UMWELT / MÜLL Angst und bange
Auf Amerikas Müllhalden, entlang der Eisenbahnlinien, am Rande von Campingplätzen und abseits der großen Straßen türmt sich ein Abfallberg von 100 Millionen Tonnen jährlich. Gleichmäßig verteilt, reicht er aus, 11 000 Quadratkilometer, eine Fläche so groß wie das Marmarameer, mit einem zehn Zentimeter hohen Müllteppich zu bedecken.
Nach dem Willen der Umweltschützer soll die Abfall-Flut nun wenigstens teilweise eingedämmt werden. Als erstes sollen Einwegflaschen und Bierdosen, in denen Amerikas Getränkeindustrie 72 Prozent Ihrer Säfte, Sprudel und Biere absetzt, verschwinden. Die Stadt Bowle in Maryland beispielsweise kündigte an, sie werde vom 1. April nächsten Jahres an den Getränkeverkauf in Einwegflaschen und Dosen verbieten. Die Stadt Madison in Wisconsin plant einen Erlaß, der den Handel zwingen soll, Getränke nicht nur in Dosen oder Wegwerfflaschen, sondern auch in rücknahmepflichtigen Behältern anzubieten.
In der Bundeshauptstadt Washington und im benachbarten Virginia prüfen gegenwärtig Kommissionen, ob ein Verbot von Einwegflaschen erlassen werden soll. Eine Reihe weiterer Bundesstaaten und Kommunen bereitet Gesetze und Verordnungen gegen Wegwerfflaschen und Bierdosen vor.
Amerikas Umweitschützer wollen damit den Mehrweg-Behältern zum Comeback verhelfen. Denn in den letzten Jahren war ihr Anteil am Getränkeabsatz stets gesunken.
So hatten die US-Brauereien 1959 noch 53,9 Prozent ihres abgefüllten Bieres in pfandpflichtigen Flaschen abgesetzt. Bis 1969 war dieser Anteil auf nur 28 Prozent geschrumpft. Der Marktanteil der Einwegflaschen hingegen stieg von 6,2 Prozent im Jahre 1959 auf 21 Prozent im vergangenen Jahr. Und sogar 50 Prozent des nicht in Fässern verkauften Bieres wird heute in Dosen abgefüllt.
Brauereien und Flaschenfabriken stellen sich bereits auf die Antimüllbewegung ein. So führte die Brauerei Rheingold Breweries, Inc. vor kurzem wieder eine Mehrwegflasche in New Hampshire und Pennsylvania ein. Die Brauerei Adolph Coors Co. in Colorado kreierte die »Zweiweg«-Flasche. Sie wird noch einmal für den Einzelhandels-Absatz abgefüllt, wenn sie aus Gaststätten und Bars an den Produzenten zurückgelangt.
Getränkehersteller wie Coca-Cola und Pepsi Co. testen zudem neue Kunststoff-Flaschen, die in normalen Müllverbrennungsanlagen vernichtet werden können, ohne daß giftige Dämpfe entstehen.
Brauereien, Honigglashersteller und Aluminiumindustrie gründeten Organisationen für den Ankauf alter Flaschen und Dosen. So sammelten die Glasproduzenten zwar allein im September 22, 5 Millionen Flaschen (für einen Cent pro Pfund Glas) ein. Doch trotz dieses Erfolges erhalten die Ankauf stellen nicht mehr als zwei bis drei Prozent aller Flaschen zurück (Produktion der Glasindustrie 1969: 36 Milliarden Flaschen). Industrie und Gewerkschaften richteten eine Zentrale für Festmüllverwertung ein und statteten sie mit einem Startkapital von drei Millionen Dollar aus.
Die Brauerei Anheuser-Busch erteilte darüber hinaus der Universität von Pennsylvania einen Forschungsauftrag für Verpackungsprobleme.
Im Bundesstaat Washington freilich erlitten die Umweltschützer eine Schlappe. In einer Volksabstimmung votierten die Wähler gegen einen Gesetzentwurf, nach dem ein Zwangspfand von fünf Cent je Flasche oder Büchse eingeführt werden sollte.
Was in Amerika noch diskutiert wird, ist in Norwegen und Finnland bereits Gesetz. Die Parlamente in Oslo und Helsinki verboten die Einwegflasche für Bier und Erfrischungsgetränke. Die dänische Regierung will die Wegwerfflasche demnächst ebenfalls aus den Läden und Wirtshäusern des Landes verbannen.
Anders in der Bundesrepublik, wo die Regierung noch »keinen ausreichenden Grund« für ein Verbot der müllvermehrenden Behälter sieht.
Zwar hat die »Ex- und Hopp-Flasche« in Westdeutschland erst vier Prozent des Flaschenbiermarktes erobert. Aber Brauereien, Glasproduzenten und Einzelhändler programmieren Ihren weiteren Vormarsch.
Auch die Beamten der kommunalen Müllabfuhren denken schon weiter: Hamburgs Stadtreiniger errechneten beispielsweise, daß eine vollständige Umstellung der Brauereien auf die Einwegflasche zusätzlich 58 000 Mülltonnen, 23 Müllwagen und 140 Müllkutscher für die hanseatische Müllabfuhr erfordere. »Technisch ist das kein Problem«, erklärt Stadtreinigungsdirektor Paul Besse, »aber welcher Verbraucher denkt schon an die Kosten.«
Ängstlicher reagierte Rudolf Hauser, Oberinspektor der Münchner Müllabfuhr: »Mir wird Angst und bange, wenn Ich an die Einwegflasche bloß denke.«