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ERZIEHUNG / KONFESSIONSSCHULEN Auf dem Rückzug

aus DER SPIEGEL 20/1967

Finsternis kommt über Deutschlands Katholiken. »Es lacht der Teufel«, weiß Kaplan Georg Göser im schwäbischen Bad Waldsee. »Unter uns sind die Schrittmacher der Gottlosen«, sagt Priester Fritz Grübius im pfälzischen Albersweiler. »Der Vorhang ist gefallen, das Spiel ist zu Ende«, resigniert Generalvikar Dr. Ernst Föhr in Freiburg.

Das ist schriller, verbitterter Abgesang auf den Verlust einer Bastion, die in Deutschland von der katholischen Kirche seit einem halben Jahrhundert verteidigt wird: die staatliche Konfessionsschule. Im Jahre des Herrn 1967 scheint der »Wohlgeruch religiösen christlichen Sinnes«, wie die Päpste Leo XIII. und Pius XI. das Air der katholischen Schule umschrieben, aus deutschen Klassenzimmern zu entweichen.

Im Süden und im Westen Deutschlands, wo die katholische Konfessionsschule der vorherrschende Schultyp ist, zeichnet sich die Niederlage immer deutlicher ab:

> In Baden-Württemberg hat der Landtag am Aschermittwoch sämtliche Konfessionsschulen per Gesetz liquidiert. Fortan gibt es dort nur noch die christliche Gemeinschaftsschule.

> In Nordrhein-Westfalen will die SPD/FDP-Regierung nur noch Sechs- bis Zehnjährige in Konfessionsschulen unterrichten lassen. Für alle Schüler vom fünften Schuljahr an soll es künftig nur noch Gemeinschaftsschulen geben.

> In Rheinland-Pfalz hat der Landtag die Verfassung geändert: Die Gemeinschaftsschule erhält den Vorrang, die Errichtung von Konfessionsschulen wird erschwert.

> In Bayern hat das von der FDP initiierte -- und im Januar nur knapp gescheiterte -- Volksbegehren für die Gleichstellung von Gemeinschafts- und Konfessionsschule gezeigt, daß auch in diesem Land die Konfessionsschule an Popularität verliert. Jetzt will die SPD eine Verfassungsänderung durchsetzen und der Gemeinschaftsschule den Vorzug geben. Unvermittelt und unausweichlich kam die neue Schulweisheit über die Bundesrepublik. Noch vor zwei Jahren, als der Heilige Stuhl und das Land Niedersachsen ein Konkordat zugunsten der Konfessionsschule geschlossen hatten, sah es so aus, als werde die katholische Position eher gefestigt. Doch dann -- im Laufe des letzten halben Jahres -- geschah, was der SPD-Fraktionschef im rheinlandpfälzischen Landtag, Otto Schmidt, einen »Aufbruch im schulpolitischen Denken« nennt.

Vergebens kreuzte ein Teil des katholischen Klerus gegen die neue Sintflut an. Der Geistliche Rat Gerhard Horstkemper, Schulreferent des Paderborner Kardinals Lorenz Jaeger, begegnete dem Argument, die Gemeinschaftsschule sei leistungsfähiger, mit dem Hinweis, auch Himmler und Goebbels hätten leistungsfähige Schulen besucht**. Und in Freiburg sprach Generalvikar Föhr -- halb warnend, halb drohend -- davon, nach Abschaffung der Konfessionsschulen würden viele Gläubige »das nächste Mal NPD wählen«.

Und ein katholischer Bischof, der seinen Namen nicht nannte, verglich im »Echo der Zeit« das Jahr 1967 mit dem Jahr 1933. Die katholische Kirche, die damals »den Kulturkampf nicht riskierte«, müsse ihn heute führen -- »den aufgezwungenen Schulkampf als Teil des allgemeinen Kulturkampfes«.

Die Waffen der Kirche: diplomatische Proteste des Heiligen Stuhls an das Auswärtige Amt; kaum verhüllte Drohungen, der Vatikan werde die Oder-Neiße-Grenze anerkennen; und Verhandlungen -- hinter den Kulissen heimlich in Hotels (so im »Frankfurter Hof« zu Frankfurt) und offiziell in Landeshauptstädten und im Vatikan (so mit Bonns Postminister Dollinger, Bayerns Kultusminister

* Der Schulbus bringt zunächst katholische Schüler aus der Umgebung der oberbayrischen Kreisstadt Fürstenfeldbruck zur katholischen Konfessionsschule im Westen der Stadt und anschließend (neben einigen Schülern der konfessionsneutralen Mittel- und Oberschulen) die evangelischen Schüler zur evangelischen Konfessionsschule Im Stadtzentrum.

** Goebbels besuchte in Rheydt eine katholische Volksschule und dann eine nichtkonfessionelle Oberschule. Himmler besuchte in München eine Gemeinschaftsschule und dann nichtkonfessionelle Gymnasien in München und Landshut.

Huber und demnächst wahrscheinlich mit Bundeskanzler Kiesinger).

Die staatliche Konfessionsschule, die von katholischen Klerikern so energisch verteidigt wird, ist nach der deutschen Volksmeinung zumindest überflüssig, wenn nicht sogar schädlich. Meinungsumfragen deutscher demoskopischer Institute haben ergehen, daß mehr als drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung für die Gemeinschaftsschule -- und damit gegen die Konfessionsschule -- eingestellt sind.

