Armes, reiches Deutschland
(Nr. 35/1972, Olympia-Berichterstattung) »Man wird, wenn man einer Olympiade beiwohnt, gleichsam in eine paläoanthropologische Welt zurückversetzt, wo von ungewöhnlichen Menschen Leistungen vorgeführt werden, die als längst verjährt anmuten« (Rudolf Bilz).
Freiburg JOHANN GIERSCHIK
Meinen Glückwunsch zu den ausgezeichneten Berichten über die Olympiade 72 in München und ihren Cheforganisator Willi Daume. Endlich hat sich einmal jemand gefunden, der die Dinge dieses verlogenen »Superspiels« beim Namen nennt.
Winterberg (Nrdrh.-Westf.) RAINER DEIMEL
Sie irren, wie alle anderen auch! Wir Deutsche sind nicht die Ausrichter bzw. Schirmherren von drei Olympischen Spielen (Garmisch, Berlin, München), sondern, was für ein Schreck, von vier Olympischen Spielen.
Im Jahre 1943 wurden im jüdischen Ghetto in dem damals von uns besetzten litauischen Wilna Olympische Spiele veranstaltet, ich denke, kaum vergleichbar mit anderen. Ich zitiere aus Gerald Reitlinger: »Die Endlösung« (Seite 325) wörtlich: »In diesem eingeschlossenen Ghetto, aus dem 30 000 Juden im Jahre 1941 in den Tod gegangen waren, bestand eine blühende Erzeugung von kosmetischen Artikeln, Mineralwasser und Vitamin-B-Tabletten. Es hatte das Monopol im Schornsteinfegen in Wilna, womit Vermögen verdient wurden; ein Theater, ein Fußballplatz standen zur Verfügung, und im Jahre 1943 wurden 'Olympische Spiele' veranstaltet.« Noch 1943 wurden alle, nicht nur die Teilnehmer dieser makabren »Spiele«, aus diesem Ghetto in den Todesgruben von Paneriai u. a. vom deutschen SD umgebracht.
München ERWIN F. KURZ
Bin zutiefst beunruhigt. Nach meiner bisherigen Lebenserfahrung pflegen drei Jahre nach Olympischen Spielen in Deutschland Weltkriege auszubrechen. Essen KLAUS MÜLLER
Das Massenaufgebot Uniformierter in München dient weniger der Bekämpfung krimineller Straftaten als einer groß angelegten Notstandsübung. Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Polizei aller Art üben, wie man organisatorisch am besten zusammenarbeitet, um »Ordnung« zu halten, wie man juristische Schwierigkeiten der gemeinsamen Tätigkeit von Polizei aus verschiedenen Ländern und Kommunen durch gemeinsame »Oberkommandos« spielend löst. 24 000 Soldaten pflegen olympischen Friedensdienst.
Bundesgrenzschutz geht Streife, um sich an seine neue Funktion als Hüter der inneren Sicherheit zu gewöhnen. Polizeipräsident Schreiber droht auf muckenden Ausländern mit Ausweisung, Innenminister Merk will »alle technischen Hilfsmittel auf bieten, um den olympischen Frieden zu sichern«, und »Bild« droht Fahnendieben mit fünf Jahren Gefängnis. München
MANFRED GANGKOFER
Es hat den Anschein angesichts der Mammutbauten, daß man beweisen möchte, daß Deutschland wieder »über alles« in der Welt ist.
Bad Zwischenahn KARL ERDMANN
Da werden in München Millionen ausgegeben, um der ganzen Welt zu zeigen. was die Deutschen alles haben, was für großartige Dinge sie vollbringen können. Leider sind die Olympischen Spiele zu einer Supershow ausgeartet. Doch müssen auch wir diesen »Zirkus« mitmachen, wo »ganz nebenbei« unsere Kinder in den Schulen buchstäblich verdummen, da der Staat die Lehrer nicht bezahlen kann. Hier Millionen für ein paar Wochen Gaudi und Imagepflege. dort Einstellungsstopp für Lehrer aus Geldmangel! Man könnte es fast als Schizophrenie bezeichnen. Armes Deutschland!!! Stadt Allendorf (Hessen)
URSULA GUTSCHMIDT
Einfach toll, wieviel Platz Sie in ihrer letzten Ausgabe für Berichte über die Olympischen Spiele übrig hatten. Olympia verdrängt eben alles -- angefangen bei den »tausend eigenen Niederlagen« (laut Horst-Eberhard Richter).
Diese Einrichtung, die man nach dem Rhodesien-Streit nur noch als ein höchst politisches Affentheater bezeichnen kann, ist ein genaues Abbild unserer Gesellschaft. Hier wie dort steht Leistung an der Spitze der Wert-Skala. Nur der Schnellste, Tüchtigste, Klügste, ... ste gilt etwas.
Renn, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen, heißt es, Leute mit Spazierstock können wir nicht gebrauchen. Bei der Kindeserziehung schon beginnt es und endet -- nein, nicht beim Erfolg und der Goldmedaille, sondern beim Muskelriß des Sportlers und beim Herzinfarkt des Topmanagers. Am Schluß ist dann alles froh (oder auch nicht), wenn man (es) geschafft hat bzw. ist.
Gott sei Dank, daß wenigstens einige Leute daran verdienen, damit es nicht ganz umsonst war. Es erübrigt sich, die Mengen von Olympia-Artikeln aufzuzählen, die es gibt. Fehlen nur noch Olympia-Mülleimer (für hinterher).
Menden (Nrdrh.-Westf.) SUSANNE PRIES
In Ihren verschiedenen Olympia-Artikeln schwelgen Sie geradezu in negativen Perspektiven und Beurteilungen der bevorstehenden Olympischen Spiele 1972. Sie haben in vielen Dingen absolut recht -- leider,
Aber gibt es denn wirklich keine positiven Seiten dieser Veranstaltung, die es lohnten auch herausgestellt zu werden? Sollten wir Deutschen nicht doch ein bißchen Stolz und Begeisterung zeigen. daß wir die Spiele in München vorbereiten und durchführen dürfen?
Sind wir denn so arm geworden, daß wir der »Jugend der Welt« in ihrer sportlichen Begeisterung für Olympia nicht mit positiven Ausführungen zu Hilfe kommen können? Ich bin sicher. sie würde es dankbar verzeichnen. Es ist mehr als bedauerlich, daß ein Großteil dieser jungen Menschen nicht nur sportlich für Olympia getrimmt wird, sondern daß dies in gleichem Maße politisch geschieht und das Olympia-Stadion zur politischen Arena wird.
Dieses Mal wurde Rhodesien ausgeschlossen; vielleicht schon bei den nächsten Spielen eine Großmacht. (USA wegen Vietnam oder bis dahin evtl. etwas anderes.) So werden die Olympischen Spiele bald der Vergangenheit angehören.
Bad Kreuznach (Rhld.-Pf.) KARL PRIESS