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RÜSTUNG Auf dem Eis

Verteidigungsminister Wörner ergeht es wie seinem Vorgänger Apel: Er kann nicht alle Waffen bezahlen, die sich seine Militärs wünschen. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Der Verteidigungsminister verlor die Beherrschung. »Soll ich meinen Aktenkoffer aufmachen?« drohte er erregt. »Soll ich Ihnen zeigen, was ich auf der Hardthöhe vorgefunden habe?«

Die Parlamentarier ließen sich nicht beeindrucken. »Ihre Drohung schreckt nicht mehr«, erwiderte kühl der SPD-Abgeordnete Horst Jungmann, »Sie arbeiten schon zu lange damit.«

Manfred Wörners Parteifreunde saßen stumm da. Keiner half dem Minister aus der Verlegenheit, als die Oppositionsabgeordneten kurz vor Weihnachten im Verteidigungsausschuß die Pläne Wörners für die Bundeswehr der neunziger Jahre erfragen wollten. Jungmann: »Wo ist denn Ihre Konzeption?«

15 Monate nach Amtsantritt beginnt, zur Überraschung der Sozialdemokraten, auch in der Christen-Union das Bild vom entscheidungsstarken Oberbefehlshaber zu verblassen. Wörner zeigt erste Anzeichen von Resignation.

Im Kabinett sitzt er meist stumm da. Immer häufiger verschiebt er wichtige Entscheidungen. Oft fährt er seine Mitarbeiter so barsch an, daß sie sich verstockt zurückziehen.

Generalinspekteur Wolfgang Altenburg mahnte bisher vergeblich eine Grundsatzdebatte über die künftige Struktur der westdeutschen Streitkräfte an. Denn von ihr hängt ab, welche Rüstungsvorhaben in Zukunft verwirklicht werden können. Da in den nächsten Jahren die jungen Männer aus den Pillenknick-Jahrgängen wehrpflichtig werden, kann die derzeitige Soll-Zahl von 495 000 Soldaten nicht mehr gehalten werden, selbst dann nicht, wenn der Wehrdienst von 15 auf 18 Monate verlängert würde und Frauen freiwillig Dienst in der Bundeswehr tun dürften. Ende der achtziger Jahre werden höchstens noch 420 000 aktive Soldaten, darunter 10 000 bis 15 000 Frauen, der Nato gemeldet werden können. Anfang der neunziger Jahre nur noch 390 000.

Der Minister zeigt trotzdem keine Neigung, die Diskussion über Stärke und Organisation der Bundeswehr, die Verlängerung der Wehrpflicht und über den freiwilligen Dienst von Frauen zu eröffnen; er will sich wohl nicht zwischen die Stühle setzen. Doch schon jetzt beklagt er sich über seinen Job: »Dies hier ist ein Himmelfahrtskommando.«

Wörners Probleme beginnen schon beim Personal; so sucht er noch immer nach einem geeigneten Mann für die Steuerung der Rüstungsprogramme. Die Hardthöhe gibt jährlich mehr als 12 Milliarden Mark für Einkäufe aus, aber sein Versprechen, einen erfahrenen Industriemanager als Rüstungsstaatssekretär einzustellen, konnte der Minister nicht halten. Wörner mußte seinen ungeduldigen Kanzler aufs Frühjahr 1984 vertrösten.

Wörners Favorit, der parteilose Manfred Lennings, bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender der GHH - Gutehoffnungshütte, verlangt größere Vollmachten, als der Minister ihm gewähren kann, die Christdemokraten wollen einen Mann mit ihrem Parteibuch auf diesem Posten.

Der gegenwärtige Hauptabteilungsleiter Rüstung, Ministerialdirektor Karl Helmut Schnell, zeigt sich seiner Aufgabe nicht gewachsen. Schnell, unter dem Verteidigungsminister Franz Josef Strauß Anti-Korruptionsreferent, hat zwar gute Kontakte zur CSU, wirkt aber bei internationalen Verhandlungen überfordert. Staatssekretär Lothar Ruehl und Planungschef Hans Rühle mußten bei den letzten Verhandlungen mit Franzosen und Amerikanern immer wieder eingreifen, weil Schnell und seine Beamten sich in Detailfragen verheddert hatten.

