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»Auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend«

Der Kommandant von Auschwitz, Höß, der das größte Vernichtungslager einrichtete und von 1940 bis 1943 leitete, hat im polnischen Gefängnis eine Autobiographie »Meine Psyche. Werden, Leben und Erleben« geschrieben, der der nachstehende Auszug entnommen ist. Höß wurde 1947 vom polnischen Obersten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.
aus DER SPIEGEL 6/1979

Nach dem Willen des RFSS (Reichsführer SS Himmler. Die Red.) wurde Auschwitz die größte Menschen-Vernichtungs-Anlage aller Zeiten. Als er mir im Sommer 1941 persönlich den Befehl erteilte, in Auschwitz einen Platz zur Massenvernichtung vorzubereiten und diese Vernichtung durchzuführen, konnte ich mir nicht die geringsten Vorstellungen über die Ausmaße und die Auswirkungen machen. Wohl war dieser Befehl etwas Ungewöhnliches, etwas Ungeheuerliches. Doch die Begründung ließ diesen Vernichtungsvorgang richtig erscheinen.

Ich stellte damals keine Überlegungen an -- ich hatte den Befehl bekommen -- und hatte ihn durchzuführen. Ob diese Massenvernichtung der Juden notwendig war oder nicht, darüber konnte ich mir kein Urteil erlauben, soweit konnte ich nicht sehen. Wenn der Führer selbst die »Endlösung der Judenfrage« befohlen hatte, gab es für einen alten Nationalsozialisten keine Überlegungen, noch weniger für einen SS-Führer. »Führer befiehl, wir folgen« -war keinesfalls eine Phrase, kein Schlagwort für uns. Es war bitter ernst gemeint.

Es wurde mir seit meiner Verhaftung wiederholt gesagt, daß ich ja diesen Befehl hätte ablehnen können, ja daß ich Himmler hätte über den Haufen schießen können. -- Ich glaube nicht, daß unter den Tausenden von SS-Führern auch nur einer einen solchen Gedanken in sich hätte aufkommen lassen können. So etwas war einfach ganz unmöglich. Wohl haben viele SS-Führer über manchen harten Befehl des RFSS gemeckert, geschimpft, aber ausgeführt haben sie jeden.

Der RFSS hat manchem SS-Führer durch seine unerbittliche Härte bitter weh getan, aber nicht einer, glaube ich fest, hätte es gewagt, sich an ihm zu vergreifen, auch nicht in den geheimsten Gedanken. Seine Person als RFSS war unantastbar. Seine grundsätzlichen Befehle im Namen des Führers waren heilig. An denen gab es keine Überlegungen, keine Auslegungen, keine Deutungen. Bis zur letzten Konsequenz wurden sie durchgeführt und sei es durch bewußte Hingabe des Lebens, wie es nicht wenige SS-Führer im Kriege taten ...

Bevor aber die Massenvernichtung der Juden begann, wurden in fast allen KL (Konzentrationslagern. Die Red.) 1941/42 die russischen Politruks und politischen Kommissare liquidiert ...

Solche herausgefundenen politischen Funktionäre der Roten Armee kamen nun auch zur Liquidierung nach Auschwitz. Die ersten kleinen Transporte wurden durch Exekutions-Kommandos der Truppe erschossen.

Während einer Dienstreise hatte mein Vertreter, der Schutzhaftlagerführer Fritzsch, zur Tötung Gas verwendet. Und zwar das Blausäurepräparat Cyclon B, das zur Ungeziefervertilgung im Lager laufend gebraucht wurde und vorrätig lag. Nach meiner Rückkehr meldete er mir dies, und beim nächsten Transport wurde wiederum dies Gas benutzt.

Die Vergasung wurde in den Arrestzellen des Blocks 11 durchgeführt. Ich selbst habe mir die Tötung, durch eine Gasmaske geschützt, angesehen. Der Tod erfolgte in den vollgepropften Zellen sofort nach Einwurf. Nur ein kurzes, schon fast ersticktes Schreien, und schon war es vorüber. So recht zum Bewußtsein ist mir diese erste Vergasung von Menschen nicht gekommen, ich war vielleicht zu sehr von dem ganzen Vorgang überhaupt beeindruckt.

Stärker erinnerlich ist mir die bald darauf erfolgte Vergasung von 900 Russen im alten Krematorium, da die Benutzung des Blocks 11 zuviel Umstände erforderlich machte. Es wurden einfach noch während des Entladens mehrere Löcher von oben durch die Erd- und Betondecke des Leichenraumes geschlagen. Die Russen mußten sich im Vorraum entkleiden und gingen aUe ganz ruhig in den Leichenraum, da ihnen gesagt wurde, sie würden da entlaust.

Der ganze Transport ging gerade genau in den Leichenraum. Die Tür wurde zugeschlossen und das Gas durch die Öffnungen hineingeschüttet. Wie lange diese Tötung gedauert hat, weiß ich nicht. Doch war eine geraume Weile das Gesumme noch zu vernehmen. Beim Einwerfen schrien einige »Gas«, darauf ging ein mächtiges Brüllen los und ein Drängen nach den beiden Türen. Diese hielten aber den Druck aus.

Nach mehreren Stunden erst wurde geöffnet und entlüftet. Da sah ich nun zum ersten Male die Gasleichen in der Menge. Mich befiel doch ein Unbehagen, so ein Erschauern, obwohl ich mir den Gastod schlimmer vorgestellt hatte. Ich stellte mir darunter immer ein qualvolles Ersticken vor. Die Leichen waren aber durchwegs ohne jegliche Verkrampfung. Wie mir die Ärzte erklärten, wirkte die Blausäure lähmend auf die Lunge, die Wirkung wäre aber so plötzlich und so stark, daß es nicht zu den Erstickungserscheinungen wie z. B. durch Leuchtgas oder durch allgemeine Luftentziehung des Sauerstoffs fuhre.

Über die Tötung der russischen Kriegsgefangenen an und für sich machte ich mir damals keine Gedanken. Es war befohlen, ich hatte es durchzuführen. Doch ich muß offen sagen, auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend, da ja in absehbarer Zeit mit der Massenvernichtung der Juden begonnen werden mußte, und noch war weder Eichmann noch mir die Art der Tötung dieser zu erwartenden Massen klar.

Durch Gas sollte es wohl sein, aber wie und was für ein Gas? Nun hatten wir das Gas und auch den Vorgang entdeckt.

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