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UNION Anfangs süßlich

Kampfpause bei den Streithähnen der CDU/CSU. Eine Trennung der beiden Parteien macht keinen Sinn. *
aus DER SPIEGEL 34/1987

Eigentlich, hoffte der Kanzler, sei das Schlimmste überstanden. Die Angelegenheit mit den 14 in ihrem Land von der Todesstrafe bedrohten Chilenen sei nunmehr, glaubte auch Kanzler-Sprecher Eduard Ackermann, »so ziemlich in trockenen Tüchern«. Hatten doch die obersten Streithähne Franz Josef Strauß und Helmut Kohl offenbar ihr Schlußwort zum Streit um die Aufnahme der Todeskandidaten und um den Kurs der Union gesprochen.

Der CSU-Chef verspottete die asylsuchenden »Terroristen« als die »Heiligen unserer Zeit«. Sie säßen aber »nicht unschuldig im Gefängnis«, und sie seien sicherlich auch »unfein behandelt« worden, räumte er im Fernsehinterview vom Urlaubsort Porte des Issambres aus ein. Aber mit der »Mehrheit«, auch in der Schwesterpartei, sei er sich einig, daß sie in der Bundesrepublik nichts verloren hätten.

Und düster drohend kündigte er an, sein »einmaliges Lebenswerk« lasse er sich nicht von Geißlers Versuch, die CDU nach links zu öffnen, zerstören: Da werde er nicht »tatenlos zuschauen«.

Aus seinen Ferien am Wolfgangsee ließ Kohl dann ein vorläufig allerletztes Machtwort hören: »Unsinnig, wirklichkeitsfremd und deshalb überflüssig« fand er die ganze Diskussion. Und pries sich als Garanten von »Maß und Mitte«.

Aber er hatte sich geirrt, wenn er annahm, die »selbstquälerische Debatte«, die sich trotz mehrfacher Interventionen über mehrere Wochen hinzieht, eindämmen zu können. Als sei gar nichts gewesen, schlugen auch letzte Woche noch nach den vermeintlichen Schlußworten die Brüder und Schwestern von CDU und CSU wieder aufeinander ein.

Nach Norbert Blüm und Geißler mischte sich ungewöhnlich scharf Rita Süssmuth ein: Die Bayern bedrohten offenkundig »gewollt die Gemeinschaft von CDU und CSU«. Sie hätten nichts als »stereotype Argumentationsschienen« und »Verteufelungen« auf Lager und schrieen immer nur »nach schärferen Gesetzen«, tat die vom endlosen Aids-Streit mit dem CSU-Staatssekretär Peter Gauweiler genervte Ministerin kund.

Kohl geriet in Rage. Am Telephon entschuldigte sich die Kabinettslinke, das Gespräch mit der »Süddeutschen Zeitung« sei schon vor der Kanzlererklärung geführt und erst nachher veröffentlicht worden. Die Strauß-Gehilfen heulten

trotzdem auf. Der »Bayernkurier« schlug wieder zu. Strauß meldete sich erneut aus Südfrankreich und verlangte, daß der Kanzler »Ordnung schafft«.

Edmund Stoiber, selbsternannter »Lord-Siegel-Bewahrer der traditionellen Unionspolitik«, beschwor melodramatisch die »Gefahr der Kanzlerdemontage« und demontierte gleich kräftig mit: Kohls öffentlicher Appell, mokierte er sich süffisant, »bannt diese Gefahr überhaupt nicht«.

Stoiber bestätigte mit seiner hintersinnigen Warnung einen im Adenauer-Haus gehegten Verdacht, der alternde Strauß habe mit all seinen Ein-, Aus- und Zwischenfällen keinerlei Strategie mehr im Sinn, auch keine politischen Sachziele, sondern nur noch eines, so ein Präsidiumsmitglied: »Kohl madig zu machen.« Und: »Die Alternative, die ist ihm egal, danach hat er nie gefragt.«

Schon deshalb klingen alle Beteuerungen glaubwürdig, auch diesmal werde eine Trennung der beiden Schwesterparteien CDU und CSU ernsthaft nicht erwogen. Der Streit, so räumen intern Christsoziale ein, geht denn auch weniger um ideologische Prinzipien, sondern vor allem um eines - um Kohls Autorität und deren Schwund. Ob der Kanzler im Urlaub Ruhe hielt oder aus dem Urlaubsort Schluß der Veranstaltung befahl, beides gilt, so ein CSU-Minister, als Beleg für die »schlappe Führungskapazität.