Insgesamt 2,9 Millionen westdeutsche Kinder zwischen sechs und 15 Jahren besuchen derzeit Gemeinschaftsschulen. 2,7 Millionen sind in der Obhut staatlicher konfessioneller Schulen -- davon mehr als die Hälfte in katholischen Häusern.

Und 108 000 Kinder besuchen eine Konfessionsschule der anderen Konfession (weil es am Ort oder in der Nähe weder eine Gemeinschaftsschule noch eine Schule der eigenen Konfession gibt). In jeweils zwei von drei katholischen Konfessionsschulen Bayerns sitzen Fremdlinge anderen Glaubens.

An diesen Reibungspunkten entzünden sich regelmäßig die Skandale und Affären, die zumal der katholischen Konfessionsschule einen schlechten Ruf eingetragen haben: Im Aachener Grenzland etwa ist die Geschichte von einem evangelischen Flüchtlingsmädchen überliefert, das Anfang der fünfziger Jahre in der katholischen Schule des Dorfes Kinzweiler seinen Geburtstag feiern wollte -- nicht, wie dort üblich, den Namenstag. Der Lehrer erläuterte den Unterschied: »Kinder kriegen Namen, nur Schweine werden geboren.«

Im oberbayrischen Bruckmühl mußten evangelische Schülerinnen die Klassen verlassen und auf dem Hof Ball spielen, als katholische Nonnen im Geschichtsunterricht die Reformation behandelten. Im pfälzischen Albersweiler drohte eine katholische Gemeindeschwester einem Mädchen, dessen Großmutter soeben gestorben war: »Deine Oma kommt ins Fegefeuer, wenn du in die Gemeinschaftsschule gehst.

Aber nicht solche Auswüchse sind es, die den Glauben an die Konfessionsschulen in Deutschland erschütterten. Ausschlaggebend war vielmehr die Erkenntnis, daß die konfessionelle Zersplitterung des Schulwesens den vielbeschworenen Bildungsnotstand mitverursacht.

Denn das deutsche Schul-Schisma bedingte und begünstigte ein nationales Übel: die Zwergschule. Seit alters her hielt sich fast jedes deutsche Dorf seine Schule -- oft alle acht Schuljahrgänge in einem Klassenraum. Unter namhaften Bundesbürgern ist zumindest einer, der das für sinnvoll hält: Bundespräsident Heinrich Lübke.

Das Präsidenten-Ideal bedeutet im konfessionell gespaltenen Deutschland, daß nicht nur jedem Dorf, sondern jeder Dorfkirche eine Schule zukommt. Welche Bildungs-Grotesken sich daraus ergeben können, erhellt am Beispiel des Marktes Triftern (1574 Einwohner) im bayrischen Landkreis Pfarrkirchen. Der Ort besitzt eine voll ausgebaute (achtklassige) katholische Bekenntnisschule. Unter demselben Dach werden auch 18 Protestantenkinder unterrichtet -- aber in einer einklassigen Zwergschule, und dort nur die Schüler der ersten vier Schuljahrgänge; die älteren müssen in den Nachbarort zur Schule gehen.

Aufs Ganze gesehen freilich ist die Zwergschule eher eine Katholiken-Crux,

> weil Katholiken überwiegend in zwergschulreichen ländlichen Distrikten siedeln und aus »sozial schwachen Schichten kommen« (Jesuiten-Professor Karl Erlinghagen);

> weil sich der katholische Klerus häufig sträubt, Zwergschulen auflösen und statt dessen vollstufige Mittelpunktschulen einrichten zu lassen (Geistlicher Rat Leopold Lerch, CSU, 1963: »Wir sind der Meinung, daß neben unseren Kirchen unbedingt die Schulen stehen müssen");

> weil in katholischen Schulen oft Glauben höher bewertet wird als Wissen. Noch immer gilt manchenorts, was die bayrischen Bischöfe vor über hundert Jahren, 1850, dekretierten: daß »Hauptbestimmung« der Schule die »Erziehung zu christlicher Frömmigkeit und Sitte« sei, »der übrige Unterricht ist im Vergleich ... nur Nebensache«. So warf die Illustrierte »Stern« vor dreieinhalb Jahren denn auch die Frage auf: »Sind Katholiken dümmer?« Sie läßt sich beantworten. Die Katholiken machen in der Bundesrepublik 45,2 Prozent der Bevölkerung aus -- aber nur 39,5 Prozent der Studentenschaft an den Hochschulen. In München müßten, gemessen am Bevölkerungsanteil, »77 Prozent der Gymnasiasten Katholiken sein -- es sind aber nur 53 Prozent. Und nur etwa jeder zehnte deutsche Professor ist Katholik. Für den Jesuiten Erlinghagen ist das »katholische Bildungsdefizit« einfach eine »Tatsache«.

Jahrzehntelang blieb das der katholischen Kirche verborgen, jahrelang wollte sie es nicht wahrhaben. Fromme Gläubige schwelgten in der Vorstellung, daß Schulen Gotteshäuser sein müßten -- wie Papst Leo XIII., der schon 1897 den »heiligen Atem« beschwor, der Lehrer wie Schüler erwärmen solle.

Von katholischem Geist erfüllt sein sollten, so Papst Plus XI. im Jahre 1929, »der ganze Unterricht und Aufbau der Schule: Lehrer, Schulordnung und Schulbücher«, und die Schulen sollten »unter Leitung und mütterlicher Aufsicht der Kirche« stehen.

