SPANIEN Angekündigte Katastrophe
Leichter Schwefelgeruch liegt in der Luft unter dem strahlend blauen Himmel Andalusiens. Ein Schwarm Störche fliegt verwirrt über ein Feld, auf dem bis vor wenigen Tagen Sonnenblumen standen. Nun ist es von einer dicken Schicht schwarzen Schlamms bedeckt.
Die Störche machen nebenan halt, staksen gravitätisch durch schillerndes Wasser, in dem tote Fische treiben. Die gelb, grün und rot changierenden Farbtöne in den Tümpeln zeugen von der Verseuchung durch verschiedene Schwermetalle: Zink, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Brom, Cadmium, Blei.
Das Gift stammt aus dem Abwasserauffangbecken der Mine von Aznalcóllar, 40 Kilometer nördlich, wo in der Nacht zum vorletzten Samstag ein Damm brach. Fünf Millionen Kubikmeter säurehaltiges Wasser und mit Schwermetallen gesättigter Schlamm strömten in den Río Guadiamar.
Der trat über die Ufer, die stinkende, lavaähnliche Flutwelle hinterließ auf beiden Seiten einen bis zu 200 Meter breiten Todesstreifen und gelangte bis dicht an das Vogelparadies mit seinen Kanälen, Seen und Sümpfen - Brutstätte und Nahrungsreserve für über 300 seltene Tierarten, die im Herzstück des Naturschutzgebiets, Nationalpark Doñana, leben.
Hilfskräfte, mit Atemmasken, Stangen und Eimern ausgerüstet, suchen das verseuchte Wasser ab. In schwarzen Plastiksäcken sammeln sie die Fischkadaver, die dann in Metallkästen entsorgt werden. Mit dem Feldstecher beobachtet der Biologe Fran Romero Reiher und einen Storch, die durch die Giftbrühe waten. »Wir versuchen zu verhindern, daß sie das Aas fressen«, erklärt er. Überdies tragen die Vögel die vergiftete Beute zu ihren Jungen.
Auch die Menschen unmittelbar am Fluß leiden, neun Ortschaften sind direkt betroffen. Der schwarze Schlick überzog Saatfelder, Obstgärten und Tomatenpflanzungen. Am Rand seiner Reisplantage steht fassungslos der Besitzer der Finca Los Madrigales und kann die Tränen nicht zurückhalten: »Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll«, sagt er. Seine Felder sind auf Jahrzehnte unbrauchbar, seine Familie und 30 Arbeitskräfte bangen um ihre Existenz.
Insgesamt 5000 Hektar Land hat der Strom mit schätzungsweise 20 Millionen Tonnen Schwermetallschlick verseucht, für 500 Familien in einer der ärmsten Regionen Spaniens entstand ein Schaden von über 150 Millionen Mark.
»Wir kennen weltweit keine Umweltkatastrophe dieses Umfangs, bei der in so kurzer Zeit ein so wertvolles Ökosystem verseucht wurde«, klagt der spanische Greenpeace-Sprecher Juan López de Uralde. Die Gegend sei für alle Zeiten geschädigt, fürchtet auch der Präsident der Königlichen Akademie der Naturwissenschaften.
Doch »in der Öffentlichkeit wird dieses Drama noch gar nicht richtig ernst genommen«, sagt Emil Dister, Leiter des Auen-Instituts des World Wide Fund for Nature. Dabei seien die Folgen verheerender als bei bisherigen Tankerhavarien.
Wenn ein Schiff strandet oder leckschlägt - wie 1989 die »Exxon Valdez« vor Alaska oder 1991 die »Haven« vor Genua -, wird das Öl im Meer von Bakterien abgebaut. Die säure- und schwermetallhaltige Giftsuppe aus dem Absatzbecken der Erzmine Los Frailes hingegen kann nicht auf ähnlich einfache Weise biologisch bewältigt werden.
Die Chemiegifte gelangen in den Kreislauf der Natur. Die seltenen Vögel aus dem nahegelegenen Nationalpark fressen Würmer von den hochgradig kontaminierten Feldern. »Die Verseuchung der Tierwelt beschränkt sich also nicht auf die überschwemmten Feuchtgebiete«, erläutert Flußexperte Dister.
Nach Meinung von Naturschützern läßt sich die schleichende Verheerung allenfalls dann aufhalten, wenn die Minengesellschaft ihre Ankündigung vom Freitag wahr macht und Hunderte Quadratkilometer von den Giften befreit. Sonst könnten nur starke Regenfälle und der Guadiamar, der regelmäßig im Herbst über die Ufer tritt, die Schwermetalle allmählich aus dem Boden waschen - eine Selbstreinigung, die mindestens 25 Jahre dauert.
Die spanische Regierung versuchte dennoch, das Ausmaß des Unglücks herunterzuspielen. Das Schutzgebiet Doñana ist zweigeteilt. Isabel Tocino, Umweltministerin im Kabinett des konservativen Premiers José María Aznar, ist für die Flußläufe und auch für das Juwel des Naturschutzgebiets Doñana, den 51 000 Hektar großen Nationalpark, zuständig; ihr Chef hatte dort noch zu Ostern seinen britischen Kollegen Tony Blair mit Familie empfangen.
Frau Tocino schwebte am Wochenende rasch per Hubschrauber am Unglücksort ein. Dann begab sie sich nach New York, von wo sie beteuerte: »Wir haben den Park gerettet.« Die Verantwortung lastete sie der andalusischen Regionalregierung an - der unterstehen die 54 000 Hektar Naturparkgebiete außerhalb des Nationalparks, und in der Hauptstadt Sevilla herrschen seit 16 Jahren die Sozialisten.
