AUF MESSERS SCHNEIDE
Die Kritik, die Herr Professor Derra in Ihrem SPIEGEL-Gespräch an den amerikanischen Kollegen, die vor ungefähr anderthalb Jahren eine Hemicorporectomie vornahmen, und an allen potentiellen ultra-radikalen Operateuren übte, scheint mir aus folgenden Gründen zu emotional betont und sachlich nicht gerechtfertigt: Herr Professor Derra mutmaßte, daß dieser Eingriff wegen einer fortgeschrittenen bösartigen Geschwulst vorgenommen wurde (über eine solche Indikation zur Operation läßt sich nach dem heutigen Stand der Wissenschaft wohl streiten).
Tatsächlich wurde der Patient jedoch aus anderen Gründen operiert: Durch die Lähmung der unteren Körperhälfte von Geburt an war der Patient dauernd bettlagerig, und es hatten sich im Laufe der Zeit die unvermeidlichen, ge fürchteten Dekubital - Geschwüre ("durchliegen") gebildet. Trotz langwieriger Behandlung konnten die Geschwüre nicht zur Ausheilung gebracht werden, sie breiteten sich vielmehr aus und gingen weiter in die Tiefe, so daß die Qualen des Patienten, der ja nur auf der Seite liegen konnte, sich ins Unerträgliche steigerten. Deshalb entschloß man sich, die ohnehin nutzlose, ja hindernde untere Hälfte von dem sonst gesunden Körper des jungen Mannes abzusetzen, eine auch vorher schon mögliche aufsteigende Harnweginfektion nahm man dabei in Kauf. Zur Frage der Verlegung des Enddarmausgangs ist zu bemerken, daß derlei Eingriffe täglich in Deutschland zu Dutzenden vorgenommen werden.
Espelkamp (Westf.) WOLFHARD CASPAR
cand. med.
Es wäre sicher schon viel gewonnen, wenn sich die Meinung Professor Derras bei den zahlreichen skalpellbesessenen Chirurgen durchsetzen könnte. Ich meine aber, Herr Professor Derra sollte selber noch einen Schritt weitergehen und in den vielen Fällen, die nicht unter die Rubrik »dringliche Chirurgie« fallen, erst einmal einen Heilungsversuch mit dem »konservativen Messer« unternehmen. Diese Bezeichnung stammt von dem bedeutenden Chirurgen Leriche (Frankreich), der als Erster durch die gezielte Anwendung von Novocain oft gleiche Heilerfolge erzielte wie sonst durch die Operation.
In Deutschland kommt dem »Revolutionär« Huneke, Düsseldorf, wohl das unbestrittene Verdienst zu, durch Entdeckung des »Sekundenphänomens« und Begründung der »Neuraltherapie« die ganze Vielfalt der Heilungsmöglichkeiten mit dem »konservativen Messer« entwickelt und aufgezeigt zu haben. Huneke arbeitet mit Impletol, einem Medikament, das auch Novocain enthält.
Es nimmt mich wunder, daß eine so erfolgversprechende und elegante Methode wie die Neuraltherapie bei uns nicht als ordentliches Fach in die Ausbildung des angehenden Arztes miteinbezogen wird, wie dies in der so rückständigen Ostzone längst der Fall ist.
Düsseldorf DR. MED. ALFRED FISCHER
Wer hätte das »Recht«, mich »retten« zu wollen, ohne mir die Gewißheit eines fortan würdigen Daseins zu schenken?
München DOROTEA P. SCHUMACHER
Die Ausführungen waren sicherlich sehr interessant, doch glaube ich, daß gerade in diesem Zusammenhang auch die Frage hätte erörtert werden sollen, daß man vieles auch an Stelle des Messers machen kann - was natürlich von Chirurgen nicht besonders gern gehört wird. Es ist heute wohl allgemein anerkannt, daß viele gefährliche Operationen und dadurch bedingte mögliche Verstümmelungen durch andere Therapien bei mindestens gleichem Heilerfolg vermieden werden können.
