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SPANIEN-EKLAT Aschermittwoch

aus DER SPIEGEL 11/1960

Nur zwei Puzzle-Fragen waren letzte Woche attraktiv genug, um die Diskussion im faschingsmüden Bonn zu beleben:

- Wer ist an dem weltweiten Eklat

schuld, der durch des stiernackigen Franz-Josef Straußens Sprung in die spanische Arena entstand?

- Wer ist für das Dementier-Strip -Tease verantwortlich, bei dem amtliche Sprecher der Bundesregierung nur widerstrebend die Schleier vor der spanischen Wahrheit wegzogen - obwohl die nackte Wahrheit in deutlichen Umrissen im Spiegel der Weltpresse längst sichtbar war?

Beide Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man die Motive der Straußschen Spanien-Affäre kennt: Der Minister ließ sich verleiten, die politische Instanz des Bündnisses, den ständigen Nato-Rat, in dem die Botschafter aller Mächte sitzen, zu überspielen; er wollte mit militärischen Argumenten und stillschweigender Billigung der Amerikaner die Aversion der meisten Nato-Länder gegen Franco-Spanien niederwalzen.

Die Möglichkeit zu solcher Extratour bot sich dem Verteidigungsminister, weil die Nato-Staaten ihre »Logistik« nicht integriert haben, sondern in eigener, nationaler Verantwortung aufbauen müssen.

»Es handelt sich dabei«, so definiert Strauß den Begriff Logistik, »um materielle Versorgung und die Materialhaltung, um das militärische Transport - und Verkehrswesen, um das Sanitätswesen, um die Fernmeldeverbindungen und um bodenständige militärische Einrichtungen, besonders um Flugplätze. Übungsplätze, Pipelines, Depots und so weiter.«

Das amerikanisch geführte Nato -Kommando - soviel ist aus einer Geheimanweisung bisher bekanntgeworden - hat befohlen, daß die Bundeswehr in nationaler Verantwortung Munitions-, Treibstoff-, Lebensmittel - und Arzneivorräte anlegt, die für 90 Tage reichen, und zwar Vorräte für 30 Tage rechts des Rheins und für 60 Tage links rheinisch. Pro Tag werden im Ernstfall 30 000 Tonnen Nachschub benötigt, so daß insgesamt 2,7 Millionen Tonnen einzulagern wären.

Bisher sind aber im Bundesgebiet nur 0,5 Millionen Tonnen auf Depot genommen, im Ausland 0,1 Millionen Tonnen. Seit Jahren hatte Franz-Josef Strauß die Nato immer wieder mit durchaus stichhaltigen, rein militärischen Begründungen beschworen, er könne den von der Nato an die Bundeswehr gestellten Forderungen nur nachkommen, wenn auch die Logistik übernational organisiert sei.

Die europäischen Nato-Partner jedoch halten anders als Strauß nicht nur das Militärische im Auge. Viele - vor allem Charles de Gaulles Frankreich wollten ihren Nachschub lieber in eigener Regie haben.

Auch psychologische Hemmnisse gegen weiträumige Strauß-Pläne wurden sichtbar: Die skandinavischen Nato -Partner beispielsweise sehen auf ihrem Boden nur höchst ungern deutsche Militäranlagen, weil sie diesen Anblick unter Hitler bis zum Überdruß genossen haben.

US-General Norstads Nato-Kommando verfügt denn auch - obgleich der Nachschub national geregelt wird - über eine sogenannte Infrastrukturstelle, die sich unter anderem als brauchbarer Schirm bewährt hat, hinter dem vor der öffentlichen Meinung nicht besonders deutschfreundlicher Länder verschämt verborgen werden kann, daß es sich bei den anzulegenden Depots in diesen Staaten in Wahrheit um Vorratslager der deutschen Bundeswehr handelt.

Die norwegische und die dänische Regierung beispielsweise verhandeln zur Zeit über Depots der deutschen Bundesmarine in ihren Ländern nicht mit der Bonner Regierung, sondern - und auch das nur nach langem Zögern - mit der Nato-Infrastrukturstelle.

