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Auschwitz: Eine Generation fragt

Der »Holocaust«-Film hat den Bundesdeutschen schockartig das dusterste Kapitel deutscher Geschichte wieder ins Bewußtsein gebracht: die Ermordung von Millionen Juden. Größtes Vernichtungslager der SS war das KZ Auschwitz. Was in dieser sorgfältig abgeschirmten Todesfabrik geschah, hat ein Auschwitz-Häftling aufgezeichnet.
aus DER SPIEGEL 6/1979

Es ist das furchtbarste Wort, das die deutsche Zeitgeschichte und Gegenwart kennt. Keine Vokabel bezeichnet deutlicher die Untaten und Massenmorde des nationalsozialistischen Deutschlands, kein Begriff symbolisiert stärker Schuld und Mitschuld der Deutschen an einem Jahrhundertverbrechen als dieser eine Name: Auschwitz.

Auschwitz -- das war einst das größte Vernichtungs- und Konzentrationslager, das die Nazis in ihrem Europa unterhielten. Auschwitz -- das war das Zentrum der von Hitler befohlenen Ausrottung des Judentums. Auschwitz -das war Massenmord in unvorstellbarem Umfang, war eine Hölle von Sadismus, Bestialität, Lust am Töten.

Das hatte die Welt vorher noch nicht gesehen: das industrialisierte Verbrechen, den »Massenmord im Fließbandverfahren« (so der US-Historiker Raul Hillberg). Meist sofort lotsten die SS-Männer ihre Opfer von den gerade angekommenen Güterzügen direkt in die Gaskammern, ließen das tödliche Zyklon B ausströmen und trieben die Helfer an, die Leichen zur Verbrennung fortzuschaffen, um Neuankömmlingen Platz zu machen.

Und sie kamen in schier endlosen Kolonnen und Zügen, kamen aus allen Ländern des deutschen Herrschaftsgebietes. Von Kommandos der SS-gesteuerten Sicherheitspolizei zusammengetrieben und in Bahnwaggons gepfercht, zogen Männer, Frauen und Kinder in den Tod, meist noch bis zur letzten Stunde ahnungslos, ja zuweilen sogar voller Vertrauen zu ihren Mördern.

Der Strom der Todgeweihten wurde zeitweilig so dicht, daß die Mörder kaum noch mit ihrer Henkersarbeit nachkamen. Mit dem ihm eigenen Selbstmitleid klagte später Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß: »Das Töten war leicht, größere Schwierigkeiten bereitete jedoch das Verbrennen.« Denn: Jeder Verzug beim Beiseiteschaffen der Leichen drohte das gesamte Logistiksystem der SS durcheinanderzubringen.

Die Mörder und ihre Auftraggeber duldeten jedoch keine Pause, immer mehr Menschen schickten sie gnadenlos »in das Gas«, wie sie es nannten. 4000 bis 8000 Opfer starben täglich in Auschwitz, am Ende waren fast drei Millionen Juden ermordet.

Juden blieben freilich nicht die einzigen Opfer in dieser Horrorwelt des nazistischen Rassenwahns. Zugleich mit den Juden kamen 11 000 Zigeuner ums Leben, mußten fast 10 000 sowjetische Kriegsgefangene sterben, erlagen Tausende polnischer Häftlinge der Willkür ihrer Wächter.

Doch das Grauen von Auschwitz blieb so unvorstellbar, das kollektive Leid der Opfer so anonym, daß die Nachkriegs-Enthüllungen über das Jahrhundertverbrechen des Dritten Reiches die meisten Deutschen seltsam unberührt ließen. Nur wenige fühlten sich veranlaßt, über die eigene Verantwortung für Auschwitz nachzudenken; für viele, allzu viele waren die Auschwitz-Verbrechen irgendwie unwirklich. Zwar bekannte sich das offizielle Bonn zur deutschen Schuld, zwar offenbarten einzelne Gruppen meist jüngerer Bundesbürger -- von der Schule gefördert -- durch Fahrten nach Auschwitz ein tieferes Bewußtsein der Mitverantwortung, doch das Gros der bundesdeutschen Gesellschaft reagierte kaum. Für die Masse der Deutschen war Auschwitz kein Thema.

