Antrittsbesuch des Bundeskanzlers Scholz sichert Polen Unterstützung im Streit mit Belarus zu

Bundeskanzler Olaf Scholz und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: »Deutschland und Polen sind Nachbarn und Freunde«
Foto: RADEK PIETRUSZKA / EPABei seinem Antrittsbesuch in Polen hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Bedeutung einer guten Nachbarschaft betont. »Deutschland und Polen sind Nachbarn und Freunde«, sagte der SPD-Politiker am Sonntag nach einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.
Scholz hat der polnischen Regierung zudem Unterstützung im Streit über die Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Belarus zugesichert. Das Vorgehen des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko sei »menschenverachtend und wir haben eine gemeinsame Aufgabe, das zurückzuweisen«, sagte Scholz in Warschau. Deutschland wolle solidarisch mit Polen gegen diesen unangemessenen Weg einer »hybriden Kriegsführung« vorgehen.
Die EU wirft Lukaschenko vor, Flüchtlinge gezielt an die polnisch-belarussische Grenze geschleust zu haben. »Ich habe dem Herrn Kanzler die geänderte Taktik vorgestellt, die das Lukaschenko-Regime jetzt in dieser künstlich ausgelösten Migrationskrise anwendet, die Verwendung von Menschen als lebende Schutzschilde, als Waffe«, sagte Morawiecki bei der Pressekonferenz mit Scholz. Er sprach von mehr als hundert Versuchen der Grenzüberquerung. Morawiecki kündigte an, dass der EU-Gipfel kommende Woche über weitere Wirtschaftssanktionen gegen Belarus sprechen werde.
Keine offene Konfrontation
Beide sprachen auch über EU-Kritik mangelnder Rechtsstaatlichkeit in Polen, vermieden aber eine offene Konfrontation. Er hoffe sehr darauf, dass sich die EU-Kommission und die polnische Regierung einigten, sagte Scholz lediglich und erinnerte daran, wie grundlegend die gemeinsamen Werte und Rechtsstaatsprinzipien für die EU seien. Morawiecki erinnerte daran, wie stark der Handel Deutschlands mit osteuropäischen Staaten wie Polen in den letzten Jahren gewachsen seien.
Deutliche Meinungsunterschiede äußerten beide Politiker über die Weiterentwicklung der EU. Morawiecki kritisierte die Aussage im Koalitionsvertrag der Ampelparteien, dass die EU sich zu einem europäischen Bundesstaat entwickeln solle. Dies sei ein »bürokratischer Zentralismus«. Dies habe er Scholz gesagt. »Europa wird dann stark sein, wenn es ein Europa der souveränen Staaten ist, der Vaterländer.« »Gleichschaltung« sei keine gute Methode für das Funktionieren Europas, fügte er hinzu. »Wir wissen unsere Unabhängigkeit zu schätzen.«
Scholz sagte daraufhin, dass Deutschland sehr proeuropäisch sei. »Wir fühlen uns verantwortlich, dass Europa insgesamt gelingt.« Man müsse Spaltungen in Norden und Süden, Osten und Westen vermeiden. Man habe auch über die von der Bundesregierung geforderte Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU über außenpolitische Entscheidungen gesprochen.
Morawiecki plädiert dafür, »die Öffnung von Nord Stream 2 gar nicht zuzulassen«
Bekannte Differenzen zeigten sich auch in den Positionen zur deutsch-russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2, dessen Aus Morawiecki forderte. »Am besten wäre, die Öffnung von Nord Stream 2 gar nicht zuzulassen«, sagte er. Scholz sagte, man werde beim EU-Treffen auch die Lage an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland reden. »Wir machen sehr klar, dass es nicht sein kann, dass die Grenzen in Europa verletzt werden. Es sollte niemand denken, dass man sie verletzen könnte, ohne dass dies harte Konsequenzen hätte«, fügte er Richtung Moskau hinzu, ohne Details zu nennen.
Scholz hat des Weiteren die ablehnende Haltung Deutschlands zu Reparationen für die während des Zweiten Weltkriegs in Polen verursachten Schäden unterstrichen. »Wir haben Verträge geschlossen, die gültig sind und die Fragen für die Vergangenheit und die Entschädigungsleistungen geregelt haben«, sagte er. »Trotzdem fühlen wir uns weiter verpflichtet auch im Hinblick auf die moralischen Konsequenzen der vielen Zerstörungen, die Deutsche in Polen angerichtet haben und auch an vielen anderen Orten der Welt.« Er sei deshalb froh, dass in Berlin nun eine Gedenkstätte für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs entstehen soll.
Neu war, dass Scholz im Zusammenhang mit den polnischen Reparationsforderungen auf die deutschen Beiträge zum EU-Haushalt verwies, von denen auch Polen profitiert. »Ansonsten ist das eben ein Grund mehr, dass Deutschland bereit ist, gewillt ist und auch weiter bereit und gewillt sein wird, sehr, sehr hohe Beiträge zur Finanzierung des Haushaltes der Europäischen Union zu leisten«, sagte er. Für die Bundesregierung ist das Thema Reparationen gegenüber Polen rechtlich und politisch abgeschlossen. Sie beruft sich vor allem auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit von 1990.
Scholz hatte am Freitag bei seinem ersten Auslandsreisen als Kanzler erst Paris und Brüssel besucht. Außenministerin Annalena Baerbock war am Freitag nach Antrittsbesuchen in Paris und Brüssel ebenfalls nach Warschau gereist. Polen wird seit Längerem von der EU-Kommission und anderen Mitgliedstaaten vorgeworfen, es verletzte demokratische Rechte sowie Regeln der Gemeinschaft. Das polnische Verfassungsgericht hatte geurteilt, dass der EU-Vertrag der polnischen Verfassung untergeordnet sei. Die EU-Kommission will die Auszahlung von Teilen der 36 Milliarden Euro an Polen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds daran knüpfen, dass das Land zentrale Rechtsstaatsprinzipien erfüllt.