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CHINA-RESTAURANTS Asiatische Krippe

aus DER SPIEGEL 47/1964

Eisbein und Sauerkraut, die wasserführende Bockwurst sowie die gebräunte Mehlsauce gelten in der Welt als die bevorzugten Objekte deutscher Gaumenlust. Doch immer mehr neigen die Kraut- und Wurstesser zu exotischen Genüssen, wie etwa Ho-Chie-Pien Tsao Tung-Güo Yin-Jen (geschnetzelte Pute mit chinesischen Champignons und Mandeln) oder Tung-Chün Niü-Jö-S Tsa -Tsai (Rinderfilet in Streifen mit Edelbambus und Szechuan-Gemüse): China ist Trumpf.

Während vor dem Zweiten Weltkrieg nur Berlin mit einem China-Restaurant aufwarten konnte - in Hamburg gab es nur in St. Pauli einige chinesische Kneipen -, findet sich heute in nahezu allen deutschen Großstädten mindestens ein chinesisches Speziallokal.

Allein in Hamburg haben 14 China -Lokale ihr Auskommen, in Düsseldorf sind es zwölf, in Berlin zehn und in Köln acht. Sogar das rheinisch-provinzielle Bonn beherbergt drei chinesische Restaurants, ebenso viele wie München, gegen dessen Radi- und Weißwurstmonopol doch kein Chinakraut gewachsen ist. Durchschnittlich setzen die zugereisten Gastronomen im Jahr 100 000 Mark um, das ist etwa doppelt soviel wie der Durchschnitt der westdeutschen Gaststätten.

Die Inhaber, in der Mehrzahl Köche, aber auch Diplomaten und aus Maos Reich vertriebene Kapitalisten, beziehen die Rohstoffe und Zutaten zumeist von Importeuren in Hamburg und Bremen, die mit Rotchina, Japan und Hongkong Handel treiben. Auch Seeleute dienen den Chinawirten als Lieferanten. Gemüse, Fleisch und Geflügel werden am Ort gekauft.

Das größte Problem für die Besitzer der exotischen Lokale ist die Beschaffung von ,Beherrschern der Pfanne« wie sich die chinesischen Köche selbst nennen. Klagt Woo Kwang-han, der in Düsseldorfs Grabenstraße als erster ein Restaurant mit den Spezialitäten seiner Heimat eröffnete und Krupps Berthold Beitz zu seinen Gästen zählt: »Köche bekommen ist das Schwierigste von allem.«

Dafür sorgen schon Westdeutschlands Ausländerämter. Sie lassen nur Formosa-Chinesen ohne große bürokratische Umschweife an bundesdeutsche Herde. Hongkong-Chinesen, sofern sie einen Paß der Kronkolonie besitzen, haben ebenfalls gewisse Chancen, in Deutschland zu Wohlstand zu gelangen. Allerdings ist das Reservoir Formosa-Hongkong längst ausgeschöpft, seit sich herumgesprochen hat, wie anfällig die Alte Welt für die asiatische Krippe ist. Rotchina-Flüchtlinge hingegen, die nur über Identitätsausweise verfügen, haben als »nicht begünstigte Ausländer« (Amtsdeutsch) so gut wie keine Aussichten, zwischen Rhein und Elbe Pfannen zu beherrschen. Westdeutschlands Auslandsbehörden fürchten offenbar, der Maoismus könnte durch die kalte Küche in die Bundesrepublik eindringen. Erläutert der zuständige Düsseldorfer Ausländeramts-Bedienstete Otto: »Das Auswärtige Amt will eine Unterwanderung vermeiden.«

So wartet das China - Restaurant »Tchang« an der Bremer Reihe in Hamburg bereits seit neun Monaten auf die Einreiseerlaubnis für einen neuen Koch. Hat ein Löffelschwinger schließlich die Chincom-Liste der Einwanderungs-Bürokratie passiert, muß der westdeutsche Arbeitgeber nicht nur die Anreise bezahlen, sondern für die Sicherstellung des Rückflugs eine selbstschuldnerische Bürgschaft leisten. Die Investitionskosten von etwa 4000 Mark bergen ein gewisses Risiko, denn schon entpuppten sich angebliche Kochkünstler als simple Tellerwäscher.

