FDP Auf den Nüschel
Südlich der Elbe preisen die Liberalen die Segnungen der Kernkraft: Wenn erst die umkämpfte Atommüll-Anlage bei Gorleben in Betrieb genommen sei, verheißt Hannovers Wirtschaftsminister Erich Küpker, werde die Gegend einen »tollen Besucherverkehr« erleben -FDP-Wahlkampf in Niedersachsen.
Nördlich der Elbe setzen Küpkers Parteifreunde auf die Angst vor Atomarem: Statt aus dem geplanten Nuklear-Meiler in Brokdorf, pflichten die Blau-Gelben den Grünen bei, solle Strom »von einem Kohlekraftwerk« bezogen werden -- FDP-Wahlkampf in Hamburg.
Grundverschieden wie in der Energiepolitik muten auch auf anderen Gebieten die Aussagen der hannöverschen wie der hamburgischen Liberalen an, die sieh am selben Tag dem Stimmvolk stellen: Am 4. Juni müssen zwei FDP-Landesverbände zur Wahl antreten, die sieh so sehr unterscheiden, als gehörten sie verschiedenen Parteien an.
In Niedersachsen trommeln die Liberalen für die Fortsetzung ihrer Koalition mit der CDU unter Ministerpräsident Ernst Albrecht, der in diesem Bündnis schon ein »Modell Hannover« für Bonn sieht. In Hamburg hingegen mißfällt den Freien Demokraten die Christenpartei so sehr, daß sie sich auf eine Verlängerung ihres Paktes mit der SPD festgelegt haben.
Die hanseatische FDP freilich verbindet mit den Sozialdemokraten, wie deren Bürgermeister Hans-Ulrich Klose weiß, lediglich eine »Zweckehe, keine Liebesbeziehung«; denn aus Sicht der Hamburger Radikal-Liberalen sind die biederen Elb-Sozis, wie die Landesvorsitzende Helga Schuchardt spottet, gleichsam »die CSU der SPD«. Aus der Perspektive der niedersächsischen Rustikal-Liberalen wiederum müssen die dortigen Sozialdemokraten verteufelt weit links erscheinen.
Daß die Hamburg-Wahl auf Betreiben der SPD just auf den Tag der Niedersachsen-Wahl gelegt wurde, haben die Liberalen ihrem großen Koalitionspartner prompt als »unfreundlichen Akt« (Helga Schuchardt) angekreidet. SPD-Politiker dagegen freuen sich seit langem auf das ergötzliche Doppelspiel, das Freidemokraten bieten müssen, die sich »am gleichen Tag in Fernseh-Wahlspots einmal als SPD- und einmal als CDU-Partner vorstellen«.
Das Abschneiden der beiden ungleichen Verbände könnte sich für die Gesamtpartei« kein Zweifel, auf zweifache Weise als schicksalhaft erweisen: Durch die Doppelwahl wird, wie FDP-Chef Genscher weiß, »auch der Wahlausgang in Hessen und Bayern vorprogrammiert« -- sowie, womöglich, künftiges Koalitionsverhalten ·. »Wenn die FDP in Hamburg schlecht abschneidet, in Niedersachsen aber gut«, dann hätten, leitartikelt die »Frankfurter Allgemeine«, die Anhänger eines Bonner Partnerwechsels »ein neues Argument«.
Pech haben und aus der Regierung verschwinden könnten die Freidemokraten -- darin gleichen sich die Landesverbände -- in Hannover ebenso wie in Hamburg. In beiden Ländern haben sie angekündigt, in die Opposition zu gehen, falls eine Partei dort die absolute Mehrheit erringt.
In Hamburg, wo die SPD vor vier Jahren mit dem schwachen Spitzenkandidaten Peter Schulz gleich 10,4 Punkte verlor und auf 44,9 Prozent rutschte, träumen Sozialdemokraten nun davon, mit dem populären Klose wieder erstarken und ohne die Liberalen regieren zu können. In Niedersachsen droht der FDP das Ende der Regierungsbeteiligung, wenn die CDU nur einige zehntausend Wähler gewinnen sollte; schon vor vier Jahren, damals noch ohne Albrecht, hatten der Union gerade 30 000 Stimmen zur Mandatsmehrheit gefehlt.
