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TRUJILLO-DYNASTIE Auf Tauchstation

aus DER SPIEGEL 35/1960

Er ist Mulatte, Mörder, Millionär. Sein Privatvermögen wird auf 500 Millionen Dollar geschätzt, seine Kinderschar auf 40 Köpfe. Irgendwo zwischen diesen Ziffern liegt die Zahl seiner Opfer.

Dreißig Jahre lang hat Rafael Leónidas Trujillo, 69, den drei Millionen Untertanen seines Inselreichs in der Karibischen See Wohlstand und Terror in unbekanntem Ausmaß beschert.

In der dominikanischen Republik, die von ihm als Familienunternehmen zu blutiger Blüte geführt wurde, fand in dieser Zeit die Creme der gestürzten Tyrannen des lateinamerikanischen Diktatoren-Dorados gastfreundliches Asyl; Perón aus Argentinien, Batista aus Kuba und Perez Jiménez aus Venezuela kamen, um sich bei ihrem Berufskollegen auszuruhen.

Nun hat sich der Altmeister selbst zurückgezogen. In diesem Monat befahl er seinem Bruder Héctor ("Blackie"), Träger des Großkreuzes der Bundesrepublik, die Präsidentschaft niederzulegen, zwang weitere Familienmitglieder, ihre Ministersessel zu räumen, und ließ sich selbst als Botschafter seines Landes bei den Vereinten Nationen akkreditieren.

Von den einst von Gewaltherrschern regierten 20 Republiken Lateinamerikas werden jetzt nur noch die beiden unterentwickelten Staaten Paraguay unter General Stroessner und Nicaragua unter Oberst Somoza von Militärdiktatoren alter Schule beherrscht. Aber im Gegensatz zu allen anderen pensionierten Tyrannen scheint es bei Rafael Trujillo keineswegs sicher, daß sein Rückzug für immer gilt.

Schon einmal, vor acht Jahren, hatte er sich zum Uno-Delegierten seines Landes bestellen lassen, um vom sicheren New York aus zu beobachten, ob er den Rest seiner Tage besser bei seinen ausländischen Banknoten verbringen solle oder zurückkehren könne, um weiter mit seinem Pfund zu wuchern. Damals kehrte er zurück und verlängerte die dauerhafteste und erfolgreichste, gemeinste und erstaunlichste Diktatur Lateinamerikas um ein neues Kapitel.

»Ich bin nicht Marc Anton«, hatte Trujillo bescheiden gestanden, als er 1930 als Oberbefehlshaber der dominikanischen Streitkräfte mit mehr Stimmen, als es Wahlberechtigte gab, erstmalig zum Präsidenten der Republik gewählt worden war. »Ich strebe danach, ein Julius Caesar der guten Taten zu sein. Und wenn ich Nero wäre, würde ich die Hauptstadt Santo Domingo niederbrennen, um sie schöner denn je wiederaufzubauen.«

Er baute nicht nur Santo Domingo neu, sondern überzog das ganze Land mit Straßen, Eisenbahnen und Kasernen. Der Lebensstandard in der Dominikanischen Republik wurde einer der höchsten in Mittelamerika. Und der Personenkult und Terror des karibischen Caesars ließ Stalins Werkeln in der fernen

Sowjet-Union als Laienspiel erscheinen.

Die neue Hauptstadt, in der heute noch 2000 Trujillo-Denkmäler stehen, wurde 1936 in Ciudad Trujillo umgetauft; der höchste Berg erhielt den Namen Pico Trujillo.

»Gott und Trujillo« verkündeten die dominikanischen Zeitungen jeden Tag. »Nur Trujillo heilt dich«, so wurde es an die Portale der Krankenhäuser in Stein gemeißelt. Die Bänke im Schatten der Bäume auf der Promenade erhielten die Inschrift: »Diesen Schatten verdankst du Trujillo.«

Mal in präsidialen Würden, mal als Privatmann in der goldstrotzenden Uniform eines Generalissimus, bewirtschaftete Rafael Leónidas Trujillo ein halbes

Menschenalter hindurch die Dominikanische Republik als eine Privatplantage mit Leibeigenen, bezahlte seiner 17jährigen Tochter Angélica die nicht alltägliche Rechnung eines New Yorker Schönheitssalons über 4200 Mark aus der Staatsschatulle und bestallte in Köln den Konsul und Romy-Daddy honoris causa Blatzheim vorübergehend zum diplomatischen Vertreter seines Landes.

Ein Jahr bevor Trujillo 1937 in die benachbarte Negerrepublik Haiti einfiel, 10 000 Grenzbewohner niedermetzelte und später auf amerikanischen

Druck hin widerwillig eine Entschädigung von 75 Dollar pro Kopf zahlte, schlug er sich selbst als Kandidat für den Friedensnobelpreis vor.

Der Generalissimus, dessen Herkunft so dunkel wie seine Hautfarbe ist - niemand weiß sicher, ob sein Vater Postbeamter, Landarbeiter oder Viehhändler war -, hielt in seinen Händen die Handelsmonopole für Salz, Vieh und Rum; ihm gehören die einträglichsten Kaffee-, Zucker- und Reis-Farmen. Er besitzt mehrere Fabriken, die teuersten und anrüchigsten Vergnügungs-Etablissements der Hauptstadt und das größte Schlachthaus des Landes.

Indes, niemand kann sagen, Trujillo habe nur an sich gedacht: Vier seiner

Brüder erhielten hohe Staatsämter (ein fünfter endete durch Selbstmord, während ein Neffe bei einer Kaffeehaus-Schießerei in Florida ums Leben kam), ein Schwager leitet die Staatslotterie und seinen Frauen schenkte er das Wäscherei-Monopol für die Armee.

Dreimal war der »Wohltäter des Vaterlands« verheiratet. Seiner ersten Ehe mit Aminta Ledesma, einem Bauernmädchen, entstammt Trujillos Lieblingstochter Flor d'Oro, die sich ihrerseits von dem Playboy-Veteranen und dominikanischen Diplomaten Porfirio Rubirosa erstmalig zum Altar führen

ließ und es seither mit sechs weiteren Gatten versuchte.

Trujillo tauschte seine erste Lebensgefährtin zu Beginn seiner Karriere gegen die blasse aristokratische Schönheit Bienvenida Ricardo y Román ein. Um 1935 auch sie loszuwerden, bemühte der Diktator das Parlament: Er ließ ein Gesetz verabschieden, nach dem jede Ehe geschieden werden kann, wenn die Frau nach fünf Jahren noch keinem Kind das Leben geschenkt hat, wie dies bei Bienvenida der Fall war.

Die dritte, derzeitige Frau Maria hatte dem Generalissimus zu dieser Zeit bereits einen unehelichen Sohn geboren, Rafael Leónidas ("Ramfis") Trujillo jr., ein militärisches Genie, das im Alter von drei Jahren Oberst der Armee wurde; ein Monatseinkommen von 600 Mark bezog und den Ehrentitel »Erlauchtes Kind« trug.

Der erlauchte Wechselbalg Ramfis stieg vor zwei Jahren zu internationalem Ruhm auf, als er inzwischen Generalleutnant - auf die amerikanische Militärakademie Leavenworth geschickt wurde. Ramfis absolvierte zwar nicht die Abschlußprüfung, aber er schaffte es, in einem Jahr in Amerika genau jene Summe durchzubringen, die in eben jenem Zeitraum von den Vereinigten Staaten im Rahmen der Auslandshilfe an die Dominikanische Republik gezahlt wurde: 1,3 Millionen Dollar.

Unter den größeren Einzelposten seiner Ausgaben befand sich ein Mercedes 300 SL für Kim Novak (35 000 Mark), ein Chinchilla-Mantel für Zsa Zsa Gabor (100 000 Mark) und ein Brillantring für die englische Filmschauspielerin Joan Collins (80 000 Mark).

Im Zuge des vom Vater angeordneten Tauchmanövers mußte in diesem Monat auch Ramfis seinen inzwischen bezogenen Posten als Generalstabschef der Armee räumen: Wegen seines Talents bei der Verwendung von Auslandshilfe wurde er als Berater zur dominikanischen GATT-Delegation bei internationalen Wirtschaftsverhandlungen nach Genf entsandt.

Bleibt es auch ungewiß, welchen Motiven der Rückzug des alten Herrn entsprang, so ist doch sicher, daß die durch Mißernten und fallende Weltmarktpreise ausgelöste Unruhe im Land allein ihn nicht dazu bewogen hat, das Feld zu räumen. Einen Putsch hat er nie zu fürchten brauchen.

Seit 30 Jahren hat der »Große Bruder« der Dominikanischen Republik die Orwellsche Utopie vorn allgegenwärtigen Diktator in der Praxis übertroffen.

