SCHRÖDER Auf Tauchstation
Bundesdeutschlands ranghöchster Verteidiger hat sich eingegraben. Im Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe, dem Bonner Feldherrenhügel, lebt Gerhard Schröder nach der alten Soldatenregel, das Wichtigste sei, nicht aufzufallen.
Aus dem darstellungsfreudigsten Außenminister der rheinischen Republik ist der unauffälligste Verteidigungsminister geworden, den Bonn je erlebt hat. Im Winterquartier seiner politischen Karriere wartet Gerhard Schröder auf die Wiederkehr besserer Zeiten und auf den Ruf in höhere Ämter.
Kaum hatte die Bildung der schwarz-roten Koalition den dienstältesten Bonner Kabinettsherrn aus dem AA ins Verteidigungsministerium abgedrängt, da wurde es still um Schröder.
Im März 1967 mokierte sich der sozialdemokratische »Vorwärts«, der Verteidigungsminister habe auf der Hardthöhe eine Igelstellung bezogen, um dort parteipolitisch mindestens bis zu den Wahlen im Jahre 1969 zu überwintern, und dabei habe er auch der Bundeswehr die ungeschriebene Order gegeben: Alle Mann auf Tauchstation.
Doch Schröder ließ sich nicht aus der Reserve locken, die ihm politisch gewinnbringender erscheinen mußte als jede unzeitige Aktivität. Er war noch immer einer der mächtigsten Männer der Christenunion, wohlversehen mit der stabilen Hausmacht des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. Der erste CDU-Parteitag nach der Großen Koalition wählte ihn im Mai in Braunschweig mit 405 von 562 Stimmen zum stellvertretenden Vorsitzenden wieder.
Nicht ohne Grund also schonte Schröder seine Kräfte -- für den Tag der Wiederkehr der Kleinen Koalition aus CDU/CSU und FDP, deren Kanzler Schröder heißen sollte.
Einmal noch bekam der schwarzrote Kanzler Kiesinger den alten Angriffsgeist des rivalisierenden Reservekanzlers Schröder zu spüren. Am 20. Juli vergangenen Jahres drohte der Verteidigungsminister dem Regierungschef wegen der Mifrifi-Kürzungen am Wehretat mit dem Rücktritt. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen.
Dieser Ausfall aus seiner Igelstellung aber bekam dem Überlebenskünstler Schröder schlecht. Fünf Wochen nachdem der Konflikt mit Kiesinger mühsam beigelegt war, ereilte den Minister auf der Treppe seines reetgedeckten Landhauses »Atterdag« auf Sylt ein schwerer Herzanfall mit »Bewußtseinstrübungen«. Gerhard Schröder lag auf den Tod darnieder.
Frau Brigitte vertraute Bekannten an, was sie für die Ursache des Kollapses hielt: »Er hat sich so sehr über den Streit mit Kiesinger geärgert.«
Während der Wochen der Rekonvaleszenz im Sanatorium Westerhof am Tegernsee ging Schröder mit dem Gedanken um, daß mit seinen physischen Reserven auch der Traum vom Griff nach dem Kanzleramt vergangen sein könnte. Bei einem Spaziergang ins nahe gelegene Gulbransson-Museum beugte er sich lange über eine Karikatur mit dem Titel »Ministers Schicksalslied, frei nach Hölderlin« und las seiner Frau resigniert lächelnd den Text vor: »Es schwinden, es fallen die leitenden Menschen -- blindlings von einer Stunde zur anderen, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, jahrlang ins Ungewisse hinab.«
Gerhard Schröder war nicht mehr der alte. Zwar kehrte er, äußerlich gut erholt, im November ins Bonner Amt zurück und suchte Freund und Feind durch gut einstudierte Proben scheinbar unerschütterter Geisteskraft zu verblüffen. Doch solchen Mitarbeitern, die ihn gut kannten, fielen ungewohnte Schwächen auf: Schröder war nicht mehr so reaktionsschnell wie früher, auf Konferenzen ermüdete er rascher, und ganz in Form war er nur noch frühmorgens oder nach dem Mittagsschlaf. Vor allem sein Sprechrhythmus war schleppender geworden.