Schlimmer noch würde es der plattdeutschen Landes-FDP ergehen, wenn sie, wie 1970, an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde, von der sie zuletzt 90 000 Stimmen getrennt haben. Daß die Liberalen derart »eins auf den Nüschel« kriegen, daß sie aus dem Parlament verschwinden, hofft wiederum SPD-Spitzenmann Karl Ravens, der dann Ministerpräsident werden könnte -- sofern es den Sozialdemokraten gelingt, wie bei der letzten Bundestagswahl, stärkste Partei im Lande zu werden. Ravens: »Wenn das so läuft, könnten wir"s schaffen.«
Endgültig geschafft wäre dann eine Provinz-FDP, die, wie die liberale »Zeit« urteilt, »keine Partei der Bahnbrecher« ist. Ganz anders der Nachbar-Verband nördlich der Elbe: Seit langem schon verstehen sich die Hamburger Liberalen, so ihre Vorsitzende Helga Schuchardt, als »Hefe im Kuchen der Gesamtpartei«.
Für Gärung sorgten die Hanseaten schon in den sechziger Jahren, als sie Unpopuläres wie die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze propagierten. 1974 zog die Landespartei mit dem Slogan »Keine Hexenjagd auf Radikale« in den Wahlkampf. Allerdings unterlief es den nonkonformen Hamburgern auch schon mal, daß sie Mitglieder der DKP unkritisch als »kritische Demokraten« einstuften.
Niedersachsens FDP hingegen, nach dem Urteil der dortigen Jungdemokraten »die konservativste auf Bundesebene«, geriet in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in die Nähe rechter Radikaler: 1955 präsentierte die Landespartei einen vormaligen Spitzenkandidaten der extremistischen »Deutschen Reichspartei« (DRP) als Kultusminister. Zwei Jahre später nahmen die Freidemokraten sechs DRP-Abgeordnete in ihre Fraktion auf. Und 1966 stimmte ein FDP-Parteitag den Antrag nieder, mit der NPD keine Wahlbündnisse einzugehen.
Auf solchem Boden mußte es nahezu revolutionär wirken, als vor zehn Jahren mit Jungdemokraten-Unterstützung der aus Hamburg zugereiste Jurist Rötger Groß, damals 35, zum Landesvorsitzenden gewählt wurde und sogleich verkündete, die Partei müsse sich »wandeln, auch wenn konservative Mitglieder verlorengehen«.
Als tatsächlich einige Konservative gingen -- darunter drei von zehn Landtagsabgeordneten -- und die Spendenströme aus der Wirtschaft jäh versiegten, wandelte Groß, verschreckt, sich lieber selber. »Ich bringe«, zögerte er nun, »den Hochmut nicht auf, die Nationalliberalen aus der Partei herauszudrängen« -- und brach statt dessen die organisatorischen Verbindungen zu den Jungdemokraten total ab.
Mit diesem Zickzack-Kurs gelang es Groß binnen kurzem, sowohl rechts- als auch linksliberale Anhänger zu vergraulen: Die FDP, die damals zudem auf eine Koalitionsaussage verzichten zu können glaubte, landete 1970 prompt bei kärglichen 4,4 Prozent und flog aus dem Landtag.
Den Rest an Glaubwürdigkeit setzte die Groß-Partei aufs Spiel, nachdem sie mit der unmißverständlichen Aussage, in eine Regierung mit der SPD oder aber in die Opposition zu gehen, 1974 wieder ins Parlament geraten war: Zwei Jahre später paktierte sie gleichwohl mit dem Christdemokraten Albrecht, der mit anonymen Stimmen aus dem SPD/FDP-Lager zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.
Parteitage der Landes-FDP wirken mittlerweile wie lustlos absolvierte Pflichtübungen, Vorstandsaussagen zum Wahlkampf werden selbst von Delegierten als »inhaltsleer« und »Zumutung« empfunden. Zum Vorsitzenden wurde der blasse Groß zuletzt nur mit der denkbar dünnsten Mehrheit wiedergewählt.
Ohne Fortüne agieren die Freidemokraten derzeit in der Koalition mit der CDU, wo sich die rechten Liberalen Groß und Küpker in der Mannschaft des liberal etikettierten Rechten Albrecht kaum zu profilieren vermögen.
