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Ausländerkinder - »ein sozialer Sprengsatz«

Eine kriminologische Studie zeigt auf, was die Kriminalstatistik bislang verbarg: Unter den Kindern ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik sind Vergehen und Verbrechen vor allem von 14- bis l8jährigen an der Tagesordnung -- eine Folge staatlicher »Konzeptionslosigkeit«, wie die Verfasser der Untersuchung rügen.
aus DER SPIEGEL 43/1978

Die Eltern sind Türken, Griechen, Jugoslawen, ausländische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Die Kinder, vor dem Schulalter in die neue Heimat verbracht oder gar schon geboren hier, begreifen sich als Deutsche, messen zumindest Realität und Chancen ihres Lebens wie selbstverständlich in ihrer deutschen Umwelt.

Damit aber sind die Hakans und Elpitas, wie sie zunehmend erkennen müssen, schlimm dran. Daß sie so gut wie deutsch sind, glauben nur sie selber; für Fritz und Kunz gelten sie als Importe und bleiben es in der Regel. Auch der Vergleich, wie sie, die ausländischen Kinder, und die anderen leben und aufwachsen, kann nur deprimierend ausfallen.

Von einem Kinderzimmer zu Haus, wie es die meisten einheimischen Gefährten bewohnen, ist bei ihnen sowenig die Rede wie von einem Platz im Kindergarten: Ausländerwohnungen sind durchschnittlich doppelt so dicht belegt wie deutsche; in Stuttgart etwa, aber ebenso ist es anderswo, haben nur 28 Prozent der ausländischen, jedoch 78 Prozent der deutschen Kinder Platz im Kindergarten.

Auch Schulpflicht ist nicht wenigen ein Fremdwort, vor allem vielen Mädchen, die von den Eltern zu Hause gehalten und mit Kochen und Säuglingspflege beschäftigt werden, weil Mutter auf Arbeit geht. Rund ein Viertel der Ausländerkinder, so eine hessische Studie, sieht die Schule nur von außen. Wer drinnen ist, hat"s schwer: In Nord. rhein-Westfalen schaffen nur 42 Prozent den Hauptschulabschluß, 82 Prozent sind es bei deutschen Schülern.

Zwangsläufig, wie es dann weitergeht -- mit nur minimalen Aussichten auf einen Ausbildungsplatz, mit hoher Arbeitslosigkeit. In Duisburg zum Beispiel betrug schon 1975 die Arbeitslosenquote unter ausländischen Jugendlichen 51 Prozent, bei den Mädchen sogar 72 Prozent. Und wer Arbeit bekommt, läuft Gefahr, sie bald wieder zu verlieren: Nach dem jüngsten Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung entfielen von 1973 bis 1976 über 40 Prozent des Beschäftigungsabbaus auf Ausländer, obwohl ihr Anteil an der Zahl der Erwerbstätigen kaum zehn Prozent betrug.

An der westdeutschen Konsum- und Freizeitkultur orientiert, doch ohne sonderliche Chance, ungehindert daran teilhaben zu können -- das ist das eine Dilemma, dem jugendliche Ausländer ausgesetzt sind. Zu Hause an eine meist strenge, wenn nicht drakonische Familiendisziplin gebunden, draußen unsicher, wie frei sie sich im deutschen Alltag denn nun bewegen dürfen -- das ist der andere Zwiespalt, der sie irritiert.

»Sie wissen nicht«, so beschrieben jetzt Duisburger Sozialwissenschaftler die Lage dieser »Zweiten Generation« ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, »was man von ihnen erwartet, wie sie sich verhalten sollen, welche Sprache für sie relevant ist, welche Bezugsgruppe ihr weiteres Leben bestimmt und wie sie sich identifizieren sollen.« So etwas kann auf Dauer nur zu gefährlichen Reaktionen führen, und tut es auch.

»Unter uns«, warnte der CDU-Bundestagsabgeordnete Albrecht Hasinger, »wächst eine Generation der Hoffnungslosigkeit heran. Diese Generation stößt auf eine Gesellschaft, die mangelnde berufliche Qualifizierung, Arbeitslosigkeit, Isolation, Entwurzelung, Gettoisierung und Abweisung der ... ausländischen Kinder und Jugendlichen nur oberflächlich am Rande zur Kenntnis nimmt.« Nicht zu erwarten sei. »daß die Betroffenen dies auf die Dauer hinnehmen werden«.

