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Rudolf Augstein AUF WAS GRÜNDET EIN REKTOR?

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 29/1970

Thomas von der Vring, frisch bestellter Gründungsrektor der Universität Bremen, wird wohl all die fürchterlichen Dinge nicht vollbringen, die man sich von ihm erwartet: nicht, daß er einer sozialistischen, sondern daß er einer nicht arbeitsfähigen Universität vorsitzen könnte, steht zu befürchten. Vielleicht bringt er immer noch bessere Voraussetzungen mit, das Debakel zu vermeiden, als seine nicht bestellten Mitbewerber.

Vielleicht kann dieser fähige junge Mann lernen. Jedenfalls hatten Bremens Politiker, nachdem sie nun einmal das ziemlich leichtsinnige Gründungsverfahren akzeptiert hatten, kein hinlängliches Fundament, ihrem dreiunddreißigjährigen Rektor die ihm zustehende Bestätigung zu verweigern.

Auf einem anderen Blatt freilich steht die Vorstellung, von der Leute wie von der Vring sich an die Spitze der Universitäten tragen lassen. Lassen wir beiseite, was er in früheren Jahren gesagt oder geschrieben hat: seine heutigen Gedanken bewegen sich hinter unzulänglicher, ja, wenn es so wäre, kläglicher Tarnung, entweder, oder offenbaren eine für einen Amtsträger dieser Wichtigkeit denn doch bestürzende Inkonsequenz.

Schlüsselbegriffe jungsozialistischer Universitätspolitik sind die Worte »Revolution« und »wissenschaftlich«. Da staunt man denn, daß die Revolution laut von der Vring darin bestehen soll, »um das Bewußtsein der Massen, um wenigstens 51 Prozent« zu kämpfen; kein Helmut Schmidt würde diesen Revolutionsbegriff, mag er auch nicht gerade wissenschaftlich genannt werden. anzweifeln. Aber Thomas von der Vring hat ausdrücklich in einem, wie er sagt, »wissenschaftlich formulierten Papier für Wissenschaftler« vom Zusammenhang zwischen Kritik und Revolution geschrieben, in jener 13-Seiten-Schrift, die er den zwölf Angehörigen des Bremer Gründungssenats vorlegte. Revolution, so stellt es sich plötzlich heraus, hat er nicht gemeint; gemeint hat er Evolution.

Aber gleichzeitig »läßt diese Gesellschaftsordnung«, wieder von der Vring, »ein vernünftiges Politikmachen nicht zu«. Also muß es Kampagnen geben, Scheiben müssen klirren. Wie aber, wenn die 51 Prozent, die für die Evolution gebraucht werden, lieber nicht wollen, daß Scheiben klirren? Wie, wenn sie sich auf seiten jener stellen, die nicht wollen, daß Universitäten Kampagnen vorbereiten?

Von der Vring: Die Universität kann gar keine Kampagnen vorbereiten. Sie kann nur die Munition liefern, Munition im Sinne von Ideen, nicht Pflastersteine. Einerseits »kann man nicht mit der Universität versuchen, die Gesellschaft zu ändern«; andererseits soll sie »eine treibende Kraft zur Veränderung der Gesellschaft sein": von der Vring in ein und demselben Gespräch.

Wie aber, wenn wissenschaftlich umstritten ist, auf welche Weise man sich am wirkungsvollsten »offen auf die Seite des Fortschritts schlägt«? Denn diese Aufgabe stellt er der Universität ausdrücklich, wenn das noch gilt, was er in seiner Bewerbung niederschrieb. Er selbst, da hat man wenig Zweifel, würde darüber mit sich diskutieren lassen. Aber auch die, die ihn gewählt haben? Auch die, von denen er als Transportband benutzt werden soll?

So wäre denn der Begriff des Fortschritts wissenschaftlich zu definieren. Die Universität soll auf klärerisch wirken, aufklärerisch gegen jene, die den Fortschritt verhindern. Wenn aber die 51 Prozent den Fortschritt verhindern, sind sie dann von den Universitäten nicht hinlänglich aufgeklärt worden? Das hieße plumper fragen, als von der Vring denkt. Aber was seine Kommilitonen bisher unter Aufklärung praktiziert haben, war Agitation, wirksam unter Studenten, kontrawirksam unter den übrigen.

