Apodiktisches Urteil
(Nr. 6/1972, Walter Boehlich über »Dokumentation zum Sozialistischen Patienten Kollektiv")
Endlich ist die regierungsamtliche, nur diskriminierende Darstellung des Sozialistischen Patienten Kollektivs (SPK) Heidelberg nicht mehr die einzige, die der Zeitungsleser vorgesetzt bekommt. Walter Boehlich versucht mit einer zwar verständnisvollen, aber wohl nicht immer richtig verstehenden Darstellung die kriminalisierenden Versionen zu hinterfragen. Leider bleibt auch hier der Leser auf die Interpretation angewiesen. Die Bände selbst, die »vom Materialwert her gesehen wichtiger (sind) als der größere Teil dessen, was die Aufmerksamkeit professioneller Kritik erregt oder die Bestsellerlisten ziert«, kann er im »regulären Buchhandel« nicht erwerben, meint jedenfalls Boehlich. Frage: Gibt es auch einen irregulären Buchhandel? Tatsache: Die Bücher sind erhältlich (regulär) a) bei ca. 60 sozialistischen Buchläden in Groß- und/oder Universitätsstädten der BRD, Österreichs, der Schweiz, der Niederlande und Westberlins, b) in ca. 20 bürgerlichen Buchhandlungen der BRD. Noch eins wußte Autor Boehlich nicht: Von den DM 12,- für die beiden Gießener Dokumentationen gehen DM 3,50 auf das Rechtshilfekonto (Volksbank Heidelberg 1964) des SPK. Im April sind voraussichtlich die ersten Prozesse.
Gießen PROLIT-KOLLEKTIV
Das Bild von Dr. Huber im Zusammenhang mit der Unterschrift »Suizidrisiko überschaubar« läßt darauf schließen, daß es sich um ein Zitat von Dr. Huber handelt. Richtig ist vielmehr, daß Professor Dr. Häfner. Leiter der Sozialpsychiatrischen Universitätsklinik Mannheim, eine Auflösung des SPK befürwortete und in diesem Zusammenhang auf einer Senatssitzung sagte: »Das Suizidrisiko werde zwar etwas größer, sei aber überschaubar.«
Heidelberg WOLFGANG KORSUBEK
IZRU/Schwarze Hilfe
Hätte Boehlich. anhand der vorliegenden Texte, den Entwicklungsprozeß des SPK gedanklich rekonstruiert, so hätte ihm auffallen müssen, daß darin selbst die dialektische Methode des Fortschreitens von der Einzelheit über die Besonderheit zur Allgemeinheit wirksam war. Also (schematisch): 1. Stufe der Einzelheit: Eine bestimmte Form der sozialen Organisation führt mit Notwendigkeit zu pathogenen Erlebnisreaktionen. 2, Stufe der Besonderheit
Urteil der Reflexion: Krankheit ist Voraussetzung und Resultat des kapitalistischen Produktionsprozesses. 3. Stufe der Allgemeinheit Urteil des Begriffs = höchste Form des Urteils = apodiktisches Urteil: Krankheit ist ein Widerspruch innerhalb des Lebens beziehungsweise sich selbst widersprechendes in sich gebrochenes Leben.
Dies hat sich nicht etwa jemand bloß ausgedacht -- und in dieser abstrakten Form ist es auch nirgendwo formuliert worden -, sondern was hier in drei dürren Sätzen steht, ist das nackte Resultat eines Prozesses, wie er an jedem einzelnen im SPK und durch das SPK als Ganzes real, sinnlich und konkret dargestellt worden ist. Dies nämlich, die richtige Anwendung der Dialektik, ist der Grund dafür, daß es keine Selbstmorde und Rezidive gegeben hat; und nicht etwa, weil -- wie Herr Boehlich in völliger Verkennung der Machtverhältnisse annimmt -- die Reaktion uns zu irgendeinem Zeitpunkt hätte »gewähren lassen«. Den ehemaligen SPK-Mitgliedern wäre besser gedient gewesen, wenn Boehlich -- entsprechend seinem marxistischen Selbstverständnis -- den Lesern des SPIEGEL das apodiktische Urteil und seine vielfältige Vermittlung durch Einzelheit und Besonderheit an Hand des ihm vorliegenden Materials erläutert und konkretisiert hätte. Es hätte sich dann auch sehr genau zeigen lassen, wie die Universität mit der Wissenschaft umspringt.
Mannheim WERNER SCHORK
(ehem. SPK)
Als Verteidiger fünf politisch verfolgter Mitglieder des ehemaligen Sozialistischen Patientenkollektivs an der Universität Heidelberg (SPK) müssen wir feststellen, daß Herr Boehlich Entschuldigungagründe für Unschuldige sucht. Unsere Mandanten haben nicht nur bis zum gesetzlichen Nachweis einer Schuld (= rechtskräftiges Urteil) als unschuldig zu gelten (Artikel 6 Absatz 2 der Menschenrechtskonvention), sie sind es auch. Die Hauptverhandlung wird zeigen, ob es kriminalistisch zu vertreten war, sich bei den Ermittlungen allein auf das »Geständnis« eines selbst schwer belasteten ehemaligen Patienten zu verlassen, dessen Aussage den Eindruck erweckt, er verdiene staatliche Fürsorge nicht unbedingt in Form der Aufmerksamkeit von Verfolgungsbehörden. Ein faires Verfahren wird jedoch durch Präjudizien (wie die Boehlichs) erschwert.
Frankfurt OTTMAR BERGMANN REINER DEMSKI Rechtsanwälte