Vielmehr, so Hasinger, bilde sich da zusehends., ein Problemstau. der zum sozialen Sprengsatz werden kann«. Und tatsächlich rumort es, zündelt es schon. Die »institutionalisierte Außenseiterrolle«, die Sozialwissenschaftler den jugendlichen Ausländern attestieren, hat, bislang so gut wie unbemerkt, dazu geführt, daß mit deutlichem Abstand sie es sind, die im Vergleich zu allen anderen Bevölkerungsgruppen und Altersklassen mit den Strafgesetzen am ehesten und am meisten in Konflikt geraten.

Für die Zweite Generation fehlt das soziale Netz.

Die brisante Erkenntnis ist Resultat einer Untersuchung, die in monatelanger Kleinarbeit in der Abteilung Kriminologie, Jugendrecht und Strafvollzug des Strafrechtswissenschaftlichen Instituts der Universität München -- Chef: der Kriminologe Horst Schüler-Springorum -- erstellt wurde. In der vergangenen Woche wurde sie auf einer Bonner Fachtagung vorgelegt, die sich mit der Kriminalität junger Ausländer in der Bundesrepublik befaßt, und soll demnächst als Buch erscheinen.

Bisher war, wie die Autoren der Untersuchung, die Kriminotogen Peter-Alexis Albrecht und Christian Pfeiffer, darlegen, »völlig offen« gewesen, »oh und inwieweit sich junge Ausländer und Deutsche in ihrer Kriminalitätsbelastung* unterscheiden«, ob also vergleichsweise mehr ausländische als deutsche Jugendliche stehlen, einbrechen, betrügen, unterschlagen, notzüchtigen oder Mitmenschen nach dem Leben trachten.

Vom gesunden Volksempfinden und auf den ersten Blick -- in die Morgenblätter -- scheint die Frage längst geklärt ... Mit Hackmesser zugestochen«, das war, in Bonn, ein Vietnamese; »Türke unter Mordverdacht«, lasen die Kölner; »Hausfrau entkam Sextäter«, das soll, in Heerd bei Düsseldorf, ein Marokkaner gewesen sein -- Schlagzeilen weniger Tage im Oktober.

Doch beweiskräftige Auskunft über die Kriminalität der Ausländer hatte es bislang nicht gegeben, zumal die polizeiliche Kriminalstatistik so differenzierte Daten gar nicht aufweist. Das Münchner Institut mußte, um an die Zahlen zu kommen, die Landeskriminalämter erst um einen EDV-Sonderdurchlauf ersuchen; nur Schleswig-Holstein lehnte das, der Kosten wegen, ab.

Die Auswertung des Materials ergab zunächst, daß, überraschend genug, die sogenannte Kriminalitätsbelastung der erwachsenen Ausländer geringer ist

·Kriminalitätsbelastung: die Zahl der polizeilich registrierten Tatverdächtigen, umgerechnet auf jeweils 100 000 Einwohner oder Angehörige eines bestimmten Bevölkerungsteils.

als die der Deutschen über 21 Jahre, daß aber auch die jungen Ausländer insgesamt nicht schlechter abschneiden als die jungen Deutschen. Alarmierend aber sind die Resultate der Untersuchung dort, wo die Statistiker die Kriminalität in speziellen Altersgruppen gesondert errechnet haben.

Denn die Extrarechnung ergab, daß die Gruppe der Ausländer zwischen 14 und 18 -- eben jene »Zweite Generation« der Gastarbeiter, die vom Rande der Gesellschaft nicht fortkommt -- das halbwegs beruhigende Bild vom gar nicht so sonderlich auffälligen ausländischen Nachwuchs zunichte macht In dieser Gruppe ist Kriminalität gewissermaßen an der Tagesordnung.

Zwar ist nach der jüngsten Kriminalstatistik des Bundes die Zahl aller -- also der deutschen wie der ausländischen -- tatverdächtigen Jugendlichen von 1975 bis 1977 um nicht weniger als runde 25 Prozent gestiegen. Doch die Münchner Untersuchung macht klar, daß die Entwicklung bei Deutschen und Ausländern höchst unterschiedlich verläuft. Es sind, haben die Autoren herausgefiltert, »insbesondere die ausländischen Jugendlichen, die ein absolutes Höchstmaß an Kriminalitätsbelastung aufweisen«, vor allem wegen überdurchschnittlich zahlreicher Sexualdelikte und einfacher Diebstähle.

