norwegischen Minister seien »Waschlappen«, die britischen Soldaten »faul«, die Schweiz sei »das widerwärtigste und erbärmlichste Staatengebilde«, und Polen sei so verlaust, daß er sich bei Frontvisiten mehrfach gefragt habe, »ob er nicht lieber umkehren und das trostlose Land mit seinen noch trostloseren Menschen einfach liegenlassen solle«.

Hitler sprach über die Arbeitslosigkeit in den USA und über die griechischen Sümpfe, über Petroleumfunde in Ungarn und die schwedische Staats-form, über die Fettversorgung in Holland und die Qualität skandinavischer Grubenhölzer.

Am liebsten verbreitete sich Hitler über militärische Fragen, vor allem nach dem Blitzsieg über Frankreich. Denn während der Polen-Feldzug auch in seinen Augen noch ein Krieg der Generale war, beanspruchte er den Lorbeer des Sieges über die Franzosen für sich allein. Vor allem den kriegsentscheidenden Durchbruch der Panzer bei Sedan, die zum erstenmal in der Kriegsgeschichte in Großverbänden operierten, hielt er für seine Idee.

Hitler wollte als überlegener Feldherr bewundert werden. Dem Franzosen-Admiral Jean-Francois Darlan beteuerte er scheinheilig, »er lege keinen Wert darauf, als großer Feldherr aufzutreten ... obgleich er der Oberstkommandierende sei«; zu dem japanischen Außenminister Josuke Matsuoka meinte er jedoch, er habe, was militärische Fragen angehe, »volles Vertrauen zu sich selbst«.

Und häufig breitete Hitler verblüffende Detailkenntnisse in der Waffentechnik aus:

»Ein großes Langrohrgeschütz könne ohne Reparatur 200 Schuß abgeben«, erläuterte er etwa dem spanischen Außenminister Serrano Suner, »während eine Stukastaffel von 36 Maschinen bei einem dreimaligen Einsatz täglich 120 Bomben zu je 1000 kg abwerfen könne.« Keine Einzelheit war ihm zu banal: Den italienischen Außenminister Ciano wies er darauf hin, daß es »kaum ein besseres Ziel für Luftangriffe (gebe) als einen Eisbrecher, der sich ohne Ausweichsmöglichkeit mit einer Geschwindigkeit von drei Knoten mühselig seinen Weg durch die Eismassen bahne«.

Oft flunkerte Hitler seinen Gästen falsche Zahlen vor. Dem Duce machte er im Frühjahr 1941 weis, die deutsche Kriegsmarine versenke jeden Monat durchschnittlich 700 000 Tonnen britischen Schiffsraum -- doch es waren nur rund 218 000. Ab Herbst 1941 würden stets mehr als 180 Unterseeboote am Feind sein; in Wirklichkeit waren es aber nur zwölf. Und während Hitler 1940 behauptete, Deutschland wolle monatlich bis zu 25 U-Boote bauen, wurden nur sechs produziert.

Dem spanischen Generalissimus Franco erzählte Hitler im Herbst 1940, das Reich verfüge über 230 Divisionen, 180 waren aber nur vorhanden.

Oft sprach Hitler vom Wetter, wenn es um militärische Pläne ging. Den italienischen Botschaftsrat Graf Massimo Magistrati belehrte er am 2. Februar

* Mitte: Chefdolmetscher Dr. Paul Schmidt.

1940 -- eineinhalb Jahre vor dem Einmarsch in Rußland -- darüber, daß »bei einer Kälte unter minus 10 Grad ein Krieg nicht mehr zu führen ist«.

