Rechtsextremisten Ans Messer geliefert
Die Versammlung glich einer Verschwörung. Die Teilnehmer hatten von der Einladung per Mundfunk erfahren, Notizen durfte nur der Schriftführer machen. Das knappe Protokoll existiert bloß in einer Ausfertigung, es wird in einer versteckten Stahlkassette unter Verschluß gehalten.
Die Geheimniskrämerei erschien den 18 Bürgern ratsam, die sich im DDR-Städtchen Eilenburg in einer Hinterhofwerkstatt zusammengefunden hatten. Die Runde gründete den Ortsverein einer Partei, der in der DDR jegliche Aktivitäten untersagt sind: der Republikaner (Rep).
Ungeachtet des offiziellen Verbots sind Ost-Ableger der rechtsextremen Partei des Münchner Nationalpopulisten Franz Schönhuber, 67, nicht nur in Eilenburg aktiv. Konspirativ in privaten Zirkeln und Volkshaus-Hinterzimmern, aber auch demonstrativ auf öffentlichen Kundgebungen machen sich DDR-Bürger landesweit für die Rechtspartei stark.
Schönhuber hat eigens einen »Mitteldeutschland«-Beauftragten ernannt, den Bad Tölzer Kreisvorsitzenden Reinhard Rade, 25. Beinahe jede Woche, behauptet der smarte Jung-Rep, müsse er rüberreisen, um bei der Organisation von Ortsgruppen zu helfen. Rep-Aktivisten werde bei der traditionellen Montagsdemonstration in Leipzig, frohlockt Schönhuber, das »Infomaterial beinahe aus den Händen gerissen«.
Nahezu täglich, verkündet die Münchner Zentrale, gingen Aufnahmeanträge von drüben ein, zunehmend werde die Gründung neuer Ortsvereine registriert. Schon jetzt, erklärt Parteisprecher Karl Richter, seien »einige tausend Parteimitglieder in mindestens 30 funktionierenden Rep-Verbänden« organisiert.
Die rechten Parolen fallen auf fruchtbaren Boden. Die Unterdrückung von Nationalgefühl und die Frustration über ständige Bevormundung haben einen verkappten Rechtsextremismus wachsen lassen, der sich seit der Wende bei etlichen Ostdeutschen in blankem Haß auf alles Linke und in offener Ausländerfeindlichkeit ("Polacken raus") entlädt.
Der DDR-Regierung ist Schönhuber nicht willkommen. Der Rep-Chef bemüht sich seit Anfang des Jahres, auf die staatsmännische Tour einzureisen. Doch trotz Diplomatenpaß, der ihm als Mitglied des Europaparlaments zusteht, mußte der Ober-Rep wegen seiner »faschistischen Tätigkeit« (Ost-Grenzer) bislang draußen bleiben. Trotzdem hat er es jenseits der Grenze zu einer größeren Anhängerschaft gebracht.
Aus den Volkskammerwahlen am 18. März, träumte Schönhuber nationalselig, werde seine Truppe als eine der stärktsten Fraktionen hervorgehen. Die Münchner Parteizentrale rechnete bereits mit einem »realistischen Stimmenanteil« (Richter) von an die 20 Prozent.
Daraus wird nun wohl nichts. Dem Volkskammer-Beschluß von Anfang Februar, die Repse wegen neofaschistischer Aktivitäten zu verbieten, folgte vorige Woche ein förmliches Regelwerk: Nach dem neuen Parteiengesetz sollen in der DDR alle Parteien verboten sein, die ausländerfeindliche, faschistische oder militaristische Ziele verfolgen.
Den Reps werden keine öffentlichen Veranstaltungen mehr genehmigt, jegliche Propaganda für die Rechtspartei ist verboten. Doch das Veto hat die Ost-Reps, die letzten Freitag sogar demonstrativ ihre Zulassung zur Wahl beantragten, nur wenig behindert.
Schönhubers Ost-Ableger rackern unverdrossen weiter und bringen ihre Parolen, wie etwa jüngst in Leipzig, stiekum unters Volk. So verklebten Unbekannte im Neubauviertel Mockau Telefonzellen, Laternenpfähle und Hauswände mit Rep-Aufrufen: »Wiedervereinigung jetzt«. Und im Kreis Borna registrierte die Volkspolizei letzte Woche »massive Briefwurfsendungen« der Reps.
