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ANTARKTIS Appetit geweckt

Mit Millionen-Aufwendungen und einer deutschen Forschungsstation am Südpol soll sich die Bundesrepublik nach einem Plan von Minister Matthöfer die Ansprüche auf die Bodenschätze der Antarktis sichern.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Zum Abschied lenkte der scheidende Forschungsminister Hans Matthöfer die Aufmerksamkeit seines Kanzlers auf den Südpol. Die Antarktis, schrieb er in seinen letzten Amtstagen an Helmut Schmidt, berge unter ihrer 1700 Meter dicken Eisdecke »die wichtigste derzeit noch unerschlossene Rohstoff-Zukunftsreserve«

Zutritt zu diesem Gebiet, in dem sich vor allem die USA und die UdSSR etabliert haben, könne sich die Bundesregierung jedoch nur als ordentliches Mitglied des Antarktis-Klubs verschaffen.

Die Eintrittskarte für den exklusiven Zirkel: eine winterfeste Forschungsstation und ein »eisgehendes Schiff, das sowohl Transport- als auch Forschungsaufgaben erfüllen kann«.

Nun muß Matthöfer als neuer Finanzminister dafür sorgen, daß die Bundesregierung die Aufnahmegebühr von rund 90 Millionen Mark und die jährlichen Unterhaltungskosten für Station und Schiff von etwa 40 Millionen Mark auch aufbringen kann. Noch als Forschungsminister hatte er dem Kanzler mitgeteilt: »Falls meine Anregungen Zustimmung finden, müßte dies Konsequenzen für den Haushalt haben.«

An Zustimmung zu dem ehrgeizigen Projekt wird es nicht mangeln. Auch in der Opposition wächst die Erkenntnis, daß sich die Bundesrepublik aus der Antarktis mit ihrem noch weitgehend unerschlossenen Reservoir riesiger Mineralvorkommen langfristig mit Rohstoffen versorgen könnte. Gerade wegen ihrer »starken Abhängigkeit von Rohstoffeinfuhren«, drängt CDU-Chef Helmut Kohl, solle die Bundesregierung »alle erforderlichen Entscheidungen für einen Beitritt« zum internationalen Antarktis-Vertrag treffen.

Matthöfer führte »erhebliche Interessen« ins Feld: Nur wenn die Bundesrepublik mit einem eigenen Forschungsprogramm in die Kältewüste ziehe, könne die deutsche Industrie jene Technologien entwickeln, die in den kommenden Jahrzehnten für die Gewinnung und Verarbeitung der polaren Bodenschätze gebraucht werden. Denn noch gibt es kein Gerät, um die dicken Eisschichten zu durchdringen und an die Bodenschätze zu gelangen. Erst Ende der achtziger Jahre, so schätzen Experten, wären die Voraussetzungen für die Förderung von Erdgas und Öl gegeben. Der Abbau von Mineralien gar wird erst um die Jahrhundertwende möglich sein.

Sollte Matthöfers Initiative erfolgreich sein, könnte dies das Ende einer langjährigen Antarktis-Abstinenz der Deutschen bedeuten. Seit den fünfziger Jahren hatten sich nur wenige Wissenschaftler aus der Bundesrepublik in diesem »Forschungsparadies« (Südpol-Spezialist Heinz Kohnen) getummelt. Als »Trittbrettfahrer anderer Nationen«, so Kohnen, beteiligten sie sich an Expeditionen der Japaner, Australier und Amerikaner, die 1959 den Antarktis-Vertrag mit abgeschlossen hatten.

Seither ist der sechste Kontinent offen für alle wissenschaftlichen Unternehmungen, tabu hingegen für militärische Aktionen, für Atomwaffenversuche und die Lagerung radioaktiven Mülls.

Nachdem sich der Antarktis-Klub bei seiner letzten Zusammenkunft in London aber erstmals mit der Frage befaßt hatte, wie die Rohstofflager und Fischgründe dieser Region ausgebeutet werden sollen, möchte auch Bonn mit von der Partie sein. Denn die Forscher lieferten inzwischen Erkenntnisse, die bei den rohstoffarmen Deutschen wirtschaftliche Interessen weckten.

Die Wissenschaftler fanden heraus, daß die Antarktis in Urzeiten den zentralen Teil des früheren Godwana-Kontinents bildete, an den Südamerika, Südafrika, Madagaskar, Indien und Australien direkt angrenzten. Theoretisch mußten also im südpolaren Dufek-Massiv in den Pensacola-Mountains ebensoviel Bodenschätze an Platin, Nickel. Kupfer und Chrom lagern wie in den ergiebigsten Rohstoff-Feldern Südafrikas, Kanadas und Amerikas.

Der Festland-Sockel des Ross-Meeres wiederum entspreche dem Gippsland-Basin in Australien, wo es immense Reserven an Öl- und Erdgas gibt.

Obwohl die systematische Suche nach Rohstoffen noch in den Anfängen steckt, wurden einige Forscher schon fündig:

Das US-Tiefsee-Bohrschiff »Glomar Challenger« stach 1978 im Ross-Meer eine Erdgasblase an. Amerikanische Geologen schätzen die antarktischen Vorräte insgesamt auf 45 Milliarden Barrel 01 (soviel wie die Reserven Libyens und Nigerias) und 410 Milliarden Kubikmeter Gas (Norwegen: 520 Milliarden). < Kohleflöze wurden in verschiedenen Teilen der Ost-Antarktis entdeckt. An der Lassiter-Coast der antarktischen Halbinsel fand man Spuren von Kupfer, in den Pensacola-Mountains Eisenerze.

Zudem vermuten Beamte des Forschungsministeriums in einem Begleitschreiben zum Kanzlerbrief, daß USA und UdSSR mit ihren Erkenntnissen über die Bodenschätze bewußt zurückhalten:,. Der Appetit anderer Staaten soll nicht zu sehr geweckt werden, bevor die 13 Konsultativ-Staaten des Antarktis-Vertrages sich auf ein Nutzungsregime geeinigt haben.«

Schon im vergangenen Jahr gaben die Deutschen mit der Entsendung zweier Forschungsschiffe in die südpolaren Eismeere ihren antarktischen Einstand. Die Schiffe sollen dort nach Krill (fingerlange Krustentiere), dem eiweißreichen Wal-Futter, suchen, das die Russen, Polen, Japaner und Chilenen bereits mit schwimmenden Fabriken tonnenweise verarbeiten.

Und in diesem Januar bewarb sich die Bundesregierung um die einfache Mitgliedschaft im Klub. Doch erst wenn sie, wie die Polen, die im vergangenen Jahr als erster Nichtsignatar-Staat dem Vertrag beitreten durften, eine Forschungsstation errichtet, hat sie die Chance, als vollwertiges Konsultativ-Mitglied akzeptiert zu werden.

Bonn muß sich beeilen. Denn in London machten die Antarktis-Staaten deutlich, daß sie wichtige Entscheidungen aushandeln wollen. Bis Ende dieses Jahres soll ein Fischerei-Abkommen und in den nächsten zwei Jahren ein Abkommen über die Nutzung antarktischer Rohstoffe erarbeitet werden.

Der Vorschlag, interessierte Drittstaaten zu beteiligen, wurde abgelehnt.

In Moskau 1971.

* Rainer Barzel:« Auf dem Drahtseil«. Droemer Knaur Verlag, München; 247 Seiten; 24 Mark.

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