HOCHSCHULEN Auf Granit
Wenn man sich schon drei Jahre herumgequält hat und kurz vor dem Ziel zu stehen glaubte«, so resigniert der Konstanzer Soziologe Dr. Wolfram Burisch, »dann gibt man den Kampf nicht gern auf. Aber ich muß wohl.«
Die Mühsal vergeudete Burisch, 36, Schüler des FDP-Professors Ralf Dahrendorf und des jüngst verstorbenen Tübinger Philosophen Ernst Bloch, nicht etwa in Forschung und Hochschulbetrieb, sondern bei einer seit 1974 andauernden gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Freistaat Bayern. Hartnäckig widersetzt sich das Münchner Regime einer Berufung des linksliberalen Wissenschaftlers an die Universität Augsburg mit Erfolg, wie es scheint: In zweiter Instanz entschied jetzt auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, daß die Ablehnungsgründe der Regierung »unanfechtbar« seien.
Die Münchner Kultusbürokratie versteift sich bei der Abwehr des Soziologen auf »Fußnote 1 zur Besoldungsgruppe HS 2« für Hochschullehrer, wonach zum »Wissenschaftlichen Rat und Professor« nur bestellt werden könne, wer habilitiert sei »oder die Eignung für die Berufung auf einen Lehrstuhl« besitze. Zwar ist das eine Kann-Bestimmung, doch im Fall Burisch mochte das Ministerium »von dem Erfordernis der Habilitation grundsätzlich nicht« abgehen.
Derlei Strenge ist in der Bundesrepublik ganz und gar unüblich geworden, seit das Hochschulrahmengesetz des Bundes vorsieht, daß die »Einstellungsvoraussetzungen für Professoren« schon »durch die Qualität einer Promotion« erfüllt sein können und daß darüber hinaus -- »je nach den Anforderungen der Stelle« -- die Habilitation »durch gleichwertige wissenschaftliche Leistungen« ersetzt werde. Und auch in Bayern hat man sich durch das Fehlen einer Habilitation bei passender Gelegenheit wenig beirren lassen: etwa bei der Berufung des konservativen CDU-Professors Lothar Bossle auf den Würzburger Lehrstuhl für Soziologie (SPIEGEL 24/1977).
Soziologe Burisch jedenfalls, der von der Augsburger Berufungskommission einstimmig vorgeschlagen worden war, hatte -- im Gegensatz zu Bossle -- alle Gutachter auf seiner Seite: Doktor-Vater Dahrendorf bescheinigte ihm »beachtliche Leistungen« und »intellektuelle Produktivität«, Professor Dieter Senghaas (Frankfurt) empfahl ihn als »ausgezeichneten Kandidaten«, Professor Hans-Joachim Lieber (Köln) beurteilte ihn »uneingeschränkt positiv«. Kollege Klaus Heinrich (Berlin) schließlich hielt Burisch für einen »der namhaften Vertreter einer wohlfundierten Soziologie in Deutschland«, als solcher »geschätzt über die Grenzen der Bundesrepublik« hinaus.
Die Gründe, warum der Hochgeschätzte dennoch in Bayern nicht ankommt, »können«, wie sein eifrigster Fürsprecher, der in Augsburg lehrende Schweizer Professor Peter Atteslander, vermutet, »keineswegs im Bereiche wissenschaftlicher Befähigung liegen«. Der greise Bloch, von den Münchner Vorgängen informiert, verurteilte das »ungeheure Verdikt": »Der Fall ist ein Politikum und kein schönes.«
Scheint so: In der Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof kam beiläufig heraus, daß dem Kultusministerium »gerichtlich verwertbare Erkenntnisse« des« Verfassungsschutzes unterbreitet worden waren -- die freilich für eine Ablehnung des Bewerbers nach dem Radikalen-Beschluß offenbar doch nicht verwertbar schienen.
