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WEHNER-REISE Angst vorm Fliegen

Auf seine Weise, aggressiv und lautstark, versuchte Herbert Wehner in Warschau den Polen ihre Ängste vor seiner Deutschlandpolitik auszureden. Doch die Gastgeber ließen sich nicht überzeugen.
aus DER SPIEGEL 15/1979

Aufgebracht packte Herbert Wehner seinen Gastgeber am Revers und redete mit erhobener Stimme auf ihn ein. Ein Journalist, aufmerksam geworden, näherte sich. Doch Wehners Stieftochter Greta Burmester hatte ihre Augen überall. Sie gab ihrem Vater ein Zeichen.

Als Wehner den ungebetenen Zuhörer bemerkte, fuhr er seinen Gesprächspartner Edward Babiuch, Vorsitzender der KP-Fraktion im Seim, dem polnischen Parlament, an: »Kann man denn hier nirgendwo in Ruhe reden?«

So lernten Warschauer Volksvertreter am vergangenen Mittwoch beim Besuch des SPD-Fraktionsvorsitzenden in Polen den deutschen Sozialdemokraten in seiner besten Rolle kennen, in der ihn Bonner Bundestagsabgeordnete schon lange nicht mehr missen mögen: Immer wenn es ihm geboten erschien, wurde Wehner heftig und gab ein Solo als grollender, keinen Widerspruch duldender, mißmutiger alter Mann.

Der unbeherrschte Besucher, eingeladen vom Sejm, verübelte den Polen, daß sie sieh erlaubten, Fragen zu stellen -- nach dem eigentlichen Ziel seiner Abrüstungskampagne in der Bundesrepublik, nach seiner Deutschlandpolitik.

Die Neugier seiner Gastgeber konnte Wehner eigentlich nicht überraschen. Denn seit nahezu einem Jahr, seit dem Besuch des sowjetischen Partcichefs Leonid Breschnew in der Bundesrepublik, wird in allen politischen Zirkeln Warschaus neu über Deutschland diskutiert, berichtet die Bonner Botschaft von wachsender Besorgnis über eine Änderung der Kreml-Politik, von einem Wiedererwachen traumatischer Angst, Deutsche und Russen könnten sich zu Lasten Polens verständigen.

Die polnische Parteiführung, bis in die höchsten Ränge von latentem Mißtrauen gegen die sowjetische Vormacht erfüllt, fordert neuerdings von Bonn die vorbehaltlose Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, trotz jener Klausel des Warschauer Vertrags von 1970, in der die Bundesrepublik mit Rücksicht auf Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht den völkerrechtlich sanktionierten, endgültigen Verzicht auf die früheren deutschen Ostgebiete einem Friedensvertrag überläßt.

Die KP benutzt zudem die Angst vor der deutschen Gefahr, um das Volk von der schweren Versorgungs- und Wirtschaftskrise nach einem langen Winter abzulenken. Die Partei braucht den äußeren Feind, so geben Funktionäre offen zu, damit sich nicht, wie 1970, der aufgestaute Unmut gegen das Regime entlädt.

In dieser heiklen Situation las man in Warschau den SPIEGEL-Titel über »Herbert Wehners Neues Deutschland« (11/1979), in dem die langfristigen Deutschlandpläne des Sozialdemokraten geschildert wurden, als letzten Beweis für die Stichhaltigkeit der eigenen Befürchtungen. Vor allem Wehners Äußerungen gegenüber dem holländischen Journalisten Ben Knapen, in denen der Sozialdemokrat enthüllte, daß er immer noch auf eine deutsche Konföderation oder Wirtschaftsgemeinschaft hinarbeitet, schreckten die Polen auf.

