Aufrechnung
(Nr. 14/1972, Carl Raddatz über Feltri nellis Tod)
Daß Feltrinelli das Buch Cohn-Bendits zurückgewiesen hat mit der Bemerkung: »Ich verlege keine anarchistischen Bücher, ich bin kein Anarchist«, überrascht mich nicht. Denn ein anti-anarchistisches Buch von mir, worin unter anderem gegen Cohn-Bendit polemisiert wird, hat er durchaus verlegen wollen: meine »Kritik der revolutionären Ungeduld«, Untertitel: Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus. Der mi Kursbuch 19 vorabgedruckte Auszug daraus erschien im Sommer 1970 italienisch bei Mondadori (Mailand). Kurz danach ließ mir Feltrinelli (der sich damals bereits vor seinen präsumtiven Mördern versteckt halten mußte) durch gemeinsame Freunde ausrichten, daß er die vollständige Fassung zu veröffentlichen wünsche. Auf dieses Angebot positiv zu reagieren war mir zu der Zeit nicht mehr möglich, weil ich schon in -- weit gediehenen -- Verhandlungen mit deutschsprachigen Verlagen stand. Nichtsdestoweniger hat später, nachdem das Buch in Basel herausgekommen war, Frau Inge Feltrinelli-Schönthal sich die Rechte für eine italienische Lizenzausgabe gesichert. Nach dieser beruflichen Erfahrung fällt es mir schwer zu glauben, daß Feltrinelli Anarchist gewesen sein soll. Indes, auch persönliche Eindrücke sprechen dagegen. Ich hatte ihn im Juni 1967, inmitten seiner radikalsten Phase, nach einer brieflichen Kontroverse über Marxismus sind Literaturgeschichte, bei mir zu Gast. Ich lernte in ihm einen sensiblen, kultivierten Mann von humaner Gesinnung kennen, der mit der deutschen Philosophie und Literatur intim vertraut war. Es kam zwischen uns zu einem langen, gründlichen Gedankenaustausch, der auch viele politische Fragen berührte. Dabei ergaben sich wieder Meinungsverschiedenheiten, doch von Anarchismus habe ich bei meinem Gesprächspartner nichts gemerkt.
Seine Sympathie für die Neue Linke war groß. Sie ging aber nicht so weit, daß er alle Apo-Aktionen kritiklos gutgeheißen hätte. Diejenigen Protestformen, in denen damals die altanarchische »Propaganda durch die Tat« wiederaufzuleben begann, nannte er, aus revolutionsbejahender Einstellung, unvernünftig und zweckwidrig. Auch
* Philosoph und Literat in Ost-Berlin, langjähriger Herausgeber der Deutschen Zeitschrift für Philosophie«.
war ihm, bei aller Verehrung für Che Guevara, bewußt, daß die Kampfbedingungen der revolutionären Bewegung in den kapitalistischen Industriemetropolen sich von denen in der Dritten Welt gravierend unterscheiden. Und indem er sich ausdrücklich darauf bezog, berichtete er mir anhand konkreter Beispiele von seinen Bemühungen, dem gelegentlichen Hang zu sinnlosem Abenteuertum bei seinen jüngeren politischen Freunden in Italien, England, Frankreich und der Bundesrepublik entgegenzuwirken. Auf meine Frage, wieso er sich hierzu nicht auch öffentlich äußere, antwortete er mit Brecht: »Gehe nie den richtigen Weg ohne uns. Ohne uns ist es der falscheste Weg.«
Nach allem, was ich, auch aus gegnerischen Quellen. über Feltrinelli weiß. war er zu gutmütig, um irgendwelcher Brutalitäten fähig zu sein, und viel zu gescheit, um sich einzubilden, die Revolution könne durch einen momentanen Defekt bei der Stromzufuhr gefördert werden. Daß er versucht haben sollte. einen Hochspannungsmast in die Luft zu sprengen, ist für mich unvorstellbar. Dagegen kann ich mir in Anbetracht der gegenwärtigen Kräftekonstellation in Italien sehr lebhaft vorstellen, daß die amerikanische Globalstrategie fieberhaft darauf ·hinarbeitet. nächstens in diesem Land »law and order« nach griechischem Muster zu etablieren -- am Vorabend prekärer Parlamentswahlen, wie gehabt -, und zu dem Zweck ihre finstersten Provokateure aufgeboten hat. Ich bin daher nicht nur, wie alle urteilsfähigen Beobachter. überzeugt, daß Feltrinelli ermordet worden ist, sondern vermute darüber hinaus mit Regis Debray, daß die Mörder im Dienste der CIA stehen. Eben deswegen teile ich freilich auch nicht die naive Erwartung, daß die italienische Polizei zu einer wahrheitsgetreuen Aufklärung des Falles beitragen könnte. In einer Richtung zu ermitteln, die der alten Kriminalistenfrage »Cui bono?« entspräche, dürfte den Mailänder Ordnungshütern diesmal durch eherne Nato-Tabus verwehrt sein. Bestenfalls wird man ihnen, wenn es garnicht mehr anders geht, gestatten, irgendeinen Einzelgänger mit neofaschistischer Ideologie als Täter zu präsentieren. Niemand, der den Reichstagsbrand und den Überfall auf den Gleiwitzer Sender im Gedächtnis hat, sollte sich damit dann abspeisen lassen. Daß der qualvoll gemeuchelte politische Gegner noch im Tod das Propaganda-instrument seiner Schlächter hat abgeben sollen, läßt eindeutig auf Geheimdienstterror schließen.
Fememörder aus eigenem Antrieb pflegen Wert darauf zu legen, ihren Haß und ihre Rachsucht unmißverstehbar kenntlich zu machen.
Berlin WOLFGANG HARICH