Südafrika Attacke aus dem Kraal
Der 14jährige zuckte blutend am Boden. Als ihn ein Freund am Kopf berührte, »war der ganz weich« - die Folge von Mißhandlungen mit Fäusten, Eisenstangen und Peitschen. »Wir wußten, daß er sterben würde«, berichtet der Freund.
Der blutjunge Revolutionsanhänger James Moeketsi ("Stompie") Seipei starb im Dezember 1988, kurz nach Weihnachten. Der Junge, der im Township-Jargon »der kleine General« hieß, lag in Soweto im Haus von Winnie Mandela, von den meisten schwarzen Südafrikanern damals noch als »Mutter der Nation« verehrt. Bereits im vorigen Jahr wurde der Trainer des sogenannten Fußballteams »Mandela United« wegen des Mordes an dem Jungen zum Tode verurteilt.
Die angeblichen Sportler, die auch als Leibwächter für die Ehefrau des ANC-Vizepräsidenten Nelson Mandela fungierten, waren üble Typen. »Nicht nur in Soweto, in allen Townships, wo sie schwerbewaffnet in ihren Kombiautos auftauchten, hatten die Leute Angst. Die waren gewöhnliche ,Tsotsis'' (Verbrecher)«, so der Zeuge, der sich jetzt gegenüber dem SPIEGEL offenbarte.
Erst nach der Verurteilung des Trainers, nahezu zwei Jahre nach der Bluttat, wurden Winnie Mandela und sieben weitere Personen im vergangenen September wegen Beihilfe zum Menschenraub und schwerer Körperverletzung angeklagt. Die Aussagen von drei Jugendlichen, die zusammen mit Stompie ins Mandela-Haus gebracht und mißhandelt worden waren, schienen erdrückend.
Doch der international beachtete Prozeß verkam zur Farce. Die liberale südafrikanische Weekly Mail, die sonst dem ANC nahesteht, kritisierte »die bizarren Umstände des Verfahrens« und fragte auf der Titelseite: »Ist das Gerechtigkeit?«
Hunderte von ANC-Demonstranten belagerten den Obersten Gerichtshof in Johannesburg, als der Prozeß endlich Anfang Februar eröffnet wurde. Mit dröhnenden Anfeuerungsrufen für Winnie und kräftigen Ellenbogenstößen suchten sie Passanten, Journalisten und jeden, der das Gebäude betreten wollte, einzuschüchtern.
Vier Angeklagte seien verschwunden, behauptete der unerfahrene Staatsanwalt, der im letzten Moment für den ausgefuchsten Chefankläger Klaus von Lieres und Wilkau einspringen mußte. Dennoch gelang es der Johannesburger Sunday Times ohne Mühe, einen der angeblich flüchtigen Angeklagten zu interviewen - er saß bei Prozeßbeginn als Zuschauer im Gerichtssaal.
Es kam indes noch toller: Am Vorabend seiner Aussage verschwand einer von drei jugendlichen Belastungszeugen, deren Schutz die südafrikanische Justiz für nicht nötig erachtet hatte. Augenzeugen berichteten, der Jugendliche habe seine Unterkunft in Soweto verlassen - begleitet von einem ANC-Funktionär. Die beiden anderen Zeugen verweigerten daraufhin »aus Angst um unser Leben« jegliche Aussage. Sie erzwangen damit eine Vertagung des Gerichts auf Mittwoch dieser Woche.
»Die Geschichte mit Winnie ist lebensgefährlich«, bestätigte auch der Zeuge, mit dem der SPIEGEL sprach. Der noch nicht 16jährige versteckt sich einige hundert Kilometer nördlich von Johannesburg in einem Kraal. Der ANC habe versucht, über seine Familie an ihn heranzukommen, berichtet der Zeuge, denn er solle zugunsten von Winnie aussagen.
Das aber hält er für gefährlich: »Meine Aussage würde Frau Mandela belasten, wenn ich ehrlich wäre, und, na ja, es sind schon einige Leute verschwunden.« Der abgetauchte Bursche _(* In seinem Versteck nördlich von ) _(Johannesburg. ) teilte einstmals das Quartier mit dem ermordeten Stompie Seipei. Beide fühlten sich als »Straßenkämpfer, die für den Fortschritt und gegen die Apartheid kämpften«.
Für die »Mandela United«-Riege allerdings waren sie »Konkurrenten, weil wir deren verbrecherische Aktivitäten gestört haben«. Deswegen, so der Junge, »wollte man uns entführen und einschüchtern«.
Winnie Mandela habe die Strafexpedition persönlich angeführt, erinnert sich der Zeuge ganz genau an den dramatischen Auftritt: »Sie stand an der Tür, fluchte und beschimpfte uns. Als mein Name aufgerufen wurde, sprang ich aus dem Fenster. Ich sah noch, daß vier meiner Kameraden, darunter Stompie, mit Prügeln ins Auto getrieben wurden.«
Die schweren Beschuldigungen gegen die gelernte Sozialhelferin Winnie Mandela schüren die Rankünen in den ANC-Führungskadern - vielen Mitgliedern war es bereits grotesk erschienen, daß sie trotz der Vorwürfe zur Leiterin des ANC-Ressorts »Soziale Wohlfahrt« ernannt wurde. Fassungslos ist vor allem die starke »demokratische Fraktion« in der Befreiungsbewegung. Nicht selten seien es oberste Richter gewesen, die dem Rassenregime zugunsten der Anti-Apartheidsfront die Stirn boten. Eine unabhängige Justiz sei nun erst recht im »neuen Südafrika« unerläßlich.
Derweil haben sich die meisten ANC-Führer hinter Winnie Mandela gestellt. In öffentlichen Erklärungen nannten sie das Verfahren einen politischen Prozeß; die Presse wurde übler Verleumdungen gegen »Genossin Winnie« bezichtigt.
Ohnedies fehle den Behörden »jegliche moralische Legitimation, da alle Richter im mehrheitlich schwarzen Südafrika weißer Hautfarbe sind«, so eine - zutreffende - Erklärung Mitte voriger Woche.
Vor allen Dingen aber kann sich »die Königin Afrikas«, wie eine der Huldigungen für Winnie Mandela aus früheren Jahren lautete, auf ihren Ehemann verlassen.
Demonstrativ und von Mitstreitern flankiert, marschierte er an ihrer Seite in den Gerichtssaal. Wiederholt griff der alte Herr nach der Hand seiner 15 Jahre jüngeren Ehefrau, wie er es schon häufig seit seiner Freilassung im Februar vergangenen Jahres getan hat.
Solche Treue wird nur noch übertroffen von Winnies Opfer, dem Jungen, der sich in der Strohhütte versteckt hält. Trotz aller Ängste gelobt er: »Ich will dem ANC nicht schaden, ich will für ihn kämpfen bis zu unserem totalen Sieg.« o
* In seinem Versteck nördlich von Johannesburg.