SCHILLER Ante portas
Lächelnd betrat Karl Schiller den Saal, steuerte quer durch den Raum und nahm, wie selbstverständlich, in der Mitte des Vorstandstisches Platz. Es war fast wie in alten Zeiten.
Das Auditorium klopfte Beifall, Gastgeber Alfred Nau, Ex-Schatzmeister der SPD, und dessen Nachfolger Wilhelm Dröscher schüttelten dem Professor lange und herzlich die Hand. Als habe es nie ein Zerwürfnis zwischen Schiller und der SPD gegeben, waren Karl, Alfred und Wilhelm gleich wieder per du.
Nur zu gern hatte sich der ehemalige Wirtschaftsminister für den vergangenen Montag zu einem Vortrag vor dem »Gesprächskreis Wirtschaft und Politik« der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung laden lassen. Denn vier Jahre nach seinem donnernden Abgang von der Bonner Bühne und seinem Austritt aus der SPD zieht es Karl Schiller, inzwischen 65, zurück in die alte politische Heimat.
»Wir haben«, bekannte Nau, Vorstandsvorsitzender der Stiftung. »so wenig große Talente wie Professor Schiller, daß wir nicht auf seinen Rat verzichten sollten.« Doch die Genossen wissen noch nicht so recht, was sie mit dem früheren Wirtschaftslenker der sozialliberalen Koalition anfangen sollen. Gewiß. Wahlhilfe ist willkommen, aber, so SPD-Sprecher Uwe-Karsten Heye: »Wir führen keine Freudentänze auf, weil Karlchen wieder ante portas steht.«
Vorsitzender Willy Brandt fragte eigens in seinem Parteipräsidium nach, ob Einwände gegen die Stiftungs-Einladung bestünden. Die Runde war einverstanden, auch Schillers ehemaliger Intimfeind Helmut Schmidt.
Bei seinem Auftritt vor dem Bonner Stiftungsforum hielt Karl Schiller dann durchaus, was sich die SPD-Oberen von ihm versprochen hatten. Nach einer gelungenen wirtschaftspolitischen Analyse zog er, fast in Schmidt-Diktion. das Fazit: »Wir haben insgesamt eine Kombination von marktwirtschaftlicher Freiheit und sozialstaatlicher Ordnung gefunden, um die uns viele beneiden.«
Wie anders hatte das doch 1972 geklungen. Damals, nachdem er durch seinen Abgang die Sozialliberalen um die letzte Mehrheitsstimme im Bundestag gebracht hatte, warb Schiller, vom Verleger Axel Springer animiert, gemeinsam mit Ex-Kanzler Ludwig Erhard in Zeitungsanzeigen »für Freiheit und Stabilität« und warnte: »Wer die freie Marktwirtschaft mit dirigistischen Interventionen abschnüren will, darf ihre Zukunft nicht bestimmen.« Und bei seinem Parteiaustritt, kurz vor dem Wahltag, prophezeite er: »Auf mittlere Frist« werde die Politik der Sozialliberalen »scheitern«.
Über die Turbulenzen des Jahres 72. über die Ankündigungen eines CDU-Beitritts zwei Jahre später spricht Schiller heute nicht mehr gern. Danach befragt, redet er nur, professoral abstrakt, von einem »echten, handfesten Konflikt«. spricht aber auch davon, »daß man nicht lebenslänglich mit einem Konflikt leben kann«.