Schon frühzeitig tauchte in mündlichen Erklärungen und schriftlichen Expertisen, die in der Bonner Ermekeilkaserne für die Nato angefertigt wurden, der Vorschlag auf, Franco-Spanien in die Nato-Nachschuborganisation einzubeziehen. Auch die Bundeswehr an solchen Basen teilhaben zu lassen, war nicht zuletzt deshalb militärisch sinnvoll, weil Franz-Josef Strauß die französischen Mittelgebirge erklärtermaßen für eine ideale Abwehrlinie gegen einen Sowjetangriff hält.

Straußens Thesen fanden vornehmlich bei den amerikanischen Nato-Militärs Anklang - Amerika unterhält in Spanien schon große Basen -, und vor über einem Jahr machten sich die zuständigen Nato-Stellen daran, bei den Spaniern vorzufühlen.

Die skandinavische Animosität gegenüber ehemaligen und praktizierenden Faschisten war es, an der alle solche Pläne für übernationale Nachschubbasen in Spanien scheiterten.

Angesichts solcher politischer und psychologischer Hindernisse hatte Franz -Josef Strauß nun die Auswahl zwischen zwei Möglichkeiten:

- seine Aufrüstungspläne den politischen Realitäten unterzuordnen und die Nato zu bitten, ihre Anforderungen herunterzuschrauben, damit sie mit den zugebilligten Möglichkeiten in Einklang kommen, oder

- die Aufrüstung zu forcieren, den Widerstand europäischer Nato-Partner zu unterlaufen und einen Skandal zu riskieren.

Der Mann aus Bayern entschied sich dafür, seine militärischen Ambitionen über politische und psychologische Überlegungen der europäischen Verbündeten zu stellen. Er beschloß, ohne die Nato in Spanien zu sondieren.

Der Minister war schlau genug, sich dabei einiger Rückendeckung zu versichern, und zwar sowohl bei einigen wohlgesinnten Amerikanern als auch beim Bundesverteidigungsrat*.

Der inzwischen verstorbene stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Quarles wurde genauso unterrichtet wie sein Nachfolger Gates und der Nato-Oberbefehlshaber Norstad. Die Amerikaner gaben zwar zu bedenken, daß es bei den hintergangenen europäischen Nato-Partnern einen Skandal geben könnte, wenn die Sache aufkäme, aber Franz-Josef Strauß meint heute, »Inhalt und Verlauf der Gespräche ließen nicht darauf schließen, daß selbst eine technische Klärung unerwünscht wäre«.

Es traf sich gut, daß in Madrid ein deutscher Militärattaché amtiert, der in ganz besonderem Maße das Vertrauen seines Ministers genießt: der Oberstleutnant Achim Oster.

Oster, Sohn des hingerichteten 20. -Juli-Verschwörers General Oster, war nach dem Kriege im Sekretariat des Münchner Rechtsanwalts Josef ("Ochsensepp") Müller untergekommen, wo er Franz (damals noch ohne »Josef") Strauß kennenlernte, der erste Meriten im Dienst der CSU erwarb.

Als Theodor Blank daranging, die Bundeswehr aufzubauen, wirkte Achim Oster im neuen Verteidigungsministerium als Chef der Abwehrstelle. Franz -Josef Strauß, seit 1953 Sonderminister in Bonn, seit 1955 Atomminister, zeigte sich über alle Vorgänge im Hause Blank, auf das er längst ein Auge geworfen hatte, wohlorientiert. Oster half dem alten Spezi aus Münchner Zeiten im Rahmen seiner Möglichkeiten und hielt ihn auf dem laufenden.

Mit seinen - spanischen Depotplänen meinte Strauß - nach Berichten des Militärattachés Oster - auf Gegenliebe in Madrid hoffen zu dürfen. Nachrichten aus Madrid machten deutlich, wie sehr den Spaniern daran gelegen ist, über kurz oder lang in die Nato aufgenommen zu werden.