Der SPD-Mann wußte, was ihn in Warschau erwartete, und er bereitete sieh nach Wehner-Art darauf vor: konspirativ -- eine Methode, die er wie kein anderer Bonner Politiker beherrscht und schätzt,

Schon der Reisetermin, der seit Monaten feststand, wurde erst bekanntgegeben, nachdem der SPIEGEL darüber berichtet hatte. Für die Fahrt nach Warschau benutzte er die Eisenbahn; Angst vorm Fliegen, wie seine Gehilfen verbreiteten, die den fast 73jährigen veranlaßte, am vergangenen Montag in Köln den Schlafwagen über Berlin nach Warschau zu einer mehr als 18 Stunden dauernden Marathonbahnfahrt zu besteigen?

Oder steckte mehr dahinter? Würde etwa in der DDR unauffällig einer von Wehners Kontaktleuten zur SED-Führung zusteigen, zum ungestörten nächtlichen Plausch im Schlafwagenabteil?

Seltsam genug waren die Umstände dieser Reise. Journalisten, die mitfahren wollten, erhielten trotz frühzeitiger Buchung keinen Platz mehr. Der Wagen sei besetzt, hieß es, doch als Wehner einstieg, waren noch Betten frei. Seltsam auch die Anrufe von Fraktionsmitarbeitern bei Reportern, man möge doch gar nicht erst versuchen, auf dem Landweg die DDR zu passieren, vielleicht werde die ostdeutsche Grenzpolizei den Transit verweigern.

So blieb dann die kleine Reisegesellschaft, ab Marienborn bewacht von zwei diskreten ostdeutschen Staatsschützern in hellen Trenchcoats, unter sieh: neben Wehner, Stieftochter Greta, fürsorgliche Beschützerin und Zerberus zugleich, der seinem Meister treu ergebene Fraktionsberater Eugen Selbmann und die beiden SPD-Abgeordneten Helmuth Becker und Walter Polkehn, brave Genossen in der Furcht des Herrn.

Die einzige Eigenwilligkeit, die sie sich leisteten: exklusive blaue Diplomaten-Pässe, während Wehner und Greta dem russischen Schlafwagen-Schaffner normale grüne Reisepässe nicht privilegierter Bundesbürger reichten. Vier andere Abgeordnete, Bruno Friedrich, Gerhard Jahn, Hans-Jürgen Junghans und Alfons Pawelczyk, hatten sich die Freiheit genommen, mit dem Flugzeug zu reisen.

Sicher ist: Nach Passieren der polnischen Grenze stieg ein polnischer Gast in das Abteil Nr. 8 des SPD-Fraktionschefs. Waclaw Piatkowski, lange Jahre Botschafter in Bonn und jetzt Leiter der außenpolitischen Abteilung im Zentralkomitee der polnischen KP, war dem Deutschen entgegengefahren. Er gilt als einer von denen, die für die scharfen Töne der polnischen Medien gegenüber der Bundesrepublik verantwortlich sind.

Piatkowski stimmte Wehner bei der Fahrt durch Westpolen noch zusätzlich auf das Thema ein, das dann in Warschau die Gespräche beherrschte. Spätestens bei dieser Unterhaltung auch muß sich Wehner zur Vorwärtsverteidigung entschlossen haben.

Gleich beim ersten Treffen der Wehner-Delegation mit den Gastgebern im Sejm polterte er los. Mit hochrotem Kopf herrschte er das ZK-Mitglied Ryszard Wojna, stellvertretender Chefredakteur der Parteizeitung »Trybuna Ludu«, an, der unlängst in einem Artikel die endgültige Anerkennung der polnischen Westgrenze von Bonn gefordert hatte. Wehner: »Das dürfen Sie nicht schreiben, mir einzureden, ich sei gegen die Oder-Neiße-Grenze.«

Ohne Rücksicht darauf, daß Gastgeber Babiuch in seinem Eröffnungs-Referat nur vorsichtig die Frage aufgeworfen hatte, wie es denn mit der militärischen Entspannung weitergehe und welche Folgen dies für die Kräfteverhältnisse in Mitteleuropa -- sprich das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander -- haben werde, kam Wehner gleich auf den Punkt.