Dies gilt durchweg jedenfalls für die großen Städte mit ihrem großen Ausländeranteil. So übersteigt die Kriminalitätsbelastung der 14- bis 18jährigen Ausländer in Stuttgart die der gleichaltrigen Deutschen um 88 Prozent, in München um 60 Prozent und in Hannover, das noch die günstigsten Zahlen aufweist, um 35 Prozent.

Wenn nicht alles trügt, wird es bald noch ärger kommen. Die Münchner Zahlen stimmen nämlich präzise mit dem Befund der Soziologen überein, wonach die ausländischen »Kinder noch unter einem in ihren Familien typischen Autoritätsdruck stehen, der sie von ihrer deutschen Umwelt derart abschirmt, daß Frustrationen und daraus sich ergebende Konflikte sich in Grenzen halten. Folge: Die Kriminalitätsbelastung dieser Ausländer unter 14 unterscheidet sich von der deutscher Kinder nur unwesentlich, liegt in den meisten großen Städten sogar darunter.

Zum Konflikt kommt es dann freilich, sobald die jungen Ausländer außer Kontrolle der Familie geraten, vor allem, wenn die Kinder zu Jugendlichen geworden sind, die Schule verlassen und einen Weg ins Berufsleben suchen: Nicht nur die Kollision mit der so anderen deutschen Gesellschaft, der sie dann ausgeliefert sind, sondern auch die Diskrepanz zwischen hochgeschraubten Erwartungen und den minimalen Chancen, die es für sie tatsächlich gibt, läßt in ihnen ein Gefühl von Isolation aufkommen, das sie oft in die Kriminalität treibt.

So steht die große Woge jugendlicher ausländischer Krimineller noch bevor. Trotz ungefähr gleicher Kriminalitätsbelastung wie bei ihren deutschen Altersgenossen -- Tatverdächtige pro 100000 einer Bevölkerungsgruppe weisen die ausländischen Kinder allerorts die mit weitem Abstand höchste Steigerungsrate --. zahlenmäßige Zunahme der Straftaten -- auf.

Sie betrug, im Zeitraum der Münchner Untersuchung, beispielsweise in Hamburg jährlich durchschnittlich um 23 Prozent (deutsche Kinder: ein Prozent). Statistisch ist dies nur eine Folge des Umstandes, daß in manchen Ballungszentren schon mehr ausländische als deutsche Kinder geboren werden, sozialpolitisch aber ein Menetekel, das die Münchner Kriminologen eher verharmlosend mit dem Hinweis umschreiben, »eine anwachsende Belastung« der Justiz erscheine »unausweichlich«.

Schlimm schon, wenn es nur das wäre. Denn auch vor den Richter treten die Fremden in eben der hilflosen Rolle, in der sie straffällig geworden sind oder die sie straffällig hat werden lassen -- als Außenseiter einer Gesellschaft, die mit dem Gefolge ihrer Gastarbeiter nichts anzufangen weiß.

Weil es ihnen nicht ausreichte, einfach nur den genauen Grad der Kriminalität junger Ausländer in Westdeutschland zu eruieren und den offenkundigen Zusammenhang von Kriminalität und sozialer Situation zu belegen, forschten die Autoren der Münchner Studie überdies nach, was den Delinquenten vor Gericht, in der Vollzugsanstalt, in der Bewährung, vor allem am bitteren Ende dann, bei der Ausländerbehörde widerfährt, ob es auch für sie gewissermaßen ein soziales Netz gibt, das sie auffängt und ihnen Halt verschafft -- »nur ansatzweise« fanden Albrecht und Pfeiffer diese Problematik bislang erörtert.

Was sie bei Interviews an Ort und Stelle von den Ausländerämtern, der Jugendgerichtshilfe und Bewährungshelfern in West-Berlin und in zehn westdeutschen Großstädten -- eine je Bundesland -- sowie von den einschlägigen Justizvollzugsanstalten zu hören bekamen, verkürzte sich für sie zum Schluß auf eine Formel, die ihnen »kennzeichnend für die Behandlung der »Gastarbeiter« in der Bundesrepublik insgesamt« erscheint: »sozialpolitische Konzeptionslosigkeit«.