Den Propaganda-Nachschub aus dem Westen sichern vor allem Schönhuber-Adlatus Rade und Helfer. »An die fünf Tonnen« Material, vom Gasfeuerzeug mit Rep-Rauten bis zum 20 Meter langen Transparent ("US und SU raus aus D") wollen Rade und Gesinnungsfreunde schon in Privatwagen rübergekarrt haben. Den Ost-Grenzern erklärten Wahlkämpfer, sie befänden sich bloß im Transit nach West-Berlin.
Entwicklungshilfe leisten auch westdeutsche Ortsgruppen. Bayreuths Republikaner etwa unterstützen den Ortsverein Eilenburg nicht nur durch Hilfspakete mit Aufklebern und Aufnahmeformularen, sie haben auch die Lieferung eines Fotokopierers zugesagt.
Bestärkt von den West-Reps, bekennen sich etliche Aktivisten trotz Parteiverbots zu ihrer Gesinnung und kämpfen für die Anerkennung ihrer Partei. Der Pegauer Parteichef Steffen Ruckdäschel, 24, streitet für einen Rep-Stuhl am Runden Tisch seines Kreises. Der Eilenburger Ortsvorsitzende Ulrich Sorek, 46, will vor Gericht ziehen, um die Genehmigung einer »politischen Informationsveranstaltung« über die Republikaner einzuklagen.
Strafrechtliche Konsequenzen brauchten die Rep-Bekenner bislang kaum zu fürchten. Daß bei einem Aktivisten tatsächlich einmal Polizei und Staatsanwaltschaft vor der Tür stehen wie jüngst beim Rep-Chef von Torgau, ist die Ausnahme. Etliche Polizeibehörden stehen dem Parteiverbot noch ähnlich skeptisch gegenüber wie der Eilenburger Polizeichef Stephan Fritzsche. »Die Zeiten der Gesinnungsjustiz«, erklärt der Oberstleutnant seine Zurückhaltung, »sind doch nun endlich vorbei.«
Eingriffe von Fritzsches Beamten beschränken sich auf symbolische Aktionen. Flugblätter und Plakate, die Streifen entdecken, werden »eingezogen und vernichtet«. Selbst wenn bei der Leipziger Montagsdemonstration Republikaner mit Neonazis und Skinheads einen militanten braunen Block bilden, läßt die einst so schlagfertige Volkspolizei die Rechtsextremisten gewähren.
Ungehindert können Scharfmacher wie Rade seit Wochen ganze Kofferraumladungen mit Plakaten ("Sozialismus ist Beschißmus"), Aufklebern und Flugblättern unters Volk werfen. Daß einige Demonstranten die Hand zum Führergruß recken und »Juden raus« rufen, stört Rade nicht: »In harten Zeiten kann man sich nicht aussuchen, wer neben einem steht.«
Mehr als die strafrechtliche Ahndung fürchten DDR-Reps die soziale Ächtung. Wer sich als Republikaner bekenne, klagt das Leipziger Rep-Vorstandsmitglied Andre Bölke, 20, müsse mit Kündigung rechnen. Ihn etwa habe sein Meister, ruck, zuck, rausgeschmissen, als er von den Aktivitäten des Elektrikers erfuhr. Und der Eilenburger Republikaner Sorek klagt, seiner Schlosserei sei wohl wegen der Arbeit für die Reps ein zugesagter staatlicher Auftrag entzogen worden.
Um ihre Mitstreiter vor Nachteilen zu bewahren, halten die Ortschefs Mitgliederlisten und Protokolle streng unter Verschluß. »Es reicht«, begründet Vorkämpfer Ruckdäschel die Geheimnistuerei, »wenn einer ans Messer geliefert wird.«
Noch sind überzeugte Ost-Reps wie Sorek zuversichtlich, daß ihre Rechtspartei doch noch zugelassen wird, »spätestens nach den nächsten Wahlen«. Für den Fall, daß die Republikaner illegal bleiben, will der Rep ins Exil fliehen. Sorek: »Dann geh' ich rüber.«