DDR Anschluß verpaßt
Das SED-Experiment, dem DDR-Volk via Wolfsburg auf die Räder zu helfen, ist noch kein Vierteljahr alt, da sind die ohnehin dunklen Regeln, nach denen Ost-Berlin das Golf-Spiel betreibt, noch undurchsichtiger geworden.
Im Dezember, gleich nach Abschluß des VW-Geschäfts, lautete die Frage, weshalb wohl Partei-Chef Erich Honecker 10 000 West-Wagen ins Land hole -- mehr, als sich die Ost-Republik mit ihrem chronischen Außenhandels-Defizit leisten kann, und doch zu wenige, um das aufgestaute Bedürfnis der Bürger nach Qualitäts-Konsum zu befriedigen.
Jetzt, im Februar, heißt das Rätsel: Warum läßt der SED-Generalsekretär nun auf einmal die bislang zwischen 28 000 und 36 000 Ost-Mark teuren West-Gefährte um ein Drittel billiger anbieten-fast schon preisgünstig für DDR-Verhältnisse.
In beiden Fällen hüllt sich die Ost-Berliner Obrigkeit über die Gründe ihrer Entschlüsse in Schweigen, und wer nach Antworten sucht, bleibt mithin vorerst auf Mutmaßungen angewiesen und auf das eine oder andere Indiz.
Nichts beispielsweise spricht dafür, daß stockender Absatz der Import-VWs Ursache der Rabatt-Verfügungen gewesen sein könnte. Der Golf, so bekunden Ost-Berliner Staatshändler, habe sich auch zu Luxuspreisen gut verkauft und damit beim Publikum, wie wirtschaftspolitisch erwünscht, reichlich Kaufkraft abgeschöpft.
Auch die angebliche Rüge der Russen, es sei infam, den kleinsten Golf (zwei Türen, 50 PS) zum gleichen Preis wie den großen Sowjet-Wolga (vier Türen, 95 PS) zu verkaufen, lassen Kenner nicht als Motiv für den Preisnachlaß gelten.
Ernster hingegen nehmen sie die offenbar massiven Proteste von DDR-Werktätigen, die beim Partei- und Staatsapparat gereizt nachfragten, ob der Golf denn wirklich nur für Reiche und Bonzen importiert werde. Mit der Entscheidung, den VW-Preis fast auf das Niveau der DDR-Standardlimousine »Wartburg« abzusenken, sei dieser innenpolitisch so gefährliche Einwand ausgeräumt worden, versichern kundige Genossen. Doch sie warnen westliche Gesprächspartner zugleich davor, den Golf-Kurs Ost-Berlins lediglich als Reflex auf DDR-interne Zwänge zu werten.
In der Tat deutet manches, nicht zuletzt die Schweigsamkeit der SED-Spitze, darauf hin, daß die DDR-Führung mit dem VW-Geschäft nicht nur taktisch-opportunistische Ziele verfolgt. Hinter dem ersten Großeinkauf von West-Autos könnte durchaus ein langfristiges wirtschaftspolitisch-strategisches Konzept stehen, wichtig genug, dafür auch politische Risiken in Kauf zu nehmen -- wachsendes Mißtrauen der Sowjets gegen die weitere West-Orientierung und zunehmende Begehrlichkeiten der DDR-Konsumenten inklusive.
Schon seit Jahren sind die Ost-Berliner Staats-Ökonomen mit der DDR-eigenen Pkw-Produktion höchst unzufrieden. Sie ist sowohl in den früheren DKW-Fabriken von Zwickau (Trabant) als auch im ehemaligen BMW-Werk Eisenach (Wartburg) technisch veraltet und folglich unrentabel.
Zunächst hatten sich die DDR-Wirtschaftsplaner darauf verlassen, daß die angestrebte Kooperation innerhalb des Ostblock-Wirtscbaftsverbundes Comecon eines Tages tatsächlich zustande kommen würde. Doch nationale Eifersüchteleien verhinderten das Projekt: Polen und die UdSSR verlegten sich auf die lukrative Lizenz-Fertigung älterer Fiat-Modelle. Rumänien baute den Renault 12 nach, die Tschechen blieben ihrem Skoda treu.
Ost-Berlin aber verpaßte den Anschluß ans große Geschäft: Die altmodischen Zweitakter aus Zwickau und Eisenach. mit die letzten der Welt, ließen sich im Ostblock eben noch an den Mann bringen, nicht aber -- wie die russischen Lada oder der Polski Fiat -auch an devisenzahlende Westler.
Nicht einmal zur Befriedigung des Binnenmarktes reicht die Jahresproduktion -- etwa 60 000 Wartburg und 110 000 Trabant -- aus. Die Hälfte der jährlich erzeugten technischen Veteranen, motorisiert mit DKW-Vorkriegskonstruktionen, rollt in den Ost-Export. DDR-Kunden müssen deshalb noch immer Lieferfristen von sechs bis zehn Jahren in Kauf nehmen, wenn sie nicht auf die in der Regel teureren Importe aus dem Comecon-Bereich ausweichen wollen.