Doch Mutter Kirche und Vater Staat waren sich in Deutschland häufig uneins« wenn es um die Erziehung der Kinder ging. Bis 1918 schien der Bund zwischen Thron und Altar die Erziehung der Jugend zu frommen Untertanen zu sichern. Die gekrönten und die geweihten Häupter waren sich so einig, daß der Staat den Pfarrern sogar die Aufsicht über seine Schulen übertrug.

In der Novemberrevolution räumten die Monarchen und Fürsten ihre Throne, die Geistlichen ihre Aufsichtsämter. Und es schien sogar das Ende der Konfessionsschule nahe: In der Weimarer Verfassung wurde die »für alle gemeinsame Grundschule« zum Prinzip erhoben, und nur auf Antrag sollten Konfessionsschulen errichtet werden dürfen.

Aber die katholische Kirche kämpfte um ihre Schulen und blieb oft siegreich. Doch es waren Pyrrhus-Siege. 1924 etwa errang der Heilige Stuhl einen Erfolg -- an einer Front, an der es kaum Gegner gab: im Freistaat Bayern (damals 70 Prozent katholisch), der in einem Konkordat die katholische Konfessionsschule garantierte.

Vergebens bemühten sich der Vatikan und die katholischen Bischöfe, sich solche Garantie-Scheine auch von den Preußen (Konkordat 1929), von Anhalt (Kirchenvertrag 1932) oder von Baden (Konkordat 1932) geben zu lassen.

Der damalige Berliner Nuntius Eugenio Pacelli -- der spätere Papst Plus XII. -- war es, der demonstrierte, wie schnell die katholische Kirche nach einer Niederlage von radikalen Forderungen auf stille Resignation umschalten konnte.

Zunächst präsentierte Pacelli eine Liste von Forderungen, die den Staat in seinen eigenen Schulen zugunsten der Kirche entmachten sollten: Bei Abweichungen von der »kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre« sollte jeder Lehrer versetzt werden; die Kirche müsse »in den Schulverwaltungsorganen« Sitz und Stimme erhalten und bei »der Prüfung der Lehramtskandidaten« mitwirken.

Doch die Liste verschwand in der Ablage, als die Preußen nur zu einem viel bescheideneren Schulkompromiß bereit waren. Und als sich auch dagegen noch ein Proteststurm erhob (Preußens Protestanten sammelten drei Millionen Unterschriften), teilten die Unterhändler dem Nuntius mit, sie wollten die Konfessionsschule lieber im Konkordat überhaupt nicht erwähnen. Pacelli drohte erst, dann werde es überhaupt kein Konkordat geben; doch schließlich unterschrieb er doch.

Was die Demokraten in der Weimarer Republik dem Heiligen Stuhl bis zuletzt verweigerten, gestand Hitler ihm schon sechs Monate nach der Machtübernahme zu: ein Konkordat mit Garantien für die Konfessionsschulen. Artikel 23: »Die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen bleibt gewährleistet.«

Doch Hitler hielt sich nicht an den Buchstaben des Reichskonkordats; er hob die Konfessionsschulen zum größten Teil auf. Und nach dem Ende des Hitler-Reiches, als vielen Bischöfen die Zeit für eine umfassende Konfessionalisierung der Schulen gekommen zu sein schien« entschieden sich mehrere Parlamente für die Gemeinschafts- und gegen die Konfessionsschule.

Nur in einem Teil der Bundesrepublik wurden die Schulen wieder konfessionalisiert; in sieben von elf Bundesländern wurde die Gemeinschaftsschule zur Regel oder sogar zur einzigen Schulart (siehe Graphik Seite 60).

Während die katholischen Bischöfe beispielsweise in Bayern durchsetzten, daß über 90 Prozent der katholischen Kinder katholische Bekenntnisschulen besuchten, unternahmen sie in Hessen zwei Jahrzehnte lang, bis heute, buchstäblich nichts, um Konfessionsschulen -- staatliche oder private -- zu errichten.

Aber noch andere Widersprüche erschweren den Kampf der katholischen Kirche:

> Zehn- bis vierzehnjährige Katholiken werden mit zweierlei Maß gemessen. Für die Volksschüler wird in einigen Bundesländern die Konfessionsschule verteidigt, ihre gleichaltrigen Glaubensgenossen aber dürfen überall in der Bundesrepublik konfessionsneutrale Mittel- und Oberschulen besuchen.

> Die staatliche Konfessionsschule gibt es außer in Deutschland nur noch in Spanien, Italien, Portugal, einem Schweizer Kanton und Elsaß-Lothringen. Überall sonst in Europa und der Welt sind die staatlichen Schulen neutral und nur private Schulen konfessionell.

> Jeder deutsche Bischof pocht auf das Recht der Eltern, über die Schulart -- Gemeinschafts- oder Konfessionsschule -- selbst zu entscheiden. In der Praxis aber wird die Abstimmung der Eltern oft von Priestern hintertrieben. So wird eine geheime Abstimmung häufig dadurch verhindert, daß katholische Eltern zum Daheimbleiben aufgefordert werden und schon die Teilnahme an der Abstimmung als Votum gegen die Konfessionsschule gewertet wird.

> Sogar der erzkonservative Schul-Bischof Johannes Pohlschneider spricht sich wie der Jesuiten-Professor Karl Erlinghagen und die FDP-Bildungspolitikerin Hildegard Hamm-Brücher dafür aus, daß katholische Kinder katholische Privatschulen besuchen. Pohlschneider: »Die ideale Lösung.« In der Praxis aber verteidigt der Bischof die staatliche Konfessionsschule und widersetzt sich jeder Privatisierung.

