»Auf euch kommen harte Zeiten zu«
Wenn es in der Deutschen Demokratischen Republik im Telephon knackt, dann muß es nicht immer gleich die Staatssicherheit sein, die Leitungen sind auch sonst meist schlecht. Daß die Wände ostdeutscher Neubauwohnungen jedoch nicht nur deswegen Ohren haben, weil der nackte Beton den Schall so gut leitet, gehört zu den ersten Einsichten, die DDR-Bürger frisch zugezogenen West-Menschen vermitteln.
Der Neuling aus dem Westen, der Journalist zumal, tut deshalb gut daran, möglichst rasch ein paar Verhaltensregeln zu lernen, etwa Mitteilungen am Telephon in beziehungsreiche Metaphern zu kleiden, im Restaurant das Publikum an den Nachbartischen im Auge zu behalten und am Arbeitsplatz wie in der Wohnung erst zu denken, dann zu reden oder lieber den Mund zu halten.
Es ist, auch das lernt der DDR-Gast schnell, nicht pure Hysterie, an die Allgegenwart der stillen Republik-Wächter zu glauben -- auch wenn sich die Aufpasser unsichtbar machen. Ein Knopf, der plötzlich im Auto liegt und niemandem gehört, oder ein Anruf, der mitten im Satz verlorengeht, signalisieren: little brother is watching you.
Seit dem Tag aber, an dem sich Erich Honecker des unbequemen Liedermachers Wolf Biermann entledigte und ihm die DDR-Staatsbürgerschaft entzog, haben die Genossen von der Sicherheit offenbar Befehl, ihre Tarnkappen daheim, in Erich Mielkes Ministerium für Staatssicherheit an der Ost-Berliner Normannenstraße, zu lassen.
Beispiel 1: Am 17. November, einen Tag nach dem Biermann-Verdikt, fahre ich nach Eisenhüttenstadt, um die Pflegefamilie der Grübel-Kinder aufzusuchen, deren Eltern 1975 nach versuchter Republikflucht von der Bundesrepublik freigekauft worden waren (SPIEGEL 49/1976). Als ich das Ortsschild passiere, setzt sich ein hellgrauer Wagen hinter mich, ein »Wartburg Tourist«, Kennzeichen EL 16-57, besetzt mit zwei Männern. Der eine hager, mit silbriger Intellektuellen-Brille, der andere pausbäckig und rotwangig wie ein westfälischer Bauernsohn. Beide tragen olivgrüne Plastikmäntel. Der Wagen weicht mir nicht mehr von der Stoßstange.
Während ich den Weg zur Wohnung des Ehepaares Klewin am Chopin-Ring suche, wissen meine Begleiter offenbar noch nicht, wohin ich eigentlich will. Bei Klewins ist niemand zu Hause. Doch mittags um zwei, beim zweiten Versuch, sind die Plastikmäntel schon vor mir da. Um diese Zeit, so die Auskunft einer Nachbarin, komme Frau Klewin von der Arbeit, kämen die Kinder aus der nahe gelegenen Schule.
Heute erscheint, der Nachbarin unerklärlich, niemand. Eine Stunde frieren die Wartburg-Fahrer mit mir draußen vor der Tür um die Wette. Dann gehe ich in die Kaufhalle nebenan, um mich aufzuwärmen. Die beiden Schatten folgen mir, und gemeinsam studieren wir das Angebot an Mehl, Salz und Seife in den Regalen.
Wieder draußen, grüßt ein Bekannter den Pausbäckigen: »Deinen Job möchte ich haben, den ganzen Tag rumlungern.« Ein warnender Blick trifft ihn, er macht sich schnell davon.
Herr Klewin ist erst um fünf zu erreichen. Ich vertreibe mir die Zwischenzeit in der Innenstadt mit einem Ladenbummel -- und dem Abzählen meiner Begleiter. Zeitweilig sind es sechs.
