9/11-Ausschuss Das Versager-Tribunal

Im Kampf gegen den Terror haben sie beide versagt: Erst US-Präsident Bill Clinton, dann sein Nachfolger George W. Bush. Das offenbart die laufende Anhörung im US-Senat zur Aufklärung der Anschläge vom 11. September 2001. Die heutige Aussage des Terrorexperten Richard Clarke könnte Bushs Feldherren-Image nachhaltig ramponieren.



New York - Für Madeleine Albright waren Broschen schon immer eine subtile Art der Diplomatie. Auf ihren Nahost-Reisen trug die ehemalige US-Außenministerin gerne eine weiße Taube am Revers. Im Irak war es einmal eine Schlange - denn als solche hatte sie die Staatspresse dort beschimpft. Mitunter, wenn sie sich kämpferisch fühlt, ist es ein Adler. Und gestern, als Zeugin vor der unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Terroranschläge vom 11. September 2001, da funkelte an ihrem Samtblazer ein Sternenbanner.

Diese Brosche sollte jedem eine Warnung sein, der es wagen könnte, an ihrem Patriotismus zu zweifeln. Die resolute Dame befand sich im Sitzungssaal 216 des Senats vor einer doppelten Herausforderung: Sie musste erklären, warum es ihre Regierung unter Bill Clinton so viele Jahre lang versäumt hat, das Terrornetzwerk al-Qaida zu zerschlagen - und zugleich die Nachfolge-Regierung von George W. Bush für selbiges Versagen verantwortlich machen. Letzteres allerdings ohne dabei allzu parteiisch zu wirken.

Albright versuchte das mit einem Beispiel: dem Bombenanschlag auf den US-Zerstörer "U.S.S. Cole" im Oktober 2000. Dass al-Qaida dahinter steckte, habe zu ihrer Amtszeit noch niemand hundertprozentig wissen können: "Wir hatten keinen definitiven Beweis", beharrte die Ex-Ministerin. "Der definitive Beweis kam erst unter der Bush-Regierung." Punktsieg für die Pensionärin.

"Allen Fakten folgen, egal wohin"

So geriet die Anhörung schnell zu dem, was das Weiße Haus befürchtet hatte: Sie wirkte wie Salz in offenen Wunden. Kaum zwei Tage nach den schwerwiegenden Vorwürfen des einstigen Terrorexperten von Bush, Richard Clarke, sein Ex-Dienstherr habe al-Qaida gegen seinen Rat und zu Gunsten eines "unnötigen und teuren Krieges" im Irak ignoriert, trieb der Ausschuss den Präsidenten nur noch weiter in die Defensive: Die hochkarätige Riege der vorgeladenen Ex- und Noch-Minister wurden mit Fragen gelöchert. Schlimmer noch: Heute geht es munter weiter im Senatssaal 216 - ausgerechnet mit dem Zeugen Richard Clarke, dem obersten Terror-Experten von vier US-Präsidenten. Clarke diente Ronald Reagan, George Bush sen., Bill Clinton und zuletzt Georg W. Bush.

Die live im Fernsehen übertragene Sitzung fesselt die Nation - lange schon war die Tagesordnung Washingtons nicht mehr derart emotional behaftet. Sowohl die Kommission wie auch Clarkes Enthüllungen vom Wochenende bewegen die Amerikaner. "Wir müssen unsere Regierung haftbar machen", sagt Carie Lemack, die ihre Mutter Judy im Inferno des World Trade Centers verloren hat und nun mit im Sitzungssaal saß.

Vor allem aber zielen die Vorwürfe ins Mark von Bushs Wahlkampf. Denn sie stellen seine vermeintlichen Erfolge im Krieg gegen den Terror in Frage. Und das ist der einzige Politikbereich, in dem er sich in den Umfragen von seinem demokratischen Herausforderer John Kerry absetzen kann. Bush, der Terror-Bekämpfer. Darauf fußt die gesamte Strategie für die Wiederwahl des amtierenden US-Präsidenten. Viel steht da auf dem Spiel, politisch und persönlich, viel mehr als nur die Erhellung dieses Terroraktes, der die Welt veränderte. Kein Wunder, dass Bush die Kommission anfangs erst verhindern wollte, bevor er sie auf Druck einer Gruppe unermüdlicher 9/11-Witwen, doch noch widerwillig in Kraft setzte - mit dem ominösen Credo, "allen Fakten zu folgen, egal, wohin sie führen".

Brutale Diskreditierungs-Strategie

Kein Wunder, dass bei den Anhörungen vieles auf Rechtfertigung und Fingerzeigen hinausläuft. Colin Powell, Albrights Nachfolger im Amt des Außenministers, beteuerte jetzt im Zeugenstand, dass weder eine Invasion Afghanistans noch eine "Enthauptung" von al-Qaida das Attentat des 11. Septembers hätten verhindern können: "Die waren ja längst hier."

