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VIETNAM / OST-HILFE Angst vor dem Selbstmord

aus DER SPIEGEL 16/1965

Als britische und französische Bomber im November 1956 Port Said angriffen, eilten die Russen dem Nicht -Kommunisten Nasser zu Hilfe: Moskau drohte in einer Note an London mit Raketenschüssen gegen Westeuropa.

Seit Anfang Februar zerstören amerikanische Bomber in nahezu täglichen Angriffen systematisch Militäranlagen und Verkehrswege des kommunistischen Nordvietnam. Doch keine der beiden roten Großmächte hat bisher für den Bruder in Marx einen Finger gerührt.

Zwar drohte die Sowjet-Union wie Rotchina mit der Entsendung von Freiwilligen nach Nordvietnam - aber noch ist keiner in Hanoi eingetroffen.

Drei schwerwiegende Gründe veranlassen die Kommunisten, der Verschärfung des Krieges in Vietnam durch die USA tatenlos zuzusehen:

- Nordvietnam hat bisher die chinesischen Nachbarn nicht zu Hilfe gerufen, weil es - in seiner Geschichte tausend Jahre unter chinesischer Fremdherrschaft - nicht vollends zum Satelliten Pekings werden will;

- die Sowjets scheuen - wie 1962 auf Kuba - die militärische Konfrontation mit Amerika an einem Platz, an dem die amerikanische Luft- und See-Überlegenheit sich voll auswirken würde;

- den Chinesen fehlt das militärische

Potential, sich auf einen neuen, dem Koreakrieg vergleichbaren Waffengang mit den USA einzulassen.

Denn Chinas oft übertrieben dargestellte Militärmacht ist heute außerhalb der roten Grenzen jener Papiertiger, als den Peking gern die USA hinstellt. Chinas 2,6 Millionen reguläre Soldaten und zehn Millionen Milizionäre wären zwar in der Lage, das Land gegen jeden Eindringling zu verteidigen, sind aber für eine Offensive gegen die größte Militärmacht der Welt nicht gerüstet. Den Chinesen fehlen:

- Transportmittel zu Land, zu Wasser

und in der Luft;

- moderne, schwere Waffen - Artillerie, Panzer, Flugzeuge. Kriegsschiffe;

- Treibstoffe aller. Art.

Dem Einsatz einer menschlichen Dampfwalze - wie im Koreakrieg - stehen unüberwindlich scheinende Transportschwierigkeiten im Wege. Im Koreakonflikt konnten die Chinesen die gut ausgebauten Verkehrswege der Mandschurei benutzen, die noch dazu von den USA nicht angegriffen wurden. Nach Vietnam führen nur zwei Eisenbahnlinien, die durch Bombenangriffe jederzeit unterbrochen werden können. »Eine amerikanische Sandkasten -Studie zeigt«, schrieb das Magazin U.S. News & World Report« Ende März, »daß ein angenommener Frontalangriff von 250 000 Roten nach Südvietnam einem Selbstmord der Angreifer gleichkäme.«

Nur mit den Russen im Rücken könnte China den Waffengang wagen. »Die sozialistischen Länder haben die heilige Pflicht, gemeinsam der Aggressions- und Kriegspolitik der Imperialisten Widerstand zu leisten«, schrieb Peking vor wenigen Wochen in einer Note an Moskau. Doch die Sowjet-Union ("Wir brauchen uns nicht belehren zu lassen, wie man gegen die Imperialisten kämpft") zeigte keine Lust, für Pekings Ziele ihre Existenz zu riskieren.

Der rote Bruderzwist ermöglichte Washington den Versuch, Nordvietnam an den Konferenztisch zu bombardieren. Am letzten Mittwoch bot Präsident Johnson Hanoi Friedensgespräche an, ohne auf vorherigem Abzug der nordvietnamesischen Partisanen aus Südvietnam zu bestehen. Von den roten Führermächten im Stich gelassen, scheint Hanoi für den Vorschlag empfänglich zu sein.

Der britische Labour-Abgeordnete William Warbey berichtete, auch Ho Tschi-minh sei verhandlungsbereit. Auf die bisherige Bedingung - Abzug der Amerikaner aus Südvietnam - wolle Nordvietnams KP-Chef verzichten.

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