»Die Planung«, gestand Wörner, »ist die schwierigste Aufgabe auf der Hardthöhe.« Jeden Tag habe er fünf bis sechs schwierige Entscheidungen zu fällen, jeden Tag laufe er Gefahr, fünf bis sechs Fehler zu machen.

Den größten Fehler hat er wohl schon getan. Aus politischen Gründen vereinbarte

er mit Franzosen, Amerikanern und Norwegern drei Rüstungsprojekte, die mehr als zwölf Milliarden Mark kosten werden. Woher dies Geld kommen soll, ist unklar - und ein militärisch sinnvolles Konzept dahinter nicht zu erkennen.

Wörner hat Rechnungen über 33 Milliarden Mark offen, weil er noch Waffen bezahlen muß, die seine Vorgänger Georg Leber und Hans Apel bestellt haben. Nach der neuen Finanzplanung wird sein Wehretat in den nächsten Jahren jährlich nur um drei bis 3,6 Prozent wachsen können; mit dieser Steigerung kann kaum die Inflationsrate ausgeglichen werden. Die Preise für Rüstungsgüter steigen erfahrungsgemäß schneller als die Preise für zivile Produkte.

Dennoch vereinbarte Wörner mit seinem französischen Amtskollegen Charles Hernu den Bau eines neuen Panzerabwehrhubschraubers, den die Militärs gar nicht auf ihre Prioritäten-Liste gesetzt hatten.

Hintergrund: Eigentlich hatten die Franzosen gemeinsam mit den Deutschen eine Panzerproduktion aufziehen wollen und erst, als daraus nichts wurde, die Entwicklung eines gemeinsamen Panzerabwehrhubschraubers vorgeschlagen, obwohl die Vorstellungen der deutschen und französischen Generale über Aufgaben, Ausrüstung und Bewaffnung weit auseinandergingen. Wörner sagte trotzdem ja, »aus politischen Gründen«.

Die Vereinbarung mit Norwegen über den Bau eines gemeinsamen U-Bootes ist von ähnlicher Qualität. Die Anforderungen der Marineführungen in Oslo und Bonn gehen so weit auseinander, daß Kompromisse für Tonnage und Bewaffnung noch nicht in Sicht sind.

Der deutsch-amerikanische Handel um die Flugabwehrraketen »Patriot« und »Roland« ist zwar von den Verteidigungsministern Caspar Weinberger und Wörner unterschrieben, aber bei den US-Streitkräften und im amerikanischen Kongreß umstritten. »Noch ist die Kuh nicht vom Eis«, warnte Wörner optimistische Parteifreunde.

Das Geschäft, von Rühle und Ruehl ausgehandelt, sieht vor, daß die Deutschen 14 Flugabwehrsysteme des Typs »Patriot« in den USA kaufen, 14 weitere leihen und zwölf amerikanische bemannen. Außerdem soll die Bundeswehr die Flugplätze der amerikanischen und der deutschen Luftwaffe in der Bundesrepublik mit 67 Flugabwehrraketen-Panzern des Typs »Roland« schützen.

Schon diese Rüstungsvorhaben belasten den Etat in den kommenden Jahren so stark, daß unbedingt an anderen Stellen gespart werden muß. Aber Wörner drückt sich vor einem Votum. Heer, Luftwaffe und Marine rangeln so erbittert für ihre Projekte, daß die Verabschiedung des Rüstungsplans immer wieder verschoben werden mußte.

Eine andere milliardenschwere Planung könnte dem Verteidigungsminister vollends jeden Spielraum nehmen: Die Luftwaffen der Bundesrepublik, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Spaniens wollen gemeinsam ein Jagdflugzeug für die neunziger Jahre bauen. Allein die Entwicklungskosten werden mit zehn Milliarden Mark veranschlagt.

