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LUTHULI Aufstand der Nie-blankes

aus DER SPIEGEL 17/1960

»Euer Ehren, der Zeuge ist heute nicht in der Lage, seine Aussagen fortzusetzen«, erklärte der Anwalt der Verteidigung am 30. März vor dem Sondergericht in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria. Der Anwalt erläuterte den Richtern, die sich seit Jahren mit einem monströsen Hochverratsprozeß quälen: »Er ist in der letzten Nacht bei einer Razzia verhaftet und im Gefängnis geprügelt worden.«

Der fehlende Zeuge war der prominenteste Negerpolitiker Südafrikas: Albert John Luthuli, 61 Jahre alt, seit 1952 Präsident des in der vorletzten Woche von der Unionsregierung verbotenen »Afrikanischen National-Kongresses (ANC)« und ehedem Häuptling der Amakholwa, eines 170 000 Köpfe zählenden Zulu-Stammes in Natal.

Ex-Häuptling Luthuli, überzeugter Christ, einst Missionsschüler, Lehrer und Laienprediger, ist längst als Gegenspieler des - von einem rabiaten Farmer durch zwei Pistolenschüsse schwer verwundeten - südafrikanischen Premiers Dr. Hendrik Frensch Verwoerd zu einer der Hauptfiguren des blutigen Ringens zwischen Schwarz und Weiß geworden, das sich in Südafrika in den vergangenen Wochen bis zur Siedehitze des Bürgerkrieges steigerte.

Drei Millionen Weiße, zumindest deren überwiegende Mehrheit, verteidigen dort ihre aus kolonialer Frühzeit ererbten Vorrechte in einem Staat, den sie für 11,5 Millionen »Nie-blankes« (Nichtweiße) - für die Albert Luthuli gleiche Bürgerrechte fordert - in ein großes Konzentrationslager verwandelt haben. Diese weißen Privilegien tragen von alters her ein christliches Gewand. Verkündet das offizielle »Jahrbuch für Südafrika": »Als gläubige Christen haben sich die weißen Südafrikaner der Rassenfrage immer im Geiste der Toleranz genähert.«

Die Schüsse auf Verwoerd haben nun - mitten in den mit Panzern, Polizei und rasch mobilisierten regulären Regimentern nur mühsam eingedämmten Rassenunruhen - einen alten Gegensatz innerhalb der weißen Unionsbevölkerung wiederaufbrechen lassen: die Feindseligkeit zwischen Briten und »Afrikaandern«, die noch aus den Pioniertagen des »Großen Ochsen -Trecks« (1836) und den bitteren Jahren des Buren-Krieges (1899 bis 1902) als historisches Erbe auf der vor 50 Jahren gegründeten Südafrikanischen Union lastet. Der Attentäter David Pratt, der den »Cheftheoretiker der Apartheid« am 9. April niederstreckte, war britischer Herkunft.

Etwa 53 Prozent der weißen Unionsbürger sprechen »Afrikaans«, die aus dem Holländischen stammende Sprache der Buren, und fühlen sich als »Afrikaander«. Für sie, eine junge Nation mit heftigem Nationalgefühl, ist der Boden Südafrikas Heimaterde, die um jeden Preis - einst gegen den britischen Imperialismus, heute gegen die Bantu-Nationalisten - verteidigt werden muß. Für viele weiße Südafrikaner mit englischer Muttersprache (etwa 45 Prozent) sind jedoch nach wie vor die britischen Inseln, von denen in den vergangenen Wochen die schärfste Kritik an der Politik Verwoerds kam, die eigentliche Heimat. Sie sehen deshalb den Rassenkonflikt mit anderen, mit »liberalen« Augen.

Als im Januar 1957 in der Exerzierhalle von Johannesburg jener Monstre -Prozeß, der heute vor dem Sondergericht in Pretoria langsam dahinsiecht, mit den ersten öffentlichen Verhören begann, figurierte der jetzt als Zeuge bemühte Albert J. Luthuli als Hauptangeklagter. Neben ihm auf der Anklagebank saßen allerdings nicht nur seine ANC-»Leutnants«, sondern auch weiße Liberale, Moslems, Methodistenpastoren und Sozialisten, insgesamt 156 Männer und Frauen aller Hautfarben, die als Gegner der »Apartheid«, jener von der weißen Regierung mit drakonischer Strenge praktizierten Rassentrennung, zu Verrätern an der Südafrikanischen Union und zu Handlangern des Kommunismus gestempelt werden sollten.

Die »weiße« Opposition war damals noch unbedeutend. Die von Rassenverbrüderung schwärmenden Linksintellektuellen der Liberalen Partei, die nur über zwei als »Bantu-Vertreter« gewählte Abgeordnete im Parlament verfügte, wurden nicht ernst genommen. Erst als sich 1959 elf Parlamentarier von der loyalen Opposition des Sir de Villiers Graaff - »Observer": »Eine blasse Imitation Dr. Verwoerds« - trennten und Graaffs Vereinigte Partei verließen, entstand eine dritte politische Kraft: die fortschrittliche Partei (Progressive Party).

Sie fand Unterstützung bei führenden Bankiers und Industriellen, als die wirtschaftlichen Folgen der »Apartheid« für Südafrika von Tag zu Tag

bedrohlicher wurden. Harry F. Oppenheimer, Präsident der mächtigen Anglo -American Corporation, der 90 Prozent der Welt-Diamantenproduktion kontrolliert, schlug sich auf die Seite der Progressisten. »Undurchführbar und gefährlich« nannte er die Rassentrennung im Jahresbericht seiner Gesellschaft. Drängte Oppenheimer die Unionsregierung: »Es muß etwas geschehen, und zwar schnell. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es.«

Das Programm der neuen Fortschrittspartei - genaues Gegenteil des »Verwoerdismus« - kommt jenen Forderungen weit entgegen, die der schwarze Kongreß-Präsident Luthuli Jahr für Jahr geduldig wiederholt hat. Die Progressisten proklamierten, daß Südafrika ein mehrrassiger Staat sei und jeder zivilisierte Mensch gleich welcher Rasse das Wahlrecht besitzen müsse, ins Parlament gewählt werden und an der Regierung teilhaben könne. »Wir wollen die Revolution verhindern«, so hieß es, »die wie ein Schatten über unserer Zukunft liegt, indem wir die Revolution unnötig machen und ihre Ziele schon heute verwirklichen ...«

Als das Grollen der farbigen Revolte unüberhörbar wurde, als Hunderte von weißen Südafrikanern vor den diplomatischen Vertretungen Kanadas und Australiens Schlange standen, um eine Einwanderungsgenehmigung zu ergattern, während andere Pistolen und Munition »für den Ernstfall« hamsterten, tat die Industrie-Kammer der Südafrikanischen Union in Johannesburg einen bemerkenswerten Schritt: Ihr Direktor Johann Burger forderte den Premierminister auf, mit dem Präsidenten des Afrikanischen National -Kongresses Albert J. Luthuli zu verhandeln, den die Industriekapitäne für fähig hielten, »eine Brücke zwischen Europäern und Afrikanern zu bauen« ("Daily Telegraph").

