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SPD/KATHOLIZISMUS Auf dem Sterbebett

aus DER SPIEGEL 14/1971

SPD-Katholik Hermann Schmitt-Vockenhausen riet seinem Glaubens-Genossen Georg Leber, sich einfach »dumm zu stellen«.

Die beiden sozialdemokratischen Renommier-Katholiken ratschlagten, wie sie einen Beschwerdebrief an Deutschlands obersten Kirchenfürsten, den Münchner Kardinal Julius Döpfner, so einleiten könnten, daß er dem Adressaten nicht gleich als Klage erscheine. Schmitt-Vockenhausen zu Leber: »Schreib doch einfach so, Schorsch: Mit Interesse habe ich in der spanischen Zeitung »ABC' gelesen, daß es in Bonn einen katholischen Club gibt, der nur CDU-Mitglieder aufnimmt.«

Verkehrsminister Leber fand an dem Vorschlag Gefallen, aber den Brief traute er sich doch nicht zu schreiben.

So unsicher wie Leber ist die ganze SPD. Herbert Wehner, seit je um ein gutes Verhältnis zu den Kirchen bemüht, räumt ein: »Der Faden ist abgerissen.« Und die Partei hat keinen Plan, wie sie ihn wieder anknüpfen soll.

Beim Regierungswechsel vor eineinhalb Jahren sind Bonns Katholiken-Lobby, ein großer Teil des Klerus und viele der organisierten Laien gemeinsam mit der CDU/CSU in die Opposition gegangen. Herbert Becher, Referent im »Katholischen Büro«, der offiziellen Vertretung des deutschen Episkopats beim Bund: »Die Repräsentanten des Katholizismus stehen fast geschlossen gegen diese Regierung.«

Was es bedeuten kann, wenn das so bleibt, errechnen gläubige Sozialdemokraten wie Schmitt-Vockenhausen nach einer Faustregel: »Gegen die Kirche kommen wir bei Wahlen nicht an.«

Tatsächlich haben die Genossen in den sechziger Jahren, als sie die katholische Kirche wo immer möglich hofierten, viele katholische Arbeitnehmer als Wähler gewonnen. Offen blieb jedoch, ob diese neuen Wähler nicht schon wegen des Machtverlusts der Kirche der SPD zufallen mußten.

So liegt für Bonns Sozialdemokraten der politische Einfluß der katholischen Kirche immer noch in drohendem Dunkel. Da ihr das Wahlrisiko bei einer Konfrontation mit der Kirchenobrigkeit zu hoch erscheint, versucht die SPD-Spitze, es durch forcierte Kontaktpflege zu begrenzen. Fraktionschef Wehner traf sich In jüngster Zelt mehrmals mit Prälat Wilhelm Wöste, dem Leiter des Bonner »Katholischen Büros«. Wehners Parole: »Wir müssen wieder Ins Gespräch.«

Am 12. März trafen sich auch zum erstenmal SPD-Kanzler Willy Brandt und Kirchenfürst Döpfner im Palais Schaumburg. Sie diskutierten -- zunächst unter vier Augen und dann im Beisein von Justizminister Gerhard Jahn -- über Konfliktstoffe wie Pornographie, Abtreibung und Ehescheidung. Doch auch nach dem ersten Spitzengespräch blieb das Mißtrauen.

Denn die konservative Mehrheit der Amtskirche geht davon aus, daß ihr nur die C-Parteien Macht und Einfluß im Staat sichern können. Und so verweigern die Bonner Polit-Zentralen des Katholizismus das »Katholische Büro« und der »Katholische Club« -- den neuen Herren noch immer Kooperation und Anerkennung. Der »Katholische Club«, ein 1951 gegründeter Freundeskreis einflußreicher Unions-Politiker, Wirtschaftler und Beamter, versperrt sozialdemokratischen Glaubensbrüdern einfach den Zutritt.

»Club« und »Büro« sind nach dem Urteil von Wöstes Referenten und »Club«-Sekretär Becher »quasi identisch«. Unter der geistlichen Oberaufsicht des Prälaten Wöste und in der weltlichen Regie des Kölner Handwerkskammer-Präsidenten Bernhard Günther sind unter anderen Ex-Bundespräsident Heinrich Lübke, der ehemalige Familienminister Franz-Josef Wuermeling, CSU-Ultra Richard Jaeger, Vertriebenen-Präsident Herbert Czaja und Konrad Adenauers Hans Globke für fünf Mark im Monat dabei, wenn etwa CDU-MdB Heinrich Windelen vor dem 400 Mitglieder starken »Club« gegen die Bonner Ostpolitik wettert.