Von dort ließ die Ost-Berliner Führung zwischen 1974 und 1976 jährlich immerhin gut 90 000 Fahrzeuge einführen -- Lada und Wolga, Skodas und Polski-Fiats. 1977 allerdings ging die Quote drastisch zurück: Nach Streitigkeiten mit den Tschechen über zu hohe Preisforderungen für das neue Skoda-Modell nahm die DDR den Nachbarn nur 2618 Autos gegenüber 25 848 im Jahr 1976 ab. Trotz Zusatzkäufen aus anderen Ost-Ländern blieb 1977 ein Defizit von 13 000 Fahrzeugen, das 1978 vor allem durch die Golf-Erwerbungen ausgeglichen werden soll.
Nach derart traurigen Erfahrungen mit dem Eigennutz ihrer Blockbrüder entschloß sich die SED-Führung deshalb im letzten Jahr, dem Thema Auto volkswirtschaftlichen Vorrang zu geben. Auf der Novembertagung des SED-Zentralkomitees erfuhren die Genossen, daß »die Rekonstruktion und Rationalisierung wichtiger Kapazitäten des Automobilhaus auf hohem technologischen Niveau vorbereitet« werde.
Westdeutschen Kennern der DDR-Wirtschaft schien bereits damals nicht unwahrscheinlich, daß sich Ost-Berlin die Partner für das Großprojekt im Westen suchen werde -- womöglich in der Bundesrepublik.
Tatsächlich hatten die Wolfsburger Unterhändler bei den Verhandlungen über das Golf-Geschäft den Eindruck gewonnen, daß die DDR nicht bloß mal schnell 10 O00 Autos haben wollte, sondern an längerfristigen Kontakten interessiert ist. Denn die Ost-Emissäre begründeten ihre Kaufabsichten vor allem mit dem Wunsch, sie wollten im Gegensatz zu den Fiat-Lizenznehmern Sowjet-Union und Polen das beste und modernste Auto haben -- eben den Golf mit seiner international unbestrittenen Spitzentechnik.
Seither rechnet sich VW-Vorstandschef Toni Schmücker nicht nur gute Chancen für Anschlußaufträge aus; er hält sogar eine Lizenz-Fertigung des Golf in der DDR eines Tages durchaus für möglich. Dann könnte Ost-Berlin die unrentable Wartburg-Produktion einstellen und hätte doch, nach der Preiskorrektur der vorletzten Woche, ein preisgleiches, aber zukunftssicheres Produkt für Binnenmarkt und Ost-Export zur Verfügung.
Die Hoffnung, über das DDR-Geschäft mit Wolfsburger Produktion im noch gänzlich ungesättigten Großmarkt Comecon Fuß zu fassen, veranlaßte die VW-Chefs, der DDR auch für die Zukunft großzügige Konditionen in Aussicht zu stellen: Schmücker ist bereit, auch für weitere Golf-Exporte wiederum Kompensations- -- Geschäfte zu akzeptieren, und nach seiner Ansicht könnte sich schon bald über die DDR-Lieferungen von Plastikteilen eine langfristige Bindung anbahnen.
Ost-Berlin wiederum ist mit dem Wolfsburger Entgegenkommen höchst zufrieden: Während die VW-Werker ohne Rücksicht auf die langen Lieferfristen für westdeutsche Kunden pünktlich jeden Monat 1000 Golf in die DDR schicken, lassen sie den Ostdeutschen drei Jahre Zeit, die West-Autos mit Kohle, Heizöl und Reifen abzustottern. Überdies richten die Wolfsburger in der DDR zwei zentrale Ersatzteillager ein, deren Bestände die Ost-Berliner Staatshändler nicht pauschal, sondern nur Stück für Stück nach Verbrauch zu bezahlen haben.
Das Spezial-Werkzeug für die 16 Kundendienstwerkstätten wird ebenfalls von Wolfsburg gestellt, und eine Gruppe westdeutscher VW-Experten ist gegenwärtig in Leipzig dabei, DDR-Mechaniker im Umgang mit dem Golf zu unterweisen.
Ob allerdings Erich Honecker wirtschaftspolitisch frei genug ist, sich in absehbarer Zeit für eine Dauerpartnerschaft zu entscheiden, wagt derzeit auch in Wolfsburg niemand zu beurteilen. Das mit den DDR-Verhandlungen beauftragte VW-Vorstandsmitglied Horst Münzner gibt sich gedämpft optimistisch: »Wenn es nach der wirtschaftlichen Logik geht, stehen die Chancen gut -- für beide Seiten. Nur, die Politik folgt einer anderen Logik.«