Der Zulu-Häuptling aus Natal sähe sich am Ziel seiner politischen Wünsche, wenn er wirklich - wie vor ihm die Führer anderer farbiger Völker - aus dem Gefängnis an den Konferenztisch geholt würde. Erst vor wenigen Wochen hatte er vergebens an die regierenden Herren in Pretoria appelliert, »Verhandlungen mit uns (dem National-Kongreß) zu beginnen und die Entwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken«.

Luthulis Reden mögen vor Jahren für weiße Ohren in Südafrika noch recht radikal geklungen haben. Heute wirkt der politisierende Zulu-Häuptling neben seinem hitzköpfigen Rivalen Robert Mangaliso ("der Wundervolle") Sobukwe, dem Präsidenten des »Pan-Afrikanischen Kongresses (PAC)«, wohltuend »gemäßigt«. Offenbar muß sich aber in Südafrika mehr ereignen, als bisher geschehen ist, ehe ein Afrikaander -Premier einem schwarzen Politiker die Hand schüttelt.

Der schwarze ANC-Chef wird also warten müssen, ebenso geduldig, wie vor zwei Jahren auf der Anklagebank in Pretoria. Erst Ende 1958 wurde nämlich die Anklage gegen ihn und 65 weitere Kongreß-Führer zurückgenommen. Dem Ex-Häuptling war weder eine Verschwörung gegen den Staat noch die Aufhetzung zum Rassenkampf nachzuweisen.

Den Gefängnismauern entronnen,reiste Luthuli im Triumph durch die Provinzen der Union, nicht nur von seinen Bantu-Anhängern gefeiert, sondern auch von der weißen Presse beachtet. Der schwarze Querulant war zum Politiker geworden, mit dem die Weltöffentlichkeit zu rechnen begann. Schrieb der britische »Observer": »Er hat das Benehmen und die (angeborene) Würde eines afrikanischen Aristokraten.«

Bei einer Versammlung in Pretoria versuchten damals weiße Rowdies, Luthuli vom Rednerpult zu reißen. Nach dem Zwischenfall setzte er seine Rede unbeirrt fort. Sie galt seinem Lieblingsthema: dem gewaltlosen Widerstand nach dem Vorbild Gandhis.

'In den letzten Wochen sah sich der südafrikanische Prediger des gewaltlosen Widerstandes allerdings in einen gefährlichen Wettbewerb mit seinem jüngeren und weitaus radikaleren Konkurrenten, dem 36jährigen PAC-Präsidenten Sobukwe, gedrängt. Seit Sobukwes Pan-Afrikanischer Kongreß, der sich erst im April 1959 als extremistische Splittergruppe mit der Parole »Afrika den Afrikanern« von dem weitaus größeren National-Kongreß trennte, seine Kampagne gegen die verhaßten Eingeborenen-Pässe begonnen und dadurch schließlich das blutige Massaker von Sharpeville (SPIEGEL 14/1960) verursacht hatte, heizte auch Luthulis ANC den hell auflodernden Rassen-Konflikt kräftig an, um nicht die Gunst der schwarzen Massen zu verlieren.

Der Afrikanische National-Kongreß besteht bereits seit 48 Jahren. In dieser Zeit wuchs die Zahl seiner Anhänger von 5000 auf über eine halbe Million, während dem extremen Nationalisten Sobukwe - vor wenigen Monaten noch als Lektor für Eingeborenensprachen an der Universität Witwatersrand in

Johannesburg tätig - bisher nur 31 000 zornige junge Bantus gefolgt sind. Südafrikas Justizminister Erasmus behauptet allerdings, beide Organisationen hätten zusammen nur 70 000 Mitglieder.

In den vergangenen Jahren hat der National-Kongreß zahllose »Ungehorsamkeitsfeldzüge«, Streiks und Boykottbewegungen organisiert, ohne die weiße Vorherrschaft damit ernsthaft erschüttern zu können. Dreimal rannte er gegen die rigorosen Paß-Gesetze an. 1919, 1931 und 1946 rief er die Bantus auf, ihre Ausweisbücher zu verbrennen. Dreimal erstickte der schwarze Paß -Aufruhr im unbarmherzigen Feuer der weißen Polizei.

Diesmal entschied sich der Rivale Luthulis, PAC-Chef Sobukwe, für eine andere Taktik: Er forderte die Bantus auf, ihre Ausweise zu Hause zu lassen und in Massen zu den Polizeistationen zu marschieren, wo man sie - dem Buchstaben des Gesetzes folgend - hätte verhaften müssen.

Als die ersten dieser Massendemonstrationen mit einem blutigen Gemetzel endeten, konnte Luthuli verkünden: »Die ganze zivilisierte Welt und das christliche Gewissen sind in Aufruhr versetzt.« Er forderte, den ehrgeizigen Sobukwe übertrumpfend, seine schwarze Gefolgschaft auf, die »Symbole der Sklaverei« abermals ins Feuer zu werfen.

Der Ex-Häuptling war einer der ersten, der seinen Paß - vor den Kameras ausländischer Pressephotographen - verbrannte. Hunderttausende zwischen Kapstadt und dem Limpopo-Fluß taten es ihm nach, denn Südafrikas weiße Regierung war zum erstenmal einen Schritt vor dem schwarzen Aufruhr zurückgewichen: Sie hatte den Paßzwang »vorübergehend« außer Kraft gesetzt.