> Katholische Oberhirten wie der Kölner Kardinal Frings und der Aachener Bischof Pohlschneider behaupten, die Eltern, die ihre Kinder auf Konfessionsschulen schicken, hätten sich dadurch als Anhänger dieser Schulart erwiesen. Tatsächlich aber haben sie oft gar keine andere Wahl. Und auch wo gewählt werden kann, gehen viele -- so bekannte Oberschulrat Glück, Vorsitzender der bayrischen Katholischen Erziehergemeinschaft -- »vorn näheren Schulweg, von den geringeren Verkehrsgefahren, dem neuen Schulhaus aus«.

Nur in einem einzigen Land wagte die katholische Kirche einen Schulkampf mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote stehen: in Niedersachsen. 1954 organisierten die katholischen Bischöfe dort einen »erschütternden Aufschrei der Volksseele«, wie es der damalige Hildesheimer Bischof Godehard Machens nannte. Die Gläubigen wurden auf die Straßen geschickt -- an einem Tage waren es in Hannover 50 000 -, um durch Demonstrationen ein neues Schulgesetz zu verhindern. Es sollte den Gemeinschaftsschulen den Vorrang endgültig sichern und die Rechte der Konfessionsschulen beschneiden.

Doch es war ein Kampf ohne Sieg. Demonstrationen, Schulstreiks und auch ein Protest-Ruf des Papstes Plus XII. blieben vergebens: Das Gesetz wurde mit großer Mehrheit verabschiedet.

Die Bundesregierung verbündete sich mit dem Heiligen Stuhl und strengte einen Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht an. Durch ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts sollte Niedersachsen gezwungen werden, das Schulgesetz zu revidieren. Doch Karlsruhe entschied anders: Zwar sei das 1933er Reichskonkordat geltendes Recht, doch die Bundesländer seien verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die Schul-Artikel einzuhalten und Konfessionsschulen zuzulassen oder gar zu garantieren.

Erst Jahre später, 1965, schien die im niedersächsischen Straßenkampf und vor dem höchsten deutschen Gericht geschlagene katholische Kirche doch noch zu siegen. Die SPD, mittlerweile von Herbert Wehner auf prokirchlichen Kurs gebracht, war nun in Hannover bereit, dem Heiligen Stuhl in einem Konkordat günstigere Bedingungen für die Errichtung und den Ausbau der Konfessionsschulen zu gewähren. Nach einem beispiellosen Kulturkampf, in dem fast die gesamte Lehrerschaft Niedersachsens gegen Kirche und Konfessionsschule Front machte, wurde das Niedersachsen-Konkordat unterzeichnet.

Doch für die katholische Kirche war es ein Sieg ohne Lohn. In Wirklichkeit blieben die Konfessionsschul-Gegner erfolgreich: Die Kirche wagte es bislang nicht, auch nur von einer einzigen Konkordats-Bestimmung zugunsten der Konfessionsschule Gebrauch zu machen. »Wir haben recht behalten«, meint heute Helmut Lohmann, Vorsitzender des niedersächsischen Lehrerverbandes und einst schärfster Konkordatsgegner, »das Niedersachsen-Konkordat war und ist überflüssig. Der Kirche hat es bislang nichts genützt, der Schule hat es bislang nicht geschadet. Wir sorgen dafür, daß es dabei bleibt.«

In Niedersachsen versuchte es die Kirche zum letztenmal mit einem Angriff. Dann lieferte sie nur noch verlustreiche, zumeist vergebliche Verteidigungsschlachten -- in Baden-Württemberg wie in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz wie in Bayern.

Im weißblauen Süden Deutschlands, wo es nach der jüngsten Statistik 6300 Konfessionsschulen (zu 75 Prozent katholisch) gegen 260 Simultanschulen gibt, weissagte am 3. Oktober 1962 die Verbandszeitschrift der katholischen Erzieherschaft: »Die vielbesprochene Dorfgemeinschaftsschule wird nicht kommen, solange die CSU besteht.«

Die CSU blieb bis jetzt bestehen, doch sie begann verdächtig häufig von gemeinsamen Schulen für mehrere Dörfer zu sprechen. Ludwig Huber, seit 1964 CSU-Kultusminister Bayerns, setzte ein neues Volksschulgesetz durch. Damit will er behutsam die rund 2900 bayrischen Zwergschulen liquidieren. Über das Land soll ein Netz von »Verbandsschulen« gezogen werden, jede mit mindestens vier Klassen.

Zwar stemmte sich die Christenpartei, deren Verbandsschulpolitik zwangsläufig auch die Bekenntnisschule antastet, im Januar dieses Jahres gegen ein FDP-Volksbegehren, das die verfassungsrechtliche Gleichstellung der Simultan- und Konfessionsschule erzwingen sollte.

Aber die Aktion der Freien Demokraten verfehlte -- obwohl von frommen Fanatikern und beschränkten Bürgermeistern behindert -- ihr Ziel nur knapp: Statt der erforderlichen 671 774 Bayern (zehn Prozent der Wahlberechtigten) unterschrieben 625 464 (9,3 Prozent). Und mit den Unterschriftslisten wurde die Debatte um eine Schulreform auch in das kleinste Dorf getragen.