Mit atmosphärischen Störungen erklärte er auch das Ausbleiben der Landung in England, die er in Wahrheit ernsthaft nie betrieben hatte. »Seit vier Wochen warte nunmehr Deutschland auf günstiges Wetter«, erzählte er dem Duce am 4. Oktober 1940, »um den großen Schlag gegen England führen zu können.« Hitler log sogar, er habe den Befehl zum Angriff auf England schon einmal gegeben. Er habe sich persönlich »mit den Wettersachverständigen beraten und von ihnen die absolute Zusicherung erhalten, daß unter allen Umständen eine Schönwetterperiode bevorstehe. Daraufhin habe er dem Reichsmarschall den Angriffstermin für 7.00 Uhr morgens gegeben«. Dann sei das Wetter jedoch plötzlich umgeschlagen.

Bei politischen Verhandlungen gab sich Hitler, wenn er den Gesprächspartner ernst nahm, ganz als Staatsmann. Dann zeigte er sich, wie Hillgruber erläutert, in der Pose des »hellwachen, taktisch geschickt vorgehenden« Diplomaten, »der sich fest in der Hand hat ... sich auf die Mentalität .des Gegenüber einstellt und jeden unüberlegten Zug, ja jede mißverständliche Bemerkung vermeidet«.

So präsentierte er sich dem Abgesandten Roosevelts, Unterstaatssekretär Sumner Welles (am 2. März 1940) nicht etwa als monologisierender Autodidakt, wie bei den Tischgesprächen mit seinen Getreuen oder bei Lagebesprechungen mit den insgeheim verachteten Militärs, sondern als geduldiger Zuhörer und sachlicher Gesprächspartner. Und er ließ sich nicht von dem US-Emissär aus der Fassung bringen, der ihm »wie ein Eisblock gegenübersaß« (Dolmetscher Schmidt).

Doch auch der kalte Amerikaner schien beeindruckt, -wie im Protokoll festgehalten wurde: »Daß der Führer den Frieden als deutsches Kriegsziel erklärt hätte ... würde er nicht vergessen.«

Und routiniert wie gelernte AA-Diplomaten nutzte Hitler seine Gespräche mit Politikern aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien, um die Spannungen zwischen diesen Staaten wegen gegenseitiger Gebietsansprüche zu vermindern. Hitlers Ziel: Er wollte die Ausweitung des Krieges durch neue Konflikte auf dem Balkan verhindern.

»Hier sei absolute Wahrhaftigkeit am Platze«, riet Hitler dem rumänischen Ministerpräsidenten Ion Gigurtu am 26. Juli 1940 auf dem Berghof: »Man müsse der rumänischen Bevölkerung erklären, daß sie zur Vermeidung von neuen Spannungen ... Opfer hinnehmen müsse.«

Dem ungarischen Ministerpräsidenten, Pál Graf Teleki, hielt er vor, »daß eine Aktion, wie sie Ungarn Rumänien gegenüber im Auge habe, sehr nüchtern erwogen werden müsse«. Und den bulgarischen Ministerpräsidenten, Bogdan Filoff, warnte er: »Eine »Schwertlösung« bereinige das Problem keineswegs.«

Hitler hatte Erfolg: Am 30. August 1940 beschlossen Ungarn, Rumänien und Bulgarien in dem von Hitler vermittelten »Wiener Schiedsspruch«, ihre Händel ruhen zu lassen. Ungarn erhielt von Rumänien große Teile Siebenbürgens.

Ein anderes diplomatisches Großprojekt scheiterte dagegen. Nach dem deutschen Sieg über Frankreich wollte Hitler einen weltweiten Block gegen England zimmern: »Von Jokohama bis Spanien.« Hitler, der noch am 24. Oktober 1939 vor dem japanischen Botschafter in Berlin, General Oschima, geprahlt hatte, er möchte »offen gestanden ... die Siege mit niemandem teilen«, buhlte nun mit Japanern und Spaniern, Franzosen und Russen, Türken und Bulgaren um Waffenhilfe gegen England. Er putschte Annexionsgelüste auf und verteilte Beute, die noch gar nicht eingebracht worden war: das britische Empire.