Gestand ein ANC -Führer einem britischen Journalisten: »Wir haben uns nicht einmal träumen lassen, daß es so schnell kommen könnte. Es ist eine vorrevolutionäre ...« Hier korrigierte er sich: »Es ist eine Situation - unmittelbar vor einer größeren Veränderung.«

In der folgenden Nacht hämmerten Polizeifäuste an die Tür dieses Luthuli-»Leutnants« und auch an die seines Chefs, während Panzerspähwagen durch die schmutzigen Straßen der Bantu-Siedlungen am Rande der großen

südafrikanischen

Städte rumpelten: Justizminister Francois Christiaan Erasmus hatte eine Großrazzia gegen die Feinde des Verwoerd-Regimes befohlen. Mit 233 verschlafenen Negern, Asiaten und einigen

Weißen - meist Anhängern der oppositionellen, für die Gleichheit aller Rassen eintretenden Liberalen Partei - geriet Luthuli in eines der bereits überfüllten Gefängnisse. Klagte der von der Polizei in seinem Heimatort Kloof bei Durban vergessene Präsident der Liberalen, der Schriftsteller Alan Paton, am Telephon: »Ich schäme mich, daß ich nicht auch verhaftet worden bin.«

Im Morgengrauen des 5. Dezember 1956 hatte der Amtsvorgänger des Francois Erasmus, der Ende vorigen Jahres zum Generalgouverneur avancierte ehemalige Verwoerd-Rivale Charles Robberts ("Blackie") Swart

- »Time": »Ein Baumeister der Apartheid in seinen elf Justizminister-Jahren«

- mit einer ähnlichen

Großrazzia die 156 Opfer für seinen Hochverratsprozeß einfangen lassen, mit dem die Sonderrichter in Pretoria bis heute nicht fertig geworden sind. Knurrte der Angeklagte Luthuli damals: »Das soll doch nur dazu dienen, den (National-) Kongreß rot zu färben!«

Diesmal wurde der Zeuge Luthuli auf Anordnung des präsidierenden Richters dem Sondergericht aus dem Polizeigewahrsam vorgeführt. Im Zeugenstand erschien ein dunkelhäutiger hochgewachsener Mann mit eckigem Kopf und grauem Kräuselhaar und beschrieb seine nächtlichen Erlebnisse: »Wir mußten in einer Reihe antreten ... Irgend jemand schlug auf mich ein. Mein Hut fiel zu Boden. Als ich ihn aufheben wollte, wurde ich wieder geschlagen. Ich kann

nicht sagen, ob das derselbe Mann war und ich kann ihn auch nicht identifizieren ...«

Vor demselben Gericht, das nun eine Untersuchung der Prügelszene im Gefängnis anordnete, hatte der ANC-Präsident wenige Wochen zuvor über die von ihm gelenkte Organisation gesprochen. Dröhnte Luthuli: »Das Ziel des Afrikanischen National-Kongresses ist die Beseitigung aller rassischen Vorurteile, die Gewährung des Wahlrechts für die eingeborene Bevölkerung und deren Mitwirkung in der gesetzgebenden Versammlung.«

Der Häuptling, dem auch ein großer Teil der weißen Bevölkerung mit Respekt begegnet, fügte damals hinzu, er hoffe, dieses Ziel auf friedlichem Wege zu erreichen: »Ich will nicht mein eigenes Volk nationalen Selbstmord begehen lassen.«

Die von Luthuli propagierte schwarze Gleichberechtigung mag den weißen Richtern und Rechtsanwälten im Februar 1960 noch als eine blutleere Utopie erschienen sein - angesichts der harten Gesetze der Rassentrennung, nach denen die Südafrikanische Union regiert wird. Im April 1960, als Panzer und Maschinengewehre das weiße Parlament in Kapstadt vor 30 000 demonstrierenden Bantus schützen mußten, während über dem Lande der Brandgeruch des Bürgerkriegs lag, sah es damit anders aus.

Prophezeite Jordaniens Delegierter Abdul Monem Rifai vor dem Weltsicherheitsrat, als dieses höchste Gremium der Vereinten Nationen über die südafrikanischen Rassen-Unruhen beriet: »Die Flut des afrikanischen Nationalismus kann nicht an den Grenzen Südafrikas aufgehalten werden.« Bisher war man in Kapstadt, Johannesburg und Pretoria anderer Meinung: »Afrika ist groß, und Wüsten und Dschungel sind dichtere Grenzen als eine chinesische Mauer«, urteilte noch vor anderthalb Jahren ein prominenter Buren-Politiker.

Damals waren südlich der Sahara nur die Negerrepubliken Liberia und Ghana unabhängige Staaten. 1958 errang Sekou Tourés Guinea mit dem Stimmzettel seine Freiheit. In diesem Jahre folgen Kamerun, Togo, Nigeria und Somaliland. Innerhalb der Französischen Gemeinschaft werden die Mali-Föderation und Madagaskar souverän. Auch Belgisch-Kongo verwandelt sich am 30. Juni in einen selbständigen Staat. Zuvor werden die schwarzen Kongolesen in allgemeinen Wahlen ihr erstes Parlament bestimmen. Sogar in der britischen Kolonie Basutoland - sie liegt als Enklave mitten in der Südafrikanischen Union - gingen schwarze und weiße Bewohner im Januar 1960 zum erstenmal gleichberechtigt zur Wahlurne.

Südafrikas weiße Herren aber leiden unter dem »Komplex der großen Zahl«. Von den vier 1958 in der Union statistisch registrierten Rassen:

- Weiße 3 011 000,

- Bantus 9 606 000,

- Mischlinge 1 360 000,

- Asiaten 441 000,

haben allein die Weißen volles Stimmrecht. Im Senat und im Abgeordnetenhaus ("Volksraad") dürfen nur Europäer sitzen.

Bei den letzten allgemeinen Wahlen am 16. April 1958 entschieden deshalb

nur 1 174 158 Wähler über das politische Schicksal der 14 418 000 Bewohner der Südafrikanischen Union. 647 468 gaben ihre Stimme der seit 1948 regierenden burischen, damals noch von Premier Johannes G. Strijdom geführten National-Partei und verhalfen ihr damit zu 103 von insgesamt 163 Sitzen im Abgeordnetenhaus. Auf diesen rund 650 000 weißen Wählerstimmen beruht heute die demokratische Legitimation des Apartheid-Fanatikers Verwoerd.