Das Schwarze an Bayern changiert ins Graue. Die SPD-Führung wurde von Genossen im ganzen Land zu Taten gedrängt, bevor »auch die CSU einsichtig wird und von sich aus die Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule als Regelschule fordert« (SPD-Ortsverein Haar bei München). Und die SPD-Spitze entschloß sich denn auch, einen Antrag auf Änderung der bayrischen Verfassung im Landtag einzubringen. Kernsatz: »Die öffentlichen Volksschulen sind christliche Gemeinschaftsschulen.« Nicht mehr, wie bisher, die Gemeinschaftsschulen, sondern die Konfessionsschulen sollen nur »auf Antrag« errichtet werden. In Baden-Württemberg ist man über dieses Stadium, in das die Bayern noch nicht gekommen sind, schon hinaus. Am Aschermittwoch paukte die vom Komtur des katholischen Ritterordens vom Heiligen Grabe zu Jerusalem, Hans Filbinger, geführte CDU/SPD-Regierung ein neues Schulgesetz durch, das die christliche Gemeinschaftsschule zur einzigen Form der öffentlichen Grund- und Hauptschule im ganzen Land bestimmt.

Es war das Ende der 664 katholischen und 314 evangelischen Bekenntnisschulen im Landesteil Südwürttemberg-Hohenzollern. Die katholischen Bischöfe, angeführt von dem Freiburger Erzbischof Hermann Schäufele, hatten damit nicht gerechnet. In den Verhandlungen waren sie noch optimistisch und verwahrten sich dagegen, daß künftig hier und da katholische Konfessions- mit Gemeinschaftsschulen zusammengelegt werden. Heute gibt es dieses Problem nicht mehr, weil es keine Konfessionsschulen mehr gibt.

Der höhere Klerus intervenierte beim Bonner Auswärtigen Amt, kündigte prozessuale Schritte an und beschwor den Volkszorn. Aber im Stuttgarter Landtag gingen bislang nur rund 50, teils anonyme Protestschreiben von Geistlichen und Eltern ein. »Die Lage ist«, wie Oberschulamtspräsident Eugen Kaier erläutert, »völlig anders, als man nach den Klagen annehmen könnte.«

Freilich: Die Südwester hatten nur ein bescheidenes Territorium konfessionell zu befrieden. An Rhein und Ruhr ist das Bollwerk der Bekenntnisschule per Struktur und Tradition ungleich fester gefügt.

> Von den insgesamt 6407 Volksschulen sind 3667, mehr als die Hälfte, katholische und 1782 evangelische Bekenntnisschulen, und es gibt nur 955 Gemeinschaftsschulen.

> Von den 1,5 Millionen Volksschülern gehen rund 1,2 Millionen auf Konfessions-, nur 280 000 in Simultanschulen.

Das soll nun ganz anders werden. Politiker der in Düsseldorf regierenden SPD und FDP sind Mitte März im rheinischen Schloß Kalkum übereingekommen, die Volksschule in Grund- und Hauptschule zu trennen. Die Hauptschule soll ausnahmslos Gemeinschaftsschule sein. Zum Ausgleich soll der katholischen Kirche angeboten werden, private Bekenntnisschulen zu errichten, die vom Staat nahezu vollständig finanziert werden.

Der Schulstreit entbrannte sogleich in voller Schärfe, die Fronten formierten sich: Dem SPD-Ministerpräsidenten Heinz Kühn und seiner Regierung zur Seite standen als gewichtige Streiter die evangelische Kirche und weitaus die meisten Lehrer. Ihr Blatt »Die neue deutsche Schule« schrieb: »Die Lehrerschaft atmet auf. Endlich eine klare Entscheidung.«

Auf der anderen Seite scharten sich die Gemeinschaftsschulgegner um die von den Kardinälen Frings und Jaeger angeführten katholischen Bischöfe des Landes. Ende März richteten die geistlichen Herren eine Protestnote an die Landesregierung, meldeten »Erstaunen und Enttäuschung« und qualifizierten die Kalkumer Beschlüsse als Verstoß gegen die demokratischen Grundrechte, die Menschenrechtskonvention und das Reichskonkordat.

Der anvisierte Gegner zeigte keine Wirkung: Die evangelische Kirche ließ erklären, sie müsse »mit allem Nachdruck auf ihrem Standpunkt beharren«, daß in der geplanten Hauptschule »Kinder beider Konfessionen gemeinsam erzogen« werden.

Und nun brach sogar die bis dahin geschlossene katholische Front auseinander: 15 katholische Professoren von Pädagogischen Hochschulen des Landes protestierten in einem offenen Brief gegen den Bischofs-Protest und forderten die Geistlichkeit auf, ihre Haltung noch einmal zu überprüfen -- was »in Kreisen der katholischen Kirche ... größte Überraschung« auslöste ("Westdeutsche Allgemeine").

Und auch die Einheit der Christdemokraten beginnt zu zerbröckeln. Zwar legte die CDU-Landtagsfraktion einen Zwei-Stufen-Plan zur »Erhaltung des Konfessions- und Schulfriedens im Lande« vor, in dem sie an der Konfessionsschule festhält. Doch hat die Junge Union des Rheinlands mit 105 gegen 60 Stimmen fast das Gegenteil beschlossen: »Für die Hauptschule ist ... als staatliche Regelschule eine für alle offene Gemeinschaftsschule auf christlicher Grundlage einzurichten.« Der Vorsitzende der Jungen Union, Bundestagsabgeordneter Ab Hauser, proklamierte: »Die Union ist kein Erfüllungsgehilfe kirchlicher Wünsche.«

Im Ruhrrevier kann die Kirche ihre Schulforderungen vielleicht noch durchsetzen, im Rebenrevier Rheinland-Pfalz ist die Entscheidung gefallen. In diesem Retortenland, das nach dem Krieg aus Teilen Preußens, Hessens und Bayerns gefügt wurde und seither christdemokratisch regiert wird, sind 56 Prozent der Bevölkerung katholisch, 42 Prozent evangelisch. Und so sieht es auch in den Schulen aus, die laut Verfassung den Kindern »Gottesfurcht und Nächstenliebe« beibringen sollen: Von den 2904 Volksschulen sind 2070, also mehr als zwei Drittel, Konfessionsschulen, nur 834 Gemeinschaftsschulen. Achtklassig, und mithin voll ausgebaut, sind lediglich 11,4 Prozent aller Schulen.

