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JUNGSOZIALISTEN Arbeiter mißbrauchen

Weil die Jungsozialisten den DGB zu härteren Forderungen animieren, ist zwischen Gewerkschaftern und dem SPD-Parteinachwuchs der offene Konflikt ausgebrochen.
aus DER SPIEGEL 34/1973

Karsten Voigt, Ex-Juso-Chef und Vormann der Linksfront in der Frankfurter SPD, engte den Täterkreis ein: »Wer will uns die soziale Basis unterm Hintern wegziehen -- die SPD oder der DGB?« Loke Mernizka, übergewichtiger Vorzeige-Arbeiter im Vorstand der Jungsozialisten, hat den Gegner bereits entlarvt: »Da steckt der Vogel dahinter. Was er über die Partei nicht geschafft hat, versucht er jetzt über die Gewerkschaft.«

Was wirklich dahintersteckt, sind weniger Personen als vielmehr der seit Jahren latente ideologische Flügelkampf unter Sozialdemokraten um den rechten Kurs. Und dieser Konflikt, der in der Münchner SPD schon länger offen ausgetragen wird, hat nun auch auf die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Jusos übergegriffen.

So legte Bayerns IG-Metall-Chef Erwin Essl sein Vorstandsamt im Münchner SPD-Unterbezirk nieder, als sein Versuch gescheitert war, Juso-Stadtrat Siegmar Geiselberger der Konspiration mit Kommunisten zu überführen.

Bundesweites Aufsehen erregte der DGB-Zwist, als der bayrische DGB-Landesvorsitzende und Vogel-Gefolgsmann Wilhelm Rothe am vorletzten Freitag in der Zeitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes »Welt der Arbeit« den Jusos im allgemeinen und ihrem neuen Vordenker Johano Strasser vorwarf, »anstelle einer Politik realer Reformen Gesellschaft und Staat grundlegend ... verändern« zu wollen, Volksfrontauffassungen zu pflegen und »bewußt gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu verstoßen«.

Rothe in der vergangenen Woche zum SPIEGEL: »Ich bin der Meinung, daß für Strasser in der SPD des Godesberger Programms kein Platz ist.«

Die Rothe-Schelte hatte sich Strasser sieben Wochen vorher verdient. Am 23. Juni hatte der Berliner Professor auf einer Landeskonferenz der Jungsozialisten in Erlangen die bekannte Juso-Strategie erläutert, während der voraussichtlich heftigen Lohnkämpfe dieses Herbstes bei den Werktätigen für eine Wirtschaftslenkung nach Juso-Art zu agitieren. Strasser: »Ich glaube, daß wir in dieser Situation im Herbst die konkrete Möglichkeit haben, wegzukommen von der abstrakten Strategiedebatte und mal zu erproben, ob es möglich ist, eine Verbindung herzustellen zwischen den weiterreichenden Zielen, die wir haben: Vergesellschaftung des Finanzsektors, Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie und darüber hinaus Vergesellschaftung der Produktionsmittel.«

Angespornt von der Aussicht, nach langen Jahren des Theoretisierens endlich an »konkrete Klassenkämpfe anzuknüpfen« (Strasser), empfahl das Vorstandsmitglied den Erlanger Junggenossen, der Konfliktstrategie widersprechende bessere ökonomische Einsichten gefälligst zu unterdrücken: Obgleich auch er wisse, daß über Lohnerhöhungen keine gerechtere Einkommensverteilung zu erkämpfen sei, sollten sich die Jusos als Verbündete anbieten, »wenn in der Arbeiterschaft Lohnforderungen bis zu 20 Prozent gestellt werden« --

Vogel-Freund Rothe erkannte die Chance -- und verbat sich die Einmischung: »Der DGB wird sich nicht darum herumdrücken können, zu sagen, was er von Leuten hält, die auf diese Weise die Arbeitnehmerschaft mißbrauchen.«

Mit seiner schroffen Reaktion hoffte er, die Gewerkschafter -- oft zugleich Mitglieder der SPD -- gegen die Klassenkämpfer aus dem Parteinachwuchs zu mobilisieren. In der vorigen Woche schickte der Münchner DGB-Resident ein Bandprotokoll des Strasser-Solos zusammen mit ausgewählten Texten südbayrischer Jungsozialisten in die Düsseldorfer DGB-Zentrale.

Papierlieferant Rothe, der dem bayrischen Zank auf der nächsten Sitzung des DGB-Vorstandes erneut republikweite Aufmerksamkeit verschaffen möchte, kategorisch: »Heinz Oskar Vetter muß wissen, was hier los ist.«

Angestrichen hat Rothe seinem Dienstherrn diverse Aufsätze in der »Bezirksinformation« der südbayrischen Jusos, in denen das Gewerkschafts-Establishment respektlos gerügt wird: Die »systemerhaltende Politik der Gewerkschaftsmehrheit« habe »die Entpolitisierung der Arbeiterschaft« bewirkt. Oder: »Die Mehrheit der Gewerkschaftsfunktionäre« verstehe sich »als Ordnungsfaktor der bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse«.

Unverhohlen -- so wies Rothe nach -fordern die Jusos mehr Macht für die Basis und für gewählte Vertrauensleute von Arbeitsgruppen, die den Alleinvertretungsanspruch von Betriebsräten, die von den Gewerkschaftszentralen gesteuert werden, einzuschränken hätten.

Neben den von den Gewerkschaftskommissionen ausgehandelten Tarifverträgen sollten nach den Juso-Empfehlungen künftig betriebliche Kommissionen -- notfalls mit organisierten, auf einzelne Firmen beschränkten Streiks und notfalls auch gegen Gewerkschaftsbeschlüsse -- auf den Einzelbetrieb zugeschnittene Lohnverhandlungen führen.

Auch das Betriebsverfassungsgesetz, so wies Rothes Sammlung nach, reicht den Jungsozialisten nicht aus. Sie schlagen vor, gewählten Gruppensprechern zusätzliche Mitbestimmungsrechte zu übertragen -- etwa bei der Einführung neuer Produktionsverfahren.

Dies alles paßt Rothe nicht: »Mir gefällt das Betriebsverfassungsgesetz auch nicht. Doch das kann man nur mit demokratischen Mitteln lösen. Die Juso-Forderungen verstoßen gegen die rechtsstaatliche Ordnung.«

In seiner Klageschrift hatte Rothe freilich verschwiegen, daß viele dieser Forderungen nicht von den Jusos, sondern von Gewerkschaftern stammen.

So rechnet denn auch Rothes Kollege Armin Clauss, hessischer DGB-Chef, nicht mit einem Streit im DGB-Bundesvorstand über die Betriebsstrategie der Jusos, Clauss: »Das ist eine Geschichte, die uns seit zehn Jahren an den Schuh sohlen abläuft. Diesem Aspekt müssen sich die Gewerkschaften zuwenden, wenn sie sich nicht noch weiter von der Basis entfernen wollen.«

Und auch in Bonn haben die Jusos Fürsprache zu erwarten. SPD-Vorstandsmitglied Hans Matthöfer, der bereits 1971 spontane Streiks als Waffe im Arbeitskampf sanktionierte, steht »der Demokratisierungsstrategie der Jusos mit großer Sympathie gegenüber«. Zwar rechnet er nicht mit einem heißen Herbst, aber: »Falls es zu spontanen Arbeitsniederlegungen kommt, müssen die Jusos die Malaise aufzeigen und versuchen, die Gewerkschaftspolitik zu ändern.«

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