Wie wenig es interessierte, ließ sich an der Arbeit der westdeutschen Zeitgeschichtler ablesen. Keine Monographie verrät, was sie über Auschwitz denken und wissen; die Erforschung von Hitlers »Endlösung« überließ man gerne amerikanischen und polnischen Kollegen. Der Fall Auschwitz stand freilich nicht allein. 30 Jahre genügten den Fachhistorikern der Republik auch nicht, um eine Gesamtdarstellung des Judenmords oder des KZ-Systems vorzulegen.

Selbst die fünf Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den sechziger und siebziger Jahren, in denen 26 ehemalige Mordfunktionäre meist kleineren Kalibers verurteilt wurden, konnten keinen Wandel schaffen. »Dieser Prozeß«, schrieb der »Rheinische Merkur« 1965 nach dem ersten, dem »großen« Auschwitz-Prozeß in düsterer Vorahnung, »war vergeblich, wenn er nicht Sühneaktionen auslöst, die seit zwanzig Jahren überfällig sind.«

Die Vorahnung trog nicht, die Erschütterung der Leitartikler und TV-Kommentatoren teilte sich der Masse der Bundesbürger kaum mit. Im Gegenteil, immer häufiger rührten sich am Rande der Gesellschaft rechtsextremistische Gruppen, die den Judenmord zu bagatellisieren oder gänzlich abzuleugnen versuchten.

Als der britische Historiker David Irving 1977 die unsinnige These vertrat, Hitler habe vom Judenmord nichts gewußt, fand er manche Zustimmung in der Bundesrepublik, und der Erlanger Professor Heilmut Diwald, der in seinem umstrittenen Buch »Geschichte der Deutschen« Auschwitz eine »Hauptfunktion bei der völligen moralischen Herabwürdigung der Deutschen« nach 1945 zumißt, ohne mit einem Wort der dort verübten Massenmorde zu gedenken, sah sich mit ungewöhnlichem Bestseller-Erfolg belohnt: 50 000 Exemplare waren in drei Monaten verkauft.

Erst eine scheinbar triviale Fernsehserie aus den USA veränderte endlich die bundesdeutsche Szene. Seit »Holocaust« in zahllosen Bundesbürgern Verdrängtes und Verschüttetes freisprengte, hat nach einer langen Schweigeperiode wieder eine Debatte unter den Deutschen eingesetzt, in der es nicht zuletzt um Auschwitz und seine Hintergründe geht.

Zum erstenmal in der 30jährigen Nachkriegsgeschichte will auch eine größere Anzahl älterer Deutscher die Wahrheit und nichts als die ganze Wahrheit über das Dritte Reich und seine Horrorwelt wissen. Schon rüsten sich Schulen und Universitäten für eine neue Debatte, schon setzen die Medien der Republik verstärkt NS-Themen in ihre Programme. Bevorzugtes Thema: Auschwitz und die Judenvernichtung.

Am Dienstag vergangener Woche brachte die ARD die drei verurteilten Auschwitz-Schergen Kaduk, Erber und Klehr auf die Bildschirme ("Hamburger Abendblatt": »Informationen aus erster Killerhand"), kurz darauf folgte Theodor Kotullas Höß-Film »Aus einem deutschen Leben«. Zugleich kündigten große bundesdeutsche Verlage Judenmord-Bücher an, so Bertelsmann den Bericht Dan Kurzmans über den Aufstand im Warschauer Getto.

Selbst Auschwitz-Revisionist Diwald reagierte. Sogleich nach der Ausstrahlung von »Holocaust« ließ sein Verlag verlautbaren, der Professor werde die Buchpassagen über die Judenvernichtung »unmißverständlicher als bisher formulieren«.

Wichtiger als solche Reaktionen auf eine momentane Stimmung ist jedoch die Debatte, die bereits in fast jedem zweiten deutschen Elternhaus ausgebrochen ist. Intensiver denn je zuvor verlangen die Jüngeren von den Älteren darüber Auskunft, wie Auschwitz möglich war in einer Welt, die trotz aller Gleichschaltung durch ein totalitäres Regime noch immer die Formen bürgerlicher Wohlanständigkeit währte.

Wie es möglich war -- die ältere Generation wird sich eine überzeugendere Antwort als die bisher gewohnte Standard-Formel »Wir haben es nicht gewußt« einfallen lassen müssen. In vielen Einzelfällen mag die Formel durchaus zutreffen, und doch enthält sie nur eine Halbwahrheit.

