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»Auch der Spatz macht schon Probleme«

Der Gesetzentwurf für ein neues Umwelthaftungsrecht läßt viele Probleme ungelöst
aus DER SPIEGEL 23/1989

An »Ossis« Tresen, in der Kellerbar des provisorischen Bundeshaus-Wasserwerks, gerieten sich vor Jahresfrist zwei Liberale wegen der Umweltpolitik in die Haare. Dem einen ging es um seinen Garten, dem anderen um den Rechtsstaat und beiden ums Prinzip.

»Wenn die Zeder hinter meinem Haus an den Emissionen der benachbarten Industrie eingeht«, so begründete Burkhard Hirsch sein Verlangen nach einem neuen Umwelthaftungsrecht, »dann ist es mir egal, ob die Firma X oder die Firma Y den Schaden verursacht hat - Hauptsache, es wird bezahlt.«

Rechtsexperte Detlef Kleinert hielt dagegen: »Du wirst nicht daran vorbeikommen, den Nachweis zu führen, daß deine Zeder entweder an der Firma X oder an der Firma Y zugrunde ging.«

»Soll ich denn«, fragte Hirsch, »jedes Schwefelsäure-Molekül einzeln vernehmen, ob es von der Firma X oder von der Firma Y kommt?« Wer eine gefährliche Anlage betreibe, der müsse sich den Verdacht gefallen lassen, daß er die Umwelt schädigt - auch ohne Nachweis persönlichen Verschuldens.

Doch da hört für Kleinert der Spaß auf. Das Streben nach mehr Umweltschutz sei kein Grund, »die traditionellen Grundsätze des deutschen Rechts von Verschulden, Kausalität und Beweislast ohne weiteres über Bord zu werfen«.

Es könne ja sein, daß Hirschs Baum eingehe. Aber die Nachbarschaft zu einem gefährlichen Betrieb allein könne keinen Regreßanspruch begründen. »Man kann nicht jemanden wegen Diebstahls verknacken, bloß weil er sich in der Nähe eines Diebstahls aufgehalten hat.«

Die Gefahr besteht nicht. Dank der rührigen Mitwirkung auch von Kleinert liegen seit der vorletzten Woche »Eckwerte« des neuen Umwelthaftungsgesetzes auf dem Koalitionstisch, die der Zeder des Abgeordneten Hirsch nicht mehr helfen werden - geschweige denn dem Wald, den von Giftmüll verseuchten Böden oder den von Schadstoffemissionen zerfressenen Baudenkmälern.

Denn erstens wird die von Bundeskanzler Helmut Kohl 1987 versprochene Reform des Haftungsrechts nur für die Zukunft gelten. Kein Unternehmer muß fürchten, für die Sünden der Vergangenheit einstehen zu müssen. Zweitens soll die Industrie zwar künftig auch dann für Umweltschäden haften, wenn diese ohne Verschulden beim Normalbetrieb einer Anlage entstehen - ein Fortschritt. Aber das hehre Prinzip der Gefährdungshaftung ist im Kleingedruckten des Gesetzentwurfs so durchlöchert, daß die versprochene Regel die Ausnahme bleibt. »Was der eine Paragraph gibt«, spottet der SPD-Rechtspolitiker Hermann Bachmaier, »kassiert der nächste wieder ein.«

Drittens glauben nur noch Optimisten, daß das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode fertig wird. Bislang haben sich, nach zähem Feilschen, nur Umwelt- und Justizressort geeinigt. Die Abstimmung mit dem sperrigen Wirtschaftsressort steht noch aus.

Und viertens blieben - selbst wenn die Koalition es doch noch schaffte - die drängendsten Probleme ungelöst. »Der Gesetzentwurf«, urteilt der umweltpolitische Sprecher der SPD, Harald B. Schäfer, »ist wieder mal eine Mogelpackung.« Um den dicksten Brocken haben Justizministerr Hans A. Engelhard (FDP) und Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) einen Bogen gemacht: Die Regelung der »Summations- und Distanzschäden« wurde ausgeklammert. Töpfer und Engelhard konnten sich nicht einigen, wer für Verschmutzungen eintreten soll, »die keinem individualisierbaren Schädiger zugeordnet werden können«, wie es heißt.

