FRANKREICH / DE-GAULLE-BIOGRAPHIE Auf der Suche nach Ärger
Seine natürliche Würde, seine Kultur, seine Tugenden passen zu einem Monarchen«, spottet der Schriftsteller und Historiker Alfred Fabre-Luce, 61, ein Pétain-Franzose mit aufgewerteten Europa-Idealen, im ironisch gefärbten Stil des offiziellen Lobredners über den General-Präsidenten der V. Republik.
Witzelt Fabre-Luce in seiner jüngst in Frankreich unter dem Titel »Le plus illustre des Francais« (Der berühmteste Franzose)* erschienen de-Gaulle -Biographie: »Er adelt, was er berührt.« Und: »Er kann - wenn notwendig - reden, ohne etwas zu sagen; wobei man den Eindruck gewinnt, daß er trotzdem etwas sagt.«
Französische Zeitungen registrierten das kritische de-Gaulle-Porträt des ehemaligen Diplomaten Fabre-Luce bisher nur an versteckter Stelle oder übergingen - mit Ausnahme einiger Pétain-treuer Blätter - das Erscheinen des Buches mit Rücksicht auf das Prestige des Generals trotz der Behauptung des Verfassers: »Ich hoffe meine Opposition gegen den Staatschef mit gebührendem Respekt ausgedrückt zu haben.«
Das Hauptangriffsziel des ungebetenen Biographen: jener in den Jahren des Exils bei deGaulie entstandene »Komplex der Legitimität«, der dem General »bis an das Ende seiner Tage zu schaffen machen wird«. Noch im Frühjahr 1960 gebrauchte de Gaulle - beim Putschversuch der Algerien-Franzosen - die Wendung von der »Legitimität, die ich seit zwanzig Jahren verkörpere«.
Wörtlich genommen, so folgert Fabre -Luce, würde das bedeuten: »Zwischen 1946 und 1958 hatten die Handlungen der Regierungen der von ihm (de Gaulle) abgelehnten IV. Republik nur einen zweifelhaften Wert. René Coty selbst, der ihm seinen Platz abtrat, war gleichsam kein legitimer Präsident oder wurde es eigentlich erst durch diese Tat.«
Fabre-Luce, ein Liebhaber und Sammler seltener Vögel, gehörte zwischen den beiden Kriegen zu den französischen Europa-Idealisten, die für den Abbau des Nationalismus und eine Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen eintraten. Er war einer der ersten französischen Autoren, die gegen die These von der deutschen Alleinschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs stritten: »Seit Beginn meiner Laufbahn als Schriftsteller bin ich gezwungen gewesen, offiziell verbreitete Legenden zu bezweifeln.«
Im Gegensatz zu anderen Verständigungs-Franzosen der Vorkriegs-Ära, die, sich später in Vichy durch ihre Dienste für die Hitler-Diplomatie politisch kompromittierten, hielt sich Fabre-Luce von aktiver Kollaboration fern: Er wurde 1943 sogar von der Gestapo verhaftet, trotz dieser patriotischen Referenz allerdings von den gaullistisehen Befreiern erneut zum politischen Gefangenen gemacht. Man warf ihm vor, daß er während der deutschen Besatzung ein zeitgeschichtliches Werk, sein »Journal de France«, veröffentlichte und mit dieser pétainistisch gefärbten Version der Kriegsereignisse den größten französischen Bucherfolg der Kriegsjahre erzielte.
»Keiner unserer Schriftsteller geht einem so auf die Nerven wie Fabre -Luce«, schimpfte die gaullistische »Paris-presse«, als sich der Autor wieder zu Wort meldete und mit einer »Geschichte der europäischen Revolution« im Lager de Gaulles Ärger erregte. Giftete »Paris-presse": »Dieser Elegant verläßt seine Bibliothek und seinen Garten in der Umgebung von Paris offenbar nur, um seinem Verleger von Zeit zu Zeit ein Buchmanuskript zu bringen, das sofort eine Explosion auslöst.«
Nicht politisches Ressentiment, sondern die »Gewissenhaftigkeit des Historikers«, so behauptet jetzt der kritische Biograph des französischen Staatschefs, hätten ihn veranlaßt, sich in seinem jüngsten Buch mit gewissen »politischen Tabus« des Zweiten Weltkriegs zu beschäftigen und die bereits Legende gewordene Gestalt de Gaulles ein wenig zu »entmystifizieren«.