Noch versucht Wörner abzuwehren: »Mir fehlen die wichtigsten Entscheidungsunterlagen. Ich kann zur Zeit weder ja noch nein sagen.«

Doch das Jagdflugzeug wird kommen: Wörner ist als ehemaliger Pilot vorbelastet. Der Minister handelt wie Georg Leber, der die Wunschliste der Militärs Punkt für Punkt erfüllte und dann mitteilte: »Meine Nachfolger brauchen nur noch zu bezahlen, was ich bestellt habe.« _(Entwurf der bayrischen Rüstungsfirma ) _(Messerschmitt-Bölkow-Blohm. )

Lebers Nachfolger Hans Apel wäre, als er den Mehrzweck-Bomber »Tornado« zu bezahlen hatte, an dieser Mentalität fast gescheitert. Die Opposition, vertreten durch Manfred Wörner, warf Apel damals eine »totale Konzeptionslosigkeit« vor; als Dutzende von Projekten gestrichen oder gestreckt wurden, sah Wörner das Vaterland in Gefahr: Die Bundeswehr könne ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen.

Im Mai 1982, fünf Monate vor dem Regierungswechsel, plädierte Wörner für grundlegend Neues: kleine unbemannte Flugzeuge, sogenannte Drohnen, zur Aufklärung, 200 Mittelstreckenraketen und 5000 Marschflugkörper mit konventionellen Sprengköpfen zur Bekämpfung der zweiten Staffel des Angreifers. Wörner: »Angesichts der technologischen Entwicklung macht es keinen Sinn, einfach die bestehende Struktur fortzuschreiben und im System-Nachfolge-Denken zu verharren.«

Peter-Kurt Würzbach, heute Wörners Parlamentarischer Staatssekretär, legte damals eine Studie vor, in der er zu dem Ergebnis kam, man müsse den Gegner nicht kopieren, um erfolgreich verteidigen zu können.

Kaum im Amt, vergaßen Wörner und Würzbach ihre Vorstellungen, Flugzeug folgt wieder auf Flugzeug, Boot auf Boot, Hubschrauber auf Hubschrauber und, so die jüngste Forderung des Heeres, Panzer auf Panzer.

Heeresinspekteur Mainhard Glanz, der schon heute die drittgrößte moderne Panzerarmee der Welt nach der Sowjet-Union und den USA befehligt, will ein Nachfolge-Modell für den »Leopard 2« entwickeln lassen, nachdem er den Panzerabwehr-Hubschrauber und das amerikanische Mittlere Artillerie-Raketen-System (MARS) so gut wie sicher hat.

MARS-Hersteller Vought wirbt in Fachzeitschriften bereits ganzseitig, wie treffsicher dieses Raketen-System sei. Es hat nur einen Schönheitsfehler: Die 200 MARS fürs deutsche Heer kosten über vier Milliarden Mark.

»Der Minister hat bei den Verbündeten, den Soldaten und in der Industrie große Erwartungen erweckt«, resümiert SPD-Wehrobmann Erwin Horn. »Jetzt verläßt ihn der Mut. Wörner schiebt nicht mehr, er wird geschoben.«

Erst mal von der Opposition: Die SPD will gleich nach der Weihnachtspause den Minister im Ausschuß zu klaren Angaben über die Personalsituation und die Rüstungsprogramme zwingen.

Der SPD-Abgeordnete Walter Kolbow, stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, freut sich schon jetzt, Wörner dann die Wörner-Kritik an Hans Apel entgegenhalten zu können. Kolbow: »Wenn Wörner so weitermacht wie bisher, wird er scheitern. Er hat schon jetzt die Hosen gestrichen voll.«

Entwurf der bayrischen Rüstungsfirma Messerschmitt-Bölkow-Blohm.

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