Das Monatsgehalt für verdiente Meister der Pfanne liegt bei freier Station zwischen 1200 und 1400 Mark, das entspricht etwa dem Netto-Salär eines Oberregierungsrats. Da sie zumeist sehr sparsam sind, haben die gelben Gastarbeiter oft in drei bis vier Jahren genug Geld auf die hohe Kante gelegt, um sich selbständig machen zu können.

Der Hamburger Restaurant-Inhaber Yuon-Ling Tschang, dessen Pavillon an der Alster steht, verzichtet deswegen auf die Mitarbeit seiner Landsleute. Er findet sie »zu unzuverlässig«. Tschang kocht lieber selbst.

Die chinesische Küche unterscheidet sich von der europäischen nach Expertenmeinung in dreifacher Hinsicht: in der Mannigfaltigkeit der Gerichte - 100 Positionen sind das Mindestangebot eines guten Lokals -, der Pikanterie der Würzung und in der Harmonie verschiedener Geschmacksrichtungen.

Schwärmt Dr. Jui-Jen Yü, Inhaber von Lokalen in Düsseldorf und Frankfurt: »Wie die europäische Musik in der Region der Töne, so triumphiert die chinesische Kochkunst im Reich der Sinfonie des Geschmacks.«

In fast allen Restaurants findet sich auf der Speisekarte ein Hinweis, welcher der vielen Küchenrichtungen im Reich der Mitte sich der Koch zugehörig fühlt. Als feinste gilt die Peking-Küche, deren

Spitzenprodukt, die Peking-Ente, Dr. Yü in seinem Düsseldorfer Lokal »King Long« für 45 Mark anbietet. Dieses Gericht, von Kennern auch als »Ente der acht Köstlichkeiten« gelobt, wird mit Mandeln, Kastanien, Datteln, Lotosnüssen, Rosinen, Sherry und Ingwer zubereitet.

Gemeinsames Kennzeichen aller Richtungen ist die Verwendung von Sojasauce in fast jedem Gericht. Typisch ist ebenfalls die ungewöhnlich rasche Zubereitung bei sehr großer Hitze. Die chinesischen Kochkünstler verarbeiten alle Fleisch- und Geflügelarten bis auf Kalbfleisch, von dem Chinas Küchenbullen nichts halten. Sie verabscheuen auch die Verwendung von Konserven. In ihren

Speisen stellen sie gern Gegensätzliches zusammen, sowohl in der Farbe wie im Geschmack.

Obschon in den Küchen der chinesischen Restaurants durchweg Chinesen kochen, ist das Gebotene keineswegs typisch chinesisch: Zum Beispiel sind die Portionen nach altchinesischem Küchen -Ritual viel zu groß. Zudem würde kein Chinese der alten Schule seinem Gast nur ein einziges Gericht vorsetzen, fünf Gänge gelten als Untergrenze. Für ein mittelmäßiges Essen sind 15 Gänge angemessen, und ein erstklassiges Mahl erfordert bis zu 35 verschiedene Gerichte. Überdies finden sich auf den Speisekarten chinesischer Lokale in Deutschland oftmals indonesische Gerichte. St ist beispielsweise die hierzulande hochgeschätzte Frühlingsrolle (Loempia) keine chinesische, sondern eine indonesische Spezialität.

Neuerdings versuchen auch Westdeutschlands Kaufhäuser, sich eine Scheibe von dem Asien-Boom abzuschneiden. Karstadt in Hamburg etwa, dessen Supermarkt-Sortiment mehr Spezialitäten aufweist als die palisandergetäfelten Gewölbe erlauchter Feinkost-Detaillisten, bietet seiner Kundschaft rund 100 verschiedene Spezialitäten aus China und Japan.

Für den China-Look der Deutschen hat Düsseldorfs Woo Kwang-han eine Erklärung: »Essen sehr, sehr gut und machen nicht dick.«

China-Gastronom Tschang

Die Herrscher der Pfanne ...

... sind die kostbarste Zutat: Tschang-Restaurant in Hamburg

Asienkonserven bei Karstadt: Soja gesucht

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