Denn während die einen -- Jugendgerichte, Jugendstrafanstalten. Bewährungshelfer -- an der sozialen Wiedereingliederung auch ihrer ausländischen Klienten arbeiten, betreiben die anderen -- die Ausländerämter -- die Ausgliederung, sprich: Abschiebung, Ausweisung; nicht »oder nicht nur«, wie die Studie anmerkt« aus »bösem Willen«, sondern weil schon im Ansatz ein totaler Widerspruch besteht »zwischen dem auf Desozialisierung zielenden Ausländerrecht und dem auf Resozialisierung ausgerichteten Strafrecht«. Eingeschüchtert

vor dem Jugendrichter.

Verschärft wird der Widerspruch noch durch die beinahe naturgegebenen Schwierigkeiten, jungen Ausländern, die straffällig geworden sind, wieder aufzuhelfen. Schwierig schon, Milieu und Mentalität der Fremdlinge zu verstehen, die sich deutschen Ämtern -- und gar erst Gerichten -- eh nur angstvoll zu nähern vermögen.

»Ich hatte« ließen sich die Rechercheure Albrecht und Pfeiffer von einem Saarbrücker Jugendgerichtshelfer berichten, »vorletzte Woche einen italienischen Vater mit seinen beiden Söhnen da. Der Mann hat regelrecht gezittert. Sobald die auf eine Behörde müssen, ist das mit Existenzangst verbunden. Was passiert da? Welche Folgen hat das für mich?«

Logisch, daß solche Väter die familiären Verhältnisse über die Maßen günstig zu schildern versuchen und zu Hause schon regelrechte Standgerichte mit dem Ergebnis veranstaltet haben, daß kaum noch eine Chance besteht, an die eingeschüchterten Kinder heranzukommen. Die Folge ist, daß die Richter in der Hauptverhandlung auf wesentliche Informationen dann verzichten müssen. obschon sie durchaus bemüht sind, »sich irgendwie einzufühlen, der gute Wille ist da«, wie etwa aus Hannover gemeldet wurde.

Aber was hilft"s, hernach machen die Ausländerämter doch, was ihnen als Recht und Ordnung gilt. Zwar pflegen die Gerichte, wo immer möglich, ausländischen Jugendlichen eine Bewährungschance zu geben, und versuchen zudem, durch sanfte Urteilsbegründungen das Ausländeramt zu einer nachsichtigen Bewertung des Falles zu veranlassen, aber in keiner der elf Großstädte, auf die sich die Untersuchung erstreckte, waren diese Amter an derartiger Zusammenarbeit interessiert.

»Da wurde uns gesagt«, berichtete ein Jugendgerichtshelfer aus Berlin, »da ginge jeder Sachbearbeiter nach seinem gesunden Menschenverstand.« Der aber sieht selbst in einer schon angelaufenen Bewährungshilfe »kein Argument«, wie der Berliner erleben mußte. »Die ziehen ihren Stiefel durch, der geprägt ist von dem Bemühen, unerwünschte ausländische Bürger auszusortieren.«

»Wohl nur sehr selten«, mutmaßen die Münchner Kriminalwissenschaftler, kommt es auch vor, daß in die Entscheidungen der Ausländerämter positive Prognosen einfließen, die Justizvollzugsanstalten ausländischen Jugendlichen nach verbüßter Strafhaft mitgegeben haben. Das ist um so unbefriedigender, als die »tragische Gesamtsituation«, der gerade junge ausländische Häftlinge ausgesetzt sind, optimistische Einschätzungen ihrer Zukunftschancen zur Ausnahme macht.

Vereinsamung und Isolierung, die ihnen womöglich draußen schon zu schaffen machten, kennzeichnen ihre Lage erst recht drinnen im Knast, und was ihnen dort entgegenschlug, haben sie hier doppelt zu vergegenwärtigen: Vorurteile und Diskriminierung. Nahezu ausnahmslos, so registriert die von der Robert-Bosch-Stiftung finanziell unterstützte Studie, schilderten die Anstaltsleiter das Phänomen einer von »Diffamierung«, »Aggression« und »Geringschätzung« gekennzeichneten Hackordnung: »Es ist für viele Deutsche ein befriedigendes Bedürfnis, wenn sie wissen, sie haben noch jemanden, auf den sie herabsehen können«, so das Urteil aus Baden-Württemberg.