General Franco hat freilich nie ausdrücklich darum gebeten, sondern einfach darauf gebaut, daß die Nato ihn spätestens im Jahre 1962 aus zwingenden militärischen Gründen um seinen Eintritt werde bitten müssen.

Dieses spanische Wunschdenken ist um so eher verständlich, als die Nato -Mächte Amerika und Portugal zweiseitige Militärabkommen mit Spanien geschlossen haben, neuerdings auch General Charles de Gaulle grundsätzlich für Spaniens Nato-Mitgliedschaft ist und die Bundesregierung schließlich ausdrücklich versicherte, wie gern sie mit Franco zusammen am Nato-Tisch säße. Eine De-Facto-Einbeziehung Spaniens in die Nato-Nachschuborganisation mochte von den Spaniern als ein weiteres Indiz für ihre strategische Beliebheit gewertet werden.

Um den Plan noch schmackhafter zu machen, strebte Franz-Josef Strauß an, seine Militärbedürfnisse mit spanischen Wirtschaftsinteressen zu verquicken. Er dachte nicht nur an die Nutzungsgebühren für die Depots, sondern auch an die Erweiterung schon laufender Lieferverträge für spanische Waffen und spanische Munition, wodurch der ungünstigen Bilanz Spaniens im Handel mit der Bundesrepublik abgeholfen werden könnte. Der Bundesverteidigungsrat unter Konrad Adenauer stimmte diesen Plänen zu - nicht zuletzt wegen des von Strauß versicherten Einverständnisses mit den Amerikanern - und der Minister versprach, einen Wunschzettel für die Spanier auszuarbeiten.

Anfang November hatte Präsident Eisenhower angekündigt, daß er auf seiner Europa-Tournee auch Franco besuchen wolle. Damit wurde der Caudillo, wie Bonn meinte, endgültig salonfähig gemacht. Heinrich von Brentano - als Mitglied des Bundesverteidigungsrats von allem unterrichtet - wähnte, jetzt sei ein günstiger Zeitpunkt, den Spaniern näherzutreten. Er mahnte im Verteidigungsministerium Straußens Spanienpläne an und unternahm Schritte, den Caudillo von Anfang an günstig zu stimmen.

Am 9. November stellte der Pressechef des Auswärtigen Amtes, Legationsrat von Hase, in aller Form fest, die Bundesregierung würde Spanien gern in die Nato aufgenommen sehen. Allerdings stehe es der Bundesrepublik als jüngstem Nato-Mitglied nicht zu, die Aufnahme Spaniens in die Nato zu beantragen. Einen Tag später reiste der spanische Außenminister Castiella zu Verhandlungen in Bonn an.

Zunächst erklärte Fernando Maria Castiella Maiz voller Stolz und Würde im deutschen Fernsehen, sein Land sei auf die Nato-Mitgliedschaft nicht angewiesen. »Sollte eine Beteiligung Spaniens an der Nato als zweckmäßig angesehen werden, wird diese Zweckmäßigkeit europäischer Natur sein. Wir sind nicht dazu berufen, darüber zu urteilen.«

Dann kam es zu intensiven vertraulichen Verhandlungen Castiellas mit Brentano und Wirtschaftsminister Erhard über die Frage, wie Deutschland den Spaniern wirtschaftliche Hilfe leisten und was man in der Depotsache erreichen könne.

Zu Ehren des spanischen Gastes veranstaltete Heinrich von Brentano im Petersberg-Hotel einen Gala-Empfang, bei dem sich auch Franz-Josef Strauß Gelegenheit zu Verhandlungen bot. Er zog sich für zwei Stunden mit Castiella zurück. Heinrich von Brentano wurde nicht hinzugezogen.

