ZWEITER WELTKRIEG / U-BOOTE Auf die Hörner
Grabesstille erfüllte den Raum. Fünfzehn Kommandanten, erfahrene U-Boot-Fahrer, konnten nicht glauben, was sie gerade gehört hatten.« So beschreibt der frühere Oberleutnant zur See, Herbert A. Werner, die Szene.
Werner überliefert auch, was der Führer der U-Boote West im Atlantik (FdU-West) Hans Rösing, im Mai 1944 im Flottenstutzpunkt Brest Unglaubliches gesagt haben soll:
»Meine Herren, ich erwarte, daß Sie, wenn angegriffen oder leergeschossen, auftauchen und Ihre Boote in den Angreifer oder das nächste Ziel in der bandungsflotterammen.« Und: »Rammen. Das ist genau, was die Führung meint. Sie werden keine Gelegenheit haben, Ihren Angriff zu wiederholen.«
Dieser »ungeheuerliche Befehl« (Werner) zur Abwehr der unmittelbar bevorstehenden alliierten Invasion an der Atlantikküste bildet den dramatischen Höhepunkt in Werners Erinnerungswerk' das jetzt in deutscher Übersetzung im Hamburger Hoffmann und Campe Verlag erschienen ist und den beziehungsvollen Titel trägt: »Die eisernen Särge"*.
Der frühere U-Boot-Kommandant, der seit Kriegsende als Kaufmann in den Vereinigten Staaten lebt, ist laut Vorwort-Verfasser Hans Hellmut Kirst ("08/15") ein »einzigartiger Augenzeuge«, der »sich geschworen hat, nichts als die Wahrheit zu sagen«. Kirst: »Was er behauptet, stimmt.« Der Verlag bescheinigt seinem Autor: »Er war dabei und weiß, wovon er redet.«
Der Militärhistoriker und Experte für den Unterseeboot-Krieg, Dr. Jürgen Rohwer, 45, hingegen urteilt: »Der Selbstmordbefehl ist ein Phantasieprodukt«, Werner selber sei ein »hemmungsloser Aufschneider«.
Tatsächlich kollidieren Schilderungen in Werners »Epos, das die tragische Rolle des U-Boot-Fahrers in ein neues Licht rücken soll« (so der Autor über sein Buch), häufig mit den präzisen Eintragungen im Kriegstagebuch (KTB) des Befehlshabers der Unterseeboote (BdU).
So beschreibt der einstige Seemann beispielsweise Minenlegkommandos mit U 230 im Juli 1943 vor der amerikanischen Atlantikküste und registriert das damals gefunkte Ergebnis: »Melde gehorsamst, 24 Eier in Onkel Sam's Vorgarten gelegt.« Tatsächlich legte U 230 laut KTB nur acht Minen. Bei Wasserbombenverfolgungen durch britische Flugzeuge im Oktober 1943 in der Biskaya »konnten wir«, wie Werner erzählt, »kaum begreifen, daß der Tod für 35 grausame Stunden seine Finger um unsere Kehle gelegt hatte« -- so lange soll U 230 unter
* Herbert A. Werner: »Die eisernen Särge«. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg; 400 Seiten; 19,80 Mark.
Wasser gewesen sein. Tatsächlich dauerte die längste Tauchzeit bei solchen Aktionen laut KTB zehn Stunden.
Ex-Kommandant Werner schildert Feindfahrten, die nicht stattgefunden haben, und zitiert Notsignale von U-Booten, die nicht mehr funken konnten. Und Rösings Rammbefehl, von Werner als Dokument und zeitgeschichtliches Novum präsentiert, hat es nicht gegeben Rösing selber, nach dem Krieg Konteradmiral bei der Bundeswehr: »Es ist nicht ein einziges Mal von Rammen gesprochen worden.«
Keines der im Juni 1944 in den Kanal ausgelaufenen U-Boote hatte denn auch versucht, die Invasionsflotte zu rammen. Die fünf von Feindfahrt in den Stützpunkt Brest zurückgekehrten Kommandanten wurden nicht, wie Rösing angedroht haben soll, »zur Rechenschaft gezogen«, sondern ausgezeichnet: Drei erhielten das Ritterkreuz.
Historiker Rohwer, der Hoffmann und Campe bei der deutschen Bearbeitung des zuerst in den USA erschienenen Werner-Buches beriet, fand das echte Dokument -- den »Operationsbefehl Kanal Nr. 1« -- im Archiv der Britischen Admiralität und legte ihn dem Verlag vor. In diesem Befehl ist wohl von »rücksichtslosestem Angriff« ohne »Rücksicht auf flaches Wasser oder mögliche Minen« die Rede, nicht aber von Rammen. Im Gegenteil: »Rückmarsch nach Aufbrauch der Kampf kraft« wurde ausdrücklich angeordnet.
Der Verlag übernahm zahlreiche Hinweise des U-Boot-Experten, doch er setzte sich über Fehler hinweg, wo Korrekturen, so Rohwer, »dem eigentlichen »Knüller'« -- der Fama vom Selbstmordbefehl -- »geschadet hätten«.
Verlagsleiter Albrecht Knaus sucht den Experten zu beschwichtigen: »Auch Erich Maria Remarque (,Im Westen nichts Neues') hat man solche Vorwürfe gemacht.« Ex-Kommandant Werner will »Rohwer bei den Hörnern nehmen, wann immer er zum Sturm ansetzt«, und der Hoffmann und Campe Verlag verbreitet das Buch, das Rohwer für ein »Machwerk« hält, als »Dokument der inneren Wahrheit«.