Bantus und Asiaten dürfen in der Union nicht wählen. Nur den Mischlingen (Coloured) der Kap-Provinz ist aus den Zeiten britischer Kolonialherrschaft das Recht geblieben, sofern sie entsprechend gebildet, vermögend und überdies in eine besondere Wählerliste eingetragen sind, vier (weiße) Abgeordnete als ihre Vertreter in den Volksraad zu entsenden.

Dazu Luthuli: »Weil wir kein Wahlrecht haben, kümmert man sich nicht um unsere Not. Erst die politischen Rechte - das gilt für alle nichteuropäischen Völker - öffnen uns die Tür ins Freie ...«

Der zahlenmäßig stärksten Gruppe, den Bantus, wurde jedoch im Juni 1959 mit einem - paradoxerweise »Bantu Self-government Act« genannten - Gesetz sogar noch das bescheidene Recht genommen, vier (weiße) Senatoren durch besondere Bantu-Wahlkollegien zu bestimmen. Ebenso verlieren die Kap-Bantus ihre drei (weißen) Abgeordneten im Volksraad und ihre zwei Vertreter im Landtag der Kap-Provinz; diese Parlamentarier dürfen nur noch bis zum Ende der Legislaturperiode (1963) amtieren. Pries eine regierungsoffizielle Broschüre des südafrikanischen Informationsamtes diese Entwicklung: »Im großen und ganzen betrachtet sich der Weiße als Vormund des schwarzen Volkes.«

Unter dieser Vormundschaft werden die Bantus auch in jenen »Bantustan« genannten autonomen Gebieten bleiben, in denen sie sich nach alter Stammessitte selbst regieren sollen. Nur 15 Prozent des -Unionsgebiets sind Bantu-Besitz. Das Selbstregierungsgesetz (Bantu Self-government Act) sieht vor, daß weiße Gebietskommissare in diesen Reservaten es handelt sich um 264, zum Teil in winzige Gebietsfetzen zerrissene Eingeborenen-Enklaven - die künftigen »Bantu-Obrigkeiten« überwachen. Die Mitglieder dieser »Obrigkeiten« werden überdies zu zwei Dritteln vom Minister für Eingeborenenfragen ernannt; nur ein Drittel wird gewählt.

Das »Bantustan«-Projekt ist die letzte, absurdeste Stufe der Apartheid: die territoriale Trennung der Rassen. Konsequent durchgeführt, muß sie die moderne Industriegesellschaft zerstören, die sich in den vergangenen 50 Jahren an der Südspitze Afrikas entwickelt hat. In den zum Teil schon heute übervölkerten Reservaten leben nämlich nur etwa drei Millionen der 9,6 Millionen Bantus; die übrigen wohnen in den »weißen Gebieten«, entweder als Farmarbeiter oder in den »Bantu-Gettos« außerhalb der großen Städte (vier Millionen), weil die Dogmatiker der Apartheid sie nur als »arbeitende Gäste« dulden wollen.

Der territorialen Rassentrennung war unter den Afrikaander-Premiers Malan und Strijdom die sexuelle und die soziale vorausgegangen. Die drei »Eckpfeiler der Apartheid« errichtete bereits der Wahlsieger von 1948, der Pfarrer und Zeitungsherausgeber Daniel F. Malan

(1948 bis 1954), mit dem die burische National-Partei die Macht übernahm.

Auch die ersten drei Südafrika-Premiers, die mit Kriegsruhm bedeckten Generale Louis Botha (1910 bis 1919), Jan Smuts (1919 bis 1924 und 1939 bis 1948) und James Hertzog waren Buren gewesen, aber sie hatten eine andere große Sorge: die Aussöhnung mit den Briten, denen sie auf den Schlachtfeldern des Burenkrieges (1899 bis 1902) gegenübergestanden hatten.

Seit die ersten Holländer, geführt von Jan van Riebeeck, unter der Flagge der niederländischen ostindischen Kompanie 1652 am Kap gelandet waren, hatten die Kap-Kolonisten Ärger mit den am Schiffahrtsweg nach Indien interessierten Briten. In zwei militärischen Expeditionen (1781 und 1795) versuchte Großbritannien vergebens, seine Hand auf die Kap-Niederlassungen zu legen. Erst 1814 verzichtete Holland für sechs Millionen britische Pfund offiziell auf seine Rechte in Südafrika.

Nach einer vergeblichen Rebellion gegen die britischen Kolonialherren kehrten die holländischen Buren 1836 der Kap-Kolonie den Rücken; die Abschaffung der Sklaverei (1833) hatte sie ihrer billigen, aus Westafrika importierten Arbeitskräfte beraubt. Auf dem »Großen Treck« zogen etwa 10 000 Buren mit ihren Familien auf ihren Ochsenwagen nach Norden, besiegten den Zulu-König Dingaan in blutigen Schlachten und gründeten 1838 die Republik Natal, die fünf Jahre später den nachrückenden Engländern anheimfiel.

Bereits 1844 beluden die freiheitsdurstigen burischen Starrköpfe im britisch gewordenen Natal wieder ihre Ochsenkarren. Bei diesem Treck entstanden die Buren-Republiken Oranie -Freistaat und Transvaal, regiert von dem legendären Präsidenten Paul ("Ohm") Krüger. Doch die Diamanten und das Gold, die auf dem Boden der Buren-Staaten entdeckt wurden, besiegelten ihr Verhängnis. Nach ihrer Niederlage im Burenkrieg (1902) wurden sie britische Kolonien.

Mit dem Jahr 1910 beginnt die Geschichte der heutigen Südafrikanischen Union. Die vier Kolonien Kapland, Natal, Transvaal und Oranje verwandelten sich in ein unabhängiges Dominion unter der britischen Krone. Englisch, und »Afrikaans« wurden gleichberechtigte Landessprachen. Schritt für Schritt okkupierte das Burentum den Staatsapparat.

Der »Afrikaander« Malan - »jetzt gehört Südafrika wieder uns« - vollendete diese Entwicklung. Zum Premier gewählt, errichtete er dann 1949 und 1950 die juristischen Dämme gegen die farbige Flut. Das geschah durch:

- ein Gesetz gegen Mischehen zwischen Weißen und Farbigen (Mixed Marriage Act),

- ein Gesetz über die Einrichtung besonderer Rassen-Wohngebiete (Group Areas Act) und

- ein Gesetz über die Einwohner-Registrierung, das eine Klassifizierung der Bevölkerung nach Rassenmerkmalen ermöglichte (Population Registration Act).

