Sudan Auf Gottes Pfaden
Der Kadi in Port Sudan kannte keine Gnade: Er verurteilte Michael Gassim, 18, zum Abtrennen der rechten Hand und des linken Fußes - nach der islamischen Scharia die angemessene Strafe für besonders schwere Raubüberfälle.
Michael Gassim war in Wohnungen und Geschäfte eingebrochen. Eigentlich ein kleiner Dieb, und er hatte Komplizen. Doch während seine moslemischen Mittäter mit Gefängnisstrafen davonkamen, wurde der aus dem Süden Sudans stammende Christ zur Amputation verurteilt.
Der Fall erregte großes Aufsehen: Die Mutter des arbeitslosen Jugendlichen hatte Junta-Chef General Umar Hassan el-Baschir beschworen, die Strafe in ein Todesurteil umzuwandeln, damit ihrem Sohn die lebenslange Stigmatisierung erspart bliebe. Das Gesuch blieb ohne Antwort, Michael Gassim wurde verstümmelt - noch vor der offiziellen Wiedereinführung der Scharia Anfang Februar. Die scharf zensierten Medien und die mit der Militärdiktatur verbundenen Politiker feierten die Rückkehr zu dem bisher nur sporadisch angewandten islamischen Recht als religiöse Erneuerung.
»Das ist die Wende in eine bessere Zukunft«, frohlockte die Armeezeitung El-Kuwat el-Mussallaha. Und Moslemführer Hassan el-Turabi, die graue Eminenz des Regimes, sah für Afrikas größten Flächenstaat eine goldene Zukunft voraus: »Seit heute wandelt der Sudan auf Gottes Pfaden. Schon bald wird uns der Schöpfer belohnen.«
Nach dem Putsch im Juni 1989, der die zivile Regierung des Sadik el-Mahdi stürzte, hatten die Militärs um den selbsternannten General Hassan el-Baschir ein fundamentalistisches Islam-Verständnis zum Axiom ihrer Politik erklärt.
Die Junta setzte die Verfassung außer Kraft, löste das Parlament auf, verbot alle Parteien und Gewerkschaften und verhängte den Notstand über das Land.
Das berüchtigte Gefängnis für politische Häftlinge im Khartumer Vorort Koper füllte sich, die Liste der zu Tode gefolterten Studenten, Journalisten und Gewerkschafter wurde immer länger.
Eines der jüngsten Opfer der Willkürherrschaft - in den Medien lakonisch »Islam-Feinde« genannt - ist Ali Fadul: Der bekannte Arzt starb an Kopfverletzungen, die er während des Verhörs erlitten hatte. An seiner Leiche fehlten ein Ohr und ein Finger. Nach Auskunft der Behörden war der Gefangene an »zerebraler Malaria« gestorben.
Doch je härter die Khartumer Junta demokratische Oppositionelle unterdrückt, um so offener äußern immer mehr Sudanesen ihren Haß auf die Militärs: Im nordsudanesischen Schendi streikten Ärzte, in Atbara die Eisenbahner. Sogar im Khartumer Feine-Leute-Viertel Imtidad taucht immer häufiger ein juntafeindliches Graffito auf: »Tretet die Hunde Turabis«.
Denn die frömmelnden Obristen haben alle Probleme, die den Sudan seit Jahrzehnten plagen, nur noch verschärft: *___Seit dem Putsch büßte das sudanesische Pfund 50 Prozent ____seiner Kaufkraft ein, die Schwarzmarktpreise für ____Lebensmittel können nur noch die Reichen zahlen: Das ____Grundnahrungsmittel Hirse verteuerte sich um das ____Zehnfache. *___Dem Land droht eine Hungerkatastrophe, der nach ____Schätzungen der Uno sieben bis acht Millionen Menschen ____zum Opfer fallen könnten. Die meisten internationalen ____Hilfsorganisationen haben den Sudan verlassen, weil die ____Regierung ihre Arbeit torpediert. *___Kein Ende ist in dem blutigen Bürgerkrieg in Sicht, der ____seit sieben Jahren wieder im Süden tobt. Dort kämpfen ____die Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee ____(SPLA) gegen die Unterdrückung durch den ____fundamentalistisch islamischen Norden.
Mit dem Beginn der Golfkrise geriet die Militärjunta - bis dahin vom Geld der Saudis großzügig unterstützt - vollends in die Isolation: Neben dem Jemen, Mauretanien und der PLO stellte sich im arabischen Raum nur das sudanesische Regime auf die Seite des irakischen Diktators Saddam Hussein, der seit etwa einem Jahr Sudans größter Waffenlieferant war. Bei den Kämpfen um die Rückeroberung der von den SPLA-Rebellen besetzten südlichen Garnisonsstadt Kurmuk hat die sudanesische Armee Senfgasgranaten aus Bagdad eingesetzt.
Behauptungen, der Irak habe Scud-Raketen im Sudan stationiert, die den Assuan-Staudamm zerstören und Ägypten unter Wasser setzen sollten, sind bislang nicht bewiesen worden. Doch die aberwitzigen Drohungen hatten Auswirkungen: Ägypten stellte die dringend benötigten Benzinlieferungen ein, Taxifahren wurde zum Luxus.
Khartums Kalkül, der Irak werde siegen und schon bald über der Welt zweitgrößte Erdölvorkommen verfügen und sich dem Sudan gegenüber viel großzügiger erweisen als die Golf-Araber, ging nicht auf.
Die geknebelte Opposition nutzt jetzt die Schwäche der Obristen geschickt für eine Großoffensive: Die in den Untergrund getriebenen beiden größten Parteien, die islamische Umma-Partei des unter Hausarrest stehenden Ex-Premiers Sadik el-Mahdi und die gemäßigt islamische Nationalistische Unionistische Partei, einigten sich auf einem Treffen in Nairobi mit den Kommunisten und den Gewerkschaften, vor allem aber mit den Rebellen von der SPLA auf eine gemeinsame Strategie zum Sturz der Junta.
Die Wiederbelebung der Scharia - wenn auch nur im moslemischen Norden - und die Empörung vieler Sudanesen, auch Moslems, über die blutige Praxis der Bestrafung trieb die beiden moslemischen Oppositionsparteien zu überraschenden Versprechen.
Sadik el-Mahdi, der Nachfahre des legendären Mahdi, der vor 100 Jahren im Sudan einen kurzlebigen islamischen Gottesstaat errichtet hatte, gelobte »die Trennung von Staat und Religion, die Abschaffung der islamischen Rechtsprechung und Zusammenarbeit mit allen politischen und sozialen Kräften des Sudan«.
Wieder könnte es die islamische Rechtsprechung sein, die einem Diktator zum Verhängnis wird. Schon tauchten in der Hauptstadt illegale Flugblätter auf, die »Rache für Michael Gassim« und die »Gleichstellung aller Bürger« fordern.
Vor gut sieben Jahren hatte die Einführung der Scharia die Sudanesen auf die Straße getrieben. Der Volksaufstand fachte den Bürgerkrieg erneut an und endete mit dem Sturz des damaligen Diktators Dschaafar el-Numeiri.