Aus Münchner Sicht bietet der Kanzler seit langem ein Bild der Hilflosigkeit. Strauß hieß ihn neuerdings den Meister im »Aussitzen und Ausschwitzen«, da ihn die unterschiedlichen Protagonisten in seinen Reihen hin- und herzerren. Strauß-Intimus Edmund Stoiber vermißt unter Kohl »ein gewisses Maß an Ordnung«.

Das stimmt - und es paßt immer, egal, ob Kohl tatsächlich aussitzt oder ob er zu entscheiden versucht.

Denn Norbert Blüm ist ja, selbst wenn Kohl wollte, nicht zu zügeln. Als Widersacher von Johannes Rau in Nordrhein-Westfalen kann er verlangen, daß ihm überlassen bleibt, wie er dort die Mehrheit holen will - und notfalls auch durch Verstoß gegen die Kabinettsdisziplin. »Das hätte sich der Innenminister mal erlauben sollen«, jammert Wighard Härdtl, Vertrauter von Friedrich Zimmermann.

Auch Rita Süssmuth, beklagt sich ein CSU-Mann, kann als Star des Kabinetts mit den höchsten Beliebtheitswerten »erzählen, was sie will«. Sie ist für Kohl unersetzbar wie ihr Amtsvorgänger Heiner Geißler, den selbst seine Gegner neidvoll als begabtesten Wahlkampfmanager respektieren. Er kann es sich sogar leisten, öffentlich von »Abnutzungserscheinungen« der Koalition zu reden, als ob er gar nicht dazugehöre.

Der Generalsekretär ist sich bewußt, daß er mit seinem Versuch, das Thema Menschenrechte zu besetzen und die CDU auch für SPD-Wähler anziehend zu machen, den einstigen Magier des Südens wieder einmal herausfordert und auch den Kanzler in eine mißliche Lage bringt. Aber er zuckt keinen Augenblick zurück, obwohl er zwei Gefahren sieht, die, mit anderen Vorzeichen, den Sozialdemokraten während ihrer Regierungszeit unterliefen. Er will unter allen Umständen dafür sorgen, daß die eigene Partei ihren Mann nicht im Stich läßt - so wie die SPD schließlich ihren Kanzler Helmut Schmidt. Und zugleich soll die Union nicht als Kanzlerwahlverein ihr Profil verlieren wie die SPD schon Mitte der siebziger Jahre, auch unter Schmidt.

Auf die Drohungen von Strauß reagiert der Generalsekretär gelassen. Des sen Störpotential gilt zwar in der CDU noch als hoch, nicht aber seine Durchsetzungsfähigkeit. Eigentlich alle CDU-Größen sehen in dem fast 72jährigen nur noch ein Problem auf Zeit. Die Zahl der ihm bedingungslos ergebenen Anhänger nimmt ab.

Auch der Knüppel, mit einer bundesweiten CSU wie noch 1976 in Kreuth die Nordlichter zu erschrecken, ist nur noch ein zerbrechliches Stöckchen: Niemand nimmt die Drohung ernst.

Die Rechnung geht selbst aus südlicher Sicht nicht auf: In Bayern müßte eine auf 40 plus x Prozent geschrumpfte CSU mit Hilfe der CDU weiterregieren - eine unvorstellbar peinliche Perspektive. Im Bund könnte die CSU, die allenfalls 10 plus x Prozent erreichte, sogar von der Regierungsmacht ausgesperrt werden, wenn sich CDU und SPD verbündeten - die dann allerdings als stärkste Fraktion den Kanzler stellte.

Derzeit warten die Kontrahenten auf einen Stichtag: Laufen am 13. September die Wähler in Schleswig-Holstein und auch in Bremen der CDU davon, kann Strauß sich als Sieger ausgeben, weil er davor gewarnt habe.

Geißler aber wird Strauß zum Sündenbock erklären, weil der mit seinem Getöse die Bürger erschreckt habe. Er hat ein schmerzliches Beispiel parat: Die erbitterte Fehde um Genschers Außenpolitik kostete die Union bei der Bundestagswahl zwei Prozent der Stimmen, sagt er.

Von einem Gipfel der Männerfreunde Strauß und Kohl um den wahren rechten Kurs erwartet niemand den Frieden. Die dem Namen nach Unierten können allenfalls aus den Erfahrungen ihres liberalen Koalitionspartners aus der sozialliberalen Ära lernen.

Eine Zeitlang konnten die Freidemokraten sich an dem Niedergang der Sozialdemokraten erfreuen, solange die FDP absahnte. Am Ende aber mußten sie fürchten, in den Abwärtssog hineingezogen zu werden.

»Leichengift«, so ein FDP-Regierungsmitglied, »ist anfangs süßlich, dann aber tödlich.«

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