Insider Becher hat den Eindruck, daß der Club zwar nicht »bewußt« als politische Pressure-group auftritt, seine Basis aber »größer als die irgendeines anderen Vereins« ist.

Tatsächlich reichte der Einfluß des Clubs unter CDU-geführten Regierungen in jedes Bonner Ministerium, So dirigierte etwa Clubmitglied Johann Frank die Grundsatzabteilung im Arbeits- und Sozialministerium und Clubmitglied Philipp Ludwig im Familienministerium die Abteilung Jugendpolitik.

Obwohl die Glaubenskoalition mit der CDU den Katholiken seit dem Bonner Machtwechsel nicht mehr viel einbringt, hat die Kirche den Kontakt zu den neuen Herren weitgehend vernachlässigt. Becher klagt: »Der Machtverzicht des Katholizismus ist eklatant.«

Doch Bechers Club scheint weiter auf die Nähe zur Regierungsmacht verzichten zu wollen. Nach den Personal-Reformen der sozialliberalen Minister in ihren Ressorts wurde der Katholiken-Verein zur Heimstatt der Vertriebenen und Entrechteten. Keinem SPD-Mann gelang es bislang, jene drei Bürgen zu finden, die allein die Tür zur Club-Mitgliedschaft öffnen.

Nicht einmal der SPD-Vertriebene und erklärte Gegner der Brandtschen Ostpolitik Herbert Hupka, für den sich der Kanzler in seinem Gespräch mit Kardinal Döpfner verwandt hatte, fand Zutritt.

Ex-Bauarbeiter Leber, als Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken offizieller Verbindungsmann seiner Partei zur katholischen Kirche, will die Aussperrung seiner Genossen nicht länger hinnehmen: »Wenn es ein katholischer Club ist, dann will ich den sehen, der mir den Weg dahin versperrt. Der Club ist keine Sache von politisierenden Prälaten.«

Prälat Wöste, Schirmherr und Förderer des Katholiken-Vereins, lamentierte bei Döpfners Intimus, Prälat Karl Forster: »Wir können die SPD nicht grundsätzlich fernhalten, aber in den Club können wir sie auch nicht aufnehmen.« Wöstes Empfehlung: »Vielleicht sollten wir einen zweiten Club für die SPD aufmachen.«

Auch andere kirchliche Institutionen verfahren mit Sozialdemokraten nach einer Doppelstrategie: Während die Amtsträger korrekt geschäftsmäßigen Kontakt halten, machen niedere Chargen Kulturkampf-Stimmung gegen die Roten.

Als Propaganda-Instrument dient ihnen die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), die In Bonns Kaiser-Friedrich-Straße mit »Club« und »Büro« unter einem Dach sitzt. Sozialdemokrat Schmitt-Vockenhausen schimpfte: »KNA ist das Schlimmste. Die tun das, was die Amtskirche vermeidet. Das liest sich wie der CDU-Pressedienst.«

Noch rigoroser predigen, fernab von Bonn, bisweilen die offiziellen Kirchenzeitungen den Sozialistenhaß. So geißelte das »Passauer Bistumsblatt« am 2. August 1970 Pläne des SPD-Justizministers Gerhard Jahn zur Reform des Abtreibungs-Paragraphen 218 unter der Schlagzeile: »Bundesjustizminister will den Mord freigeben.«

Als Jahn im letzten Sommer seine Pläne für eine Strafrechts- und Ehescheidungsreform vorlegte, sagte die Kirche der Regierung offen den Kampf an.

In einem gemeinsam mit protestantischen Kollegen verfaßten Pamphlet zogen die Sittenwächter vor allem gegen Jahns Absicht zu Felde, das Strafgesetz -- etwa durch begrenzte Freigabe der Pornographie -- von traditionellen Normen der Sittenlehre zu reinigen. Jahn resignierte und verwässerte seinen Entwurf: »Was kann man da sonst machen?«

Die nächsten Konflikte sind schon programmiert. Von zwei Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition sieht die Kirche ihren traditionellen Besitzstand besonders bedroht. So fürchtet sie, durch das Krankenhaus-Finanzierungsgesetz zugunsten eines Staatsmonopols aus ihren Hospitälern verdrängt zu werden. Und das Hochschul-Rahmengesetz läßt sie um das Überleben kircheneigener Fachhochschulen bangen.

Schon die bisherigen Anti-Sozi-Kampagnen ließen den katholischen SPD-Minister Leber daran zweifeln, ob der Klerus noch die Sakramente recht verwalten könne. Leber: »Ein katholischer SPD-Arbeiter, der auf dem Sterbebett nach dem Priester ruft, darf nicht den Eindruck haben: Hier kommt ein politischer Gegner ins Haus.«

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