INDIEN / REGIERUNG Aus den Sternen
Ein starker Mann und eine schwache Frau teilen sich seit letztem Montag in die neue, halbstarke Regierung Indiens.
Indira Gandhi, 49, Nehrus Tochter und einzige amtierende Frau Premier der Welt, mußte nach ihrer Wiederwahl die politische Ehe mit ihrem ärgsten Rivalen eingehen: mit Morardschi Desai, 71, Vizepremier und Finanzminister.
Beide wollten die größte und problemreichste Demokratie allein regieren. Bis zuletzt sträubte sich »die Lady« (so wird Indira kurz und eher abfällig genannt) gegen Vize Desai. Bis zuletzt begehrte der alte Mann den Platz an der Spitze. Doch Indira allein erschien der Kongreß-Partei zu schwach, Desai als Premier zu stark.
So gelangte Morardschi Desai, der seit Nehrus Tod dreimal vergeblich um den Premiertitel rang, immerhin ins Vorzimmer der Macht. Nur wenige bezweifeln, daß bald alle Macht vom Vorzimmer ausgehen wird.
Denn der große, asketische Mann im weißen Gewand hat ein mit den Jahren gewachsenes Sendungsbewußtsein. Von den Sternen, aus denen er die Zukunft liest, fühlt er sich berufen, Indiras chaotisches Indien zu retten. Desai: »Wir stehen am Rande des Abgrunds.«
Desai erwarb sich als Ministerpräsident des ehemaligen Bundesstaates Bombay und als Minister in fünf Kabinetten Jawaharlal Nehrus den Ruf eines fähigen Administrators. Die »Esso Standard Eastern« wählte Desais Bombay zum Standort für eine große Erdöl-Raffinerie. Begründung: Der Staat sei »bemerkenswert stabil«.
Desai ist aber so konservativ-autoritär, daß er »sich mehr Feinde machte, als er verdient« ("New Statesman"). Der Sohn eines Lehrers will dem Land als Gesetz aufzwingen, was er für moralisch richtig hält. Er lebt spartanisch-vegetarisch einfach, raucht und trinkt nicht -- also verhängte er über Bombay die Prohibition. Er ließ, wie er sich einmal öffentlich brüstete, seine Frau zwanzig Jahre lang unberührt -- also kämpft er gegen jegliche Form der Empfängnisverhütung, ausgenommen Abstinenz.
Als Schüler von Mahatma Gandhi pflegt er noch heute Gewohnheiten und Grillen des Meisters: Er fastet eineinhalb Tage pro Woche, und er entspannt sich am Spinnrad. Wie Gandhi irritiert es ihn, wenn er versehentlich eine Ameise zertritt. Im Gegensatz zu Gandhi scheut er sich aber nicht, der Polizei Schießbefehl gegen Demonstranten zu geben. Seine Freunde nennen ihn »Lotosblume mit stählernem Stiel«.
Nehru-Tochter Indira ("Ohne uns Nehrus gerät in Indien nichts in Bewegung") mochte den sendungsbewußten Stahlmann nie. Sie verweigerte Desai einen Platz in ihrem ersten Kabinett und wollte jetzt, bei der zweiten Regierungsbildung, nicht einmal mit ihm sprechen. Sie mußte es -- denn in den 13 Monaten ihrer Amtszeit war der stolze Nehru-Nimbus verblaßt.
Streiks, Aufruhr und blutige Zusammenstöße füllten den indischen Alltag. Vor der stagnierenden Wirtschaft verloren die Studenten den Glauben an die Zukunft und wüteten gegen die Obrigkeit. Nackte Hindu-Mönche stürmten das Parlament, um ein Schlachtverbot für die heiligen Kühe zu erzwingen. Die Staatsautorität zerfiel, die Demokratie geriet in Gefahr.
Daran war nicht nur die herrische, gleichwohl aber seltsam unentschlossen dahinwurstelnde Indira Gandhi schuld. Es war vor allem die Schuld ihrer Partei, die nach zwanzig Jahren ununterbrochener Alleinherrschaft in Klüngelei und Korruption versinkt.« Zeigt mir einen einzigen ehrlichen Minister«, rief die oppositionelle Fürstin von Gwalior auf Wahlversammlungen. Die Menge johlte: »Sie sind alle Diebe.«
Die Wahlen im Februar wurden zum Gerichtstag. Allein fünf Gandhi-Minister verloren Parlamentssitz und Amt. Im Unterhaus zu Neu-Delhi schmolz die einst imposante Kongreß-Mehrheit von über 200 Sitzen auf 40 zusammen. In vier Bundesstaaten -- vor allem denen mit dem geringsten Analphabetentum
wurde die Nehru-Partei in die Opposition gedrängt.
Im Wahlkampf wurde Indira Gandhi durch einen Steinwurf an der Nase verletzt. Die Wähler trösteten sie: Frau Premier schnitt als einziges Kabinettsmitglied gut ab.
Doch kaum hatten sich Indira Gandhi und ihr Ko-Pilot Desai letzte Woche als »glückliches Team« (Desai) vorgestellt, da prophezeiten Politiker und Kommentatoren bereits das unvermeidliche Scheitern der Muß-Ehe. Optimisten meinen, die schwache Indira werde sich gegen den starken Morardschi allenfalls zwei Jahre behaupten können. Ungünstigste Prognose: sechs Monate.