Nur weil sich Burischs Rechtsvertreter wiederholt danach erkundigten, die Regierungsvertreter aber jedesmal dementierten, zeigte das Gericht -- wohl der Wahrheit zuliebe -- das in Frage stehende Schreiben des bayrischen Innenministeriums (Aktenzeichen: 5 2 -2015/5 -- 147) vor. Seitdem besteht für Anwalt Gerd Tersteegen »überhaupt kein Zweifel«, daß sein Mandant »aufgrund seiner wissenschaftlichen Qualifikation ernannt worden« wäre, wenn es das Dossier nicht gegeben hätte.
Denn wenn die »Erkenntnisse« über den Wissenschaftler auch zu Zweifeln an seiner Verfassungstreue nicht ausreichend Anlaß boten, so ließen sie doch die Vermutung zu, daß der Mann »nicht die »richtige« weltanschauliche oder politische Einstellung besaß« (Tersteegen).
Die Verfassungsschützer hatten etwa erkannt, daß der Student Burisch einst dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) angehörte (Burisch: »Da war ich nur eine Null"), als Mitglied des »Kuratoriums Notstand der Demokratie« gegen die Notstandsgesetze war und als Referent zu einer Kundgebung der Deutschen Friedens-Union (Thema: »Ist der Kalte Krieg vorbei?") eingeladen war.
Vielleicht erfuhren sie auch, daß er sich in Konstanz an einer symbolischen »Trauerwache« für den in Berlin von Polizeikugeln getöteten Demonstranten Benno Ohnesorg beteiligte und auch mal mit Rudi Dutschke sowie dem
viel später erst zum Anarchisten-Anwalt geratenen -- Jörg Lang Kontakt hatte.
Inzwischen ist der Soziologe überzeugt, daß der »Trick mit der Habilitation erst nach den dürftigen Recherchen erfunden« wurde -- sonst hätte ihm das Kultusministerium den kategorischen Grund seiner Ablehnung unverzüglich mitteilen können und nicht monatelang verschweigen müssen. Damals jedoch befiel ihn erst eine »dumpfe Vorahnung«, die dann allmählich zu »konkreteren Befürchtungen« führte.
Sein Mentor Dahrendorf teilte ihm nach einer Intervention beim bayrischen Kultusminister Hans Maier den Eindruck mit, daß »eindeutig der Verfassungsschutz« am Werke sei. An dieses Gespräch erinnert sich der Minister zwar auch, doch habe er dabei, so Maier, gar »keinen Anlaß zur politischen Deutung« geben können, da ihm der Fall damals noch unbekannt gewesen sei. Andererseits ließ auch der CSU-Landtagsabgeordnete Franz von Prümmer durch seine Tochter, die bei Burisch ihr Examen machte, dem Soziologen die Warnung übermitteln, der Fall habe »politische Hintergründe«, da werde er wohl leider »auf Granit beißen«.
Fragen nach solchen möglichen Hintergründen »erübrigen sich« jedoch für die Verwaltungsrichter, die nach dem rechtlichen Sachverhalt lediglich den Verwaltungsakt des Kultusministeriums zu prüfen hatten. Da konnte sich das Gericht souverän auf den Standpunkt stellen, daß eine Professorenberufung kein »im Klageweg durchsetzbarer Rechtsanspruch« sei, auch wenn alle wissenschaftlichen Voraussetzungen gegeben seien.
Regierungsrat Thomas Bauer, Sachbearbeiter des Berufungsfalles Burisch im Kultusministerium, weist den Verdacht, politische Bedenken stünden hinter den offiziellen Ablehnungsgründen, »mit Bestimmtheit« zurück: »Diese Vermutung geht daneben.« Das Beharren auf der Habilitation sei, so Bauer, »nichts anderes als gängige Verwaltungsübung« auf »unserer bildungspolitischen Linie«. Bauer: »Von manchen Leuten wird das halt als Abqualifizierung aufgefaßt.«
Wann erst Bayerns Kultusbürokratie notfalls von solcher Linie abweichen würde, deutete der Vertreter des Ministeriums vor Gericht an. Auf die Frage des Wissenschaftlers Burisch erwiderte er mit ernster Miene: Bei einem »Nobelpreisträger«, da könne man vielleicht eine »Ausnahme« machen.