»Das Problem sind die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Madrid und Sevilla«, beschwert sich der Biologe Javier Cobos. Die Madrider Ministerin glaubte Entwarnung geben zu können, weil eilends aufgeschüttete Notdeiche die Drecklawine vom Herzstück des Parks abgelenkt hatten. Nur wenige Kilometer vor dem empfindlichsten Teil von Doñana kam der Schlick zum Stehen.
Doch Umweltschützer und Wissenschaftler halten die Freude für unbegründet. »Das wichtigste für die Marschlandschaft des Vogelreservats ist die Wasserversorgung«, erklärt ein Sprecher des spanischen Umweltschutzbunds Coda. »Doñana ist ein einziges, zusammenhängendes Ökosystem, die Giftstoffe sind schon in den Nationalpark eingesickert.« Über den durchlässigen Sandboden unter der Schlamm- und Säurewelle seien die Schwermetalle ins Grundwasser gelangt.
Einen Katastrophenplan gab es nicht, obwohl das Desaster absehbar war. Seit die schwedische Firma Boliden die Mine 1987 übernommen hatte, häuften sich die Warnungen. Vor zwei Jahren stellten Ökologen Lecks im Staubecken von Aznalcóllar fest, durch die giftige Rückstände in den Guadiamar flossen. Sie schickten einen Bericht an die EU-Kommisson. In Spanien wurde ein Verfahren gegen Boliden eröffnet. Die Anklage stützte sich auf Aussagen eines ehemaligen leitenden Angestellten.
Der Transportchef machte schon damals darauf aufmerksam, daß die Wände des Abfallbeckens um 17 Meter aufgestockt worden waren, mit »ungeeignetem Material«, so daß aus Rissen toxische Flüssigkeit austrete. Überdies habe Boliden trotz der Erweiterung der Kapazität des Stauwerks die Kläranlage nicht modernisiert, nur ein Viertel der Abwässer werde gereinigt.
Doch das Verfahren wurde eingestellt. Nach Brüssel meldeten die spanischen Behörden, der Guadiamar stelle keine Gefahr dar, da er nicht direkt in den Naturschutzpark fließe.
Jetzt beteuert der nach Spanien geeilte schwedische Geschäftsführer von Boliden, Anders Bülow, man habe alle vorgeschriebenen Inspektionen eingehalten. Das Unglück sei »unvorhersehbar« gewesen, die Ursache unbekannt, wahrscheinlich »eine Erdbewegung im Untergrund«. Die jedoch gab es laut Geotechnischem Institut nicht. Die Firma werde für die Schäden aufkommen, versicherte Bülow.
In Los Frailes baut Boliden schwefelhaltiges Erz ab - Pyrit, auch Katzengold genannt. In diesem Jahr wollten die Schweden daraus 125 000 Tonnen Zink, 48 000 Tonnen Blei und 85 Tonnen Silber gewinnen. Die Steinbrocken werden zermahlen, 90 Prozent Abfall bleiben zurück - Säure mit schwermetallhaltigem Steinsand, der sich auf dem Grund der beiden Auffangbecken als Schlick absetzt.
Daheim geht das Unternehmen nicht so sorglos mit der Natur im Umkreis seiner 16 Gruben und seiner zentralen Metallschmelze im nordschwedischen Rönnskär um. Boliden darf die Abwässer nicht länger unentgiftet in den Bottnischen Meerbusen ableiten, das Unternehmen mußte den Arsenausstoß um 99 Prozent senken. Göran Pershagen, Umweltmediziner am Stockholmer Karolinska-Institut, half der Firma, die Auflagen zu erfüllen. Er warnt vor Arsen im Trinkwasser, das Haut- und Blasenkrebs verursache. In Spanien aber sind praktisch alle Brunnen im Umkreis von Los Frailes seit Jahren verseucht.
Nachdem 1996 der Damm einer Boliden-Grube in Lappland geborsten und mit Blei versetztes Abwasser in einen See geströmt war, brach in Schweden Streit um die sachgerechte Entsorgung aus. Lars Eriksson, der frühere Chef der Mine, hält es für sinnvoller, den Schwermetallsand wieder in die ausgehobenen Schächte des Bergwerks zu füllen. Das Unglück in Aznalcóllar wäre dann nicht passiert. »Es gibt keinen sachlichen Grund, giftigen Abfall über der Erde zu lagern«, so Eriksson. Es ist nur billiger.
Fast hundert Kilometer südlich des spanischen Katastrophenorts, in Sanlúcar de Barrameda, wo der Guadalquivir in den Atlantik mündet, bangen 600 Fischerfamilien um ihre Zukunft. Wenn der Fluß - etwa bei anhaltendem Regen - nicht nur die Säurebrühe, sondern auch noch den Schlamm in die Meeresbucht trägt, sterben die langschwänzigen Langusten, Leckerspeise der Touristen. In Dutzenden Restaurants und Tapas-Bars am Fischereihafen schmausen von weither angereiste Gäste und begießen die Spezialität mit dem ortsüblichen Manzanilla. Für die Fischer steht fest, daß die schwedischen Verantwortlichen »Verbrecher« sind.
Javier Castroviejo, Wissenschaftler in Doñana, ist verzweifelt über die Nonchalance der Behörden. »Die Folgen sind noch nicht absehbar, der Schlick liegt da, keiner tut etwas.« Erst sechs Tage nach der Katastrophe bildeten Zentral- und Regionalregierung eine Koordinationsgruppe.
Viele Umweltschützer forderten, die Regierung solle den Notstand ausrufen und eine Sonderkommission zusammenstellen. Die Experten wollten sich auch treffen - aber erst am Montag, nach dem langen Wochenende.
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Kartenausriß Spanien: Lage Nationalpark Donana und Naturgebiete
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Kartenausriß Spanien: Lage Nationalpark Donana und Naturgebiete
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