Zur Ausgabe
Artikel 18 / 86

KULTURPOLITIK Auf Linie gebracht

In zunehmendem Maße versuchen AA-Beamte, den deutschen Kulturinstituten im Ausland eine konservativere Programmgestaltung aufzudrücken.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Der SPD-Abgeordnete und Schriftsteller Dieter Lattmann, als Gast des Goethe-Instituts unterwegs in Frankreich, hatte im Lyoner Handelspalais sein Referat zum Thema »Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland« gerade beendet, da bestieg ein soignierter Herr das Podium.

Sein Vorredner, so erläuterte er dem überraschten französischen Publikum, habe in seiner überaus großen »Sensibilität« die innenpolitischen Auseinandersetzungen um Antiterrorgesetze und Radikalenerlaß leider nicht ganz richtig geschildert.

Wer ihn da in einer Gegenrede korrigierte, erfuhr Lattmann erst später: Es war der Völkerrechtler Wilhelm Karl Geck aus Saarbrücken. der erst in letzter Minute und ohne Wissen des Hauptreferenten aufs Programm gesetzt wurde. Seinen Auftritt verdankte Geck dem Druck des deutschen Generalkonsuls, dem die Veranstaltung nicht so recht ausgewogen schien.

Der Coup hat für den SPD-Abgeordneten »exemplarische Bedeutung«. Inzwischen werde offensichtlich auch »in der kulturellen Außenpolitik von beamteter Seite«. so beschwerte er sich bei der Staatsministerin des AA Hildegard Hamm-Brücher, »eine Praxis des Reglementierens, der geradezu manischen Ausgewogenheit aus vordergründigen politischen Abwägungen praktiziert«.

Lattmann ist kein Einzelfall. Als die Filmemacherin Helma Sanders im Mai von einer vierwöchigen Australien-Tournee heimkehrte, wo sie auf Einladung des Goethe-Instituts über den politischen deutschen Film seit 1968 berichtet hatte, wurde sie in die Münchner Zentrale des Instituts zitiert: Die deutsche Botschaft in Canberra hatte sich beim Auswärtigen Amt über die allzu kritischen Anmerkungen der engagierten jungen Dame beschwert.

Es sei empfehlenswert, so der Tip aus Canberra, die Sanders lieber nicht mehr auf kulturpolitische Auslandsexkursionen zu schicken. Dabei habe gerade die Tatsache, entrüstete sich Helma Sanders, »daß da jemand so offen über die Probleme des Terrorismus bei uns redet, die Zuhörer davon überzeugt, so schlimm kann es in Deutschland auch nicht sein«.

Terrorismusfurcht, Radikalenhatz und Gesinnungsschnüffelei zeigen mehr denn je Auswirkungen auf die Arbeit der über hundert Mittlerorganisationen, die, vom Auswärtigen Amt finanziell unterstützt und kontrolliert, als »German Culture Center« oder »Institut Allemand« deutsche Sprache und Kultur in aller Welt verbreiten.

Bislang hatten die überwiegend konservativen Generalkonsule und Botschaftsangehörigen widerwillig, aber meist stillschweigend hingenommen, daß die Goethe-Institute der Empfehlung des ehemaligen AA-Staatssekretärs Ralf Dahrendorf folgen: »Zwischenstaatliche Gesellschaftspolitik« statt unverbindlicher Präsentation der schönen Künste aus deutschen Landen. »Vielen Diplomaten geht unser Kulturbegriff viel zu weit«, beschreibt Michael Marschall von Bieberstein, Leiter des »Centre Culturel Allemand« in Paris. die Spannungen.

Nun aber fühlen sich einige AA-Beamte durch das verschärfte innenpolitische Klima ermutigt, gegen allzu progressive oder politische Kulturprogramme Einspruch zu erheben oder an ihnen herumzumäkeln. Linke Literaten und Intellektuelle, kündigte der AA-Kulturpolitiker Berthold Witte im zuständigen Parlamentsausschuß an, sollen künftig. ehe sie für Goethe reisen, erst mal in der Münchner Zentrale auf Linie gebracht werden.

Denn es müsse, so der Beamte, »ein voller Querschnitt des wahren Spektrums in der Bundesrepublik im Gesamtprogramm der auswärtigen Kulturpolitik gewährleistet« sein. Was damit gemeint ist, sagt der SPD-Abgeordnete Klaus Thüsing: »Da soll doch so etwas wie ein Wohlverhaltenskodex installiert werden.«

Mehr oder minder erfolgreich haben in den vergangenen Monaten die auswärtigen Beamten vor Ort die Goethe-Institute immer wieder zu politischer Botmäßigkeit angehalten. In Athen beispielsweise versuchte der deutsche Botschafter, das dortige Institut davon abzubringen, den Berliner Politologen Wolf-Dieter Narr zu einem Vortrag über »Staatsgewalt und Gewalttätigkeit« einzuladen.

In Marseille mußte das Goethe-Institut sein Angebot zurückziehen, dem Mini-Théâtre« zwei Filme von Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders zur Verfügung zu stellen. Denn der dortige Generalkonsul hatte befunden. es schade dem Ansehen der Bundesrepublik, wenn die Westdeutschen zwei Filme für eine französische Veranstaltung vermitteln, bei der auch ein DDR-Vertreter auf einer Pressekonferenz ausführlich zu Worte kommen sollte.

Nach achtzehn Jahren Kulturexport spürt auch der renommierte Pariser Institutsleiter Marschall von Bieberstein »erstmals Schwierigkeiten« bei der Durchsetzung seines Programms: »Da spiegelt sich die starke innenpolitische Verunsicherung in der Bundesrepublik wider.«

So meldete der Pariser Botschafter zunächst Bedenken gegen ein Seminar über die Direktwahlen zum Europäischen Parlament an; und gegen ein energiepolitisches Kolloquium versuchte er sogar ein Veto einzulegen.

Nach langwierigen Verhandlungen fanden beide Seminare statt. Doch nicht alle Goetheaner haben die Standfestigkeit, dem neuen Trend zu widerstehen. Günter Coenen, Abteilungsleiter in der Münchner Goethe-Zentrale: »Das wird zu einer Frage der Zivilcourage unserer Leute.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 18 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten