PROFESSOREN / WISCHMANN Arme Schweine
Wer in Mainz, am Hochschulinstitut des Alt-Athleten Berno Wischmann, 60, Sport studieren will, muß wissen, »warum nur die dritte Strophe des Deutschlandliedes gespielt« wird, wie »die Länder der sowjetisch-besetzten Zone« heißen und »von wem der »Götz von Berlichingen« stammt«.
Aufnahme am Mainzer Institut für Leibeserziehung finden nicht nur Abiturienten, sondern -- im Gegensatz zu den Eingangsvoraussetzungen der Universitäten -- auch Inhaber der Mittleren Reife. Und manchmal ist selbst dieser Schulabschluß für die Sportstudenten nicht Bedingung. Dafür sorgt Professor Wischmann ("Ich mache meine Saltos noch und bin auch sonst voll da"), der lieber Spitzensportler als Abiturienten mit sportlichen Durchschnittsleistungen unterrichten möchte.
Rund 500 Bewerber melden sich pro Jahr am Mainzer Institut; 400 davon werden aus Mangel an Studienplätzen abgewiesen -- ausgenommen Deutsche Meister, Europarekordler und Olympiakämpfer.
Nach den Mainzer Auswahlprinzipien besteht die Gefahr, daß gerade jene Studienbewerber auf den letzten Plätzen landen, die vielleicht als künftige Sportlehrer den Schulsport reformieren könnten, weil sie den Unterricht von vornherein mehr als körperliche Trainingsübung denn als Olympioniken-Zucht ansehen. Studenten-Sprecher Lothar Pollähne urteilt über die Instituts-Gepflogenheiten: »Die Chancengleichheit für Studienbewerber wird bei uns in Mainz eklatant verletzt.«
So hatte sich der Kieler Hammerwerfer und Siegfried-Darsteller ("Die Nibelungen") Uwe Beyer, 25, im Sommer in Mainz um Aufnahme beworben, obwohl ihm dazu die schulische Voraussetzung, die Mittlere Reife, fehlte. Die Abteilungsleiter-Konferenz des Hochschulinstituts wies den Kandidaten ab, und auch das Mainzer Kultusministerium weigerte sich, »im Falle Uwe Beyer eine Ausnahme« zu machen.
Berno Wischmann aber mochte den leistungsstarken Hammerwerfer (Bestweite: 72,46 Meter) nicht entbehren, denn -- so ließ er die Studenten wissen -- »unsere Jugend, unsere Gesellschaft braucht solche Athleten«. Das Kultusministerium gab schließlich Wischmanns Drängen nach.
Mit Wischmanns Hilfe entwarfen die Kultus-Juristen einen Ausnahme-Paragraphen, der »die für die Zulassung notwendige Mittlere Reife ersetzen sollte« (so der zuständige Referent Josef Jurina).
Aber trotz Ausnahme-Regelung bereitete Leichtathlet Beyer seinem Bildungshelfer Wischmann eine herbe Enttäuschung: An Reck und Barren machte der schwergewichtige Modell-Athlet eine so schwache Figur, daß er die erforderliche Punktzahl verfehlte. »Uwe Beyer«, so entschied die Dozentenkonferenz, »hat die Aufnahmeprüfung nicht bestanden und kann daher nicht ins Vorsemester aufgenommen werden.«
Doch Institutsdirektor Wischmann ("Ich habe immer den Weg zueinander und miteinander gesucht") wußte auch jetzt noch Abhilfe. Mit dem handschriftlichen Vermerk »Kraft und Gewandtheit sind ausreichend vorhanden. Angenommen« korrigierte er kurzerhand das Prüfungsprotokoll und provozierte damit bei Dozenten und Studenten einen Eklat.
Professor Hans Rüdiger Vogel, 35, Sportphysiologe an Wischmanns Institut, verließ die Zulassungskommission, weil ihm im Fall Beyer »erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung gekommen sind«. Vogel: »Was Herr Wischmann gemacht hat, ist zumindest eine grobe Fahrlässigkeit -- im Sinne des
* Als Siegfried-Darsteller in »Die Nibelungen«.
Landesbeamtengesetzes ist das ein Dienstvergehen.«
»Für die Pannen, die bei der Zulassung einiger Bewerber entstanden sind«, gab Wischmann in einem Flugblatt zu, »fühle ich mich voll verantwortlich.«
Die Fehler des Mainzer Sport-Professors, von denen vor Uwe Beyer auch so prominente Leichtathleten wie Goldmedaillen-Gewinnerin Ingrid Mickler-Becker und die Zehnkämpfer Manfred Bock und Horst Beyer profitiert hatten, wollen die Studenten jetzt nicht mehr länger tatenlos hinnehmen. »Die sportlichen Normalverbraucher«, wehrt sich der studentische Basisgruppen-Leiter Hans Harnos, »werden bei dem ja zu Studenten zweiter Klasse.« Und Wischmann-Kollege Vogel möchte wissen, »seit wann denn ein Hammerwurf die Mittlere Reife ersetzt?«
In solchen Fragen aber offenbart sich für Wischmann nur die »reaktionäre Einstellung dieser Leute zum Leistungssport«. »Die Gesellschaft«, sagt der Professor, »hat eine Verpflichtung, solchen Athleten zu helfen -- denn wer soll die armen Schweine denn ausbilden, wenn nicht Ich?«