Die Rassentrennung, so rechtfertigte Malan seine Politik, sei für die »Afrikaander« eine »Sache auf Leben und Tod«. Der politisierende Pfarrer hatte vergessen, die Geburtenziffern zu studieren. Sie lauteten 1954 in der Union für die Weißen 24,6 pro Tausend, für die Asiaten 34,8 und für die Farbigen 47,5. Gegen diese allmähliche Veränderung der Bevölkerungsstruktur war mit Apartheid nichts auszurichten.

Malans Nachfolger Gerhardus Strijdom (1954 bis 1958) und der Chef-Ideologe der Apartheid, Hendrik F. Verwoerd, seit 1950 Minister für Eingeborenenfragen und später sechster Premier der Union, bauten weiterhin auf Malans Theorien. Doch wollte Verwoerd, der einstige Psychologieprofessor und Chefredakteur des Burenblatts »Die Transvaaler«, nicht sehen, wie brüchig der Boden war, auf dem er sich bewegte, bis er unter den Kugeln eines - weißen -Attentäters zusammenbrach. »Die Zwischenfälle können keineswegs als Reaktionen auf die von der Regierung betriebene Politik der Apartheid betrachtet werden«, dozierte er noch wenige Tage zuvor. »Diese Unruhen sind ein periodisches Phänomen und haben nichts zu tun mit Armut oder niedrigen Löhnen.«

Lag es nicht allein an den Löhnen, so lag es doch an jenen strengen Paßgesetzen, die unerwünschte Wanderungen »schwarzer Gäste« in die Wolkenkratzerstädte der Weißen verhindern sollen. Jeder männliche Afrikaner über sechzehn Jahren - 1958 wurden die Paßvorschriften sogar auf die afrikanischen-Frauen ausgedehnt - muß ständig sein Ausweisbuch bei sich tragen, das unter anderem eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Steuerkarte, einen Passierschein und eine Bescheinigung seines Arbeitgebers enthält, die jeden Monat neu abgezeichnet werden muß.

Jedes Jahr stehen etwa 500 000 Bantus vor Gericht, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist oder weil sie ihr Ausweisbuch vergessen, verloren, oder auch nur in der während der Arbeit beiseite gelegten Jacke steckengelassen haben. »Fünf Pfund (60 Mark) oder fünf Wochen Gefängnis« lautet die Einheitsstrafe des Eingeborenen-Kommissars für Bantus, die ihren Paß am Arbeitsplatz vergaßen.

Kommentierte Mary Benson vom Londoner Afrika-Büro sarkastisch: »Der Zweck der Paßgesetze ist, 'dem Kaffern zu zeigen, wo er hingehört', geographisch, wirtschaftlich und sozial, damit man jederzeit auf ihn zurückgreifen kann, wenn im weißen Südafrika nützliche, unterbezahlte Arbeit zu leisten ist.«

Ehe das Unionsparlament im vorigen Jahr das »Bantustan«-Gesetz, jenen letzten umstrittenen Schritt zur totalen Apartheid, mit 100 zu 53 Stimmen billigte, traf dessen heftigsten schwarzen Kritiker der Bannstrahl des Justizministers. »Blackie« Swart dekretierte, daß sich Albert Luthuli während der nächsten fünf Jahre an seinem Wohnort, dem Dorfe Groutville bei Durban, aufzuhalten habe. Dem Verbannten wurde außerdem ein Redeverbot auferlegt. Gegen diesen Machtspruch des Justizministers war nach den Gesetzen der Union kein Rechtsmittel möglich.

Da entschloß sich der amerikanische Botschafter in Südafrika, Philip K. Crowe, zu einer ungewöhnlichen Demonstration, die für die weißen Herren des Landes ohne Beispiel war. Der Botschafter der westlichen Führungsmacht reiste nach Natal und traf sich mit dem Verbannten, der - bei freien Wahlen in Südafrika - eines Tages zum Regierungschef der Union aufsteigen könnte. Meldete die »New York Times": »Die beiden Männer plauderten miteinander auf einer Bank im Park.«

1952 war dem gerade zum Kongreß -Präsidenten Gewählten das Dörfchen Groutville schon einmal als Zwangsaufenthalt angewiesen worden: »Wer will bestreiten, daß ich dreißig Jahre meines Lebens damit verbrachte, geduldig und bescheiden, aber dennoch vergebens an verschlossene und verriegelte Türen zu klopfen?«, fragte Luthuli damals in einem politischen Selbstbekenntnis unter dem Titel »Der Weg zur Freiheit führt über das Kreuz«. Dann dirigierte er den Kongreß in einen heftigen »Ungehorsamkeitsfeldzug«, den 8000 Afrikaner und Inder mit Gefängnisstrafen büßten.

Ein Jahr zuvor hatte Luthuli der Politik bereits seine Häuptlingswürde geopfert. Im November 1951 stellte ihn das Ministerium für Eingeborenenfragen vor die Wahl, entweder Häuptlingstitel und Häuptlingssold oder die Mitgliedschaft im National-Kongreß aufzugeben. Luthuli wählte den Kongreß und damit den Weg in die Gefängnisse, in quälende Polizeiverhöre und Prügel.

Der heutige Bantu-Führer ist in Groutville aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als Missionsdolmetscher; sein Onkel saß auf jenem Häuptlingsstuhl, auf den er selbst 1936 gewählt wurde.

Am Adams-College, der amerikanischen Missionsschule in Natal, war Luthuli zuerst Schüler, später fünfzehn Jahre lang Lehrer. Dort dirigierte er den Chor, schiedsrichterte beim Fußball und dozierte über Geographie, Zulusprache und Geschichte. Noch heute spricht er Englisch mit amerikanischem Akzent.

Als frommer Kirchenmann fuhr er 1938 nach Indien, um Südafrika im Weltrat der Kirchen zu vertreten. Zehn Jahre später unternahm der Zulu-Häuptling in kirchlichem Auftrag eine große Reise durch die Vereinigten Staaten.