Wirtschaftsminister Küpker, ein schwarzüngiger Bankprokurist aus Oldenburg, muß sich gefallen lassen, daß der eloquente christdemokratische Finanzminister Walther Leisler Kiep ihm die Show stiehlt. Küpker nach einer gemeinsamen USA-Reise: »Immer wenn ich ein Interview geben sollte, hat Herr Kiep schon alles in Englisch gesagt.«
Polizeiminister Groß, in Studienzeiten Hausdetektiv bei C & A, wird von seinem Ministerpräsidenten nicht einmal konsultiert, wenn sich Albrecht im Widerspruch zur Politik der FDP -- für ein Verbot kommunistischer Splittergruppen stark macht. In einer bundespolitisch so bedeutsamen Frage wie der Haltung Niedersachsens zu den Bonner Anti-Terror-Gesetzen wurden Groß und Küpker im Kabinett glatt überstimmt.
Während die Niedersachsen-FDP, wie Ravens höhnt, »allenfalls liberale Spurenelemente« in die Koalitionspolitik einzubringen vermag, erwecken die Hamburger Freidemokraten den gegenteiligen Eindruck: Zuweilen hat es den Anschein, als bestimme nicht die SPD (33 000 Mitglieder, 56 Mandate) die Richtlinien der Stadtpolitik, sondern die FDP (2500 Mitglieder, 13 Mandate).
Seit den Sozialdemokraten 1974 die absolute Mehrheit abhanden gekommen ist, kennzeichnet »tiefe wechselseitige Verstimmung« (SPD-Fraktion) ihren Zwangspakt mit den Liberalen: Sozialdemokraten beargwöhnen die individualistischen FDPler als »unseriös« (Klose), die Freidemokraten hingegen erkennen in der Hamburger SPD »erstarrte bürokratische Züge« -- und lassen keine Chance aus, dem Senior ein Bein zu stellen.
Von vornherein habe die FDP, klagt SPD-Fraktionschef Ulrich Hartmann. »eine Strategie eingeschlagen, die den großen Partner SPD immer schlecht aussehen lassen sollte«. FDP-Bausenator Rolf Bialas ("Ideen statt Beton") brachte den Senat vom jahrzehntelang betriebenen Wohnsilo-Bau auf der grünen Wiese ab. Parteichefin Schuchardt trug nach eigenem Urteil mit »permanentem und unnachgiebigem Drängen« dazu bei, daß der von Hamburgs Sozialdemokraten kreierte »Radikalenerlaß« mittlerweile auf eine Weise praktiziert wird, die jedenfalls den Liberalen »erträglich« erscheint.
Trotz oder wegen ihres Dauerstreits mit den sozialdemokratischen Rathauspartnern ist das innerparteiliche Klima in der FDP, wie die nicht eben FDPfreundliche »Welt« feststellte, »ausgesprochen entspannt«. Die beurlaubte Lufthansa-Ingenieurin Helga Schuchardt errang bei den jüngsten Vorstandswahlen immerhin 103 von 149 Delegierten-Stimmen. Und geschlossen haben sich die Hamburger Liberalen nun auf Stimmenfang begeben.
Während südlich der Elbe die FDP mit dem müden Motto »Aktiv für Niedersachsen« wirbt, kleben die Hanseaten serienweise flott getextete Poster, auf denen sie statt überlebensgroßer Porträts Argumente präsentieren. FDP-Senatoren ziehen wochenends mit Zylinder und Ziehharmonika durch Arbeiterquartiere, um ihr Programm auch an den kleinen Mann zu bringen: einen Katalog, in dem manche utopische frühere Forderung, etwa »Nulltarif für den Nahverkehr«, fehlt, in dem sich aber zuhauf Putziges wie Praktikables findet -- von der Forderung, die Mitnahme von Fahrrädern in der S-Bahn zu ermöglichen, bis hin zu verbraucherfreundlichen Ladenschlußzeiten.
Resonanz findet dieser Wahlkampf selbst außerhalb der Hamburger Grenzen: Nordniedersachsens Jungdemokraten sind von ihrem Landesvorstand aufgefordert worden, diesmal nicht für die Groß-FDP zu werben, sondern sich der kleinen Hamburger Nachbarpartei zum Plakatekleben und Zettelverteilen zur Verfügung zu stellen.