KIRCHE Aufstand oder was?
Beim Schützenfest schoß der Pfarrer den Vogel ab: »Hitler und Goebbels«, verkündete Elmar Wiegelmann, 48, Pastor in Bonn-Oberkassel, seiner Gemeinde, »waren dumme Jungs gegen die Taktik der heutigen Zeit, gegen diesen Kampf gegen alles Religiöse, der heute geführt wird.«
Und der rheinische Gottesmann ließ nicht im dunkeln, wen er meinte. Von der Kanzel tat er seinen »lieben Brüdern und Schwestern« aus der Schützenbruderschaft kund: »Wir werden von Leuten regiert, hier in Deutschland, die Gottes Gebot gar nicht mehr kennen ... die unser Volk systematisch entchristlichen.«
Alle Jahre wieder zur Sommerszeit nutzt der katholische Geistliche das heimische Schützenfest, den rechtgläubigen Seelen des Bonner Vorortes statt der Bibel sein einfaches Weltbild auszulegen. So flehte der Hirte noch vor drei Jahren, als seine Ober-Hirten sich mit den Sozialdemokraten im Düsseldorfer Landtag längst in der Schulfrage arrangiert hatten, von der Kanzel: »Herr Gott, bewahre uns vor Kindesschändern und vor dem Ungeist der Gemeinschaftsschule.«
Am vorletzten Sonntag bot Priester Wiegelmann ein Sparerlaß des Düsseldorfer Kultusministeriums willkommenen Anlaß, rechtzeitig vor den Neuwahlen mit den Sozialliberalen in Bonn abzurechnen, Zu Beginn des neuen Schuljahres hatte das Ministerium in einem Rundbrief an alle Grund-, Haupt- und Sonderschulen verfügt, aus Sparsamkeitsgründen die Zahl der nebenamtlichen Lehrer auf das notwendige Mindestmaß zu reduzieren. Betroffen von der Sparverordnung wurden vor allem katholische Geistliche, die in den letzten Jahren als Religionslehrer eingesprungen waren.
Rechte Gläubige witterten einen neuen Kirchenkampf. Die Kölner Kirchenzeitung wies Pfarrer Wiegelmann die Marschroute: In einem Bericht über Klerikerkündigungen in Bonn und Gummersbach verglich sie den Schulerlaß mit der Priestervertreibung aus deutschen Schulen in der Nazi-Zeit.
Doch mit solchem Vergleich mochte sich der Geistliche aus Oberkassel nicht bescheiden. Er suchte Rat ausgerechnet bei linken Anarchisten. »Baader-Meinhof«, so teilte er seiner Gemeinde von der Kanzel herab mit, »sind Verbrecher. Das wissen wir alle.« Aber, so predigte er mutig weiter, »steckt nicht dahinter so ein Fünkchen von dem, was wir alle bange fragen«. Und: »Geht es wirklich nur unter Umständen mit einem bewaffneten Aufstand oder was?«
Düster prophezeite er: »37, da wäre ich bei so einer Predigt ins KZ gekommen, selbstverständlich. Aber heute macht man das eben anders.«
Anders machte es der Ortsverein der SPD. Wiegelmann-Schäflein Josef Gassen, Distriktsvorsitzender der Sozialdemokraten in Oberkassel, hatte unter der Kanzel die unfrommen Ausfälle seines Pfarrherrn notiert. In einem Brief an den Kölner Kardinal Joseph Höffner forderte er, den Oberkasseler Kirchenkämpfer »zu veranlassen, diese Äußerungen zurückzunehmen«.
In Köln freilich geriet der SPD-Katholik an den Falschen: Der Kardinal gehört seit langem -- vor allem wegen der Pläne zur Reform des Abtreibungsparagraphen 218 -- zu den intimfeinden der SPD/FDP-Koalition.
Bereits im Februar hatte Höffner offen zum Wahlboykott der Sozialliberalen aufgerufen: »Abgeordnete, die nicht bereit sind, die Unantastbarkeit menschlichen Lebens, auch des ungeborenen Kindes, zu gewährleisten, sind für einen gläubigen katholischen Christen nicht wählbar.«
Höffner-Stellvertreter Generalvikar Peter Nettekoven sah denn auch zu einer Wiegelmann-Rüge keinen Anlaß. Er empfahl lediglich, »die entstandenen Mißverständnisse an Ort und Stelle auszuräumen«.
Der Polit-Priester, von Nettekoven zum Rapport bestellt, hatte sich auf seine Weise präpariert: Seine Predigt brachte er als Tonband-Aufzeichnung mit.
Wiegelmann zum SPIEGEL: »Man lebt ja in einer Zeit wie im Dritten Reich, wo man sich absichern muß.«