Am gleichen Tage berichtete der Bonner Korrespondent Dr. Eberhard Bitzer an versteckter Stelle in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung": »Da Spanien noch nicht Mitglied der Nato ist - die Bundesregierung steht dem spanischen Wunsch nach einer Aufnahme in die Nato wohlwollend gegenüber -, dürfte möglicherweise auch die Frage einer bilateralen deutsch-spanischen Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet zur Sprache gekommen sein. Grundlage dafür sind die Vorschläge, die der Bundesverteidigungsminister vor kurzem ausgearbeitet hat.«

Glücklicherweise stand den Ministern Castiella, Brentano und Erhard bei ihren Beratungen ein Experte zur Verfügung, der über die Möglichkeiten der spanischen Rüstungsindustrie erstklassig informiert ist: der spanische Botschafter in Bonn, Marqués de Bolarque, Urenkel des Begründers der spanischen Banco Urquijo, der wiederum ein Stahlwerk bei Bilbao gehört. An beiden Unternehmen ist der Botschafter stark interessiert.

Castiella reiste nach zwei Bonn-Tagen mit Straußens Spanienwünschen im Gepäck wieder ab, und schon im Dezember lud der Botschafter und Stahlwerksbesitzer Marqués de Bolarque den deutschen Stahlkönig Alfried Krupp von Bohlen und Halbach nach Spanien ein, offiziell zu einem Jagdausflug, wobei sich allerdings Gelegenheit bot, mit dem deutschen Industriellen Möglichkeiten zu erörtern, die sich der Firma Krupp durch eine Beteiligung an einem neuen Stahlwerk bei Bilbao bieten würden, das später auch Rüstungsmaterial herstellen sollte.

Aber Alfried Krupp lehnte eine Beteiligung ab und blieb seinem Nachkriegsschwur treu, nie mehr Waffen zu fabrizieren. Bei der Krupp-Leitung meldete sich auch noch die Leitung eines staatlich gelenkten spanischen Stahlwerkes, die an eine Krupp-Beteiligung von 32 Millionen Mark dachte, aber auch die staatlichen Spanier bekamen eine Abfuhr.

Der ständige Nato-Rat ahnte von Straußens Plänen immer noch nichts. Als kurz vor dem letzten Weihnachtsfest die Nato-Minister in Paris tagten, bereitete Franz-Josef Strauß vor der Ministerkonferenz des Bündnisses nur ganz allgemein seine logistischen Sorgen aus: »Ich wäre unehrlich, wenn ich hier nicht zum Ausdruck bringen würde, wie sehr wir es bedauern, ... daß sich - völlig im Widerspruch zu den militärischen Notwendigkeiten - auf dem Gebiet der Logistik nicht einmal Ansätze abzeichnen, die eine Integration auf diesem Gebiet erwarten lassen ...

»Ich erlebe es immer wieder, daß die Generalstabschefs im Militärkomitee über die sachliche Seite der Probleme sich weitgehend einig sind, aber sich mit dem Hinweis begnügen müssen, daß es außerhalb ihrer Kompetenz liegt, diese oder jene Entscheidung zu treffen, weil sie politischer Natur sei.«

Heinrich von Brentano machte sich bei dieser Gelegenheit an Amerikas Außenminister Christian Herter heran und erzählte seinem hohen Verbündeten, daß »innerhalb der Bundesregierung in vorläufiger Form Möglichkeiten erörtert würden, gewisse Schwierigkeiten zu überwinden, auf die sie (die Regierung) bei der Beschaffung ausreichender Versorgungsmöglichkeiten für die deutschen Nato-Streitkräfte gestoßen« sei.

Herter fand die Spanien-Ambitionen so schlecht nicht, aber eingedenk der dringend notwendigen Nato-Einigkeit mit den europäischen Verbündeten machte der Amerikaner einen wichtigen Vorbehalt: »Wir haben der Bundesregierung vorgeschlagen, daß die Angelegenheit in dem angemessenen Nato-Rahmen voll geprüft werde, ehe irgendein Entschluß gefaßt wird.«

Anfang Januar traf Franz-Josef Strauß in Wiesbaden mit dem amerikanischen Nato-Oberbefehlshaber General Lauris Norstad zusammen und erzählte ihm von seiner Absicht, in Spanien zu sondieren. Norstad warnte den Verteidigungsminister vor dessen Spanienplänen mit dem Hinweis, derartige Aktionen würden bei den Nato-Brüdern auf wenig Verständnis stoßen. Strauß ließ sich dadurch nicht beirren. Er war schon entschlossen, eine Bundeswehrdelegation nach-Spanien zu schicken, und schien angesichts der Norstad-Bedenken allenfalls bereit, diese Abordnung kleiner zu halten als zunächst geplant.

