STEUERN Aus Versehen billiger
Die gute Nachricht kommt per Post, der Stempel mit dem Bundesadler unter dem Schreiben garantiert, daß es sich nicht um einen Scherz handelt. »Nach Angaben Ihres Fahrzeugherstellers können Sie für Ihren Pkw steuerliche Begünstigung in Anspruch nehmen«, erfährt der verblüffte Empfänger höchstamtlich. Er brauche sich nur »unter Vorlage dieses Schreibens ... an die Zulassungsbehörde« zu wenden, »im nächsten Bescheid für Ihre Kfz-Steuer dürfte dann der verringerte Steuersatz berücksichtigt sein«.
Mit diesen Briefen macht das Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt seit Juli für einige Millionen Autobesitzer wahr, was allen übrigen Bundesbürgern verwehrt bleibt: Der Staat senkt die Steuern. Je nach Fahrzeugtyp erspart der Gang zur Behörde den angeschriebenen »geehrten Fahrzeughaltern« immerhin 250 oder 500 Mark.
Doch was den Betroffenen angenehm und Kritikern des Steuerstaates nur recht und billig erscheint, ist keineswegs das Ergebnis durchdachter Politik. Die Minderzahlungen sind unbeabsichtigte Folge eines politischen Schildbürgerstreichs: der Reform der Kraftfahrzeugsteuer.
Auch im Autoverkehr sollten »marktwirtschaftliche Prinzipien« angewandt und die tatsächlichen Umweltkosten den Verursachern angelastet werden, formulierte Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann noch im vergangenen März das parteiübergreifende Credo der Umweltpolitik. »Billiger darf Autofahren auf keinen Fall werden.«
Doch genau das ist nun eingetreten. Eine Gesetzespanne, die im nachhinein keiner der Beteiligten so recht erklären kann, reduziert das Aufkommen aus der Kfz-Steuer drastisch. Im nächsten Jahr, so warnen neuerdings die Fachleute in den Länderministerien, werden die Autobesitzer über eine Milliarde Mark weniger zahlen - legal, aber ganz aus Versehen.
Als Bundesfinanzminister Waigel im Frühjahr 1996 das Kfz-Steuerpaket als »besonders eilbedürftige Vorlage« auf den Weg brachte, wollte die Bundesregierung eine gut 20 Jahre alte umweltpolitische Forderung besser umsetzen. Die Steuer auf Blechkarossen sollte entsprechend dem neuesten technischen Stand nach dem Giftgehalt der Abgase gestaffelt werden.
Dabei geriet allerdings schon der erste Vorschlag so daneben, daß in den Ausschüssen des Bundestages beinahe jedes Element nachgebessert werden mußte. Selten wurde ein Gesetzentwurf »schlechter vorbereitet und chaotischer abgewickelt« als dieser, klagte die SPD-Fraktion.
Was im April schließlich nach langen Verhandlungen im Vermittlungsausschuß zwischen Bundesrat und Bundestag seinen Weg ins Gesetzblatt fand, erschien dann zunächst plausibel.
Für gut die Hälfte der rund 40 Millionen Autobesitzer, deren bereits betriebene Wagen mit dem alten Abgasstandard Euro 1 übereinstimmen, bleibt vorerst alles beim alten. Ihr Steuersatz steigt erst vom Jahr 2001 an um gut 60 Prozent.
Wer dagegen noch immer mit einer der alten Dreckschleudern ohne geregelten Kat oder Magermischung herumkarriolt und bei Ozonalarm Fahrverbot hat, für den wurde es von Juli an drastisch teurer. Seine Abgabe stieg um 20 Mark pro 100 Kubikzentimeter Hubraum. Demgegenüber kommen die Besitzer neuerer Kat-Fahrzeuge, die schon auf abgasarm getrimmt sind und der Norm Euro 2 entsprechen, ein bißchen billiger davon. Für sie sind nur noch 12 statt 13,20 Mark pro 100 Kubikzentimeter fällig.
Unter dem Strich, so versprachen es die Gesetzesautoren aus Finanz- und Verkehrsministerium, sollte auf diese Art »Aufkommensneutralität« geschaffen werden. Schließlich fließt die Kfz-Steuer (Jahresaufkommen 1996: 13,7 Milliarden Mark) ausschließlich den Ländern zu. Daher bestand im Bundesrat in diesem Punkt große Einigkeit.
Die Rechnung wäre aufgegangen, hätten die Reformer nicht darauf bestanden, auch die in Brüssel noch gar nicht rechtsgültig beschlossenen künftigen Euro-Normen 3 und 4 in ihr Projekt einzubauen. Um die Produktion noch abgasärmerer Wagen in Zukunft zu fördern, versprachen sie in einem Zusatzparagraphen den künftigen Käufern solcher Fahrzeuge neben niedrigen Hebesätzen auch pauschale Steuernachlässe von 250 Mark für Benziner und 500 Mark für Selbstzünder. Fiskalisch schien das unbedenklich - schließlich sollten die Sauber-Autos erst noch kommen.
Doch kaum war das neue Gesetz veröffentlicht, verbreiteten alle deutschen und auch einige ausländische Autohersteller die frohe Kunde, daß viele ihrer längst verkauften vierrädrigen Abgasanlagen auch für die neue Norm gerüstet sind.
Für ihren Ein-Liter-Corsa mit Drei-Zylinder-Motor, so warben etwa die Opel-Verkäufer, gebe es zwei Jahre Steuerfreiheit, anschließend kassiere der Fiskus nur einen Hunderter im Jahr. Insgesamt, so kalkuliert der ADAC-Experte Ronald Scheithauer, gebe es weit über fünf Millionen Autos, die längst die neue Norm erfüllen.