Köln DR. HANS K. LINDNER
Für die ultra-radikale Chirurgie eröffnen sich ungeahnte Perspektiven, wenn das neue Heil in Gestalt der ultraradikalen Selbstmordverhütung über die Menschheit kommen sollte, in dessen Dogmatik uns der SPIEGEL (Nr. 5/1963) mit seinem »Selbstmord«-Artikel eingeführt hat. Für den neuen Totalitarismus, der der Menschheit von den Erfindern des »präsuizidalen Syndroms« droht, ist natürlich die ultra-radikale Chirurgie Zukunftsmusik, weil die beste Selbstmord-Prophylaxe,
Ettelbruck (Luxemburg) A. SCHLEICH
Ist es human, ein Leben zu erhalten, wenn man weiß, daß, was da leben wird, ein Torso ist, dessen kurzer Lebensrest voller Qual ist, die herabzumindern allerdings Drogen und Spritzen bereitgehalten werden, die dann wiederum das erhaltene »Leben« noch weiter jeden denkbaren Sinnes berauben?
Wuppertal DR. RICHARD SCHIESS
In dem zum Teil recht aufschlußreichen SPIEGEL-Gespräch mit Professor Derra lassen die Redakteure auf Seite 62 den bedeutenden Chirurgen von der »S förmigen Schleife des Dünndarms« sprechen. Gemeint ist wohl die Flexura sigmoides, auch Colon sigmoides oder S romanum genannt. Dabei handelt es sich aber um die unterste sigma- oder s-förmige Krümmung des Dickdarms.
Bad Oeynhausen HERBERT SCHMIDT
Im SPIEGEL-Gespräch mit Prof. Derra wurden über die sprachlichen Kommunikationsmöglichkeiten Kehlkopfloser eingestandenermaßen laienhafte Formulierungen gebraucht. Erfahrungen haben gelehrt, daß solche Patienten, sofern sie nicht vorzeitig resignieren, es mit Hilfe eines Sprachheillehrers oder als Autodidakten zu einer kräftigen, tragfähigen Ersatzstimme bringen können, die ihnen eine normale sprachliche Verständigung selbst über den Fernsprecher ermöglicht. Das Phonetische Institut der Universität Hamburg verfügt über Tonträger, die erkennen lassen, daß Menschen, denen man den Kehlkopf entfernen mußte, es zu beachtlichen sprecherischen Leistungen bringen können.
Hamburg HEINRICH STAPS
Ihr SPIEGEL-Gespräch mit Professor Derra über die superradikale Chirurgie war interessant und auch wohl notwendig.
Nicht notwendig war Ihr supraradikaler Bildjournalismus, um den Text zu untermauern. Sie werden nicht nur von Links-, Rechts- und Sowohl-als-auch -Intellektuellen gelesen, auch ganz biedere Familienväter befleißigen sich der Lektüre des SPIEGEL. Ich finde die zweimalige Abbildung einer Hemicorporectomie unnötig und schockierend.
Todtmoos (Schwarzwald) THEO A. DÖÖR
Nachdem sich Professor Derra auf dem Gebiete der Geschwulstchirurgie aus wohlerwogenen Gründen entschieden gegen supraradikale Amputationen ausgesprochen hat, ist man erstaunt zu lesen, daß er in der Unfallchirurgie »kosmetische« Gründe für radikale Amputationen gelten läßt.
In dem von Professor Derra angeführten Beispiel der »abgelederten« Hand sollen Muskeln und Sehnen offenbar noch kaum beschädigt vorhanden sein; die Hand wäre nach einer Hauttransplantation also noch begrenzt bewegungsfähig. Ist der »funktionelle Zustand« eines Patienten mit einer begrenzt bewegungsfähigen Hand nicht weniger gestört als mit einer Handprothese? Und »Tasten, was warm und kalt ist« dürfte nur in relativ wenigen Fällen Hauptaufgabe der Hand sein.
Hoisdorf (Holst.) HANS-JOACHIM ZICKERT
Derra-Titel