Mitte Januar hielt der Verteidigungsminister es für geraten, nun endlich auch die wichtigsten europäischen Verbündeten ins Vertrauen zu ziehen. Die französische Regierung wurde unterrichtet, und in London fuhr der Legationsrat Heinrich Burchard von der Deutschen Botschaft ins Foreign Office und erzählte dem WEU- und Nato-Referenten des Amtes, Pemberton-Piggott, beiläufig von Bonns spanischen Absichten.

- Zur grenzenlosen Überraschung der

Bonner Strategen reagierten die Briten äußerst unwillig. Außenminister Selwyn Lloyd: »Ich stellte klar, daß wir es als klüger erachten würden, wenn Westdeutschland um diese Erleichterungen (für seine Logistik) in Ländern nachgesucht hätte, die Mitglieder der Nato sind.«

Inzwischen schickte auch Botschafter Grewe warnende Berichte aus Washington, man möge von Straußens Spanien -Spähtrupp ablassen. Aber den Bonnern schien es nun zu spät zu sein. Franz -Josef Strauß hatte Angst, vor den Spaniern das Gesicht zu verlieren, wenn er sich in diesem Zeitpunkt noch von den Alliierten zurückpfeifen ließe.

Am 27. Januar 1960 faßte der Bundesverteidigungsrat ausdrücklich den Beschluß, an Straußens spanischem Basen -Erkundungsprojekt weiter festzuhalten. Am 29. Januar tat Heinrich von Brentano kund, er habe die Einwände gegen Bonns Spanienpläne nie verstehen können. Das Auswärtige Amt hatte in Madrid längst Hotelzimmer für den Leiter der Unterabteilung V (Logistik) im Führungsstab des Verteidigungsministeriums, Brigadegeneral Schnez, und zwei seiner. Mitarbeiter bestellt, und unbeirrt wurde die Offiziersdelegation zwecks deutlicher Demonstration, daß die Bundesrepublik schließlich kein Satellitenstaat der Westmächte, sondern souverän sei, zu Franco geschickt.

General Schnez und seine beiden Referenten trafen am 15. Februar in Madrid ein, um sich an Hand eines mitgebrachten Wunschzettels über die Möglichkeiten spanischer Rüstungslieferungen für die Bundeswehr und die Anlage von Bundeswehrdepots in Spanien zu orientieren.

Es kam, wie es kommen mußte: Die bis dahin nicht informierten Nato -Staaten bekamen von dem deutschspanisch-amerikanischen Militär-Techtelmechtel Wind. Am 23. Februar erschien dann in der »New York Times« jener Artikel des Chefkorrespondenten C. L. Sulzberger, der - aus Paris datiert - Franz-Josef Straußens Spanienpläne weltweit bekanntmachte und eine antideutsche Propagandawelle um den Globus spülen ließ: der Bonner Verteidigungsminister wolle auf eigene Faust aus dem Nato-Bereich ausbrechen.

Es gehört zu den bisher turbulentesten Kapiteln Bonner Nachrichtenpolitik, was sich an Sulzbergers Artikel anschloß. Das Spiel begann mit einer amtlichen Mitteilung des Bundespresseamtes vom 23. Februar abends, die nach längerem vieldeutigen Wortschwall in der Feststellung gipfelte: »Die in der Presse aufgetauchten Behauptungen, es sei mit Spanien über militärische Stützpunkte oder über Ausbildungsmöglichkeiten der Luftwaffen-Raketeneinheiten verhandelt worden, sind unzutreffend.«

Anderntags ging es in der Bundespressekonferenz so weiter:

Frage: »Wozu braucht Deutschland Nachschubeinrichtungen in Spanien?«

Staatssekretär von Eckardt: »Sie sehen, daß ich durch die Originalität der Fragestellung etwas überrascht bin, weil die Frage so gestellt worden ist, als ob Deutschland Nachschubbasen in Spanien benötigte; denn Sie haben gefragt,warum Deutschland die benötige. Ich weiß nicht, ob Deutschland in Spanien Nachschubbasen benötigt

Frage: »Hat Minister Strauß mit Herrn General Norstad über diese Frage gesprochen?«

Schmückle, Pressereferent des Verteidigungsministeriums: »Konkret kann ich diese Frage nicht beantworten. Aber ich weiß, daß diese Verhandlungen so geführt werden, wie es die Nato wünscht, in allen Fragen der Depoteinrichtungen ...«

Frage: »Sind irgendwelche Kontakte mit Spanien gewesen? Es gibt von London heute eine Meldung, wonach eine Gruppe aus dem Verteidigungsministerium unter einem General, dessen Name mit Schanz angegeben wird, in Spanien irgendwelche

Kontakte mit spanischen Behörden gehabt haben will.«

Eckardt: »Darf ich Sie etwas korrigieren. Nicht einmal in der Meldung wird behauptet, daß solche Kontakte stattgefunden haben, sondern daß die westdeutsche Regierung Vorkehrungen für die Entsendung getroffen habe. Es soll also ein Plan existieren, einen General dorthin zu schicken. Mehr wird in der Reuter-Meldung aus London auch gar nicht behauptet. Aber mir ist von diesem Plan nichts bekannt.«

Frage: »Herr Schmückle, Sie erwähnten mehrfach die Nato. Wünscht denn die Nato, daß zumindest geprüft wird, ob Depots angelegt werden sollen?«

Schmückle: »Es ist mit Sicherheit zu sagen, daß ohne Zustimmung der Nato mit Spanien nicht verhandelt werden wird.«

Frage: »Das beantwortet die Frage nicht ganz.«

Schmückle: »Aber weitgehend.«

Frage: »Hat die Nato bisher den Wunsch geäußert, zumindest zu prüfen, ob Nachschubbasen für die Bundesrepublik und andere Natostaaten notwendig sind?«

Schmückle: »Da bin ich überfragt ...«

Frage: »Sie sprechen von informierenden Gesprächen vor Verhandlungen. Haben die mit Spanien stattgefunden?«

Schmückle: »Mit den Ländern, die für Depotfragen in Frage kommen, sind diese überall abgeschlossen. Wann, wie und wo, kann ich Ihnen nicht sagen.«

Frage: »Ist unter diesen Ländern auch Spanien?«

Schmückle: »Weiß ich nicht.« Die bundesamtliche Ignoranz mag mit darauf zurückzuführen sein, daß die spanische Regierung ebenfalls noch eisern verkündete, von nichts zu wissen, und daß das Verteidigungsministerium außerdem auf die amerikanische Rückendeckung vertraute.

Eilig hatte General Franco kurz vor der Bonner Pressekonferenz seinen nationalen Verteidigungsrat zusammengerufen, um eine Sprachregelung zu finden. Der Caudillo sah angesichts des weltweiten Entrüstungssturms über Bonns Pläne mit dem faschistischen Spanien alle seine Nato-Ambitionen zerrinnen und legte deshalb fest: Es haben keine Verhandlungen mit Bonn stattgefunden, und im übrigen werde Spanien nichts ohne generelle Nato-Zustimmung unternehmen. Indes, das Leugnen nützte nichts. Britanniens Selwyn Lloyd plauderte vor dem Unterhaus aus, was er wußte, und das amtliche Washington hielt auch nicht den Mund. Bonn stand vor aller Welt blamiert und von den Amerikanern desavouiert da.

Neben diesem außenpolitischen Fiasko bekam die Affäre nun auch noch einen innenpolitischen Effekt: Unisono wandte sich die öffentliche Meinung nämlich gegen den offensichtlichen Antreiber Franz-Josef Strauß, während jetzt, nach dem Eklat, Heinrich von Brentano von seiner Mitwirkung plötzlich nichts mehr zu wissen schien.