Schon am Flugplatz werden alle Ausländer mit Hilfe von Röntgenapparaten nach Waffen durchleuchtet. Ausländische Zeitungen

werden abgenommen. Im Hotel baumeln in jedem Zimmer - aus Höflichkeit bescheiden getarnt - Abhörmikrophone von den Lampen.

Tag und Nacht patrouillierten die Volkswagen der Geheimpolizei durch Städte und Dörfer. Mindestens sieben Umsturzversuche hat Trujillo im Laufe seiner Diktatur im Blut erstickt: Gefangene weibliche Mitverschwörer wanderten dabei, bevor sie ins Gefängnis eingeliefert wurden, regelmäßig in die Kasernen und halfen unfreiwillig mit, den regierungstreuen Geist der Truppe zu stärken. Die letzte Verschwörung wurde im Sommer dieses Jahres aufgedeckt; 2000 Menschen wurden eingekerkert.

Es gab keine legale Opposition im Lande. So wie Trujillo den Schulzwang einführte und damit den Prozentsatz der Analphabeten von 75 von Hundert auf 10 von Hundert senkte, so machte er es auch jedem Untertanen zur Pflicht, Mitglied in der einzigen Staatspartei zu werden.

Geheimagenten in Zivil hielten vor allen ausländischen Missionen Wache, um Staatsfeinden die Flucht auf den exterritorialen Boden diplomatischer Vertretungen zu verwehren.

Bis in die Emigration verfolgte der Diktator seine Gegner mit tödlichem Haß. 1956 ließ er den Privatdozenten Jesus de Galindez, der erdrückendes Material gegen das Regime gesammelt hatte, am hellichten Tag aus New York entführen und umbringen. Ein zu diesem Unternehmen angeheuerter US -Pilot sprang, weil er zuviel wußte, gleich mit über die Klinge.

Immer unverhohlener befahl der alternde Diktator Genickschüsse für politische Gegner. Unverschlüsselt sandte er im letzten Jahr im normalen Funkverkehr Mordbefehle an seine Botschaft in Honduras. Und als am 24. Juni dieses

Jahres der sozialistische Präsident von Venezuela, Rómulo Betancourt, verletzt, aber noch lebend einem Mordanschlag in Caracas entging, wiesen die nur oberflächlich verwischten Spuren klar auf Trujillo.

Trujillo, der als tatkräftiger Antikommunist lange Zeit das Wohlwollen der USA genoß - Präsident Roosevelt widmete seinem »lieben Freund« ein Photo mit Unterschrift-, mußte erkennen, daß er den Bogen überspannt hatte. Nicht genug, daß im eigenen Land der Haß schwelte und die katholische Kirche öffentlich gegen den Diktator Stellung bezog: Nun reihten sich auch noch die Vereinigten Staaten neben dem Sozialisten Betancourt und dem Kommunistenfreund Fidel Castro in die Front seiner ausländischen Widersacher ein.

In der vergangenen Woche überzeugten sich die Außenminister aller amerikanischen Staaten in San Jose, der Hauptstadt Costa Ricas, auf einer Konferenz der »Organisation der amerikanischen Staaten« von den venezolanischen Beweisen für Trujillos Regie bei dem mißlungenen Mordanschlag in Caracas.

Und hier liegt wohl auch der letzte Grund für Trujillos Befehl an seine Familie: Alle Mann auf Tauchstation! Denn als die amerikanischen Außenminister in San Jose die Jagd auf Trujillo freigaben, war der Bau leer, der Fuchs entwischt. Das Halali wird nicht geblasen.

Der fette kleine Mulatte mit dem Schnurrbart über seinen feisten Lippen, der hohe Absätze trägt, um imposanter zu erscheinen, konnte unterdes in dem gläsernen Wolkenkratzer der Vereinten Nationen auf Manhattan gelassen abwarten, wie sich die Dinge entwickeln werden. Wenn überhaupt jemand gegen den Sog der gegenwärtigen Diktatoren -Ebbe in Lateinamerika anschwimmen kann, dann ist er es.

Der von ihm anstelle seines Bruders »Blackie« zum neuen Staatschef gekürte bisherige Vizepräsident Joaquin Balaguer jedenfalls war vorsichtig genug, seine Landsleute zu mahnen, den Abschied Trujillos nicht voreilig als endgültig anzusehen: »Ein Regime, das nun 30 Jahre alt ist, ... kann nicht über Nacht verschwinden.«

»Großer Bruder« Trujillo, Enkel: Abschied vom Schlachthaus

General Ramfis, Kim Novak: 300 SL vom »Erlauchten Kind«

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