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UNTERNEHMEN / BRAUN AG Auf Schonkost

aus DER SPIEGEL 45/1967

Der Frankfurter Elektroindustrielle Erwin Braun, 46, saß auf seinem Bauernhof im Schweizer Kanton Luzern bei seinen Ziegen. Da erreichte ihn aus seiner Firma eine Depesche im Manger-Idiom Die Sache is gesächt und aufm Bollerwagen.«

Als Absender der Nachricht zeichnete die Firmenzentrale. Die Sache war millionenschwer: Der amerikanische Konzern The Gillette Company in Boston hatte sein mündliches Angebot, die Mehrheitsbeteiligung der Gebrüder Erwin und Artur Braun, 42, an der Elektrogruppe Braun AG in Frankfurt für 200 Millionen Mark zu kaufen, schriftlich unterbreitet.

Die US-Offerte an das Frankfurter Renommier-Unternehmen hat Banken und Bosse verstört. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« sprach von »nationalem Ausverkauf« und seufzte: »Nun auch Braun.«

Wie keine andere deutsche Elektro-Firma hat Braun demonstriert, daß Technik nicht häßlich sein muß. Mit klaren funktionsgerechten Formen attackierten die Gebrüder Braun den Kitsch in Deutschlands Küchen und Kammern. Dank ihnen ist heute der ehedem reichliche Goldleisten-Zierat auf Radios und Plattenspielern nahezu unverkäuflich.

Mit seinen schönen Formen verdiente das Unternehmen (5700 Beschäftigte, 245 Millionen Mark Jahresumsatz) auch noch schönes Geld. Auf dem Trockenrasierer-Markt beispielsweise beherrscht Braun mehr als 50 Prozent des deutschen Marktes und hat Branchengiganten wie Philips und Remington auf die hinteren Plätze verdrängt. Die Aktionäre kassieren bis zu 18 Prozent Dividende.

Dennoch sehen Erwin und Artur Braun, die mit einem Kapitalanteil von 16 Millionen Mark die Gesellschaft (gesamtes Aktienkapital 30 Millionen) steuern, seit zwei Jahren nicht mehr frohgemut in die Zukunft. Aus eigener Finanzkraft, so erklärten sie, könnten sie ihre führende Position künftig nur bei ihrem Hauptartikel, dem Trockenrasierer, behaupten und ausbauen. Für Forschung und Entwicklung aller Produkte hingegen sowie für die Erweiterung der Betriebe benötigt die Gesellschaft so erhebliche Finanzmittel, wie sie nach Meining der Braun-Brothers nur ein großer Elektrokonzern aufbringen kann.

Bereits seit längerem suchten die beiden Brüder deshalb nach einem starken Partner. Erwin Braun im vergangenen Jahr: »Wir sind nach allen Seiten offen.« Aber konkrete Angebote für das 46 Jahre alte Familienunternehmen, das die Brüder seit 1951 steuern, blieben aus.

Damals hatte Vater und Firmengründer Max Braun am Schreibtisch den Herztod erlitten. Die Brüder mußten über Nacht die Leitung der Firma übernehmen, obwohl beide zum Manager-Amt keine Neigung hatten. Erwin wäre lieber Arzt geworden, Arturs Berufsziel war die betriebsferne Konstruktionsstube.

Die Radios, Küchenmaschinen und Trockenrasierer, die schon der Vater gebaut hatte, waren den sensiblen Junior-Chefs zu häßlich. So engagierten sie einen Außenseiter, den Theaterwissenschaftler Dr. Fritz Eichler, der über Puppenspiele promoviert hatte, als Chef-Farmer.

Zusammen entwarfen sie das Braun-Programm, neben dem der verkitscht-feierliche Elektrogeräte-Stil jener Tage hohl und trist wirkte. 1955 kamen ihre Radios auf den Markt, deren kühler Kubismus eher dem Geschmack modern empfindender Verbraucher entsprach. Seit 1952 kletterte der Umsatz von 17,7 auf 245 Millionen.

Trotz ihres imposanten Erfolgs hatten die Gebrüder nie Freude am Chefspiel. Auch die schöne Welt des Konsums gab ihnen wenig. Sie wohnten bescheiden -- Artur im vorfabrizierten Bungalow, Erwin im Reihenhaus.

Der Herrschaftsstil in den Braun-Betrieben ist unplebejisch und demokratisch. Machtfülle und Machtgenuß sind den Chefs zutiefst verdächtig. Einwände des Betriebsrates werden grundsätzlich ernst genommen, politisch stehen die Brauns links.

Ihre Briefe schreiben sie gern im Jargon des Kohlenpott-Troubadours Jürgen von Manger. Erwin Braun begibt sich regelmäßig mit dem philanthropischen Porzellanfabrikanten Philip Rosenthal, einem Gleichgesinnten, auf lange Rucksack-Wanderungen.

Deutsche Konzerne waren nicht bereit, für Braun einen realistischen Preis zu bieten. So nutzte die Gillette-Company, Amerikas führender Hersteller von Rasierapparaten und -Klingen, die günstige Gelegenheit. Über die Braun AG will Gillette nunmehr ins Trockenrasier-Geschäft vorstoßen. Bis Ende November müssen sich die Gebrüder Braun einig werden, ob sie ihre Unternehmen gegen Gillette-Aktien und Dollars eintauschen wollen.

Schon jetzt aber wissen sie, was sie mit den Gillette-Millionen machen würden. Der Elektroingenieur Artur Braun möchte sich ganz seiner kleinen Entwicklungsfirma in Königstein/Taunus widmen. Er gedenkt, fernab vom lauten Management weiter für Braun und andere Unternehmen formschöne Elektroartikel zu entwerfen.

Auch der Kaufmann Erwin Braun möchte sich seinen Jugendwunsch erfüllen. Mit einem Teil seines Erlöses würde er in der Schweiz eine Musterklinik bauen. Schon für seine Braun-Mitarbeiter hatte er Gesundheitszentren mit Gymnastiksälen, Sauna-Anlagen und Diätküchen errichtet.

Auf seinem Bauernhof bei Luzern betreibt Erwin bereits seit einigen Jahren eine Ziegenzucht. Die Geißen grasen auf Almen, die auf Befehl des Eigners nicht mit Chemikalien gedüngt werden dürfen. Nur so, glaubt Erwin, können sie gesunde Milch geben. »Abseits der Schulmedizin« wird auch seine Klinik arbeiten. Therapeutische Schwerpunkte: Naturheilverfahren und gesunde Kost.

Erwin Brauns Gedanken kreisen heute schon unablässig um das neue Berufsziel: »Der Mensch ißt dreimal am Tage, und in Deutschland haben wir nur einen Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie. Auf die Ernährung muß der Mensch sehr viel mehr Wert legen als bisher.« Die Deutschen sollen wieder von ihm hören.

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