110-Milliarden-Euro-Hilfspaket Griechen-Retter kaufen sich Zeit

110-Milliarden-Euro-Hilfspaket: Griechen-Retter kaufen sich Zeit
Foto: Olivier Hoslet/ dpaWar dieser 2. Mai tatsächlich der "Schicksalstag des Euro", wie es die "Bild am Sonntag" formulierte? Zumindest war es ein hektischer Sonntag für viele europäische Spitzenpolitiker.
In Athen schwor der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou am Morgen seine Landsleute auf eine weitere Sparrunde ein - zur "Rettung des Vaterlands", wie er es ausdrückte. Gehälter und Sonderzahlungen runter, Steuern und Rentenalter rauf: Papandreou blieb nichts anderes übrig, als die skeptischen Euro-Partner mit neuen Grausamkeiten gnädig zu stimmen.
Die 16 Finanzminister des Euro-Raums trafen sich dann am Nachmittag in Brüssel und gaben nach wochenlangem Gezerre das Hilfspaket für Griechenland frei. 110 Milliarden Euro an Hilfskrediten soll die griechische Regierung binnen drei Jahren abrufen können - allein 45 Milliarden in diesem Jahr. Deutschland beteiligt sich mit 22 respektive 8,4 Milliarden.
Ein Sondergipfel der Euro-Regierungschefs muss den Beschluss am 7. Mai noch bestätigen. Doch das entscheidende Signal ist gesandt: Die Euro-Zone gibt eine kollektive Antwort auf den Pessimismus der Rating-Agenturen und an die Spekulanten an den Finanzmärkten. Der Euro bleibt stark - das ist die Botschaft aus Brüssel. Und: Griechenland hat mächtige Verbündete. Oder, wie es Finanzminister Schäuble ausdrückte: "Es ist unser Auftrag, die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes zu verteidigen. Je besser wir den erfüllen, desto besser für alle Europäer und damit für alle in Deutschland."
Fraglich ist allerdings, ob die Entscheidung der Euro-Finanzminister die Akteure an den Finanzmärkten beeindrucken wird.
Schließlich haben sie sich auch von keinem der vorangegangenen Politikerbeschlüsse beruhigen lassen - weder von den EU-Gipfeln am 11. Februar und 25. März noch vom Finanzministertreffen am 11. April. Die Spekulation gegen den Euro ging immer weiter. Die Finanzjongleure haben die widerstrebenden EU-Regierungen vor sich hergetrieben, bis es keine Alternative mehr zu den jetzigen Multimilliarden-Krediten gab.
Hauruckgesetz in dieser Woche in Bundestag und -rat
Den beteiligten Regierungen ist nun zumindest der Ernst der Lage klar. Auch die Bundesregierung will sich kein weiteres Zögern vorwerfen lassen, nachdem in der vergangenen Woche die Rating-Agentur Standard & Poor's (siehe Kasten links) die Bonität griechischer Staatsanleihen auf Ramsch-Status herabgestuft hatte. Im Hauruckverfahren soll in dieser Woche das deutsche Gesetz zur Griechenland-Hilfe durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden - so wie zuletzt das Bankenrettungspaket im Oktober 2008. Am Freitag soll Bundespräsident Horst Köhler es schon unterzeichnen. Die Regierung erhofft sich davon ein weiteres Signal der Stärke. Die SPD hat zwar das Schnellverfahren mitgetragen, lässt aber offen, ob sie dem Gesetz am Ende auch zustimmen wird. Die Sozialdemokraten wollen eine Beteiligung der Banken.
Innenpolitisch ist es nicht ohne Ironie, dass die Notkredite nun unmittelbar vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen autorisiert werden sollen. Kritiker in der Opposition werfen Merkel vor, sie habe genau dies in den vergangenen Monaten verhindern wollen, um das heikle Thema aus dem Wahlkampf zu halten. 56 Prozent der Deutschen sind gegen die Griechen-Hilfe. Dass sie nun mit Merkels Zustimmung doch kommt, kann negative Folgen für die Regierungsparteien CDU und FDP in dem größten Bundesland haben.