Was er unter Aufklärung verstanden wissen will, belegt er uns am Beispiel der Nationalökonomie. Offenbar glaubt er, linke Nationalökonomen seien von der herrschenden Universität künstlich abgetrieben worden. Dabei ist es kein Zufall, daß es linke Nationalökonomen nennenswerten Kalibers nicht gibt. Es fehlt nämlich eine sozialistische Volkswirtschaft, die erstens funktioniert und zweitens als Studienobjekt. den Nationalökonomen offenstünde.

Ob es eine Politik geben kann, die »kritisch« und »volksverbunden« zugleich sein kann, mag dahinstehen. Daß solch eine volksverbundene Nationalökonomie (Vring) künstlich hintertrieben werde, ist jedenfalls ein vielen Linken liebes Märchen.

Der Politiker kann belegen und agitatorisch ausbeuten, daß die Gesellschaftsordnung ungerecht ist, daß die Gesellschaft sich kraft der ihr innewohnenden Widersprüche selbst im Wege steht. Sind die Widersprüche groß genug, und kann er sie beharrlich genug ausbreiten, und paßt der Gegner sich ihm nicht an, so muß er irgendwann die 51 Prozent für sich haben. Vom Wissenschaftler bezieht er nicht die Argumente -- dazu braucht man nämlich keine Wissenschaft -, sondern die Einsicht, was er wie nicht machen kann. Der Nationalökonom sagt es ihm.

Kritische Aufklärung verzichtet nur zu leicht darauf, sich à jour zu halten. Der Wille zur Veränderung, der Gesellschaft so notwendig, läßt Aufklärung in Agitation, und Agitation in den Tümpel der Blindheit zurückschwappen.

So läßt sich denn Thomas von der Vrings sympathischer, aber mittlerweile gefährlicher Irrtum in der Überzeugung dingfest machen, Universität als Institution sei ein avantgardistisches Unterfangen, autonom von der allgemeinen Miesigkeit der Verhältnisse, Parlamente, Mehrheiten, in einem Wort der Gesellschaft, autonom auch von deren Apparaten. Dies eben nicht. Sie eignet sich trefflich, Verbalmoral zu artikulieren, hat aber gar keinen Zugang zu den ökonomischen Verhältnissen, die entweder durch Gewalt oder durch den Schieberamsch der Evolution geändert werden.

So ist es wurscht für die Unterprivilegierten, ob die Universität, ein Instrument der Privilegierten, wie von der Vring erkennt, ihre Partei ergreift, was er ihr hochgemut ansinnt. Diese Parteinahme schafft dem Rektor und den Studenten ein glückliches Gewissen, mehr bewirkt sie nicht. Wissenschaftler können auf diesem Gewissensterrain nicht konkurrieren.

Von der Vring schreibt in seinem Papier denn auch, die Universität solle ihre Absolventen dazu drängen, in ihrem nichtuniversitären Leben »der Realität zu widerstehen und in ihrem Bereich am Fortschritt zu arbeiten« -- wirre Vorstellungen in der Tat. Realität zu erkennen und zu verarbeiten, dies Reifezeugnis wird den Von-der-Vring-Absolventen vorenthalten.

Der Rektor, als er es noch nicht war, hat nicht alles wörtlich gemeint. Gelegentlich wollte er »etwas Skandalöses in die Debatte werfen«. Nun, das kann er künftig bleibenlassen. Aber hat er, wenn er die Gesellschaft verändern will, nicht einen geeigneten mit einem ungeeigneten Sitz vertauscht? Anstatt mit den Jungsozialisten innerhalb der SPD Parteipolitik zu machen oder, wenn er sich stark genug fühlt, auch außerhalb, will er die träge Milchkuh Universität vor den Karren der Gesellschaft spannen. Aber die läßt sich nicht. Man kann nie lähmen, man kann sie zum Schaden aller, auch der Unterprivilegierten, ruinieren, aber gewiß nicht mit Zug- und Schubkraft ausstatten.

Allmählich läßt sich fakturieren, was aus der Studentenrevolte herausgekommen ist: nicht viel, aber beträchtlich mehr als nichts. Ob die Universität erneuert oder erledigt worden ist, läßt sich noch nicht sagen. Eines läßt sich sagen: Klirrende Fensterscheiben bewirken nur noch, daß die Bürger sich an klirrende Fensterscheiben gewöhnen. Erwachsensein gilt nicht mehr als Geburtsfehler. Thomas von der Vring, wenn er denn etwas taugt, wird mit eigenen Händen Professoren aus der Erde kratzen, die anderer Meinung sind als er selbst.

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