Am 26. Februar - inzwischen waren deutsch-spanische Vorgespräche auch amtlich zugegeben - schickte Strauß seinen Pressechef Schmückle zum Gegenangriff vor: »Ich darf in diesem Zusammenhang noch auf Meldungen hinweisen, in denen es heißt, daß es sich hier um Aktionen eines Ressortministers gehandelt habe, daß hier Soldaten Politik gemacht hätten. Ich möchte ausdrücklich erklären, daß in all diese Überlegungen das Auswärtige Amt voll und mit bestimmendem Einfluß eingeschaltet war.«

Brentanos Amtssprecher von Hase distanzierte sich von diesem »Mitgegangen-Mitgefangen«-Versuch seines Kollegen Schmückle vorsichtig.

Frage: »Herr von Hase, können Sie vielleicht erläutern, in welchem Ausmaß der bestimmende Einfluß des AA, von dem Herr Schmückle sprach, stattgefunden hat?«

Hase: »Ich glaube, auch diese Frage gehört zu den Einzelheiten, in die wir vermeiden wollen zu gehen, aus Gründen, die auch Herr Schmückle schon erwähnt hat. Ich möchte aber ausdrücklich bestätigen, daß das Auswärtige Amt über die sachlichen und materiellen Bedürfnisse dieser ganzen Depot-Frage unterrichtet war und auch über die Schritte im Bilde war, die unternommen worden sind.«

Später erregte sich Heinrich von Brentano vor Korrespondenten: »Wenn ich doch nur bestimmenden Einfluß gehabt hätte ...«

Da explodierte Strauß und griff zu einem wirksamen Mittel, um der Gefahr zu entkommen, allein Prügelknabe zu sein. Er informierte befreundete Bundestagsabgeordnete darüber, in welchem Umfang der Kollege Brentano an dem Spanien-Abenteuer beteiligt gewesen sei, und bei gleicher Gelegenheit ließ er auch noch bekanntwerden, wie weitgehend offizielle Amerikaner im Bilde gewesen sind.

Am Mittwoch letzter Woche wurde endlich auch der ständige Nato-Rat in Paris über das amerikanisch-spanisch deutsche Sondierungszusammenspiel unterrichtet. Der Rat stellte ausdrücklich fest, daß er bis dahin nicht informiert worden war. Der deutsche Botschafter bei der Nato, von Walther, erläuterte, man habe einen solchen Schritt nicht für notwendig gehalten, weil es nur um eine Sondierung und um keine Verhandlung gegangen sei.

Am gleichen Tage trat Franz-Josef Strauß im bayrischen Vilshofen vor eine CSU-Versammlung und weigerte sich, seine Spanien-Tour als politischen Mißgriff anzusehen. Ein Mißgriff zeige sich nicht im Tagesecho, sondern in der Geschichte.

Er habe es nicht notwendig, sagte der Minister, sich zum Sklaven der öffentlichen Meinung machen zu lassen, denn er habe einen Beruf erlernt - Studienrat -, den er jederzeit wieder ausüben. könne.

Es war Aschermittwoch.

* Dem Bundesverteidigungsrat gehören unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers an: Die Bundesminister des Innern, des Auswärtigen, für Finanzen, für Wirtschaft, für Verteidigung, für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft.

Stuttgarter Zeitung

Katerstimmung: »Nun ziehnse man wieder dat Hütchen hier auf, Herr Strauß! Mit dem Dingen, watse da aufm Kopp haben, jehnse ja doch nich durch de spanische Wand!«

Spanien-Reisender Schnez

Noch dem Strip-Tease der Dementis ...

Spanien-Botschafter de Bolarque

... die nackte Wahrheit

Außenminister von Brentano, Gast Castiella: Von Planen nichts bekannt?

Frankfurter Allgemeine

Und die Moral von der Geschicht? Quod licet Jovi - gilt für den bovi nicht

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