Merkel muss die Rache der Wähler fürchten. Die Kanzlerin argumentiert, ohne ihre Sturheit hätte sich Griechenland nicht zum Sparen entschlossen. Auch sei nur ihrem beharrlichen Einsatz die Entsendung der beinharten IWF-Schuldenprofis nach Athen zu verdanken. Mag sein. Doch womöglich haben Merkels Manöver die Lage trotzdem verschlimmert. Die Griechen-Rettung ist auch deshalb teurer geworden als zunächst absehbar, weil sich die Kreditkonditionen für Griechenland in den vergangenen Wochen drastisch verschlechtert haben. Hysterie an den Märkten konnte sich ausbreiten. Darum hatte sich zuletzt sogar US-Finanzminister Timothy Geithner eingemischt und die Bundesregierung gemahnt, schleunigst zu handeln.
Hoffen auf Beruhigung binnen drei Jahren
Wie effizient das Hilfspaket jetzt der griechischen Krise entgegenwirkt, ist offen. Alles hängt davon ab, wie sich Wirtschaft, Staatsfinanzen und politische Stimmung entwickeln - wobei sich nicht nur viele Griechen fragen, wie ausgerechnet eine Rosskur mit Lohnkürzungen und Steuererhöhungen die Konjunktur des Landes beleben soll. In Berlin, London und Paris werden Sparanstrengungen zurzeit immer mit dem Argument abgelehnt, sie würden die Wirtschaft abwürgen.
Die Hoffnung auf einen Erfolg des Sanierungspakets für Griechenland speist sich nicht zuletzt daraus, dass sich die Banken der Welt überraschend schnell von der größten Krise ihrer Geschichte erholt haben. Ein Jahr nach dem Kollaps des Finanzsystems 2008 machten sie schon wieder Rekordgewinne - und die Regierungen, die ihre Geldinstitute in der Krise notgedrungen verstaatlicht hatten, können nun beim Verkauf auf Gewinne hoffen.
So soll es im Idealfall auch mit Griechenland laufen. Zumindest versucht die Bundesregierung, mit diesem Argument die skeptische Bevölkerung zu überzeugen: Wenn Griechenland seine Kredite erst einmal zurückzahle, werde Deutschland daran verdienen. Ob es so kommt, weiß keiner - manche glauben daran, manche hoffen bloß darauf.
Die Banken sind nicht unschuldig - sie sollen mitzahlen
Sicher ist, dass ein griechischer Staatsbankrott zum jetzigen Zeitpunkt unabsehbare Folgen hätte. Portugal und Spanien gerieten als nächstes unter Druck. Insofern ist es rational, dass Europas Regierungen sich und Griechenland Zeit kaufen - in der Erwartung, dass sich die Lage in drei Jahren beruhigt hat.
Ebenso vernünftig ist die Idee, die Gläubiger Griechenlands in eine Lösung einzubeziehen. Merkel und Schäuble haben in Interviews den Banken nahegelegt, sich an der Griechen-Hilfe zu beteiligen. In anderen Parteien wurde gefordert, sie dazu zu zwingen. Auf Initiative des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann haben nun einige deutsche Unternehmen offenbar zugesagt, ein bis zwei Milliarden beizusteuern - in Form von Krediten und durch den Kauf griechischer Staatsanleihen.
Man mag das als "Heuchelei" bezeichnen, wie die Linkspartei es tut, weil die Finanzbranche mit Griechenlands Überschuldung keine schlechten Profite gemacht hat. Man kann es auch als pragmatischen Beitrag begrüßen. Vor allem aber ist es ein Eingeständnis, dass die Banken an Griechenlands Schicksal nicht unschuldig sind.