Als die Vision verflogen war, gab es für Hitler nur noch ein großes Thema: Rußland. So sagte er

> am 20. November 1940 zu Ungarns Ministerpräsidenten Teleki: »Mit Rußland habe Deutschland Verträge. Trotzdem baue er mehr auf reale Machtmittel«

> am 25. März 1941 zu Italiens Außenminister Ciano: »Angesichts der sehr unfreundlichen Haltung der Sowjet-Union ... (verlasse) er sich mehr auf Divisionen als auf Verträge«; am 27. März 1941 zu Japans Außenminister Matsuoka: »Deutschland (habe) mit Rußland die bekannten Verträge abgeschlossen ... aber wichtiger ... sei, daß es notfalls 160 bis 180 Divisionen zu seinem Schutz gegen Rußland zur Verfügung habe.« Dem Duce gegenüber zeigte er sich weniger gelassen. Zwar hielt Hitler die Rote Armee, wie er mehrfach sagte, für »einen Witz«. Doch schon am 20. Januar 1941 gestand er Mussolini: »Einer ernsten russischen Bedrohung könne Deutschland im Augenblick gegenüber den 34 an der rumänischen Grenze konzentrierten russischen Divisionen nicht standhalten.«

Von seinem Plan jedoch, die Sowjet-Unioh anzugreifen, sagte er dem Duce auch am 2. Juni 1941, 20 Tage vor dem Angriff, kein Wort. Nur einen einzigen ausländischen Staatsmann weihte er ein, den rumänischen Staatsführer, General Ion Antonescu, den Hitler einen »Rumänen mit römischem Herzen« nannte. Ihm machte er am 12. Juni 1941 Andeutungen wie diese: »Es sei klar, daß, wenn dieser Zusammenstoß komme, das Schicksal Europas auf dem Spiele stehe.«

Als der Krieg mit Rußland am 22. Juni 1941 begann, änderte sich auch Hitlers Vokabular. Hemmungslose Prahlerei verdrängte die zumeist gemäßigte Diktion, die Hitler sich in Gesprächen mit Ausländern bis dahin auferlegt hatte.

Am 15. Juli 1941 sagte er dem japanischen Botschafter in Berlin, General Oschima, die Russen seien bereits geschlagen, und er »glaube nicht, daß der Widerstand im europäischen Rußland noch länger als sechs Wochen dauern würde. Wohin die Russen dann gingen, wisse er nicht. Vielleicht in den Ural oder über den Ural hinaus. Aber wir würden auch nicht davor zurückschrecken, über den Ural hinauszustoßen«.

Solche Parolen gab er nun an fast jeden Gast aus. Dem Kroaten-Marschall Kvaternik bedeutete er: »Die Sowjet-Armeen seien an sich vernichtet.« Und dem Rumänien-Führer Antonescu, dem er als erstem Ausländer das Ritterkreuz umhängte, imponierte er mit einer Bilanz der ersten Rußlandkriegs-Wochen: »900 000 Gefangene, 10 000 Flugzeuge, 13 000 Panzerwagen, 10 400 Geschütze und sehr erhebliches Material seien erbeutet worden.«

Und doch: Wie jetzt aus Hillgrubers Dokumentensammlung hervorgeht, wechselte früher noch, als bisher bekannt war, Siegeszuversicht mit düsterer Untergangsstimmung. Schon Mitte November 1941 meinte Hitler resignierend, daß es bestenfalls zu einem Remis-Frieden kommen könne, da sich »die beiden großen Kräftegruppen nicht niederringen« würden.

Als sich der deutsche Angriff vor Moskau, Leningrad und Kiew festgerannt hatte, orakelte er am 27. November 1941 in einem Gespräch mit dem dänischen Außenminister Erik Scavenius: »Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit genug sei, sein eigenes Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es vergehen und von einer anderen stärkeren Macht vernichtet werden.«

Und am selben Abend sagte er zum kroatischen Außenminister Lorkovic: Dann weine er dem deutschen Volk keine Träne nach.

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