Pentagon-Chef Donald Rumsfeld quittierte den Vorwurf, auch sein Verteidigungsministerium habe al-Qaida bis Anfang 2001 unterschätzt, typisch spitz: "Die Leute in der Regierung kamen hier sicher nicht in Zellophan verpackt an." Nur Rumsfelds Vorgänger William Cohen, einst als Weichling gehänselt, bewies die Fähigkeit zur kritischen Introspektive: "Wir haben es versäumt, den heraufziehenden Sturm voll zu begreifen."

Das dürfte auch das Motto des Tages werden. Richard Clarkes heutiger Auftritt vor der 9/11-Kommission könnte kaum ungelegener fürs Weiße Haus kommen: Clarke personifiziert die Hilflosigkeit angesichts der Terror-Bedrohung - sowohl der Clinton- als auch der Bush-Regierung. Doch während die Ruheständler Albright und Cohen nur ihr historisches Erbe verteidigen müssen, geht es für Bush um die politische Zukunft.

Also versucht das Weiße Haus seit Montag nach allen Kräften, Clarke als Zeugen zu diskreditieren, noch bevor er heute nach der Lunchpause ins Scheinwerferlicht tritt. In einer konzertierten Aktion aus Interviews und Pressekonferenzen beschrieben Bushs PR-Leute den "Whistleblower" als einsamen, verbitterten Verlierertypen - der zudem noch von Kerry zu Wahlkampfzwecken instrumentalisiert werde. Eine brutale Strategie, die in Washington ja nicht nur die Republikaner beherrschen: Auch Clinton wandte sie seinerzeit schon gegen Monica Lewinsky und Paula Jones an, als die ihm gefährlich zu werden drohten.

Widersprüche des Kronzeugen

In der Tat ist Clarke seit 25 Jahren mit Kerry-Berater Rand Beers befreundet. Das habe aber bei seiner Entscheidung, gerade jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen, keine Rolle gespielt, beteuert Clarke. Das Verlierer-Argument verpufft schnell, da Clarke nicht nur unter dem Republikaner Ronald Reagan und dem Demokraten Clinton anstandslos gearbeitet hat, sondern auch unter beiden Bushs, Vater und Sohn.

Schwieriger ist es, Clarkes Aussagen mit seinem Rücktrittschreiben von 2003 in Einklang zu bringen, das Bush-Sprecher Scott McClellan flugs vor den Korrespondenten im Weißen Haus verlas: "Es war ein enormes Privileg, Ihnen in diesen letzten 24 Monaten gedient zu haben", habe Clarke darin an den selben Bush geschrieben, den er jetzt so auseinander nimmt. "Ich werde mich immer an die Courage, Entschlossenheit, Ruhe und Führungskraft erinnern, die Sie am 11. September demonstriert haben." Beleibe nicht die Worte von jemand, der innerlich vor Wut kocht.

Diese Widersprüche darf der Kronzeuge heute aufklären. "Dies ist eine der wichtigsten Anhörungen, die die Kommission abhalten wird", sagt deren Vorsitzender Thomas Kean, der republikanische Ex-Gouverneur von New Jersey. Ebenfalls vorgeladen für Teil zwei: CIA-Chef George Tenet, Clintons damaliger Sicherheitsberater Sandy Berger und Vize-Außenminister Richard Armitage.

Lieber Basketball als Politik

An Armitages Stelle sollte eigentlich Bergers Nachfolgerin Condoleezza Rice aussagen, von der ihr vormaliger Untergebener Clarke behauptet, sie habe bei ihrem Einzug ins Weiße Haus noch nicht einmal gewusst, wer al-Qaida überhaupt sei. Doch Rice weigert sich, vor dem Ausschuss zu erscheinen - was nicht unbedingt die Gunst des Gremiums fördert: "Rice ist in jedem Fernsehsender aufgetreten, inklusive einiger, von denen ich noch nie gehört habe", schimpft Kommissionsmitglied Richard Ben-Veniste, ein Demokrat. Ben-Veniste hat Erfahrung mit sperrigen Zeugen: In den siebziger Jahren war er einer der Watergate-Ankläger.

Bush spielt unterdessen den Desinteressierten. Der Präsident habe die gestrige Anhörung nicht am Fernsehen mitverfolgt, sagte McClellan lakonisch: "Er hatte Termine, wie Sie wissen." (Zum Beispiel die Begrüßung der Herbst-Champions der College-Basketball-Liga NCAA auf der Südwiese des Weißen Hauses.)

Die künftigen Sitzungstermine der Kommission indes sind schlechte Nachrichten für Bush: Für je zwei Tage im April, im Mai und im Juni wird ihm der Ausschuss noch einmal die Wahlkampf-Schlagzeilen stehlen. Und auch der Abschlussbericht der Kommission hat schon einen festen Stichtag: der 26. Juli - der erste Tag des Wahlparteitags der Demokraten.

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