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DE-GAULLE-BESUCH Anruf beim Anflug

aus DER SPIEGEL 24/1968

Nach Verabschiedung ihrer Notstandsverfassung dachten die Deutschen, sie seien nun ganz souverän. Daß sie es nicht sind, demonstrierte ihnen am Mittwoch vor Pfingsten ihr größter Freund.

Gegen 14.30 Uhr schwebte Charles de Gaulle in einem »Alouette«-Hubschrauber neben dem ehemaligen Großherzoglichen Jagdhaus auf dem Bergrücken zwischen Baden-Oos und dem Rheintal ein. Etwa zur gleichen Zeit klingelte im Bonner Schaumburg-Palais das Telephon des Staatssekretärs Karl Carstens. Frankreichs Botschafter in Bonn, Francois Seydoux de Clausonne, meldete, daß sein General-Staatschef schöne Grüße bestellen lasse und zu einem Blitzbesuch nach Deutschland unterwegs sei.

General de Gaulle war auf dem Wege aus dem general-streikenden Paris zu seinem Landhaus im lothringischen Colombey-les-Deux-Eglises. Dabei machte er einen Umweg, von dem nicht einmal sein Premier Georges Pompidou wußte.

Im Jagdhaus bei Baden-Baden wollte sich der General-Staatschef bei einem General rückversichern, dem Oberkommandierenden der französischen Truppen in Deutschland, Jacques Massu. Zehn Jahre zuvor, 1958, hatte Fallschirmjäger Massu dem General zur Macht verholfen.

Binnen zwei Stunden kundschaftete Ein-Stern-General de Gaulle nun aus, daß ihm Fünf-Sterne-General Massu diesmal aus höchster Staatsnot helfen würde.

Mit welchem Recht de Gaulle auf deutschem Boden gegen zehn Millionen streikender und staatsverdrossener Franzosen konspirierte, wußten die souveränen Deutschen zu Bonn erst acht Tage später. am letzten Donnerstag.

Als das AA an diesem Tag Vertragsexegese betrieb, fand es heraus, daß den General nicht -- wie offiziell eine Woche lang behauptet -- die Nato-Freundschaft zum Einflug ins bundesdeutsche Hoheitsgebiet berechtigt hatte, sondern der Truppenvertrag, der den alliierten Siegermächten 1954 bei Ablösung ihrer Besatzungsbefugnisse von der Bundesrepublik zugestanden werden mußte.

Dazu gehört auch das Recht aller alliierten Oberbefehlshaber -- wie Charles de Gaulle, Königin Elizabeth 11. oder Lyndon Baines Johnson -- ihre Streitkräfte in der Bundesrepublik jederzeit und ungehindert zu besuchen.

Das Recht schließt allerdings Gegenseitigkeit aus: Ähnliches Verhalten eines deutschen .Oberbefehlshabers auf fremdem Territorium sehen die Sonderverträge nicht vor.

Obschon ihr oberster Befehlshaber zu seinem unangemeldeten Blitzbesuch legitimiert war und die überraschten Deutschen den Besuch des Generals auch freimütig bekanntgemacht hatten, dementierte Massus Presseadjutant, Oberstleutnant Leclercq, noch Tage später aus unklaren Motiven: »Von einem Besuch des französischen Staatsoberhauptes auf deutschem Hoheitsgebiet kann keine Rede sein.«

Von Baden-Oos aus war de Gaulle zur burgundischen Festung Belfort geflogen, wo er weitere Generale auf sich einschwor.

Dann rief er seinen Hausmeier in Paris an. Und endlich erfuhr so auch Premier Pompidou, wo sein inzwischen vermißt gemeldeter Staatschef sich befand.

*Am Mittwoch vor Pfingsten nach ihrem Blitzbesuch in Baden-Baden beim Verlassen des Hubschraubers vor Ihrem Landsitz.

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