Denn: Gerade die Geschichte der Todesfabrik Auschwitz offenbart, daß allzu viele Bereiche der Gesellschaft oder »Volksgemeinschaft«, wie das damals hieß, in das Mord- und Plünderungssystem der Konzentrationslager verstrickt waren. Auschwitz war nicht nur eine Sache von ein paar SS-Männern.

Der ehemalige Auschwitz-Häftling Hermann Langbein, von den Historikern als Experte geschätzt, zählt auf, wer noch dazugehörte: »Zehntausende SS-ler wirkten dabei mit, ebenso ungezählte Eisenbahner, viele Bürokraten waren mit der Organisation dieses Mammutunternehmens, mit der Jagd nach den Opfern und ihrer Internierung amtlich befaßt. Tausende waren mit der Verwertung dessen beschäftigt, was als Nebenprodukt abfiel: Die Kleidung (der Ermordeten) wurde ins Reich geschickt, Frauenhaar ging in großen Ballen an Fabriken zur industriellen Verarbeitung ab, Barren von eingeschmolzenem Zahngold liefen Monat für Monat in der Reichsbank ein.

So gerieten deutsche Institutionen und »Volksgenossen« in den Morast von Verbrechen und Barbarei. Zug um Zug wurden sie in das Auschwitzer Drama hineingerissen -- durch den unersättlichen Machtwahn des SS-Chefs Heinrich Himmler, durch Hitlers Befehle und nicht zuletzt durch den Expansionsdrang deutscher Industrieller.

Anfangs, 1940, hatte Himmler in Auschwitz nichts anderes vorgeschwebt als ein Quarantänelager für verhaftete polnische Widerstandskämpfer, doch dann war bald der Ehrgeiz industrieller Manager erwacht. Die IG Farben AG wollte ihre Kunstkautschuk-Produktion durch den Bau eines neuen Buna-Werkes erhöhen -- was lag da näher für die kühl kalkulierenden Vorstandsherren, als sich der kohle- und kalkhaltigen Umgebung und der Häftlinge von Auschwitz zu bedienen!

Himmler war einverstanden, mit Hilfe seiner Arbeitssklaven entstand im Frühjahr 1941 das Buna-Werk Auschwitz, später Lager Monowitz genannt. Der SS-Chef entwickelte einen phantastischen Plan: mit den Häftlingen der SS und der Technologie der IG Farben in Auschwitz »eine gewaltige Häftlings-Rüstungs-Zentrale« (so Höß) zu schaffen, die eines Tages der Schutzstaffel eine Vormachtstellung in der deutschen Wirtschaft sichern sollte.

Von Stund an verlegte Himmler immer mehr Häftlinge nach Auschwitz; in das schon für 8000 Mann zu enge Barackenlager ließ er schließlich 130 000 Häftlinge hineinpferchen. Und er griff stets zu, sobald sich ihm neue Häftlinge boten -- so 10 000 sowjetische Kriegsgefangene, die ihm die Wehrmacht im Oktober 1941 überließ.

Für die Russen sollte in dem nördlich gelegenen Birkenau ein Kriegsgefangenenlager entstehen, doch ehe es fertig wurde, waren die meisten der ausgehungerten und mißhandelten Gefangenen aus Entkräftung gestorben; 1942 lebten von den 10 000 Mann noch 163. Aus dem leeren Russenlager Birkenau aber wurde in Kürze die größte Tötungsanlage der Geschichte: Hitler hatte den Befehl zur »Endlösung der Judenfrage« gegeben.

Diese Metamorphose des einstigen Quarantänelagers Auschwitz zur Todes- und Vernichtungsfabrik weiß kaum ein anderer Zeuge glaubwürdiger zu beschreiben als der hagere Pole, der bis kurz vor Auflösung des Lagers Auschwitz zu überleben verstand und nach Westdeutschland deportiert wurde, wo ihn US-Truppen befreiten.

Wieslaw Kielar, 59, ehemaliger Auschwitz-Häftling, Kameramann und Regisseur, hat Erinnerungen geschrieben, die unter Kennern zu den aufregendsten Büchern über das Vernichtungslager zählen und mit deren auszugsweiser Veröffentlichung der SPIEGEL in diesem Heft beginnt. »Ich habe«, sagt der Autor, dessen Buch Mitte März im Frankfurter Verlag 5. Fischer erscheint, »alles niedergeschrieben, was ich in Auschwitz erlebt und gesehen habe, ohne mich dabei selber zu schonen.«

Gleichwohl benötigte Kielar fast 20 Jahre, ehe er die innere Ruhe fand, seine Memoiren zu schreiben. Die Idee dazu kam ihm, als das Auschwitzer KZ-Museum Anfang der sechziger Jahre einen »Wettbewerb der Erinnerungen« ausschrieb, bei dem ehemalige Häftlinge aufzeichnen sollten, was sie einst im Lager besonders beeindruckt hatte.

