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US-Armee Ausbruch aus dem Getto

Häufiger als je zuvor kommt es im deutschen Südwesten zu Gewalttaten amerikanischer Soldaten.
aus DER SPIEGEL 41/1972

Weil«, frohlockte vor sechs Monaten General Michael Davison, Chef der 7. US-Armee, »ich glaube, die Krise liegt hinter uns.« Damals recherchierte der SPIEGEL einen Report über Gis in Deutschland (SPIEGEL 17/1972).

Nun mußte Davison widerrufen: wegen »einer Krise, wie wir sie mit den Amerikanern bislang noch nie gehabt haben« -- so das Neu-Ulmer SPD-MdB Ludwig Fellermaier.

in einem offenen Brief an den Sozialdemokraten versprach der General, Disziplin und Ordnung wiederherzustellen. Denn immer öfter führen Rassendiskriminierung und Kasernentristesse, Zweifel am Kampfauftrag und Verzweiflung an der sozialen Situation zum Ausbruch. immer häufiger verlassen Rotten von -- meist farbigen -- Gis ihre Kasernen-Gettos und überziehen die bislang als eher friedlich geltenden Beschützer-Provinzen im deutschen Südwesten mit Raub, Schlägereien und Vergewaltigungen:

>Acht Farbige verschleppten am 10. Juli ein sechzehnjähriges Mädchen in die Neu-Ulmer Wiley-Kaserne und vergewaltigten es nacheinander.

* Am darauffolgenden Wochenende registrierte die Ulmer Polizei acht schwere Überfälle auf Passanten. die von weißen und schwarzen Gis geschlagen und beraubt wurden.

* Rund 100 farbige Soldaten lieferten in der Nacht zum 13. August 35 Stuttgarter Polizisten eine Straßenschlacht, nach der zehn Polizisten mit Hieb- und Stichwunden, Leberquetschungen und Rippenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert werden mußten.

* Am 15. August verprügelten Soldaten in den Neu-Ulmer Wiley-Barracks ihren Truppenkommandeur, Major George D. Williamson, und zündeten anschließend Müllkontainer an; die Neu-Ulmer Feuerwehr wurde von den GIs mit einem Stein- und Bierflaschenhagel empfangen. und als der Brandmeister Walter Dzierson die Pumpe des Löschfahrzeugs in Betrieb setzen wollte, wurde er mit einer schweren Eisenstange von hinten niedergeschlagen.

* Auf dem Heilbronner Gelände der Wharton-Barracks versuchten am 22. August 40 farbige US-Soldaten die MP-Wache zu stürmen, um ein paar »Brothers« zu befreien, die zuvor einen türkischen Gastarbeiter mit Messern bedroht und ausgeraubt hatten; anrückende deutsche Streifenwagen wurden mit Schottersteinen demoliert.

* 15 farbige Soldaten vergewaltigten am 27. August zwei Mädchen aus Biberach, die am Donau-Ufer in Schlafsäcken übernachten wollten, auf »tierische Weise« (Ulms Kripo-Chef Wilhelm Bauer).

Die aktenkundigen Delikte werden von einer Unzahl kleiner, nicht einzeln registrierter Vergehen garniert. Der Neu-Ulmer Wolfgang Pietsch berichtete beispielsweise, daß er in einer »Wienerwald«-Gaststätte von US-Soldaten zur Zahlung von »Zigarettengeld« erpreßt worden sei, während sich andere GIs seiner Frau unsittlich genähert hätten. Am hellichten Tag belästigen Soldaten Frauen und Mädchen auf den Straßen und schlagen Passanten zusammen; nachts ziehen sie grölend mit Zivil- und Militärfahrzeugen durch die ruhigen Wohnstraßen am Neu-Ulmer Glacis.

