NIXON Ananas und Ketchup
Ein Präsident mit »der enormen Verantwortung, die er hat, muß nicht ständig affektiert vor dem Spiegel stehen und darüber nachdenken, ob er als dieser oder jener ankommt oder nicht« (Richard Nixon).
Nixons Spiegel-Scheu ist verständlich, derzeit kommt er weder so noch so bei den Wählern an. Sieben von zehn Amerikanern vermuten, so ermittelte Meinungsforscher Gallup, daß die Nixon-Regierung zu Vietnam nicht die Wahrheit sagt. Nach einer Harris-Umfrage sind nur mehr 34 Prozent der US-Bürger mit der Nixon-Kriegsführung einverstanden.
Der Präsident scheint seinem Volk heute unglaubwürdiger denn je zuvor in seiner Amtszeit. Die Reden daheim vom baldigen Frieden stehen in befremdlichem Kontrast zu den Toten und Verwundeten in Vietnam, in Kambodscha und Laos. Erneut »breitet sich tiefe Skepsis aus«, so die »Washington Post«, »ob Mr. Nixon tatsächlich die Absicht hat, aus Vietnam völlig abzuziehen«.
»Credibility gap«, dieses Wirt aus der Johnson-Zeit von der Vertrauenslücke zwischen Volk und Führer, scheint vielen Amerikanern heute wie für Nixon erfunden, von dem die Kontrahenten oft behaupteten, er sei so »tricky«, daß man von ihm nicht einmal einen Gebrauchtwagen kaufen sollte.
Vor zwei Jahren noch waren 61 Prozent der Befragten bereit, Nixons Arbeit im Weißen Haus mit »gut bis exzellent« zu bewerten, in diesem Monat waren nur noch 28 Prozent dieser Meinung.
»Die Leute sehen nicht, wie er wirklich ist oder was er tatsächlich macht«, warnte Nixon-Intimus Justizminister John Mitchell unlängst Parteifreunde, »wir müssen das Nixon-Image ändern.«
Wenig Persönlichkeit, wenig Brillanz hellt das farblose Bild des 37. Präsidenten der USA auf. Er war nie Kriegsheld wie John F. Kennedy, zu ihm passen Romanzen sowenig wie Bermuda-Shorts, er trinkt lieber Tee als Martinis und hat Freunde, die so blaß sind wie Gerhard Stoltenberg.
Nach den schillernden Tagen der Kennedys und Johnsons, nach Charme und Ranchertemperament wurde das Weiße Haus zu einer Art Sauerstoffzelt -- steril, sauber, langweilig.
49mal sprach der Präsident im letzten Jahr im Fernsehen über die Probleme der Nation, über sich selbst scheute er bisher die Aussage. Klatschkolumnisten konnten allenfalls berichten, daß Nixons Tochter Tricia ihrem Verlobten Schokoladenplätzchen backen kann und der Präsident auf seinen Quark statt wie bisher Tomatenketchup jetzt Ananas-Saft träufelt.
Über Image und Meinungsumfragen, so behauptet Richard Nixon noch immer, mache er sich »keine Sorgen«, und doch tut er etwas gegen seine schlechte Publicity. Im letzten Jahr gewährte er keinem Journalisten ein exklusives Interview, in den letzten Wochen hingegen, auf dem Tiefpunkt seiner Popularität angelangt, gab er zwei ausführliche TV-Interviews, empfing neun Journalistinnen zu einem Gespräch über seine Familie, das Leben im Weißen Haus und das Leben als solches und beantwortete Fragen eines britischen Journalisten,
Weder die Abrüstungsgespräche mit den Sowjets noch Berlin, noch Nahost erwähnte der Präsident am letzten Montag in einem 60-Minuten-Interview mit dem ehrerbietigen Vietnamkriegsverteidiger Howard Smith der TV-Gesellschaft ABC: Über eine halbe Stunde lang aber erklärte Nixon den Fernsehern seine angeblichen Erfolge im Krieg um Indochina und warnte jene Zweifler, die darauf hofften, im kommenden Präsidentschaftswahlkampf Vietnam zum Wahlkampfthema zu machen. Denen würden die Teppiche »unter den Füßen weggerissen«, denn er, Nixon, sehe »Licht am Ende des Tunnels«.
Dort aber sahen es schon seine Vorgänger leuchten -- und er selbst schon lange. Die Mehrheit der Wähler aber zweifelt an der Weitsicht des Präsidenten. Denn »zuversichtlich« hatte Richard Nixon bereits im Oktober 1969 »dauernden Frieden im Pazifischen Raum« bis 1972 vorausgesagt. Den »gerechten Frieden, den wir wollen«, hatte er auch am 20. April 1970 wieder »in Sicht« -- neun Tage später überschritten US-Soldaten die Grenzen des souveränen Kambodscha. Keine amerikanischen Bodentruppen, versprach der Präsident angesichts der Kambodscha-Proteste daheim, würden je in Laos einrücken -- über dem Boden aber schwebte eine Hubschrauber-Armada In Laos ein, Hunderte US-Helikopter wurden abgeschossen.
Auch Amerikas Oberkommandierender In Indochina, General Abrams, entdeckte Tunnellicht und meldete angeblich seinem Chef in Washington, die Südvietnamesen könnten die Invasion in Laos ohne US-Unterstützung meistern. Der Präsident informierte sein Volk darüber im Fernsehen. Nur der Feind schien zunächst Männer und Munition zu verlieren. Bis zum 1. Mai, etwa dem Beginn der Regenzeit, sollten die
Saigon-Soldaten den Nachschub blockieren.
Hanoi aber, so wunderte sich US-Verteidigungsminister Melvin Laird letzte Woche nach dem Fiasko der Südvietnamesen in Laos, reagierte »böse und brutal« auf den Angriff.
»Die Aktion hat bereits länger als vorgesehen gedauert«, begründete plötzlich Vizepräsident Agnew den »ordentlichen Rückzug« der Südvietnamesen aus Laos.
Was die Regierung Nixon unter »ordentlichem Rückzug« versteht, konnten Amerikas Fernsehzuschauer in der vergangenen Woche immer wieder sehen -- Bilder, die wenig angetan sind, das Vertrauen der Nation in ihren Präsidenten zu festigen: Südvietnamesische Elitesoldaten, die sich verzweifelt an den Landekufen der mit Verwundeten vollgestopften US-Hubschrauber festklammern.