Kielar schrieb über die Liebe seines Freundes Edek und dessen Freundin Mala im Schatten des Krematoriums und gewann den ersten Preis. Kurz darauf arbeitete er als Kameramann an dem Auschwitz-Film »Ende unserer Welt« (Regie: Wanda Jakubowska) mit, der ihn in dem Vorsatz bestärkte, seine Erinnerungen aufzuschreiben.

Nach ein paar Jahren war das Manuskript fertig. 1972 erschien sein Buch »Anus Mundi« in dem renommierten Krakauer Verlag Wydawnictwo Literacki und fand zahlreiche Leser. Auszeichnungen für den Autor folgten: 1974 ein Preis der Zeitschrift »Polityka«, ein Jahr darauf der Staatspreis des Ministeriums für Literatur und Kunst.

Seine Stärke: Er verschafft wie kein Autor vor ihm Einblick in den Terror- und Herrschaftsmechanismus eines deutschen Vernichtungslagers und macht verständlich, wie sich selbst in der Hölle Auschwitz einzelne Häftlinge Freiräume schaffen konnten, die eine Überlebenschance boten.

Freilich konnte darin nur bestehen, wer bereit und in der Lage war, Funktionen im Lager zu übernehmen. Gerade Auschwitz illustrierte, welche bedeutende Rolle solche »Funktionshäftlinge« (SS-Jargon) auch zugunsten ihrer Schicksalsgefährten spielen konnten: In keinem Lager waren die SS-Herren so wie in Auschwitz auf Helfer angewiesen, denn das Wach- und Verwaltungspersonal (3500 SS-Männer gegenüber 130 000 Häftlingen) reichte zur totalen Kontrolle nie aus.

Der polnische Autor wirft damit neues Licht auf die Position der Funktionshäftlinge in Himmlers KZ-Imperium. Von ihrer Menschlichkeit, von ihrer taktischen Geschicklichkeit hing es nicht selten ab, wenn es galt, Häftlinge vor dem Ärgsten zu bewahren.

Kielar muß es wissen, denn er selber war Funktionshäftling in Auschwitz: Er diente als Leichenträger, Krankenpfleger, Vorarbeiter und Schreiber in den verschiedenen Lagern. Das war nicht ungefährlich, denn die SS setzte gerne korrupte oder verbrecherische Häftlinge zur Überwachung der Lagerinsassen ein.

Doch schon der Ex-Häftling Eugen Kogon ("Der SS-Staat") warnte davor, Funktionshäftlinge nur unter »den Scharen verkommener Gestalten« zu wähnen, die ihre Macht über die Schicksalsgefährten »zum Teil auf das allerschwerste mißbraucht« hätten; er selber habe durchaus auch »Beispiele der Sauberkeit, Menschlichkeit und des persönlichen Mutes« gekannt.

Kielar gehörte offensichtlich zu solchen Ausnahmefällen. Er war -- das bestätigten Mithäftlinge immer wieder -- couragiert und listig genug gewesen, sich jedweder Komplizenschaft mit der SS zu entziehen. Auch die Frankfurter Staatsanwälte, die ihn im April 1968 als Zeugen im dritten Auschwitz-Prozeß vernahmen, waren von seiner Glaubwürdigkeit und Sachlichkeit beeindruckt.

Funktionshäftlinge gab es, seit die SS über das Reich ein Netz von Konzentrationslagern, Instrumenten des Terrors und der Abschreckung, geworfen hatte. Da der Rapportführer, der für die Häftlinge wichtigste SS-Mann im Lager (er rangierte in der Lager-Hierarchie unterhalb des Kommandanten und des Lagerführers), nicht über genügend SS-Personal verfügte, wählte er sich aus der Masse der Häftlinge Helfer, die ihm seine Arbeit erleichtern sollten.