Nach dem Beschluß der drei Parteien wird vorab die Hauptschule von der Grundschule (die auch weiterhin überwiegend konfessionell ausgerichtet sein soll) getrennt. Im ganzen Land werden etwa 500 Hauptschulen eingerichtet, die meisten davon werden zweizügig sein und simultan -- es sei denn, mindestens 66,7 Prozent aller Eltern im Schulbezirk stimmen für eine konfessionelle Gliederung.

Einzügige Hauptschulen (SPD-Landeschef Jockel Fuchs: »Die Krone des Unmöglichen") sollen künftig nur noch in dünn besiedelten Regionen zugelassen werden. Bei diesen Zwerg-Hauptschulen aber müssen sogar wenigstens 80 Prozent der Eltern für den Bekenntnis-Typ votieren, sonst werden sie grundsätzlich zu Gemeinschaftsschulen deklariert.

Die Abstimmungen werden geheim sein; wer nicht abstimmt, wählt damit die Gemeinschaftsschule. Dem Gewissenszwang, mit dem Ortspriester und Oberhirten die Eltern nicht selten drangsaliert haben, ist vorgebaut.

So verschieden das Tempo ist, mit dem die Gemeinschaftsschule Vorsprung gewinnt -- forsch etwa im Südwesten und im Kohlenpott, nur schwerfällig in Bayern -, so ist doch den Regional-Parlamenten eines gemeinsam: Keine Landtagsfraktion plädiert mehr ohne Vorbehalt für die Konfessionsschule, keine befehdet mehr die Gemeinschaftsschule.

Noch streiten sich auch in den Parteien die gemäßigten mit den radikalen Simultanschul-Freunden, die verzichtbereiten mit den verteidigungsbereiten Konfessionsschul-Anhängern. Für viele Christdemokraten ist es eine neue Welt, die sie entdecken wollen. Aber an keiner Partei auch zeichnet sich der »Aufbruch im schulpolitischen Denken« so exemplarisch ab wie an der CDU.

Noch 1963, als in Bayern die SPD vorschlug, kleine Landschulen zu Mittelpunktschulen zusammenzulegen, flüchtete sich der CSU-Politiker und spätere Ministerpräsident Alfons Goppel ins Moralische: »Für die beginnenden Pubeszenden« sei »das Fahren zum Unterricht ... eine nach meiner Meinung nicht von der Hand zu weisende Gefahr«.

Aber jüngst wehrte in Stuttgart der CDU-Landtagsabgeordnete Theopont Diez, der bis dahin als ein tiefschwarzer Kulturkämpfer galt, vehement die Proteste der katholischen Kirche gegen das neue Schulgesetz ab: »Wir sehen, daß in Südwürttemberg in vielen Abstimmungen die Eltern nach der christlichen Gemeinschaftsschule fragen und sie mit recht großen Mehrheiten fordern. Das zeigt uns, daß auch in der katholischen Bevölkerung eine Bewegung entsteht, die nicht mehr dem entspricht, was wir früher einmal gehabt haben«

Im Lande Rheinland-Pfalz fand vor kurzem noch der CDU-Landesvorsitzende Helmut Kohl, für seine Partei sei die religiöse Erziehung der Kinder »genauso wichtig wie die Erlernung einer Fremdsprache, wie eine Intensivierung des Naturkundeunterrichts«. Kohl selber aber war es, der seine Parteifreunde drängte, sich den Reformplänen von SPD und FDP aufzuschließen.

Nicht immer war es nur Einsicht, die das fromme Fähnlein einlenken ließ; nicht selten tarnte der Fortschritt politisches Kalkül. So retteten sich in Baden-Württemberg die Christdemokraten mit dem Schulgesetz vor einem Abstieg in die Opposition: Die SPD hätte sonst mit der FDP paktiert. Und in Nordrhein-Westfalen gibt sich die CDU im Schulstreit zurückhaltend, weil sie noch immer auf eine Große Koalition mit der Sozialdemokratie hofft.

Und wie die Parteien -- teils aus Taktik, teils aus Einsicht -- im Kampf um die Gemeinschaftsschule neue Positionen bezogen, brach während der letzten Jahre auch in der Kirche selber ein Wandel auf. Das wurde deutlich auf den letzten Katholikentagen.

1964 in Stuttgart galt der rheinlandpfälzische Staatssekretär Hermans noch als Außenseiter, als er vorsichtig zur Einsicht mahnte, und der erzkonservative Schulbischof Pohlschneider gab Kampflosungen aus ("Binden wir ... unseren Helm fester, und schließen wir uns eng zusammen!").