»Unsere kindlichen Träume haben sich verflüchtigt«, schreibt Fabre-Luce über das zweifache Scheitern de Gaulles als politischer Einiger der Resistance und als Friedensbringer in Algerien. »Bald wird uns der General nicht mehr als ein Führer erscheinen, der die Nation einem von ihm gewollten Schicksal entgegenführt ...
Die Grundzüge des schon früh fixierten Charakters seines Helden sammelt der Porträtist in einem biographischen Abriß, der von der »Persönlichkeit« handelt: eine auf abstrakte Ideen gerichtete Gefühlswelt des Generals, sein früher Hang zu mystischer Selbstüberheblichkeit, Schroffheit und Kälte, sein von Hochmut und Verachtung genährter Zynismus. »Charles«, so witzelte man schon in der Familie de Gaulle, »muß in den Eiskeller gefallen sein.«
In der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs huldigte der Infanterie-Leutnant de Gaulle der Göttin »Revanche«. Zitiert Fabre-Luce seinen Helden: »Ich muß sagen, daß mir seit meiner frühesten Jugend dieses unbekannte Abenteuer (des Kriegs) vorschwebte, ohne daß ich seine Schrecken empfand; ich rühmte es schon im voraus.«
1916 wird der inzwischen zum Hauptmann avancierte Bataillonskommandeur de Gaulle nach einem erbitterten Kampf, bei dem seine Truppe umzingelt und dezimiert wird, gefangengenommen. Der Heeresbericht nennt das Massaker »die einzige Lösung, die er (de Gaulle) mit seinem militärischen Ehrgefühl für vereinbar hielt«.
Fabre-Luce erkennt in dem damaligen Verhalten des Bataillonskommandeurs die patriotische Mentalität des Generals de Gaulle wieder, der 1944, als das eigentliche Kriegsziel - die Befreiung - nahezu erreicht ist, eine Verlängerung des Krieges wünscht, um das politische Prestige Frankreichs durch die Opferung seiner Soldaten zu stärken.
»Vielleicht hat man unter einem Frankreich, das der General de Gaulle nach Gutdünken führen könnte, ein in den Tragödien gefeiertes, ausgeblutetes Land zu verstehen«, urteilt der kritische Biograph, »ein Land, das von Zeit zu Zeit verschwindet wie Polen. Denn wir haben es erlebt, daß der General nacheinander die Pariser, die französische Armee, seine eigenen Truppen und - bei Verzögerungsaktionen oder vorzeitigen Offensiven - die Résistance-Verbände opfern wollte.«
An den Philosophen Friedrich Nietzsche erinnern bei de Gaulle - nach Fabre-Luce - gewisse Eigenschaften des »Übermenschen«, die nicht nur karikaturistisch zu verstehen sind: »Ein biologischer Sinn für Politik, Gefühl für Größe, ein Kult des Geheimen, Einsamkeit und Selbstzucht.« »Konnetabel« wurde de Gaulle bereits auf der Offiziersschule Saint-Cyr genannt; einer seiner Lehrer auf der Kriegsschule urteilte: »Benimmt sich wie ein König im Exil.«
Sein ehemaliger Regimentskommandeur in Arras, der spätere Marschall Pétain, sprach sich vor Vertrauten in Toulon über den Fall de Gaulle so aus: »Ich verbiete, daß man diesen General in meiner Gegenwart einen Verräter nennt. Er ist nur hochmütig.«
Pétain war es, der den Hauptmann de Gaulle 1925 in seinen Mitarbeiterstab berief. Er verteidigte ihn gegen General Gamelin, der de Gaulle einen »Philosophen«, und gegen General Weygand, der ihn einen »Journalisten« nannte.