Vom Christentum her kam Luthuli er gehört der amerikanischen Kongregationalisten-Kirche an - auch zur Politik. Berichtete der »Observer": »Nach langem Nachdenken und vielen Gebeten empfand er es als seine Pflicht, seinem Volk in dessen (schwerem) Kampf beizustehen.« In seinen Kongreß-Botschaften versicherte der Bantu-Führer immer wieder:

- »niemals zur Gewalt zu greifen«,

- »nicht zu ruhen, bis Südafrika eine

wahre Demokratie geworden ist«, und

- »nichts zuzulassen, was der Freiheit meines Volkes im Wege steht.«

Der altgewordene Häuptling, für die fanatischen Panafrikanisten bis heute ein Missions-Musterschüler ("mission boy"), träumt von einem Mehr-Rassen -Staat, der jedem seiner Bürger gleich welcher Hautfarbe die gleichen Rechte einräumt. Seiner schwarzen Gefolgschaft prägte er ein: »Die Gleichberechtigung, die wir fordern, müssen wir genauso dem weißen Mann zugestehen.«

Seinen weißen Mitbürgern versicherte er kurz vor dem blutigen Massaker von Sharpeville in der Johannesburger Sonntagszeitung »Golden City Post": »Wir können in Südafrika nicht ohne die Weißen auskommen. Wir haben ihre Zivilisation übernommen, wir lieben sie und nehmen sie so schnell wie möglich in uns auf - trotz aller Anstrengungen der (weißen) Regierung, die uns daran hindern will.«

Vor dem ungezügelten afrikanischen Nationalismus, der heute in der Union Kirchen, Schulen und Verwaltungsgebäude in Brand setzt, empfand er schon vor Jahren einen echten Horror: »Der extreme Nationalismus ist eine größere Gefahr als der Kommunismus und vor allem eine viel realere.« Der Kongreß-Präsident würde allerdings wie auch andere bereits zu Amt und Würden gelangte afrikanische Fühler nicht davor zurückschrecken, sowjetische Hilfe anzunehmen. »Das ist für uns keine ideologische, sondern nur eine taktische Frage«, konstatierte er. »In einer revolutionären Situation kann man in der Auswahl seiner Alliierten nicht wählerisch sein.«

Vor Journalisten und Politikern, die in den vergangenen Monaten häufig zu seinem Verbannungsort pilgerten, bezeichnet sich Luthuli gern als Sozialist britischer Observanz. Er bewundert - und kopiert ein bißchen - den abgedankten Labour-Chef Lord Attlee. Seine simple wirtschaftliche Devise: »Der Reichtum des Landes soll allen Staatsbürgern zugute kommen und nicht nur einer privilegierten Schicht von Europäern.«

In Groutville lebt der Verbannte, der nebenbei als Dorf-Postmeister fungiert und eine kleine Farm bewirtschaftet, in einem altertümlichen Haus europäischen Stils. Dort sitzt er am Schreibtisch - einen farbfrohen Madonnendruck vor Augen und ein zulu-englisches Wörterbuch neben sich -, um in säuberlicher Handschrift jene Briefe und Botschaften zu verfassen, mit denen er den National-Kongreß dirigiert.

Von diesem Schreibtisch aus eröffnete er im Juni 1959 den Boykott-Feldzug gegen Afrikaander-Waren. Sein Bannfluch war für einige der betroffenen Unternehmen so unangenehm - durch Bantu-Hände geht bereits heute ein Viertel des südafrikanischen Volkseinkommens -, daß sie sich mit dem National-Kongreß stillschweigend arrangierten.

Hart getroffen wurden die Farmer. Die Kartoffeln der Buren verfaulten auf den Märkten, weil die Bantus sich weigerten, sie zu kaufen - aus Protest gegen die miserabel bezahlte »Sklavenarbeit« auf den Farmen.

Luthulis Appell wurde auch im Ausland gehört. Die Regierung von Jamaika schloß sich dem Boykott an. Das westafrikanische Dominion Ghana folgte, ebenso die schwarzen Gewerkschaften in den britischen Gebieten Ostafrikas. Schließlich sprang der Boykott -Gedanke auch nach Europa über.

Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften unterstützte im Dezember 1959 die Boykott-Bewegung »aus Protest gegen die Rassenpolitik Südafrikas«. Die Gewerkschaften der USA, Großbritanniens, der Bundesrepublik und der skandinavischen Länder erließen Boykottaufrufe. Schlagartig verschwanden am 1. April aus unzähligen Schaufenstern in Schweden, Norwegen,

Dänemark und Finnland alle südafrikanischen Waren.

So unangenehm für die Wirtschaft der Union und das internationale Prestige der Verwoerd-Regierung diese Boykottwelle war, den Panafrikanisten Sobukwes erschien sie nicht wirksam genug. Das Beigpiel Nkrumahs in Ghana, Sekou Tourés in Guinea und der schwarzen Nationalisten am Kongo vor Augen, suchten sie nach rascheren Erfolgen. Sobukwes erklärtes Ziel: Südafrika bis 1963 zu »befreien«. Damit entstand jene Situation, die britische Kapstadt-Korrespondenten in einer Anspielung auf das turbulente Jahr 1905 der russischen Geschichte als den »erfolglosen Vorläufer der gelungenen Revolution von 1917« bezeichneten. Den Weißen Südafrikas saß die Furcht im Nacken. Sie rechneten: Dauert es noch zehn, noch fünf oder gar nur vier Jahre, bis der Aufstand der »Nie-blankes« hinwegfegt, was zähe Kolonisten seit 350 Jahren geschaffen haben?

Gleichzeitig gerieten die beiden Bantu -Organisationen - durch die Massenverhaftungen ihrer wichtigsten Führer beraubt - in eine eifersüchtige Rivalität und übertrumpften sich gegenseitig mit immer neuen Aktionen und Forderungen. Stellten die Panafrikanisten

der Regierung ein »Ultimatum«, binnen 24 Stunden das Paßgesetz aufzuheben, so konterte der National-Kongreß diese populäre Parole mit dem Aufruf zum unbefristeten Generalstreik.

