USA Anständige Regierung
Nachtwächter Wills erhielt viel Lob und eine bescheidene Gehaltserhöhung -- vier Dollar pro Woche. In der Nacht zum 17. Juni hatte er im Washingtoner »Watergate«-Komplex einen Einbruch entdeckt, der Amerikas Öffentlichkeit eher fröhlich stimmte als bedenklich.
Denn was die fünf ertappten Männer, alle mit Gummihandschuhen und veralteten Abhörgeräten, im Büro der Demokratischen Partei stehlen, photographieren oder mithören wollen, konnte sich niemand recht vorstellen, nicht einmal, nachdem einer der Einbrecher als James McCord, Sicherheitschef des »Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten« Richard Nixon, entlarvt worden war.
Doch zwei Monate später, da Republikaner Nixon in der Wählergunst immer größeren Vorsprung vor dem Demokraten McGovern erzielt, wird das »Watergate«-Ding »von Tag zu Tag bestürzender« ("Evening Star"), gibt es für die in der Defensive kämpfenden Demokraten das schlagkräftigste Wahlkampfthema ab: »Schmutzige Geschäfte« bei dem Bemühen, »diesen besonderen Präsidenten der Vereinigten Staaten wiederzuwählen« ("The Washington Post").
Noch immer zwar sind die Motive der Einbrecher mysteriös. Doch immer mehr Licht fällt unterdessen auf die Hintermänner der dunklen Geschäfte.
Diese Geschäfte lassen sich verfolgen an der seltsamen Wanderung von 25 000 Dollar, die der Sojabohnen-Millionär Dwayne Andreas für Richard Nixons Wiederwahl gespendet hatte. Er bot das Geld dem Nixon-Geldeintreiber im Mittelwesten, Kenneth Dahlberg, an. Bedingung: Es sollte geheim bleiben.
Gegen zwei Konkurrenten und doppelt so schnell wie üblich gab wenig später die Bundes-Bankbehörde dem Spender die Erlaubnis, eine neue Bank in Minnesota zu eröffnen. Co-Direktor: Kenneth Dahlberg.
Seltsame Umstände begleiteten auch den weiteren Weg der Andreas-Geldspende. Beamte des FRI entdeckten das Geld schließlich auf dem Konto eines gewissen Bernard Barker -- dem mutmaßlichen Anführer jener Bande, die im demokratischen Hauptquartier gefaßt worden war. Vier weitere Schecks im Gesamtwert von 89 000 Dollar und ausgestellt auf das »Committee for the Re-Election of the President« hatte Barker schon eingelöst: laut Kongreßrechnungsamt Parteispenden einflußreicher demokratischer Industrieller aus Texas. die über einen Mittelsmann nach Mexico City und dann via Washington auf das Einbrecherkonto gelangt waren.
Die Beamten der Staatsanwaltschaft in Miami bemühten sich um Aufklärung. Doch kaum hatten sie die ersten Fragen gestellt, erhielten sie Besuch: Unbekannte durchwühlten nachts das Zimmer des mit dem »Watergate«-Fall befaßten Beamten.
Auf Schwierigkeiten stießen auch die Bundespolizei und die Prüfer des Rechnungsamtes, die sich das »Komitee« in Washington näher ansehen wollten: Die Stamm-Mannschaft war stark gelichtet. Nachdem Komitee-Sicherheitschef McCord wegen des »Watergate«-Einbruchs verhaftet worden war, hatten der Boß, Ex-Justizminister John Mitchell, Schatzmeister Sloane und Finanzberater Liddy sich verabschiedet.
Liddy, Ex-FBI-Agent und Ex-White House-Mitarbeiter, war für die Fahnder von doppeltem Interesse: Er soll während des Einbruchs selbst im »Watergate« gewesen sein, und er führte die Oberaufsicht über jene Tarnorganisationen, deren Spender ihre Neigung zu Nixon geheim halten wollten, deren Namen freilich für Aufrichtigkeit sprachen: »Vereinigte Amerikaner für politische Wachsamkeit«, »Vereinigte Amerikaner für eine anständige Regierung« und »Organisation engagierter Amerikaner«.
Andere blieben nicht einmal anonym: 322 500 Dollar sammelten Amerikas Milchbauern 1971 für die Wiederwahl Nixons. Anschließend sahnten sie -- nach eigener Schätzung -- zusätzliche Subventionen in Höhe von 500 bis 700 Millionen Dollar vom Staat ab.
So eng die Verbindung von Wirtschaft. Wahl und Weißem Haus damit erscheint, so dicht führen die Spuren im »Watergate«-Fall an das höchste Amt der Vereinigten Staaten heran.
Sie verdichten sich vor allem in der Person des Liddy-Freundes Howard Hunt, der nach dem mißglückten »Watergate«-Coup bis zur vergangenen Woche untertauchte. Hunt, ein früherer CIA-Agent und Veteran des gescheiterten Invasionsversuchs an Kubas Schweinebucht, steht im Verdacht, zusammen mit Liddy per Funk das Einbruchunternehmen gelenkt zu haben.
In Hunts Schreibtisch im Verwaltungsgebäude des Weißen Hauses fanden Ermittlungsbeamte angeblich ein Walkie-Talkie-Gerät, das auf die gleiche Welle eingestellt war wie die Funksprechgeräte der Einbrecher: auf das »Committee for the Re-Election of the President«.
Hunt arbeitete nicht mehr im Weißen Haus, als Nixon in der vergangenen Woche seine Mitarbeiter weißzuwaschen suchte. Formal war der Präsident daher im Recht, als er »kategorisch« behauptete, daß mit der Affäre niemand von seinem Stab im Weißen Haus etwas zu tun habe, »der gegenwärtig angestellt ist«.
Diese Erklärung deckte weder Liddy noch Hunt. Sie schloß aber auch den Ex-Handelsminister Maurice Stans aus, der jetzt für Nixons Wiederwahl-Komitee die Finanzen beschafft. In seinem Tresor hatten Prüfer des Rechnungsamtes einen illegalen Geheimfonds von 350 000 Dollar gefunden. Aus ihm waren die Mittel auf Barkers Einbruchskonto geflossen.