Fabre-Luce stellt nicht in Abrede, daß der Militär-Autor de Gaulle - gegen die von Pétain gutgeheißene Defensiv -Doktrin des Generalstabs - die offensive Bedeutung selbständig operierender Panzer-Formationen erkannt und seit 1934 als einziger französischer Generalstabs-Offizier verteidigt habe.
Damals veröffentlichte de Gaulle sein Buch »Vers l'armée de métier« ("Auf dem Wege zur Berufsarmee"), in dem von Panzer-Elitekorps die Rede ist, die siegreich in die Tiefe vorstoßen und »beim Feind einen allgemeinen Zusammenbruch auslösen, so wie eine Kathedrale einstürzt, in der ein Pfeiler nachgibt«.
De-Gaulle-Kritiker Fabre-Luce fragt sich allerdings, ob der damalige Oberst der Panzerwaffe im Frühjahr 1940 klare Vorstellungen über die Lage und das wirkliche Kräfteverhältnis zwischen der französischen und der deutschen Armee gehabt habe. In seinem Memorandum, das de Gaulle am 26. Januar 1940 an 80 Persönlichkeiten der Staatsführung richtete, teilte er nämlich die herkömmlichen Irrtümer des französischen Generalstabs: Er behauptete, die Deutschen seien mit ihren zu leichten Panzern und ihrer unzureichenden Luftwaffe nicht in der Lage, die Maginot-Linie zu durchbrechen.
Ende Mai 1940 hielt sich Frankreichs jüngster Brigadegeneral, de Gaulle nach einem Teilerfolg seiner Panzer bei Abbeville -, für den einzigen Sieger der »Schlacht in Frankreich«. Er behauptete später, daß er sich Anfang Juni 1940, seit seiner Ernennung zum Unterstaatssekretär im Kriegsministerium, gegen die Fortsetzung des »heroischen Widerstands« in Frankreich und für die Strategie der »großen Räume«, den Rückzug aller noch verfügbaren französischen Truppen nach Afrika, eingesetzt habe.
Die Idee eines Rückzugs nach Afrika, so stellt Fabre-Luce richtig, stammte von Frankreichs damaligem Ministerpräsidenten Paul Reynaud. De Gaulle wurde von ihm beauftragt, in London anzufragen, ob die Engländer 500 000 Tonnen fehlenden Schiffsraums für eventuelle Transport-Operationen zur Verfügung stellen könnten. Über das Ergebnis seiner Demarche schwieg sich de Gaulle aus. Bis heute ist ungeklärt, ob sie überhaupt erfolgt ist.
In seinen Erinnerungen erklärt de Gaulle, daß er seine Exil-Rolle vor allem mystisch verstanden habe: »Vielleicht konnte ich die Wirklichkeit, so hart sie auch sein mochte, bezwingen, da es mir doch möglich war, die Franzosen - nach dem Wort Chateaubriands - durch die Träume (zur Hoffnung) zu führen.«
In seiner ersten Ansprache über den Londoner Rundfunk redete er die Franzosen am 18. Juni 1940 - in Gala-Uniform und weißen Handschuhen - »Ich, der General de Gaulle« an und erklärte ihnen, daß sie »die absolute Pflicht« hätten, »den Widerstand fortzusetzen«. Einen Tag später gebrauchte er die Wendung: »Im Namen Frankreichs erkläre ich formell, was folgt ...«
Bei diesem apodiktischen Stil ist de Gaulle seither geblieben. Der General bekennt sich noch heute zu der Ansicht, daß seine Rebellion, der Aufruf vom 18. Juni 1940, die Legitimität der Regierung nach London verpflanzte und
damit den »sogenannten Waffenstillstand« - die Basis der gesetzlichen Kontinuität der Vichy-Regierung - ungesetzlich machte. Mit diesem Argument wurden nach der Befreiung die Mitglieder der Pétain-Regierung unter Anklage gestellt.
In dem de-Gaulle-Porträt des Fabre -Luce fehlt keine jener unwilligen Bemerkungen prominenter alliierter Militärs und Politiker über den langnasigen General, die den Eindruck erwekken, als sei de Gaulle während des Krieges von keinem seiner Gesprächspartner wirklich ernst genommen worden.
»Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, zu dem ich weniger Vertrauen hätte«, ließ sich zum Beispiel US-Präsident Roosevelt vernehmen. »Der Bruch mit diesem sehr schwierigen Mann stand zur Diskussion«, notierte Englands Kriegspremier Winston Churchill, der die von de Gaulle in London vertretene französische Résistance als seine eigene Schöpfung betrachtete. Selbst der »Gaullist« Duff Cooper, damals britischer Informationsminister, beschrieb den General als einen Mann, »der stets auf der Suche nach einer Verärgerung ist«.
Fabre-Luce benutzt die schlechten Betragenszensuren, die Charles de Gaulle von alliierten Politikern erhielt, um der - nicht ganz uneigennützigen - Lesart Geltung zu verschaffen, daß die politische Bedeutung des Generals in London ebenso nichtig gewesen sei wie der militärische Wert, den seine Resistance für die alliierte Kriegführung hatte. Der Autor empfiehlt, die diskrete Zusammenarbeit der Amerikaner
mit Vichy-Staatschef Pétain höher einzuschätzen als die rhetorische Agitation de Gaulles. Er folgt damit der These, die US-Außenminister Cordell Hull 1943 Anthony Eden gegenüber vertrat: »Die Mithilfe Vichys ist (für die Kriegführung der Alliierten) wichtiger als die des Generals de Gaulle.«
Gegen die französische Unterstützung sowjetischer Absichten in Polen versuchte de Gaulle bei Kriegsende von den Sowjets die Billigung seiner Deutschland-Pläne einzuhandeln. Das Reich sollte als politische Einheit endgültig von der Landkarte Europas verschwinden und in autonome Kleinstaaten aufgelöst werden. Dazu Fabre-Luce: »General de Gaulle wollte 1945 nicht einmal die Konstituierung seines späteren. Alliierten, der Bonner Bundesrepublik, zulassen.«
Und weiter: »Man erzählt, daß er (de Gaulle) 1958 nach seiner Rückkehr an die Macht bei einer Konferenz mit hohen Funktionären des Quai d'Orsay die Frage stellte: 'Was ist von unseren Ideen von 1945 über die deutschen Staaten geblieben?' Der Frage folgte peinliches Schweigen. Schließlich erklärte Couve de Murville gelassen: 'Nichts ist geblieben.'«
Inzwischen hat sich der General, wie sein Biograph registriert, »in dem Europa Robert Schumans einrichten müssen«, das die Bonner Republik zum wichtigsten Partner Frankreichs machte. Resümiert Fabre -Luce: »Vielleicht hält er Adenauer für einen Mann, den er an seinen alten Traum von einem verstümmelten Deutschland binden kann.«
Gebieterische praktische Notwendigkeiten, meint Fabre-Luce,
haben die Integration beschleunigt, und nicht-eine europäische Philosophie, die in Frankreichs Staatschef ihren natürlichen Widersacher gefunden hätte. »De Gaulle verhielt sich wie ein Greis«, wettert der Europa-Enthusiast, »der sich instinktiv gegen eine neue Welt verteidigt, die er nicht mehr zu verstehen glaubt.«
Der Biograph bekennt, daß er zu jenen Gegnern des Traditions-Franzosen de Gaulle gehörte, die sich im September 1958, am Vorabend der Volksabstimmung über die Verfassung der V. Republik, für den General aussprachen. Sein Ja für de Gaulle, so schreibt der Kritiker Fabre-Luce, solle vorläufig noch immer gelten, in der Hoffnung nämlich, daß der Staatschef aufhöre, seine Vergangenheit zu verlängern, und sich bereit finde, »eine Zukunft vorzubereiten, die er selbst nicht mehr erlebt«.
* Alfred Fabre-Luce: »Le plus illustre des Francais«, René Julliard, Paris; 264 Seiten; Preis NF 10,80.
Historiker Fabre-Luce
Keiner geht einem so auf die Nerven
De Gaulle in Paris (1944): Komplex der Legitimität