Während Töpfer, in realistischer Einschätzung der Widerstände aus der Industrie, meinte, einen »gerechten Schadensausgleich« werde man »nur durch eine Billigkeitsentschädigung aus dem Staatshaushalt erreichen können«, plädierten Engelhard und sein Staatssekretär Klaus Kinkel, wie die SPD, für einen Fonds: Alle Umweltschädiger sollen einzahlen, Autofahrer ebenso wie die Industrie. Und weil ein Großteil der Schadstoffe mit dem Wind aus dem Ausland importiert wird, müsse auch der Staat sich beteiligen.

Der Streit endete unentschieden. Kohls Ministerrunde gab zu Protokoll, daß sie »alsbald Vorschläge zum Ausgleich der Summations- und Distanzschäden insbesondere der neuartigen Waldschäden« erwarte. Problem erkannt, Lösung am Sankt Nimmerleinstag.

Auch in anderen Punkten konnte Töpfer sich nicht durchsetzen. Er wollte die Frage, was eine gefährliche Anlage im Sinne des Gesetzes sei, durch einen »generalklauselartigen Haftungstatbestand rechtssicher konkretisieren« (Töpfer). Dies sei bereits bei der Definition »gefährlicher Stoffe« im Chemikaliengesetz »ohne Schwierigkeiten« gelungen.

Engelhard und sein Kinkel bestanden auf Eingrenzung: Als »gefährlich« sollten nur Fabrikationsanlagen gelten, die schon in anderen Gesetzen auf dem Index stehen. Schließlich einigte man sich, für die Definition den Anhang der Vierten Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zugrunde zu legen.

Hier sind fast alle Industriezweige aufgeführt, die schädliche Emissionen erzeugen können: vom Heizkraftwerk bis zum Kühlturm, vom Schmelzofen bis zur Ölraffinerie, vom chemischen Werk bis zur Autolackiererei, vom Sägewerk bis zur Mülldeponie.

Doch Töpfers Freude, damit seien doch nahezu alle möglichen Umweltbelästigungen erfaßt, wird durch den Gesetzestext stark getrübt: Solange die in der Liste aufgeführten Betriebe »normal« arbeiten, »ist die Ersatzpflicht für Sachschäden ausgeschlossen« - der »normale« Dreck wird nicht erfaßt.

Es genügt auch nicht, auf bloße Nachbarschaft zu solchen Betrieben zu verweisen: Solange kein Unglück passiert, muß die Belästigung hingenommen werden. Der »Normalbetrieb«, so die Gesetzesbegründung, »ist vor einer zu weit gegriffenen Haftung zu schützen«.

Zwar reicht die Feststellung, daß eine Anlage »gefährlich« im Sinne des neuen Gesetzes ist, zur Vermutung eines Umweltschadens aus. Vor Gericht wird das aber nicht viel weiter führen. Denn: »Die Vermutung ist entkräftet, wenn es wahrscheinlich ist, daß ein anderer Umstand als der Betrieb der Anlage den Schaden verursacht hat.«

Beim Bundesverband der Deutschen Industrie lösten die »Eckwerte« dennoch Alarm aus. Justitiar Friedrich Kretschmer sieht keinen Handlungsbedarf. Das Haftungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches reicht ihm »völlig aus«.

Mißtrauisch hat er das Tauziehen zwischen Töpfer und Engelhard verfolgt. Das Ergebnis stimmt ihn nicht froh. Töpfer habe sich offenbar entschlossen, lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach zu nehmen.

Kretschmer: »Die Taube ist nicht abzuschießen, aber auch der Spatz macht schon Probleme.«

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