100 Tage Obama Revolution im Eiltempo

Ein Republikaner versüßt Barack Obama den ersten Jubeltag. Senator Arlen Specter wechselt zu den Demokraten und bringt ihnen zum 100. Amtstag eine Supermehrheit im Kongress in Reichweite. Der Coup zeigt: Der US-Präsident ist machtvoll und populär wie wenige Vorgänger - doch er muss aufpassen.

Barack Obama hat alles so perfekt inszenieren lassen. Zu seinem 100. Tag im Amt wird der US-Präsident erst nach St. Louis reisen, um sich bei einer Bürgersprechstunde feiern zu lassen. Dann kehrt er für eine TV-Pressekonferenz nach Washington zurück. Sein Team hat die Medien mit Insider-Anekdoten für den Jubeltag versorgt, manche Korrespondenten wurden sogar in persönlichen Hintergrundgesprächen gepflegt.

US-Präsident Obama: Perfekte Choreografie zum ersten Jubeltag

US-Präsident Obama: Perfekte Choreografie zum ersten Jubeltag

Foto: AP

Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben bei dieser ersten Zwischenbilanz nach 100 Tagen, einem Kunstdatum, erfunden von Obamas Vorbild Franklin D. Roosevelt und angelehnt an eine koreanische Tradition, bei der ein gesundes Baby 100 Tage nach der Geburt mit Reis und Suppe zelebriert wird. Nach außen verhöhnt Obamas Chefberater David Axelrod das politische Ritual zwar als "Hallmark-Feiertag" - einen Feiertag wie den Valentinstag, der vor allem der Verkaufsförderung dient, benannt nach der großen US-Grußkartenfirma. Hinter den Kulissen aber haben sie diesen Event im Weißen Haus so akribisch choreografiert wie alle anderen auch.

Der tollste PR-Clou kommt nun allerdings völlig ungeplant vom anderen Ende der Pennsylvania Avenue - aus dem US-Kongress. Dort erklärte Senator Arlen Specter am Dienstag seinen fliegenden Wechsel von den Republikanern zu den Demokraten. Die Flucht des moderaten Top-Republikaners ist ein Akt der Selbsterhaltung - in einer zusehends rechten Partei hatte Specter keine Zukunft mehr, er hätte bei der Wiederwahl 2010 gegen parteiinterne Konkurrenz bestehen müssen. Deshalb macht er Obama jetzt ein willkommenes 100-Tage-Geschenk. "Wir freuen uns wahnsinnig", sagte der Präsident, der nach Angaben seines Sprechers Robert Gibbs vorab nichts wusste, dem Überläufer am Telefon.

Denn Specter, einer der einflussreichsten Senatsveteranen, verschafft Obamas Demokraten 59 Stimmen im Senat. 60 könnten es werden, sollte ein Gericht den knappen Wahlsieg Al Frankens in Minnesota tatsächlich absegnen - dann hätte die Präsidentenpartei die absolute Senatsmacht, in der die Republikaner nicht mehr durch das berüchtigte Filibuster (mehr auf SPIEGEL WISSEN)  Gesetzesprojekte blockieren können.

Ändert sich das politische Klima der USA grundlegend?

Schon ist auf einmal in US-Medien die Rede von einer "Obama-Revolution", einer langfristigen politischen Neuausrichtung über die Präsidentschaftswahl hinaus, wie das Land sie zuletzt ins andere Lager hin nach Ronald Reagans Amtsantritt 1980 erlebt hatte. Schönere Schlagzeilen für den 100. Tag hätte sich das Weiße Haus kaum ausdenken können.

Tatsächlich stehen die US-Bürger - trotz Besserwissern im rechten Lager, trotz aller Probleme bei der Krisenbekämpfung - so stark hinter Obama wie seit Generationen nicht mehr hinter einem Präsidenten. In der aktuellsten Umfrage von "Washington Post" und ABC News geben 69 Prozent der Befragten Obama ihre Zustimmung. Eine Popularität, wie sie zu dieser 100-Tage-Frist zuletzt 1953 Dwight Eisenhower genoss.

Erstmals seit Januar 2004 erklärt überdies eine Mehrheit der US-Bürger, dass sich das Land trotz der enormen Probleme ihrer Meinung nach auf dem richtigen Weg befinde. "Obama hat die ersten 100 Tage genutzt, um die Stimmung im Volk zu heben und Hoffnungen auf eine hellere Zukunft zu machen", bilanzierten Meinungsforscher der Nachrichtenagentur AP, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen.

Perfekte PR-Choreografie für den Präsidenten

Geschafft hat Obama diese Aufbruchstimmung mit einer strengen PR-Choreografie. Seit dem "Großen Kommunikator" Reagan hat kein US-Präsident Image und Message so kontrolliert wie Obama - mit Hilfe der Medien, doch noch lieber an ihnen vorbei. In drei Monaten hat sich Obama den Kameras und Mikrofonen öfter gestellt als Bush in seiner achtjährigen Amtszeit. Er fliegt gern zu Bürgersprechstunden durchs Land, verbreitet seine Reden über YouTube, hält Online-Chats, saß bei TV-Talker Jay Leno auf dem Sessel, übt die Balance zwischen Spaß und Ernst.