1966 in Bamberg stand Hermans im Mittelpunkt, und der -- wie Pohlschneider erzkonservative -- gastgebende Erzbischof Schneider machte sich selbst zum Außenseiter, als er nach einem Hermans-Referat unter Protest den Saal verließ.

Das wurde auch deutlich beim Kampf um die Konfessionsschule in Südwürttemberg-Hohenzollern. Zuerst trieben katholische Kampfkommissionen sich mit Fragen wie »Soll wieder Macht vor Recht ergehen?« selbst auf die Barrikaden.

Doch nichts von alldem, womit die Katholiken gedroht hatten, trat ein. Weder die Bischofskonferenz noch auch nur ihr Vorsitzender Julius Kardinal Döpfner sagten über die in Südwürttemberg-Hohenzollern verlorene Schlacht ein einziges böses Wort.

Statt dessen gaben die Bischöfe eine Erklärung ab, die wie ein Dementi ihrer früheren Hirtenworte klang: »In keiner Weise« verschlössen sie sich »schulorganisatorischen Reformen, wo immer und soweit der Strukturwandel unserer modernen Gesellschaft es erfordert«. Ernstgemeinte Reformvorschläge würden sie »nicht nur mit Wohlwollen und Weitherzigkeit prüfen, sondern auch an deren Verwirklichung tatkräftig mitwirken«. Sie wünschten »mit den katholischen Eltern für unsere Kinder eine leistungsfähige, ja die bestmögliche Schule«.

Näheren Aufschluß über den künftigen Kirchenkurs mochte Döpfner nicht geben. Die Bischöfe haben vereinbart, vorerst zu schweigen und sich erst auf eine gemeinsame Linie zu einigen.

Das wird nicht leicht sein, denn die Verwirrung im katholischen Lager ist groß.

Viele haben die Flucht nach vorn angetreten. Fast überall, wo in überwiegend katholischen Gemeinden Bayerns Stadträte und Eltern über die Schulform abstimmten, entschieden sie sich gegen Konfessions- und für Gemeinschaftsschulen. Im bayrischen Garching war es sogar der katholische Pfarrer Lehrberger, der den Eltern die Gemeinschaftsschule öffentlich empfahl.

200 Katholiken der Erzdiözese Freiburg -- überwiegend Akademiker -- übergingen ihren Oberhirten Schäufele und adressierten ein Memorandum gleich an Kardinal Döpfner, den Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Kernsatz: »Guten Gewissens können wir erklären, daß wir die christliche Gemeinschaftsschule für eine Schulform halten, die auch von Katholiken in der Gegenwart voll bejaht werden kann.«

Während im katholischen »Echo der Zeit« zum Kulturkampf aufgerufen wird, mahnt die »Münchener Katholische Kirchenzeitung« zum Frieden: »Im Dorf gilt das Gesetz, daß scharfe Hunde an die Kette zu legen sind. Das gilt im übertragenen Sinne auch im gesellschaftlichen Zusammenleben.«

Und auch im hohen Klerus herrscht Zwietracht. Der Bonner Nuntius Corrado Bafile, Repräsentant der höchsten Instanz -- des Heiligen Stuhls -, ist im Gegensatz zu mehreren deutschen Bischöfen ein Verfechter des harten Kurses.

Als die Liquidierung der Konfessionsschulen in Baden-Württemberg bevorstand, hielt es der geistliche Diplomat für zweckmäßig, mit einem »Hinweis zu drohen, der einer politischen Erpressung nahekommt« ("Stuttgarter Zeitung"): Bafile deutete an, daß bei Verletzung der Schulbestimmungen des Reichskonkordats durch die Deutschen der Vatikan möglicherweise die Oder-Neiße-Grenze anerkennen werde (SPIEGEL 17/1967). Und jüngst verwies er in einem Protest-Brief an Bundesaußenminister Brandt auf die »Tragweite der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages«.

Wenn der hohe Klerus den Bafile-Kurs steuert, so drohen ebenso langwierige wie für die Kirche wahrscheinlich nutzlose Kämpfe: der katholischen Kirche gegen den Staat -- um die Konfession in den Schulen; des Bundes gegen die Länder -- um die Kulturhoheit; der Katholiken gegen die Protestanten und der Katholiken untereinander.

Doch je radikaler sich Nuntius und Bischöfe geben, um so schwerer fällt ihnen der Rückzug auf eine haltbare Position. Der Kampf um die Konfessionsschule wird nicht auf dem Diplomaten-Parkett und nicht auf dem Konkordats-Papier entschieden, sondern in den Bundesländern und dort vor allem in den Schulen, von den Eltern und den Lehrern.

Und unter Deutschlands Katholiken verbreitet sich unterdessen die Erkenntnis, daß -- so Oberschulrat Ludwig Glück, Vorsitzender der bayrischen Katholischen Erziehergemeinschaft -- »das, was wir heute Bekenntnisschule nennen, den rasanten Kampf gar nicht wert ist«.

Denn weithin ist die katholische Konfessionsschule längst zur Fiktion geworden. Überall wird nach denselben Lehrplänen unterrichtet wie an den Gemeinschaftsschulen. Dem Lehrer steht es zumeist frei, ob er katholische oder neutrale Lehrbücher wählt; die einen wie die anderen müssen vom jeweiligen Kultusministerium zugelassen werden.

In mehreren Prozessen wurde geklärt, daß die katholische Kirche die Lehrer, die ihr nicht genehm sind, kaum von den Konfessionsschulen vertreiben kann. So hat beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht der bayrischen Dorfschullehrerin Emma Rupprecht bescheinigt, daß sie -- obschon mit einem geschiedenen Mann und deshalb nach katholischem Kirchenrecht »ungültig« verheiratet -- weiterhin an einer katholischen Konfessionsschule unterrichten darf.