So entstand eine Schicht von Vorzugs-Häftlingen: An der Spitze der Wohnbaracken, der »Blocks«, amtierte ein Blockältester, der mit seinen Stubendiensten für Ordnung in den Unterkünften der Häftlinge sorgen mußte, während die Häftlinge bei der Arbeit außerhalb des Lagers von Kapos (vom italienischen capo Haupt) und Vorarbeitern angeleitet wurden.

Die Rapportführer bevorzugten als Kapos und Blockälteste meist ehemalige Berufsverbrecher, die skrupellos genug waren, jeden Befehl ihres SS-Herrn zu befolgen. Die »Grünen« (so genannt nach dem grünen Dreieck auf der Jacke, das sie als Berufsverbrecher auswies) schlugen und beuteten ihre Mithäftlinge oft nicht weniger aus als die SS-Wächter.

Gelegentlich gelang es zwar, einen politischen Häftling, einen »Roten«, auf einen Kapo-Posten zu lancieren, doch die Kriminellen behielten ihre Vorherrschaft, solange die Lager klein waren und die Kontrolle der Häftlinge keine sonderliche Intelligenz erforderte.

Zu dieser Gruppe gehörten auch 30 Häftlinge im KZ Sachsenhausen, die der SS-Hauptscharführer Gerhard Palitzsch, Rapportführer des Lagers, an einem Apriltag des Jahres 1940 zusammentreten ließ. Die »Grünen« erfuhren, daß Palitzsch sie ausgewählt habe, mit ihm zusammen zu einem »Sonderauftrag« abzurücken. Zum erstenmal hörten Häftlinge einen ungewohnten Namen: Auschwitz.

Himmler hatte beschlossen, in einer entlegenen Gegend Ostoberschlesiens ein neues Konzentrationslager anzulegen. Die Idee dazu stammte von dem SS-Oberführer Wiegandt, dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) in Breslau, der schon kurz nach dem Krieg gegen Polen gemeint hatte, der wachsende polnische Widerstand gegen die deutschen Herren müsse mit allen Mitteln gebrochen werden.

Er fuhr durch das Land und suchte nach einem geeigneten Platz für ein KZ. An der Sola, einem Nebenfluß der Weichsel, nördlich des Land- und Industriestädtchens Auschwitz, fand er den Platz, so recht nach den Vorstellungen eines KZ-Planers: ein paar verwanzte Kasernen eines polnischen Artillerieregiments, das hier früher gelegen hatte, und einige Gebäude der polnischen Tabakmonopolgesellschaft« umgeben von morastig-nebliger Landschaft.

Im Januar 1940 erhielt Höß damals Lagerführer in Sachsenhausen, von Himmler die Order, die Gegend von Auschwitz zu inspizieren, und bald ergoß sich ein Strom von SS-Männern, Handwerkern, Bauarbeitern und Funktionshäftlingen in das Städtchen: KZ Auschwitz entstand.

Zugleich schwärmten Kommandos der Sicherheitspolizei im deutschbesetzten Polen aus, um dem KZ weitere Häftlinge zu sichern. Sie machten Jagd auf polnische Widerstandskämpfer, die sich gerade zu organisieren begannen, vor allem im südpolnischen Galizien.

Die Fahnder der Gestapo stießen dabei auch auf die Spur des 20jährigen Fabrikdirektor-Sohns Kielar aus Jaroslaw, der noch etwas ratlos Anschluß an polnische Widerständler suchte. Er hatte Kontakt zu einer Organisation aufgenommen, die Polen über Ungarn zur Sikorski-Armee in Frankreich schleuste, doch ein geplanter Grenzübertritt mißlang Kielar.

Jaroslaws Gestapochef Toffel erfuhr davon und machte mit seinem Dolmetscher, einem Mann namens Schmidt, Hausdurchsuchung bei den Kielars, ohne freilich Wieslaw zu erreichen. Am 7. Mai 1940 jedoch hatte er Erfolg: Er stellte Kielar auf der Straße und verhaftete ihn.

Kielar kam in das Polizeigefängnis der benachbarten Stadt Tarnow, wo soeben ein größerer Häftlingstransport zusammengestellt wurde. Am 14. Juni war es soweit: In einem Eisenbahnzug der Sicherheitspolizei verließen 728 polnische Häftlinge die Stadt mit unbekanntern Ziel.

Die Wächter hatten strikte Order, kein Wort über Sinn und Ziel des Transports verlauten zu lassen. Keiner der Häftlinge wußte, wohin es ging. Die Fahrt ging nach Auschwitz.

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