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SENKRECHTSTARTER Auftrieb verloren

aus DER SPIEGEL 43/1966

Bundespräsident Heinrich Lübke wünschte für die Flugzeugindustrie eine bessere Aerodynamik.

In treuherzigem Tonfall las der Bundespräsident vom Blatt: »Unsere Wissenschaftler und Ingenieure, die Mitarbeiter in den Forschungsstätten und in den Konstruktionsbüros der Industrie erwarten mit Recht, daß ihrer Einsatzbereitschaft stärkerer Auftrieb und größere Erfolgsaussichten garantiert werden.«

Es war am 28. April, dem Eröffnungstag der 6. Deutschen Luftfahrtschau in Hannover-Langenhagen.

Knapp sechs Monate später, am Donnerstag letzter Woche, verzeichnete die Luftfahrtindustrie einen abrupten Auftriebsverlust.

Wegen der Ebbe in der Bonner Bundeskasse hatte das Bundesverteidigungsministerium die für Entwicklungen und Forschungsvorhaben in der Militärluftfahrt vorgesehenen Mittel gestrichen oder gekürzt.

Dem Bonner Rotstift sollen zum. Opfer fallen:

- die weitere Flugerprobung des ersten senkrecht startenden überschall-Düsenjägers der Welt, der unter der Bezeichnung VJ 101-X2 als Experimentalflugzeug entwickelt wurde;

- die Weiterentwicklung des senkrecht startenden Düsentransporters Dornier Do 31 zu einem einsatzfähigen Militärflugzeug;

- die Zahlung von Entwicklungskosten über das Jahresende hinaus für das als Tandem-Kippflügler konzipierte senkrecht startende Transportflugzeug VC 400 mit Propellerturbinen;

- der Fertigbau von zwei in Leichtbauweise aus Metall zusammengeklebten Höhenforschungsflugzeugen DFS 582 mit Düsenantrieb für unveröffentlichte militärische Vorhaben.

Das Bonner Sparprogramm signalisierte ein plötzliches Ende vornehmlich für die Projekte jener deutschen Konstrukteure, die den Auftrieb ihrer Flugzeuge bei Start und Landung mit schierer Kraft bewerkstelligen wollen.

Bei Start und Landung sollen diese Flugzeuge nicht durch den mit der Vorwärtsbewegung an den Tragflächen entstehenden Auftrieb, sondern durch nach unten gerichtete Düsenstrahlen oder nach oben gedrehte Propeller die Schwerkraft vertikal überwinden.

Vorteil der technisch aufwendigen und den Kraftstoffverbrauch steigernden Lösung: Senkrechtstarter benötigen keine Flugplätze, sie können von Waldschneisen und Bauernhöfen aus starten.

Mit Befriedigung hatten deutsche Flugzeughersteller bisher ihren Vorsprung in der Entwicklung solch exotischer Flugmaschinen notiert.

Arno Schmitz, Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI): »Es ist das einzige, wo die deutsche Industrie im Ausland Konkurrenz ist.«

In England und Frankreich wurden in den vergangenen Jahren nur die senkrecht startenden Düsenjäger Dassault »Mirage Balzac V« und Hawker -Siddeley »Kestrel« entwickelt.

In Amerika baute die Luftfahrtindustrie nur einen senkrecht startenden Versuchstransporter (Ling-Temco -Vought XC-142 A); vornehmlich befaßte sie sich mit Grundsatzstudien.

In keinem westlichen Land wurde so entschlossen - und so verzettelt - an Senkrechtstartern für verschiedene Zwecke probiert wie in der Bundesrepublik: Der bisher in das deutsche Senkrechtstarterprogramm investierte Wert wird von BDLI-Sprecher Schmitz mit »über eine Milliarde DM« beziffert.

Doch Zahlenangaben, so Schmitz, vermögen die Senkrechtstarter-Krise allein nicht auszudrücken.

Von 5000 Wissenschaftlern und Technikern müßten wegen der Bonner Etatkürzungen jetzt rund 1700 mit Entlassungen rechnen - selbst wenn die Entwicklungsarbeiten später wiederaufgenommen werden könnten.

Schmitz: »Das sprengt unsere Entwicklungsteams. Die Leute werden nach USA oder nach Ägypten auswandern.«

Nicht betroffen von den Bonner Einsparungen sind mit dem Ausland vereinbarte Projekte, so die gemeinsam mit Italien betriebene Entwicklung des Senkrechtstarters VAK-191.

Er ist als möglicher Nachfolger des jetzt von der deutschen Luftwaffe geflogenen leichten Jagdbombers Fiat G. 91 projektiert (Piloten-Slogan über die G. 91: »Nutzlast ein Tempotaschentuch").

Deshalb bahnt sich bereits Kummer an: Kritiker in der Luftwaffenführung warnen, die Leistungen der VAK 191 würden kaum üppiger ausfallen als bei dem Fiat-Flugzeug.

Angesichts der Proteste der Luftfahrtindustrie ließ Staatssekretär Karl Gumbel auf der Bonner Hardthöhe am Wochenende durchsickern, das letzte Wort der Affäre sei noch nicht gesprochen. Der Streichplan soll noch einmal überprüft werden.

Deutsche Senkrechtstarter DO 31, VJ 101-X2: Opfer im Sparprogramm

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