Und weil Behörden ihre Dienstleistung neuerdings auch auf dem Markt feilbieten, übernahm das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) für Opel, Ford und Mercedes praktischerweise den »besonderen Service«, die Kunden über den neuen Steuerstatus ihres Wagens aufzuklären - gegen »Vollkostenrechnung« selbstverständlich, wie ein KBA-Sprecher versichert. Gut zwei Millionen Mark habe das Amt dafür kassieren können.
Pikant ist allerdings, daß eine Bundesbehörde in trauter Eintracht mit ADAC und Industrie die Schwächung der Länderfinanzen organisiert. Denn seitdem lassen jeden Monat Tausende stolzer Autobesitzer bei den Zulassungsstellen »umschlüsseln« und die Eintragung in den Kfz-Papieren ändern. Nach einer Hochrechnung des Rheinisch-Westfälischen TÜV sinken dadurch die Einnahmen im nächsten Jahr womöglich um 1,3 Milliarden Mark.
Derweil geben sich die Bonner Gesetzesbastler überrascht. »Daß es so viele Autos« mit so niedrigen Abgaswerten gebe, habe »doch niemand wissen können«, meint etwa der zuständige Referatsleiter im Bundesfinanzministerium, Rainer Keßler, »die Kraftfahrzeugindustrie hat uns das verschwiegen«.
Offenbar hat es aber auch niemand wissen wollen. Der Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, Kunibert Schmidt, versichert jedenfalls, daß »bei uns niemand irgendwann mal nachgefragt hat«.
Obwohl in großer Kooperation drei Ministerialbürokratien beteiligt waren, hat auch keiner der Experten von Verkehrsminister Wissmann und seiner Umweltkollegin Angela Merkel die Sache geprüft.
Dabei wäre es so einfach gewesen. Die notwendigen Informationen liegen seit eh und je vor - beim Flensburger Bundesamt. Dort müssen die Hersteller für die Betriebszulassung selbstverständlich die Abgasmeßwerte für jedes Modell dokumentieren. Und eben diese Daten werden vom Berliner Umweltbundesamt (UBA) regelmäßig ausgewertet.
Ein Anruf bei den dortigen Auto-Experten hätte gereicht, und schon hätte sich herausgestellt, daß bereits 1996 bei gut fünf Millionen Fahrzeugen damit zu rechnen war, daß sie unter die Euro-3-Norm fallen. Es stand ebenfalls zu erwarten, daß gut zwei Millionen Autos sogar die demnächst noch höher belohnten Euro-4-Werte erfüllen würden (siehe Grafik Seite 66)). »Hier hat keiner gefragt«, sagt jedoch auch UBA-Sprecher Karsten Klenner.
Statt dessen siegte wohl das kollektive Unbewußte in Deutschland einig Autoland. Anders ist kaum zu erklären, daß auch in keinem einzigen der 48 beteiligten Ministerien der Bundesländer jemandem der Gedanke kam, daß Industrie-Ingenieure stets auf Nummer Sicher gehen und zur Übererfüllung technischer Normen neigen, wenn es keine Zusatzkosten verursacht. Um die jeweiligen Modelle steuerlich aufzuwerten, müssen die Autokonzerne daher jetzt nicht einmal neue Meßreihen vorlegen, sondern nur versichern, daß die Grenzwerte auch nach 80 000 gefahrenen Kilometern noch eingehalten werden.
Intern schlagen die Länderministerialen nun ob der Einnahmeausfälle Alarm. Ein Vorstoß des bayerischen Umweltministers Thomas Goppel, mit einer demonstrativen Felduntersuchung Grenzwertverletzer zu outen und die Industrie von der Umschlüsselungskampagne abzuhalten, fand allerdings keine Mehrheit. Zur Finanzministerkonferenz am vergangenen Donnerstag in Bonn wußte auch die eigens eingesetzte Arbeitsgruppe der Steuerexperten noch immer nichts Genaues.
Weil die Nachlässe zumeist erst nächstes Jahr und dann rückwirkend wirksam werden, während die erhöhten Sätze bei Altwagen schon seit Juli zu zahlen sind, schwemmt die Autosteuer derzeit sogar noch mehr Geld in die Länderkassen als sonst. Die Minister beschlossen daher erst einmal, nichts zu unternehmen
Den Kassenwarten der Länder dämmerte wohl schon, daß sie gegen den um so größeren Ausfall im nächsten Jahr wohl ohnehin wenig ausrichten können. Nachdem so viele Bürger zur »Umschlüsselung« getrieben wurden, werde man ihnen »nicht gleich wieder eine weitere Änderung zumuten können«, schwant dem Leitenden Ministerialrat Siegfried Specht aus dem Münchner Umweltministerium, der einem der zuständigen Ländergremien vorsitzt.
Also tröstet sich Specht mit dem ideellen Zugewinn der Reform, die trotz des fiskalischen Eigentors einen »sehr positiven Effekt« habe. Der millionenfache Gang zur Zulassungsstelle für einen »vergleichsweise geringen Betrag« beweise doch, »wie die Leute mit Gebühren und Steuern umweltpolitisch zu motivieren sind«.
[Grafiktext]
Abgasnormen - Euro-Grenzwerte
Anteil der Pkw am Schadstoffausstoß in Deutschland
[GrafiktextEnde]
* Bei der Nachrüstung eines Altfahrzeugs mit Katalysator imJuni in Bonn.