Daß es ihn einige Zeit ganz kräftig zur Union hingezogen hat -- dies mag er nicht bestreiten. Aber, so beteuert er heute: »Ich habe schnell gemerkt, dazu bin ich nicht strukturiert.«
Zu dieser Erkenntnis mag auch beigetragen haben, daß die Konservativen keine Verwendung für den eigenwilligen Minister-Pensionär hatten. Nachdem sich am Wahltag im November 1972 50 manches Kalkül als trügerisch herausgestellt hatte, hoffte Schiller, zumindest in angemessener Distanz zum christdemokratischen Parteienklüngel eine Art ökonomischen Spiritus rector der Opposition spielen zu können. Doch mit seiner Wahl-Kampagne hatte der Ex-Sozi in den Augen der Unionsfürsten seine Schuldigkeit getan. Da begann Karl Schiller wieder Kontakte zu den Freunden von einst zu knüpfen. Als Kanzler Brandt im Mai 1974 zurücktrat, schrieb sein einstiger Superminister ihm einen, wie Brandt-Vertraute zu berichten wissen, »rührenden Abschiedsbrief, mit der Frage, ob denn ein Rücktritt »wegen des Herrn Guillaume nicht »out of proportions« liegt«.
Ein Jahr später fand Brandt sich bereit, erstmals wieder mit dem Mann zu reden, der ihn schon 1972 aus dem Kanzleramt hatte entfernen wollen. Der SPD-Chef mußte nach Hamburg, hatte dort, am Wohnsitz Schillers, aber keinen Termin mehr frei. So reiste Schiller nach Bremen und bestieg den an einen Intercity-Zug angehängten Sonderwagen des SPD-Vorsitzenden, um von Bremen bis Hamburg mit Brandt reden zu können.
Allmählich freundete sich der Professor auch wieder mit der Politik der Sozialliberalen an. Der Kanzler ist in seinen Augen sogar »ein tüchtiger und energischer Wirtschaftspolitiker«.
Schiller kann sich freilich zugute halten, daß ihn Schmidt in der Sache selbst rechtfertigte. Im Frühjahr 1973 setzte sich der damalige Finanzminister Helmut Schmidt für ein Gruppenfloaten der europäischen Währungen ein -- und tat damit genau das, womit Schiller ein Jahr vorher im Kabinett gescheitert war. Die Frankfurter Bundesbank hatte derweil allerdings inflationsfördernde Devisen im Wert von 24 Milliarden Mark geschluckt.
Je mehr sich der einstige Genosse der SPD wieder näherte, um so eher
* Am 12. Juli im Bonner Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung.
muß er mit seinem gegenwärtigen Arbeitgeber überkreuz geraten: mit dem voll auf Oppositionskurs segelnden Verleger Axel Springer, der ihm im vorigen Herbst als Leiter einer volkswirtschaftlichen Mini-Abteilung Büro, Sekretärin und Salär verschafft hatte.
Denn der Haus-Ökonom mag sich der Hausideologie des Springer-Konzerns so gar nicht anpassen. Während beispielsweise »Welt«-Chefredakteur Herbert Kremp die Bonner Haushaltsbeschlüsse vom vergangenen Sommer als »Schlag in den Brahmsee« beschimpfte, lobt Schiller die Bonner Etat-Politik in höchsten Tönen; und während der Professor die von Bonn geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung für »unausweichlich« erklärt, schreiben die Springer-Blätter im CDU-Fahrwasser allesamt dagegen an.
Daß ihm die SPD noch mal einen ordentlichen Job verschaffen könnte -- daran mag der Fast-Überläufer nicht glauben. Er beteuert: »Ich habe keine Ambitionen, dazu bin ich Realist genug.« Und: »Ich weiß, was das Jahr 1972 bedeutet.«
Vier Jahre sind bei Sozialdemokraten, für die Solidarität noch immer heilig ist, zu kurz, um die trüben Erinnerungen zu verdrängen. Das weiß auch Schiller. immerhin 26 Jahre Parteimitglied, und so weicht er der Frage nach einem Wiedereintritt in die SPD aus: »Dazu kann ich nichts sagen.«
Willy Brandt äußert sich da deutlicher. Der SPD-Vorsitzende geht davon aus, daß Karl Schiller irgendwann wieder in den Schoß der Partei zurückkehrt. »Darauf«, sagt Brandt, »läuft es wohl hinaus.«