Geschwächt sah sich Schröder auch beim Vollzug seiner Dienstgeschäfte. Denn kurz nach dem Duell vom 20. Juli hatte Kanzler Kiesinger sich entschlossen, seinem Rivalen Schröder die rechte Hand abzunehmen.
Weit weg von Bonn, im Blair House, dem Gästehaus des amerikanischen Präsidenten in Washington, warb der Kanzler im August während seines Antrittsbesuches bei Präsident Johnson den Verteidigungs-Staatssekretär und Schröder-Intimus Karl Carstens für das Palais Schaumburg ab.
Seither kümmert sich Schröder noch weniger als zuvor um das unerwünschte Amt des Verteidigungsministers. Und ein neues Bonner Wehrkonzept, das den veränderten Voraussetzungen im Osten wie im Westen Rechnung trüge, wird gar nicht erst entwickelt.
Läßt sich eine öffentliche Äußerung partout nicht umgehen, dann kommen Gerhard Schröder noch immer die Uraltformeln konservativer CDU-Politik über die Lippen.
Während der SPD-Außenminister Brandt von Rüstungsbegrenzung und Entspannung spricht, malt Schröder, von den Ereignissen in Osteuropa unbeeindruckt, weiterhin am Bild eines zunehmend aggressionsbereiten Warschauer Pakts.
Noch also wird Winterschlaf gehalten im Bonner Verteidigungsministerium. Doch des Ministers Träume von der Zukunft haben unterdessen gewechselt.
Denn seit seiner Rückkehr aus dem Sanatorium am Tegernsee hat Gerhard Schröder immer mehr Gefallen an der Vorstellung gefunden. 1969 als Nachfolger Heinrich Lübkes ins hohe Amt des Bundespräsidenten einzuziehen.
Erstes Anzeichen dafür war Schröders Wahl eines Nachfolgers für den abgeworbenen Karl Carstens. Sie fiel auf den amtsmüden Bundespressechef Karl-Günther von Hase.
Schröders Kalkül: Der im Umgang mit der Presse erfahrene von Hase werde sich bestens darauf verstehen, seinen Minister in der Öffentlichkeit mit professionellem Geschick für eine Präsidentschaftskandidatur aufbauen zu helfen.
Doch diesmal verkalkulierte sich Schröder. Der preußisch pflichtbewußte Generalstabsmajor a. D. von Hase ließ sich nach einigem Zögern zwar in den neuen Gefechtsstand befehlen. Dort aber versagte er sich jeder Public-Relations-Arbeit.
Statt dessen überraschte er den Offiziers- und Beamten-Troß im Bürokraten-Getto auf der Hardthöhe durch bienenfleißiges Aktenstudium, straffe Verwaltungsführung und rasches Erfassen fremder Sachverhalte.
Obendrein entfaltete Schröders neuer Mann unverhoffte Entscheidungsfreudigkeit. Wer heute im Verteidigungsministerium einen schnellen Entschluß braucht, geht zum Staatssekretär, nicht zum Minister. Gerhard Schröder, der einst seine Ressorts mit harter Hand zu führen pflegte, ist so im eigenen Hause noch weiter an den Rand des Geschehens gerückt.
Doch wo der Staatssekretär sich versagte, da sprang die Minister-Gattin ein.
Seit einiger Zeit veranstaltet Brigitte Schröder mehr Damen-Tees, Cocktail-Partys und Privatempfänge als jede ihrer Vorgängerinnen. Denn Brigitte Schröder weiß, was Frauen wünschen.
Nicht in seinem martialischen Amt, wo unpopuläre Entscheidungen fallen, sondern auf dem gesellschaftlichen Parkett, wo er stets ein Star war, soll Gerhard Schröder sich nun als Bonns schöner neuer Bundespräsident empfehlen.