Wie katholisch es an einer Schule zugeht, entscheiden weder die Bischöfe noch ihre Kanones, weder die Kultusminister noch ihre Paragraphen, sondern allein die Lehrer. Sie sollen -- aber brauchen nicht -- die Kinder zur Messe und zur Beichte führen, lieber die Namens- als die Geburtstage feiern, katholische Festtage nicht nur im Religionsunterricht würdigen und im Mai Marienaltäre schmücken lassen. Und niemand kann einen Lehrer zwingen (von tiefschwarzen Gegenden abgesehen), dem Priester »vielfältige Möglichkeiten der Teilnahme am Klassenleben zu bieten«, wie es der Münchner Domkapitular Hubert Fischer verlangt.

Längst sind sich auch gläubige katholische Lehrer nicht mehr darüber einig, ob sich der katholische Geist einer Schule »in tausend Kleinigkeiten des Alltags verraten« soll (Erzbischof Alfred Bengsch, Berlin), ob beispielsweise Heiligenbilder an den Wänden dazu gehören oder ob moderne Drucke die Schule schmücken dürfen.

Auch wenn ein Lehrer das katholische Lesebuch »Sieben Ähren« anschaffen läßt, bleibt es ihm überlassen, ob er nun ausgerechnet die »Wallfahrt eines Rennfahrers« zur »Gnadenmutter von Mariabronn« lesen und das Gedicht von der »Schutzmantelmadonna« lernen läßt oder sich für die -- weit zahlreicheren -- neutralen Stücke und Verse entscheidet.

Daß es keine katholische Bauchwelle und kein evangelisches Einmaleins gibt, ist heute auch katholische Schulweisheit. Dazu der Hamburger Priester Henry Fischer: »Es gibt keine katholische Algebra. Das gilt für die sachgerechten Fächer schlechthin.«

Nicht zu diesen Fächern gezählt werden meist Deutsch, Heimat- und Erdkunde, Biologie und Geschichte. Den Unterschied zwischen katholischem und nicht-katholischem Biologieunterricht sieht Fischer so:

> »Wir lehren zum Beispiel, daß der Geschlechtsverkehr vor der Ehe nicht erlaubt ist. Es könnte sein, daß an anderen Schulen gesagt wird, der Geschlechtsverkehr ist vor der Ehe erlaubt.«

> Und: »Für uns ist das biologische Leben nicht der höchste Wert. Höchster Wert ist für uns das Leben vor Gott. Dafür würden wir unser biologisches Leben einsetzen.«

Auch Anhängern der Konfessionsschule fällt es zumeist schwer, die Eigenart dieses Typs zu definieren. Einige katholische Schulen haben einen so guten Ruf, daß sie auch für evangelische Eltern attraktiv sind. Andere sind so rückständig, daß sie auch fromme Katholiken erschaudern lassen (siehe Berichte Seite 62 und 63).

Doch wie immer es drinnen aussehen mag: Die Konfessionsschulen sind neben den Kirchen die letzten Institutionen mit christlichem Etikett -- in Deutschland, einem »Heidenland mit christlicher Vergangenheit und christlichen Restbeständen« (Jesuit Karl Rahner). Aus dieser Erkenntnis ziehen katholische Kleriker unterschiedliche Schlüsse. Die Konservativen wollen eben deshalb diese letzte Bastion mit allen Mitteln verteidigen: Hier kann die Kirche noch vier oder sogar neun Jahre lang mit Katholiken Kontakt halten, die sie sonst nur noch bei der Taufe, der Firmung, der Hochzeit und der Letzten Ölung sieht.

Doch diese Bastion ist, wie es scheint, verloren. Staatliche Konfessionsschulen und Konkordate sind, so schrieb jüngst der katholische Publizist Walter Dirks in den »Frankfurter Heften«, »unhaltbar gewordene Positionen, die man in Rückzugsgefechten verteidigt -- von vornherein verurteilt zu Niederlagen oder zu Pyrrhus-Siegen«.

Und die im Klerus hochgeschätzte »Herder-Korrespondenz« meinte zu der (dem Jesuiten Erlinghagen zugeschriebenen) Prognose, in zehn bis 20 Jahren werde es keine staatlichen Konfessionsschulen mehr geben: »Eine realistische Betrachtung der schulpolitischen Situation ... läßt den Schluß zu, daß dieses Wort eher zu optimistisch war.«

Viele Katholiken -- auch viele Priester -- sehen dieser Zukunft gelassen entgegen. Sie wissen längst, daß in einem überwiegend heidnischen Land auch die Schulen so heidnisch oder christlich sind, wie Lehrer und Kinder. Jesuit Erlinghagen: »Bei der religiösen Indifferenz ist eine staatliche Konfessionsschule, die für die Kinder dieser Konfession verpflichtend ist, auf die Dauer auch religiös indifferent.«

Mithin: Eine Gemeinschaftsschule, in der gläubige Katholiken unterrichten, ist »katholischer« als eine katholische Konfessionsschule, deren Lehrer de facto ungläubig sind.

Die christliche Gemeinschaftsschule, wie sie sich heute in der gesamten Bundesrepublik als Schultyp der Zukunft abzeichnet, scheint diesen Katholiken wenigstens noch einen Rest von Frömmigkeit zu garantieren.

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