Wenn aber geflüchtete ANC-Funktionäre ankündigten, sie wollten nun im. Ausland die »afrikanischen Millionen mobilisieren«, so prahlte Sobukwes Gefolgschaft mit einem Telegramm an die Vereinten Nationen, das die Bitte enthielt, eine »provisorische Regierung« anzuerkennen. In den vielfach von Truppen umstellten Bantu-Siedlungen am Rande der großen Städte ersetzte inzwischen der Terror der »Tsotsis«, jugendlicher Rowdies mit Keule und Messer, den Mangel an politischen Köpfen.

Den führungslosen Afrikanischen National-Kongreß und seinen kleineren radikalen Konkurrenten glaubte Südafrikas weiße Regierung rasch mit einem Verbot erledigen zu können. Wütete Justizminister Erasmus vor dem Parlament: »Die beiden Gruppen sind eine kleine Clique von Terroristen, die gegen den Willen der friedliebenden Afrikaner ein barbarisches Terror-Regimie ausüben wollen.«

Während von den Regierungsbänken Beifall prasselte, fügte Erasmus hinzu: »Sie wollen die weiße Regierung auf die Knie zwingen. Jede andere Regierung, die sich für eine weiße Führerschaft einsetzt, würde ebenso behandelt werden. Die Panafrikanisten wollen weder Frieden noch Ordnung - sie wollen unser Land!«

Diese Spitze - »jede andere Regierung« - war gegen den Oppositionsführer Sir de Villiers Graaff ("Sir Dev") und seine Vereinigte Partei gerichtet. Sir Dev spielt nämlich mit dem Gedanken, den regierenden »Cheftheoretiker der Apartheid« zu stürzen und eine Koalition mit den Rebellen gegen den »Verwoerdismus« innerhalb der National-Partei einzugehen. Eine solche Regierung, für die in Kapstadt und Pretoria bereits Premiers offeriert werden, würde zwar »im Prinzip« an der Rassentrennung festhalten, jedoch die Apartheid elastischer handhaben. Angesichts des schwarzen Aufruhrs stimmten allerdings auch Graaffs Parteifreunde für das Verbotsgesetz. Es untersagt den beiden Bantu-Organisationen bis zum 6. April 1961 jede Betätigung.

Auf die Nachfolge Verwoerds präpariert sich bereits Südafrikas derzeitiger Finanzminister Dr. Theophil E. Dönges, der unter Malan und Strijdom als Innenminister amtierte. Im September 1958 machte der als gemäßigt geltende Dönges, der die Afrikaander des Kaplandes hinter sich wußte, ebenso wie der damalige Justizminister Swart dem Apartheid-Dogmatiker die Nachfolge Strijdoms im Parteivorsitz und an der Spitze der Regierung streitig. Dönges unterlag damals im zweiten Wahlgang mit 75 zu 98 Stimmen gegen Verwoerd. Aber der neue Premier behielt fünf Minister im Kabinett, die gegen ihn gestimmt hatten.

Nach der »Terroristen-Rede« des Justizministers im Parlament zu Kapstadt empfahl der Leiter des Verteidigerteams, I. A Maisels, den mißmutigen Sonderrichtern in Pretoria, das Verfahren einzustellen. Stichelte Maisels: Die Angeklagten des halb vergessenen Hochverratsprozesses seien bereits im voraus verurteilt - »nicht durch den Gerichtshof, sondern durch Erklärungen im Parlament«.

Den verärgerten Richtern war inzwischen nicht nur der krankenhausreif geschlagene Zeuge Luthuli abhanden gekommen, sondern auch der größte Teil ihrer 30 Angeklagten. Diensteifrige Polizeikommandos hatten sie - um die bittere Satire abzurunden - am Eingang des Gerichtsgebäudes arretiert.

Begründete Kronanwalt de Vos diese brutale Säuberung: Die Behörden hätten nur nach dem »Public Safety Act« (Gesetz über die öffentliche Sicherheit) von 1953 gehandelt. Dieses Gesetz gestattet Haussuchungen und Verhaftungen während eines Ausnahmezustands auch ohne richterlichen Befehl.

Der bullige Justizminister, der sich bereits-im Verteidigungsministerium als. Trommler gegen die »kommunistische Bedrohung« bewährt hatte, machte von diesen Vollmächten allerdings ein bißchen schneller Gebrauch, als es ihm sein Amtsvorgänger, der seit Dezember 1959 als Generalgouverneur und damit als offizieller Vertreter der Königin amtierende Charles Robberts Swart - Südafrika ist nach wie vor ein Dominion im britischen Commonwealth - konzedieren wollte.

Zusammen mit dem Ausnahmezustand verfügte »Blackie« Swart auch eine Teilmobilisierung »zur Verhinderung und

Unterdrückung innerer Unruhen«. Damit besaßen die Regierung und ihr Premier alle Machtmittel, um den Bantus die verhaßten Pässe - das wichtigste Instrument der Apartheid - zum Preise von einem Pfund (zwölf Mark) je Exemplar wieder aufzuzwingen. Prophezeite die Londoner »Times« acht Tage vor dem Johannesburger Mordanschlag: »Sein (Verwoerds) Abstieg ist das erschreckende Schauspiel eines Mannes, den die Götter verderben wollen und deshalb mit Blindheit schlagen.« Gleichzeitig druckte das honorige britische Blatt einen Leserbrief mit prominenten Unterschriften: »Die bürgerlichen Freiheiten haben (in Südafrika) für den überwiegenden Teil der Bevölkerung aufgehört zu existieren. Eine Tyrannei ist an die Stelle der Regierung getreten.« Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderen der Dichter

John B. Priestley, der Verleger Victor Gollancz und der Labour-Führer Hugh Gaitskell.

Leser-Brief und »Times«-Kommentar waren nur ein winziger Teil jener Protestwelle, die in den letzten Wochen gegen die Apartheid-Politik der Südafrikanischen Union brandete. Briten, Italiener, Amerikaner, Deutsche, Inder, Afrikaner, Australier demonstrierten. Am Londoner Trafalgar Square zersplitterten die Fensterscheiben des »Südafrika -Hauses« unter Steinwürfen. Das britische Unterhaus bedauerte die Blutopfer - 72 Tote und 291 Verletzte binnen einer Woche hatte Justizminister Erasmus gemeldet - und Indiens Parlament verurteilte einstimmig die südafrikanische Rassenpolitik. Nehru: Rassentheorien wie bei Hitler.