Was da über seine angeblichen Pläne geschrieben werde, legte er in einer Lautstärke los, die den Polen einen Schreck einjagte, sei »alles Quatsch« und »dummes Zeug«. Seine Unterhaltung mit Knapen sei ein reines Hintergrundgespräch gewesen -- als ob dadurch der Text an Gewicht verlöre. Die Zitate seien mißbraucht und mißverstanden worden -- obwohl der Wortlaut keine Zweifel offenläßt.

Die Gastgeber hörten höflich zu. Doch sie glaubten ihm nicht, wie sie später im privaten Gespräch streuten. Zu eindeutig waren Wehners Einlassungen über seine Deutschlandpläne gewesen.

Die Szene im Parlament beeindruckte Wehners Begleiter offenbar noch mehr als die Polen. Zudem hatte ihr Vorsitzender strikte Order gegeben, in der Öffentlichkeit zu schweigen. Sichtlich verstört fanden sie sich zum Mittagessen in der Residenz des deutschen Botschafters Werner Ahrens ein.

Als sie vor dem Haus einiger deutscher Journalisten ansichtig wurden. formulierten sie aufgeregt Ungereimtes, um nicht gegen das Informationsverbot ihres Chefs zu verstoßen. Gerhard Jahn brachte nur hervor: »Wir sind hier Gäste«, und Bruno Friedrich entfuhr: »Die Medienlandschaft wird den Realitäten nicht gerecht.« Wehner schwieg, aber drinnen im Haus fällte er sein Urteil über westlichen Journalismus: »Wie Strichmädchen.«

Der westdeutsche Genosse war von Anfang entschlossen, auf polnischem Boden öffentlich zu schweigen, und er hielt dies mit einer Konsequenz durch, die selbst Polen erstaunte. »Onkel Herbert ist gut für die östliche Presse«, juxte ein polnischer Begleiter, »bei ihm können Journalisten nichts erfahren.«

Am Donnerstag, bei einem Ausflug nach Thorn, wurde noch sichtbarer. wie streng das Regiment war, das Wehner, unterstützt von Greta, über die Delegation führte. Zu bloßen Statisten degradiert, trotteten sechs Bundestagsabgeordnete stumm hinter ihrem Vorsitzenden her. Wagte doch einmal einer ein kurzes Gespräch, blickte er ängstlich um sich, damit ihr Anführer es nur ja nicht sehe.

Der hatte inzwischen die lnformationsverweigerung auf die Spitze getrieben und eine für Freitag gemeinsam mit den Polen angesetzte Pressekonferenz abgesagt. Abends in Warschau, im Gästehaus der Regierung, versuchten die Abgeordneten' ihren Fraktionsvorsitzenden umzustimmen. Doch nichts half, auch nicht das Argument, mit solcher Verschlossenheit werde ohne Not neuen Verdächtigungen über Wehnersche Geheimdiplomatie Nahrung gegeben. Auch die Bonner Botschaft vermochte nichts auszurichten.

Wehner blieb starrsinnig bei seinem Nein. Er hat offenbar längst einen Punkt erreicht, wo ihn öffentliche Reaktionen auf seine Politik in Wahrheit nicht mehr interessieren, wo er diese Reaktionen nur noch für seine Zwecke einsetzt.

Ihm war in Warschau ohnehin nur eins wichtig: sein Gespräch mit dem polnischen KP-Chef Edward Gierek, der sich am Freitag anderthalb Stunden für den Gast aus der Bundesrepublik Zeit nahm. Zum drittenmal trafen die beiden in Warschau zusammen, keinen anderen Parteichef des Ostblocks hat Wehner in den letzten Jahren so oft gesehen. Er wollte Gierek wieder klarmachen, daß die Polen seine deutsche Politik nicht zu fürchten brauchen.

Dann reiste er ab, schweigend, wie er gekommen war -- doch diesmal mit dem Flugzeug.

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