Um fünf Uhr ist die Eskorte plötzlich verschwunden. Herr Klewin ist daheim, doch bevor ich überhaupt vorbringen kann, was ich von ihm will, teilt er mir schon mit: »Dazu kann ich nichts sagen.«
Eine halbe Stunde später, bei der Rückfahrt, steht am Ortsausgang der »Wartburg« unbeleuchtet am Straßenrand, auf den Vordersitzen zwei Männer. Der Wagen folgt mir nicht.
Die Mitarbeiter der Abteilung Journalistische Beziehungen im Außenministerium. zuständig für die »Betreuung« westlicher Journalisten, bekommen leere Gesichter, als ich später die Fürsorge erwähne, die mir das Ministerium für Staatssicherheit neuerdings angedeihen läßt. Ich litte, deuten sie an, unter Hirngespinsten.
Beispiel 2: Wenige Tage nach dem Ausflug nach Eisenhüttenstadt besucht mich Robert Havemann im Ost-Berliner SPIEGEL-Büro an der Storkower Straße. Das Haus des Regimekritikers in Grünheide ist zu diesem Zeitpunkt schon seit Tagen von Volkspolizisten und Geheimdienstlern abgeriegelt. Havemann selbst jedoch darf sich noch frei bewegen -- allerdings unter strenger Aufsicht der Brigaden aus Erich Mielkes Stasi-Zentrale.
Der Aufwand, den Mielke diesmal treiben läßt, erinnert an Staatsbesuch. Nur ganz so feierlich geht es nicht zu. Vor Havemanns »Wartburg« ein kleiner »Trabant« als »Vorstopper«, hinter ihm ein dunkler »Wolga« mit der langen, zurückgebogenen Funkantenne. dem Markenzeichen der »Firma« (DDR-Jargon). Den Abschluß bilden ein »Skoda«, ein russischer »Lada«, ein zweiter »Trabant«, dessen Fahrer, merkwürdig genug Ende November. einen Trainingsanzug trägt.
Die Kavalkade verteilt sich in die Nebenstraßen, vor dem Bürofenster patrouillieren unauffällige Spaziergänger, getarnt mit Ballonmütze und an diesem trüben Spätherbsttag besonders auffälliger Sonnenbrille. Bei Havemanns Abmarsch springen sie in ihre Wagen, der Zug ordnet sieh, bevor der gefährliche Professor die Hauptstraße erreicht.
Am anderen Morgen berichten Nachbarn des SPIEGEL-Büros gleich bei meiner Ankunft: »Heute ist Wolga-Tag.« Mindestens eine Woche lang wird die Redaktion observiert. Bewacher und Wagen wechseln schnell, manchmal alle halbe Stunde.
Beispiel 3: Ein paar Tage später kündigt ein Anruf im SPIEGEL-Büro einen weiteren Besuch Havemanns an. Ich warte vergebens. Havemann reagiert am nächsten Tag ungläubig: Er habe doch ein zweites Mal telephonieren lassen, um mitzuteilen, daß er den Termin habe verschieben müssen.
Am Telephon, so erinnert sich der Anrufer, habe sich eine Frauenstimme gemeldet: »Hier SPIEGEL-Büro«, und auf die Frage, ob Herr Schwarz zu sprechen sei, gesagt, der sei zu Tisch. Die Telephonistin habe jedoch versprochen, den neuen Termin auszurichten.
Zur Zeit dieses Dialogs war ich im Büro. Einen Havemann-Anruf bekamen weder die Sekretärin noch ich. Auf meinen schriftlichen Protest »gegen derartige Methoden« hei Wolfgang Meyer, dem Leiter des Bereichs Presse und Information im DDR-Außenministerium, kommt die Antwort acht Tage später. »Wir verwahren uns«, so der mündliche Bescheid. »gegen Form und Inhalt Ihres Schreibens. Die Sache betrifft die DDR nicht, wir sehen sic als nicht gegeben an.«
Schriftlich freilich mag sich das Ministerium nicht festlegen. »Das«, so versichert mein Gesprächspartner knapp, »ist nicht üblich.«
Beispiel 4: Die »Firma« läßt das Biermann-Haus in der Ost-Berliner Chausseestraße 131 seit der Ausbürgerung des Protest-Poeten rund um die Uhr überwachen. Vor dem Wohnblock, im Nachbarhausflur« auf dem Parkplatz gegenüber vertreten sich junge Männer in düster eingefärbten Anoraks die Beine.