Mal wütet er, etwa gegen die Bonus-Raffer der Wall Street. Mal verbreitet er Ruhe, etwa als er neulich die Finanzkrise erklärte. Er wagt Länge, Gleichmut, Bedacht - Ex-Arbeitsminister Robert Reich nennt ihn "das ruhige Zentrum des Zyklons". Dabei weicht er selten vom Teleprompter ab, und wenn der mal zu schnell läuft, unterbricht er sich und bittet die Regie, "zurückzuspulen".

Er nutzt die Macht der Bilder, die ihn schon im Wahlkampf zur Mediensensation gemacht hat. Sein erstes TV-Interview gab Obama dem Sender al-Arabija, wandte sich per YouTube an die Iraner. Er begann die Öffnung zu Kuba - zum Jubel selbst der Hardliner in Miamis Little Havana. Er machte seine Website interaktiv: "Open for Questions.

Eine vom Weißen Haus arrangierte Online-Fotoserie in "Time" ("Hinter den Kulissen") zeigt eine präsidiale Idylle: Obama auf dem Sofa, Obamas Lackschuhe vor der blauen Moschee in Istanbul, Obamas Teller mit Käse und Crackern, daneben die Topsecret-Mappe .

Immer wieder Flucht nach vorn

Alle Szenen sollen die gleiche Botschaft vermitteln: Dieser Mann hat das Ruder fest in der Hand - und fühlt sich dabei gut. "Er wurde fast umgehend präsidial", sagt der Präsidentenhistoriker James Thurber von der American University. "Er verwandelte sich, physisch wie rhetorisch."

Seit dem ersten Tag ergreift Obama die Flucht nach vorn, pariert immer neue Krisennachrichten und hat parallel bereits zahllose Wahlversprechen erfüllt. Eine Revolution im Blitzverfahren.

Das Mega-Konjunkturpaket. Rettungsprogramme für die Finanzbranche, die Autoindustrie, den Immobilienmarkt. Neue Regeln für die Wall Street. Die angekündigte Schließung von Guantanamo. Die Neudefinition des einstigen Kriegs gegen den Terror, samt Umschichtung der Truppen. Die Freigabe der Stammzellenforschung. Die "National Service Bill", ein im Ausland kaum registriertes Gesetz, das Millionen Amerikaner in den freiwilligen Bürgerdienst ziehen wird. Die Umverteilung der Steuerlast. In nicht mal 15 Wochen annullierte Obama Jahrzehnte republikanischer Ideologie.

Alle politischen und wirtschaftlichen Axiome wurden von der Finanzkrise weggespült. Obama schafft neue Regeln, während er regiert - und nutzt dieses Vakuum, um seine langfristige Agenda nicht aus den Augen zu lassen. Sein nächster großer Wurf, die ans Haushaltsgesetz gekoppelte Gesundheitsreform, ist durch Specters Parteiwechsel noch wahrscheinlicher geworden.

Die Wahrheit ist freilich etwas komplizierter - und Image nicht alles.

Viele Problemstellen im Hintergrund

Viele Initiativen Obamas, so zeigt eine nähere Analyse der Umfragen, sind unbeliebter als seine Person selbst. Das gilt vor allem für die Eingriffe der Regierung ins Wirtschafts- und Finanzgetriebe. Deren Ergebnisse lassen naturbedingt auf sich warten, doch die Bürger werden langsam unruhig. Viele verstehen nicht, trotz aller Erklärungen Obamas, warum ausgerechnet jene Finanzunternehmen vom Staat geschützt werden, die für den Schlamassel verantwortlich sind - zumal die Banken wenig Einsicht zu zeigen scheinen und der Kreditmarkt weiter klemmt.

Auch Obamas Personal ist nicht so beliebt wie der Chef selbst. Finanzminister Timothy Geithner hat sich vom anfänglichen Straucheln zwar erholt. Trotzdem bleibt er ein unsicherer Kandidat - ebenso wie Adlatus Larry Summers, Personifizierung des Pessimismus.

Die enorme Staatsverschuldung mobilisiert die Republikaner. Sie sehen darin ihre größte, letzte Hoffnung, ihrer desolaten Lage zu entkommen. Als selbsternannte Stimme des Volkes keifen sie immer lauter, polemisieren gegen Steuern, blockieren Obama, wo es geht - und zerstören die Illusion der überparteilichen Eintracht, mit der er angetreten war. Auch das offenbart sich in den Umfragen: Während 93 Prozent der Demokraten Obamas Politik unterstützen, sind es bei den Republikanern nur 36 Prozent. Obama polarisiert.

Außenpolitisch ist Obama zwar weltweit populär. Doch Afghanistan und der Nahe Osten sind unvermindert Krisenherde, und auch Pakistan bricht langsam weg. In der jüngsten Debatte über Folter-Memos der CIA wich Obama von seiner sonst so klaren moralischen Linie ab. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) stellen ihm dafür jetzt ein schlechtes Zeugnis aus. HRW-Terrorexpertin Joanne Mariner bezeichnet den Folterdisput als "eine enorme Enttäuschung".

Solche Zweifel wird Obama auf seiner 100-Tage-Pressekonferenz sicher elegant wie immer parieren. Alle großen Fernsehsender werden den Auftritt im East Room übrigens live übertragen. Nur einer nicht - Fox, der dem konservativ geneigten Medienzar Rupert Murdoch gehört, klinkt sich erstmals aus. Stattdessen wird ein Krimi-Drama gezeigt: "Lie to Me" - "Lüg mich an".

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