Als auch noch der Weltsicherheitsrat auf Antrag, von 29 afrikanischen und asiatischen Staaten bei Stimmenthaltung Englands und Frankreichs die südafrikanische Regierung aufforderte, »die Politik der Apartheid und der Rassendiskriminierung aufzugeben«, machte sich in Pretoria Beklemmung breit.

Resignierte das regierungstreue Afrikaander-Blatt »Die Burger«, bestürzt über die harte Kritik, die aus England herüberdrang: »Das Wort Apartheid ist unheilbar diskreditiert ... Wenn es uns nicht gelingt, einige anständige Leute (außerhalb Südafrikas) auf unsere Seite zu ziehen, müssen wir uns damit abfinden, für immer das Stinktier der Welt zu bleiben.« Die »Cape Times« war gleichfalls schockiert: »Unsere Isolierung ist vollkommen.«

Auch das: Wirtschaftsbarometer sank rasch. Der wilde Bantu-Streik verschlang in einer Woche 20 Millionen Pfund (240 Millionen Mark). Schiffe mieden die südafrikanischen Häfen. Amerikanische Firmen stoppten bereits geplante Investitionen in Südafrika. Touristen änderten ihre Reisepläne. Südafrikanische Werte verloren rapide an den Börsenplätzen der Welt.

Mit der Flucht in die Gewalt, mit dem Versuch, den passiven Widerstand der Bantus mit Panzerspähwagen und Maschinenpistolen zu brechen, hatte sich die Regierung Verwoerd in einen Teufelskreis begeben, aus dem es nur dann einen Ausweg zu geben scheint, wenn

- mit dem krankgeschossenen Premier auch die schlimmsten Formen der »völlig diskreditierten Apartheid« verschwinden,

- der Präsident des Afrikanischen National-Kongresses, Albert Luthuli, zu Verhandlungen aus dem Gefängnis geholt und

- die politischen Rechte der nichteuropäischen Bevölkerung erweitert werden.

Das dank langer Kolonialherrschaft weise gewordene Großbritannien hat der

jungen Nation der Afrikaander, die im Begriff ist, sich selbst zu zerstören, Anfang April ein Beispiel gegeben: Während Südafrikas Polizei den Präsidenten ihres Afrikanischen National-Kongresses morgens um zwei Uhr im Bett verhaftete, verließ der Führer des Afrikanischen National-Kongresses von Njassaland, der vom Arzt zum Politiker avancierte Dr. Hastings Banda, das Gefängnis, verhandelte mit dem durch Englands afrikanische Besitzungen reisenden Kolonialminister Jan Macleod und flog nach London, um dort am Konferenztisch eine neue Verfassung für das britische Protektorat auszuhandeln.

Gab die »New York Herald Tribune« zu bedenken: »Kein europäisches Kolonialamt kann (in Südafrika) intervenieren, um den Konflikt beizulegen. Die Gegner sind beide auf afrikanischem Boden beheimatet. Es gibt auch kein 'Geht nach Hause' für eine herrschende Kaste, deren Macht zu Ende ist.«

Was es aber geben könnte, wäre eine Mehr-Rassen-Konferenz am Runden Tisch, wie sie Ex-Häuptling Luthuli das seltene Geschenk der Redefreiheit vor den Schranken des Sondergerichts in Pretoria nutzend - vorgeschlagen hat, ehe er wieder hinter Gefängnismauern verschwand. Beschwichtigte der schwarze Kirchenmann aus Groutville seine weißen Mitbürger: »Wir wollen euch nicht zum Lande hinausjagen, und wir wollen auch nicht eure Schwestern heiraten. Alles was wir wollen, ist ein ehrliches Einvernehmen in unserem eigenen Land.«

Resümierte der britische »Observer": »Das beste, worauf die Weißen (Südafrikas) jetzt noch hoffen können, ist daß die Afrikaner Luthuli gehorchen falls er freigelassen wird.«

Für diesen Tag hat zwar nicht die gegenwärtige Regierung in Pretoria - Außenminister Louw: »Die einzige Alternative zur Apartheid ist die Abdankung des weißen Mannes« - wohl aber Diamanten-König Oppenheimer einige Pläne bereit. Er möchte der zivilisierten Minderheit der nichteuropäischen Bevölkerung (zivilisiert = Abschluß einer neunjährigen Schulzeit) sofort das Wahlrecht geben und dann innerhalb von 25 Jahren die Zahl der zivilisierten afrikanischen Wähler so vergrößern, daß sie die Mehrheit erreicht, die den Bantus aufgrund ihres Bevölkerungsanteils zukommt. Offene Frage: Werden die Afrikaner darauf 25 Jahre warten wollen?

Allerdings möchten die von Harry Oppenheimer inspirierten Progressisten

- die als einzige weiße Partei im Gegensatz zu der »loyalen Opposition« des Sir de Villiers Graaff, von den wenigen Liberalen abgesehen, das Verwoerd -Regime unablässig attackieren - sogar so revolutionär sein und den Zivilisationsmaßstab auch an die weißen Wähler anlegen.

Die Regierung des schwerverletzten Verwoerd stützt sich bei ihrer Apartheid-Politik auf 650 000 weiße Wähler und die nur aus Weißen rekrutierten Streitkräfte. Der Progressist Oppenheimer - »Wir sind die Partei der Zukunft!« - kontrolliert Industrieunternehmen, die einen Wert von 12 Milliarden Mark repräsentieren, und für Südafrikas wirtschaftliches Wohlergehen entscheidend sind.

Hoffte die »New York Times": »Die Südafrikaner sind intelligente Leute ... Gewiß wird die Zeit kommen, wo sie erkennen, wie unsinnig die Apartheid ist.«

Schwarze Demonstranten auf der Flucht vor der Polizei: In einer Woche...

... 72 Tote und 291 Verletzte in Südafrika

ANC-Präsident Luthuli: Gandhismus am Limpopo

Sobukwe

Pfarrer-Premier Malan

»Der Rassenfrage immer ...

Professor-Premier Verwoerd

... im Geiste der Toleranz genähert«

Oppositionsführer Graaff

Die Ziele der farbigen Revolution ...

Diamantenkönig Oppenheimer

... schon heute verwirklichen?

Donges

Polizei gegen Panafrikanisten: Leichen fördern die Apartheid

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