Am 14. Dezember, abends um sieben, treffe ich Sybille Havemann, die Tochter des Professors, im Hof der Chausseestraße 131. Doch unser Gespräch. kaum begonnen, wird abrupt unterbrochen. Aus dem Halbdunkel taucht ein Mann auf, Anorak, klein, hager, etwa 35, klappt flüchtig einen Ausweis auf und herrscht uns an: »Leutnant Welz von der Volkspolizei. Sie wissen genau, worum es geht, beenden Sie das bitte.«
Ich bitte nochmal um den Ausweis. Da steht der Name Welz, doch mehr kann ich nicht entziffern, der Leutnant ist zu schnell.
Wir fordern Auskunft, wir wüßten keineswegs, worum es geht. Erst nach längerem Disput bequemt sich der mürrische Sicherheitsgenosse: Das Außenministerium habe mir unmißverständlich jeden Kontakt zur Familie Havemann untersagt. »Und Sie«, Welz wendet sich an Sybille Havemann, »kennen Ihre Auflagen genau.«
Vergebens versuche ich, den Leutnant von seinem Irrtum abzubringen: Im Außenministerium ist den westdeutschen Korrespondenten lediglich mitgeteilt worden, die DDR betrachte jede weitere Verbindung zu Robert Havemann als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Von Havemanns Angehörigen war dabei mit keinem Wort die Rede. Sybille Havemann fügt hinzu, auch ihr sei von niemandem verboten worden, mit Westdeutschen zu reden.
Unser lautstarker Protest bringt zwei weitere, bis dahin unsichtbare Zivilisten herbei, die es strikt ablehnen. sich auszuweisen. Der eine, in grauer Lederjoppe und Pelzmütze, greift nach meiner Begleiterin, will sie ins Haus zerren. Als ich ihn am Arm halten will. faucht er: »Fassen Sie mich nicht an«
»Anfassen«, so belehrt mich später ein Bekannter, »das ist für die das Schlimmste.«
Schließlich erscheint ein echter Vopo in Uniform und verlangt verlegen-höflich meinen Paß. Er studiert ihn kurz und befindet freundlich: »Alles in Ordnung. Herr Schwarz.«
Doch die drei Zivilisten machen keinerlei Anstalten, sich zu entfernen. Sybille Havemann und ich steigen die Treppe hoch zur Biermann-Wohnung, die drei folgen uns mit vier Stufen Abstand. Immerhin: An der Wohnungstür bleiben sie stehen. Später warten sie unten am Hauseingang, zwei weitere Genossen leisten ihnen Gesellschaft, ein anderer hockt am Steuer eines am Bordstein parkenden Lada 1200, Kennzeichen IX 27-57.
Es ist nicht schwer zu erraten, was die Sicherheits- und Abgrenzungsmanager der SED mit derlei Beweisen ihrer Aufmerksamkeit bei den amtlich zugelassenen Beobachtern aus der Bundesrepublik zu erreichen hoffen: Sie sollen eingeschüchtert, ihre Kontakte zu DDR-Bürgern ausgetrocknet werden. Zu arg hat die Spitzengenossen verunsichert, daß sie in den letzten Monaten ohnmächtig zusehen mußten, wie über alle westlichen Wellen die Aufsässigkeit der ostdeutschen Intelligenz direkt und unkontrollierbar in Millionen ostdeutsche Wohnstuben transportiert wurde.
Und nur mit der Angst vor einer besser informierten Öffentlichkeit ist zu erklären, daß die Parteispitze letzthin alle Funktionäre im Partei- und Staatsapparat anwies, künftig jeden Kontakt mit auswärtigen Journalisten zu meiden.
»Auf euch von der West-Journaille«. prophezeit ein SED-Mann, »kommen harte Zeiten zu.«