Gesang und Gewalt werden freilich von deutschen wie amerikanischen Amtsträgern unterschiedlich bewertet. So halt der Personalchef der 7. Armee, Generalmajor Howard J. Hayward, die Ulmer und Stuttgarter Vorgänge für »sekundäre Ereignisse, die unser Hauptquartier nicht beschäftigen müssen«. Und auch die deutsche Polizei müht sich, amerikanische An- und übergriffe als kaum vermeidliches Schicksal aufzufassen. Landespolizeidirektor Ernst Borrman in Stuttgart: »Wo Truppen stationiert sind, kommt es eben zu Zwischenfällen, aber beim Militär kann man doch mit allem fertig werden.«

Den Ulmer Oberstaatsanwalt Erich Geiselhart hingegen beunruhigt dieser amerikanische Way of life: »Allein in den letzten sechs Wochen habe ich es bei Raubüberfällen mit Dutzenden von Tätern aus der US-Armee zu tun gehabt, im ganzen Jahr 71 waren es nur einige wenige Fälle.«

Staatsanwälte und Richter haben es schwer, Übeltätern aus Übersee den Prozeß zu machen. Die Forderung Ludwig Fellermaiers: »Der GI muß wissen, er kommt vor ein deutsches Gericht und brummt seine Strafe in deutschen Gefängnissen ab«, wird bislang nur selten erfüllt. Denn das Nato-Truppenstatut vom 19. Juni 1951 gibt den »Militärbehörden des Entsendestaates das Recht, innerhalb des Aufnahmestaates die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit auszuüben«.

Der deutsche Verfolgungsverzicht muß zwar bei konkurrierender Strafgerichtsbarkeit ausgesetzt werden, wenn die jeweilige deutsche Staatsanwaltschaft innerhalb einer 21-Tage-Frist bei den amerikanischen Behörden den Antrag stellt. Aber -- so der Neu-Ulmer Amtsgerichtsrat Franz Horber -»dem einzelnen Richter oder Staatsanwalt, der an der Front steht, ist zumeist nicht geläufig, was bei derartigen Vorkommnissen an internationaler Rücksichtnahme notwendig ist«.

In aller Regel drängen deshalb deutsche Rechtswahrer nicht auf eine Aufhebung des Verfolgungsverzichts. Und diese Zurückhaltung wird durch Erfahrungen gefördert, wie sie Richter Horber machen mußte: Am 30. Juni war der farbige GI Jessa Griffin, 22, nach einer Auseinandersetzung mit deutschen Haschhändlern auf der Flucht in den Illerkanal bei Neu-Ulm gesprungen und ertrunken. Nachdem die Leiche am 9. Juli gefunden und zur Obduktion ins Gerichtsmedizinische Labor gebracht worden war, tauchte tags darauf ein amerikanisches Kommando auf, griff sich mit einem Hinweis auf die amerikanische Rechtshoheit den Leichnam vom Seziertisch und verhinderte damit die Feststellung der Todesursache -- ein Zwischenfall, der in der Öffentlichkeit bislang nicht bekanntgeworden ist.

MdB Fellermaier drängt denn auch, die »rechtspolitische Situation neu zu überdenken und voll auszuschöpfen«. Auf Anregung des Parlamentariers legten Mittwoch vorletzter Woche Juristen vom Bonner Justizministerium ein Gutachten vor -- das allerdings zu der Empfehlung kommt, alles beim alten zu lassen: Es liege im Interesse der deutschen Strafrechtspflege' möglichst viele Fälle der amerikanischen Militärgerichtsbarkeit zu überlassen. Dadurch würden die deutschen Gerichte wesentlich entlastet; zudem sei zu bedenken, daß US-Tribunale »schneller und oft auch härter strafen«.

Der US-Soldat freilich, der am 15 August in den Neu-Ulmer Wiley-Barracks den deutschen Feuerwehrmann niederschlug, war letzte Woche noch nicht einmal ermittelt.

Die Brand-Brigade half sich vorerst selbst: Sie will auf amerikanischem Gelände nicht mehr löschen, was immer da brennt.

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