Trotzdem -- oder deswegen? -- gibt es in aller Regel kaum Vollzugsschwierigkeiten mit den jungen Ausländern. Manchmal nahezu anhänglich, dankbar für jede Zuwendung, verrichten sie bereitwillig auch noch »die letzte Drecksarbeit, die deutsche Gefangene nicht machen«, wie in Hamburg formuliert wurde -- ein Ergebnis der Überanpassung, mit der die Delinquenten versuchen, sich lieb Kind zu machen.

Wenige genug erhalten eine Chance, sich zu bewähren. Für die meisten steht am Ende der Strafvollstreckung die Abschiebung, und es ist ganz gleich. wie lange so ein 18 Jahre alter Ausländer schon in der Bundesrepublik gelebt und ob er Braut, Kind, jedenfalls die Eltern hier hat: Lediglich in Ausnahmefällen wird nicht abgeschoben, »in ganz wenigen Ausnahmefällen«. wie aus Hamburg zu hören war.

Ob einer unter die Ausnahmefälle gerät, ist Lotterie: In Hamburg und Bremen darf »so gut wie keiner« bleiben, im Saarland dürfen es achtzig Prozent -- »einheitliche Kriterien für die Entscheidung, ob ausgewiesen wird oder nicht, konnten«, so Albrecht und Pfeiffer in ihrer Untersuchung, »nicht ermittelt werden«.

Wie auch: Laut Paragraph 10 des Ausländergesetzes »kann« ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er »wegen einer Straftat ... verurteilt worden ist« -- Einzelheiten sind dem Ermessen der Behörde überlassen, und so kommt es dazu, daß, bei völlig identischen Sachverhalten, das eine Ausländeramt die Ausweisung verfügt, das andere lediglich eine Verwarnung ausspricht, das dritte gar nichts tut -- »ein Umstand«, wie die Münchner Forscher finden, »der schon in Hinsicht auf das auch für Ausländer geltende Gleichheitsgrundrecht des Grundgesetzes zu erheblichen Bedenken Anlaß gibt«.

Meist wird nicht lange gefackelt, oft interessiert nicht einmal, was die Jugendrichter in ihren Urteilen zu bedenken geben: »Die Ausführungen des Jugendrichters zu den Strafzumessungsgründen«, so das Berliner Ausländeramt, »die interessieren uns nicht so furchtbar; da schreiben die Richter ja sogar noch rein, es sollte von aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen abgesehen werden, das interessiert uns also nicht.«

Der soziale Hintergrund interessiert die Ämter nicht.

Und auch der soziale Hintergrund beschäftigt die Ämter oft nicht sonderlich: »Wir kriegen telephonisch mitgeteilt, heute ist der und der zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Am nächsten Tag entscheiden wir: Ist er reif für eine Ausweisung oder nicht«, so geht das beim Hamburger Ausländeramt.

Erst recht nicht wird angehört, was das Jugendamt oder ein Bewährungshelfer vielleicht beizutragen hätten, denn für die sind »das alles immer liebe nette Menschen« (Ausländeramt Berlin), die meinen gar, »daß jeder Ausländer einen Anspruch darauf hat, sich hier im Inland zu resozialisieren. Aber man kann sich im Ausland auch resozialisieren, wir brauchen ja nicht das Risiko zu tragen« (Ausländeramt Hamburg). Jedoch, wie man im Ausländeramt Köln weiß: »Wir tun nicht etwas Böses, sondern -- wie es nach dem Alten Fritz heißt -- jedem das Seine.«

In Hamburg hat es die Leitung der Jugendstrafanstalt unterdes aufgegeben, mit dem Ausländeramt noch zu verhandeln. Weil: »Die haben doch nur das Gefühl, die Bundesrepublik muß von diesen lästigen Elementen so schnell wie möglich gesäubert werden, und wenn wir dann die Straffälligen rausschicken, sind wir wenigstens ein paar los -- das ist unser Gefühl.«

Daß die Eliminierung eines Jugendlichen aus einem Land, das ihm als Heimat gilt, und der Abtransport in einen für ihn fremden Staat, den als Heimat nur seine Personalpapiere ausweisen, nach Einschätzung des Leiters einer bayrischen Vollzugsanstalt in jedem Fall »eine Katastrophe« bedeutet, meist sogar »soziale Hinrichtung« ist, tangiert die Ämter offenkundig nicht: In vier Bundesländern müssen die Ausgewiesenen die Kosten für ihre Reise ins Nichts auch noch selber bezahlen -- von den paar hundert Mark Überbrückungsgeld, das ihnen einen neuen Anfang erleichtern sollte.

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